Protocol of the Session on February 19, 2004

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Deshalb ist die neue Landesregierung nun angetreten, es besser zu machen. Das heißt nicht, dass auf Gutachter und Berater prinzipiell verzichtet werden soll; das habe ich schon gestern in der Aktuellen Stunde gesagt. So etwas wäre auch vermessen und falsch. Wo der eigene Sachverstand und der in den Reihen der Verwaltung nicht oder nicht ausreichend vorhanden ist, sind externe Fachleute sinnvoll und willkommen. Das gilt insbesondere auch für Zeiten, in denen die Verwaltungsmodernisierung zu gravierenden Strukturveränderungen geführt hat und Aufgaben ausgelagert worden sind. In vielen Bereichen ist die private Auftragserledigung sogar ausdrücklich gewollt, weil sich der Staat aus guten Gründen auf seine Kernaufgaben zurückziehen soll. Selbstverständlich ist auch die Kosten-Nutzen-Relation ein wesentliches Entscheidungskriterium für eine Fremdvergabe.

Aber: Es muss transparent und nachvollziehbar zugehen. Es ist doch unerträglich, wenn die Antwort der vorherigen Landesregierung auf die Große Anfrage der CDU-Fraktion offenkundig unvollständig war und eindeutig relevante Verträge verschwiegen wurden. Dies gilt nach meiner Überzeugung etwa für die Meinungsumfragen von polis und der laut Spiegel so genannten Kanzlerflüsterin forsa, die Beratungsleistungen von Odeon Zwo und andere politische Beratungen und Bewertungen oder auch die Kommunikationsunterstützungen durch fts media - also Herrn Schröder -, die für Herrn Gabriel regelmäßige Auftritte im Fernsehen vermitteln sollte, und zwar, wie ich gestern schon gesagt habe, sogar rückwirkend.

Wir hatten 2002 nach Gutachten und Beraterverträgen gefragt und lediglich technische Beratungsleistungen ausgenommen. Da ist es schon bemerkenswert, dass wir bei unserer Nachprüfung im Jahr 2004 nunmehr - das ist allerdings erst der Stand von heute Morgen 9 Uhr - auf 141 Verträge gestoßen sind, die nicht in der Antwort auf die Große Anfrage der CDU-Fraktion genannt waren.

(Zurufe von der CDU: Unerhört! - Wil- helm Heidemann [CDU]: Vertuschung! - Weitere Zurufe)

Ich will deutlich hinzufügen: 141 Verträge haben wir bisher gefunden. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das schon alle sind. Denn wenn wir als Finanzministerium, das nicht fachlich zuständig ist, sondern dies nur zusammentragen muss, am letzten Samstag von Herrn Möhrmann hören müssen, dass bei der Landesregierung noch 500 Seiten lägen, die aber weder bei der Staatskanzlei noch im Innenministerium, noch im Finanzministerium aufgefunden worden sind, und wenn dann Montagmittag ein leitender Beamter, ein Abteilungsleiter, mit diesen 500 Seiten in einem völlig unzuständiges Ministerium kommt und sie dem Staatssekretär auf den Tisch legt, dann muss ich sagen, dass dies schon merkwürdige Zustände sind. Deshalb bin ich mir nicht sicher, ob die Zahl von 141 abschließend ist.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Bernd Althusmann [CDU]: Unglaub- lich!)

Dass diese 141 Verträge inzwischen aufgetaucht sind, liegt daran, dass wir das Motto „im Zweifel melden“ ausgegeben haben, nicht aber „im Zweifel verschweigen“, wie Sie es offensichtlich getan haben. Es sind nämlich nicht die Bediensteten, die hier die Weichen stellen. Es sind natürlich auch Sachen gemeldet worden, die gar nicht unter diesen Begriff fielen. Das haben wir dann in Abstimmung mit den Häusern auch so abgeklärt.

Es geht mir hier auch nicht um Fehler, die im Einzelfall immer wieder mal gemacht werden. Ich gestehe auch jeder Landesregierung zu - auch unserer eigenen -, dass sie in engen Grenzen Sachverhalte bestimmt, die der eigenen noch laufenden politischen Meinungsbildung zuzurechnen sind. Sie muss sicher nicht ihr „Innerstes nach außen kehren“. Was Sie aber getan haben, ist nach Art und Umfang mit der Berufung auf einen solchen Kernbereich von Regierungshandeln nicht mehr zu

rechtfertigen. Es war auch damals nicht zu rechtfertigen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Gleichwohl werden wir nun nach vorne schauen. Das heißt: Wir werden es anders machen. Wir stehen dazu, dass wir - wie bereits angekündigt künftig alljährlich einen Bericht über abgeschlossene Beraterund Gutachterverträge abgeben wollen. „Abgeschlossen“ heißt, dass der Vertrag, aber nicht die Beraterleistung abgeschlossen ist. Dabei streben wir an, das politisch Gewollte und Relevante aufzuführen, ohne in den Fehler zu verfallen, mit unverhältnismäßigem Aufwand nichts sagende Tabellen über sämtliche Dienstleistungen Außenstehender zusammenzutragen. Dabei ist auch zu bedenken, dass der Haushaltsansatz 2004 der hier einschlägigen Haushaltsgruppe 538 über 100 Millionen Euro umfasst. Außerdem werden wir zukünftig klar bestimmen, wer über die Vergabe von Gutachten- und Berateraufträgen in den Dienststellen zu entscheiden hat. Damit wollen wir möglichen Mauscheleien und Gefälligkeitsgutachten entgegenwirken.

Leitlinie wird sein, dass Gutachten nicht als Politikersatz dienen dürfen. Politische Meinungsbildung gehört ins Parlament und darf nicht in unzählige Kommissionen oder Gutachtergremien verlagert werden, die fern jeder demokratischen Legitimation wirken. Letzteres schadet unserer parlamentarischen Demokratie.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Wilhelm Heidemann [CDU]: Sehr rich- tig!)

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Dringliche Anfrage der CDU-Fraktion wie folgt:

Zu Frage 1: Als Ergebnis einer Ressortumfrage ist festzustellen, dass über die in der Drucksache 14/3927 genannten 368 Gutachtenaufträge und externen Beraterleistungen des Zeitraumes 1994 bis Oktober 2002 hinaus von der alten Landesregierung weitere insgesamt 141 Gutachten, Studien, Berichte und Beraterverträge mit einem Volumen von 5 129 515 Euro in Auftrag gegeben wurden, die damals nicht benannt worden sind. Diese teilen sich wie folgt auf die einzelnen Ressorts auf:

Staatskanzlei: 50 Fälle 844 966 Euro,

Innenministerium - bisher bekannt -: 40 Fälle im Wert von 770 863 Euro,

Finanzministerium: 5 Fälle im Wert von 474 929 Euro,

Sozialministerium: 39 Fälle im Wert von 2 284 668 Euro,

Wissenschaftsministerium: 4 Fälle im Wert von 164 589 Euro,

Kultusministerium: 1 Fall im Wert von 72 000 Euro,

Wirtschaftsministerium: 1 Fall im Wert von 500 000 Euro,

Justizministerium: 1 Fall im Wert von 17 500 Euro.

Das Landwirtschaftsministerium und das Umweltministerium haben Fehlanzeige gemeldet.

Zu Frage 2: Die Landesregierung hat nach Übernahme der Regierungsgeschäfte feststellen müssen, dass bei einigen prominenten Gutachtenvergaben der Vorgängerregierung relativ hohe Ausgaben getätigt wurden, ohne dass ein entsprechender Nutzen nachgewiesen oder erkennbar wäre. Insofern verweise ich auf die Vorbemerkung.

Vor diesem Hintergrund hat Herr Ministerpräsident Wulff in der Sendung „Sabine Christiansen“ die Notwendigkeit, die effektiven Verwertungsmöglichkeiten und damit den objektiven Nutzen von Gutachten und sonstigen Beratungsleistungen grundsätzlich infrage gestellt und die in diesem Zusammenhang entstandenen Strukturen bundesweit in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt.

Wegen der überraschenden Vielzahl der bisher bekannt gewordenen 141 weiteren Auftragsvergaben und der Kürze der Zeit können die Notwendigkeit, die Verwertungsmöglichkeiten und der Nutzen der jeweiligen Einzelmaßnahmen nicht bewertet werden. Teilweise ist der objektive Nutzen von Beraterleistungen allerdings nicht mehr nachvollziehbar, teilweise ist die Verwertung in einigen Fällen auch nicht überprüfbar.

Zu Frage 3: Soweit nicht durch die Vorbemerkungen bereits beantwortet, beantworte ich diese Frage wie folgt:

Zur Neuordnung der Mittelinstanz rufe ich in Erinnerung, dass die alte Landesregierung beschlossen hatte, ein zweijähriges Pilotprojekt zu erproben, über dessen Ergebnisse der Landtag Ende 2002 unterrichtet werden sollte. Die Beurteilung der Ergebnisse durch die neue Landesregierung ist der Antwort der Landesregierung vom 18. Juni 2003 in der Drucksache 15/308 zu entnehmen. Es

hat sowohl eine Kabinettsentscheidung dazu gegeben, dieses Ergebnis Ende 2002 vorzulegen, als auch eine Landtagsentscheidung, dieses Projekt bis Ende 2002 zu bewerten. Warum das nicht vorgelegt worden ist, kann ich nicht beurteilen.

Eine Bewertung der Beratertätigkeit von Roland Berger mit dem Titel „Prüfung Konsolidierungspotenziale für den Niedersächsischen Landeshaushalt im Horizont der Reformagenda bis 2007“ ist nicht sonderlich schwierig: Sie war schlicht überflüssig.

Erstens wurde teure Beratertätigkeit eingekauft für Fragestellungen aus dem elementaren Kernkompetenzbereich einer bekanntlich vorhandenen und mit diesem Thema seit Jahrzehnten wohl vertrauten Ministerialverwaltung. Das Wissen um die niedersächsischen Haushaltsprobleme, Lösungsmöglichkeiten in Form von Einsparvorschlägen, Konsolidierungsmaßnahmen, Personalabbaukonzepten, Verwaltungsreformprojekten usw. war und ist ausreichend vorhanden. Insoweit wundert es auch nicht, dass das Gutachten in weiten Teilen in Form eines Zwischenberichtes lediglich nur mit anderen Worten das wiedergibt, was im Landesrechnungshof, von den damaligen Oppositionsfraktionen CDU und Grüne in Form von Anträgen, von der Haushaltsabteilung im Finanzministerium und von den Verwaltungsreformern im Innenministerium an Vorschlägen längst vorhanden war.

Zweitens wurde hier Beratertätigkeit als Politikersatz eingekauft. Die alte Landesregierung hatte damals offenkundig nicht den Willen, geschweige denn den Mut, die überfälligen und nötigen Entscheidungen zur Haushaltskonsolidierung zu fällen. Wir hatten zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe nämlich keinerlei Erkenntnisdefizit, sondern nur ein massives Handlungsdefizit. Die Anwesenheit des Herrn Fiedler von Roland Berger auf einer Pressekonferenz zur letzten von Herrn Gabriel vorgelegten Mipla hat bekanntlich die Probleme nicht gelöst. Wenn das Argument gewesen sein soll, es hätte einer Begleitung durch „Strategy Consultants“ bedurft, um die nötigen Kabinettsentscheidungen zur Haushaltssanierung intern durchzusetzen, dann hat sich die Gabriel-Regierung hiermit ein Armutszeugnis allererster Güte ausgestellt.

(Zuruf von der CDU: Das kann man wohl sagen! - Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Man kann es auch so ausdrücken: Das war kein Roland-Berger-Gutachten, sondern ein Drückeberger-Gutachten.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die jetzige Landesregierung hat sich jedenfalls sofort an die Arbeit gemacht, den Haushalt wieder auf solide Füße zu stellen. Wir haben allein mit dem Haushaltsplan 2004 Konsolidierungsvorschläge von knapp 2 Milliarden Euro umgesetzt und das alles ohne Inanspruchnahme von Beratern und im Übrigen auch ohne nur einen Blick in das seinerzeit abgelieferte Konvolut werfen zu müssen. Wir haben es aber mit den gleichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wie damals gemacht, und damit ist bewiesen: Sie hätten es damals schon gekonnt, wenn man gewollt hätte.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Drittens. Schließlich war ein Teil der von Roland Berger gemachten Vorschläge schlicht unbrauchbar. Wie das Land z. B. in fünf Jahren für 500 Millionen Euro Forstbesitz veräußern soll, bleibt das Geheimnis von Roland Bergers Beratercrew. Sie haben aufgeschrieben, man solle fünf Jahre lang Forstbesitz von pro Jahr 100 Millionen Euro verkaufen.

(Zuruf von Dieter Möhrmann [SPD])

Das macht zusammen 500 Millionen. Außerdem haben sie hineingeschrieben, man solle jedes Jahr Domänen - -

(Zuruf von Thomas Oppermann [SPD])

- Herr Oppermann, Sie haben es ja nicht gelesen, weil Sie es nicht bekommen haben.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Roland Berger hat zusätzlich hineingeschrieben, man solle fünf Jahre lang Domänen verkaufen, jedes Jahr für 85 Millionen Euro, also zusammen für 425 Millionen Euro, und Sie bestreiten inzwischen, dass unsere Domänen einen Wert von 152 Millionen Euro haben. Sie müssen sich mal entscheiden, ob Sie Ihrem Berater glauben oder ob Sie uns glauben. Glauben Sie lieber uns, unsere Zahlen sind realistischer!

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Denn eines ist klar: Wenn ich die Domänen einmal verkauft habe, kann ich das nicht fünf Jahre lang wiederholen. Was weg ist, ist weg. Das hätte auch Roland Berger auffallen können.

(Zuruf von der CDU: Das leuchtet ein! - Bernd Althusmann [CDU]: Das ist ganz schlüssig, wie Herr Lestin sagen würde!)

Woher Roland Berger die Erkenntnis hat, dass allein die Administration unserer Förderprogramme bzw. Ihrer Förderprogramme damals 300 Millionen Euro jährlich verschlingen soll, ist rätselhaft. Nur für die Administration der Förderprogramme 300 Millionen Euro! Das entspricht 7 000 Vollzeitstellen und das nur für die Verwaltung von Fördermitteln. Das glaubt wohl wirklich niemand! Dass durch „verändertes Führungsverhalten sowie durch prozess- und strukturoptimierende Verbesserungen kumulierte Einsparungen von 336 Millionen Euro bis 2007 erzielt werden“ - das ist wörtlich aus dem Gutachten -, das bleibt eine Annahme der Expertise, die auf die eigentlich entscheidende Frage „Wo und wie und was und warum?“ eigentlich keine Antwort gibt. Denn es ist nicht zuzuordnen, wo man das Geld einsparen kann. Sie sagen: „Es geht“, aber zuordnen können sie es nicht.