Protocol of the Session on January 23, 2004

(Friedrich Kethorn [CDU]: Ihr habt da- zu beigetragen!)

Meine Damen und Herren, ich habe Verständnis dafür, wenn Sie das rustikale Profil dieses Landes schärfen wollen.

(Friedrich Kethorn [CDU]: Das ist doch lächerlich, was du da machst!)

Aber kümmern Sie sich bitte auch um die Hochtechnologie.

(Beifall bei der SPD)

Herr Ministerpräsident Wulff, ich erteile Ihnen das Wort.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin inzwischen davon überzeugt, dass die SPD-Fraktion davon ausgegangen sein muss, dass wir diesen Punkt nicht auf die Tagesordnung setzen würden. Das heißt, wir müssen Sie am Mittwoch, als wir gesagt haben, dass wir natürlich darüber reden können, kalt erwischt haben.

Sie haben jetzt einen Antrag nachgereicht, in dem Sie uns auffordern, tätig zu werden. Hierzu muss ich Ihnen sagen, dass wir seit Wochen tätig sind, weil Ihre Kolleginnen und Kollegen, Herr Oppermann, nämlich Frau Hansen und Herr Noack aus Göttingen, uns vor Wochen auf dieses Thema aufmerksam gemacht haben und wir daraufhin tätig geworden sind.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich möchte für die Zukunft den Wunsch an Sie richten, dass Sie uns dann, wenn es irgendwo im Lande ein Problem gibt, ein Zeichen geben und vielleicht erst einmal das Landesinteresse und dann parteitaktische Überlegungen der Profilierung in den Vordergrund der Überlegungen stellen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Denn, lieber Herr Oppermann, Sie haben sich jetzt in vielfältiger Weise einen Bärendienst erwiesen. Sie haben sich natürlich selbst einen Bärendienst erwiesen, weil Sie sich nicht gleich gemeldet haben, damit wir tätig werden konnten, sondern das Auditorium des Landtages genutzt haben.

(Thomas Oppermann [SPD]: Sie wussten doch darüber Bescheid!)

Ich wäre, als die Firma Antisense Pharma GmbH von Göttingen nach Regensburg verlegt wurde - das ist während Ihrer Amtszeit als Minister passiert -, gar nicht auf die Idee gekommen, dieses Thema hier im Landtagsplenum zu besprechen, weil die Verbindung zwischen einer Unternehmensverlagerung in der deutschen Volkswirtschaft offener Grenzen und der Politik im jeweiligen Land immer sehr schwierig ist.

Sie haben aber auch dem Unternehmen einen Bärendienst erwiesen. Denn niemand von denen will, dass er auf dem offenen Markt an den Pranger gestellt wird. Die wollen vielmehr, dass ihre Probleme

gelöst werden. Diesbezüglich befinden wir uns in intensiven Gesprächen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Von den elf dort Beschäftigten sind jetzt die Arbeitsplätze von vier nach München verlagert worden. Sechs bis sieben sollen vorerst, ich hoffe dauerhaft, in Göttingen im Bereich der Forschung bleiben. Sie sind auf dem Sprung von der Grundlagenforschung in die Anwendung und argumentieren, dass sie einerseits Kapital benötigen, das sie aus ihrer Sicht in München-Martinsried leichter bekommen können, weil es derart entwickelte Kapitalgesellschaften in diesem Lande nicht gibt, und dass andererseits - was viel wichtiger sei - die pharmazeutische Industrie, die die Mittel, die dort entwickelt wurden, gebrauchen könnte, am Cluster München angesiedelt sei, weshalb man deren Nähe suchen müsse.

Wir sind seit Jahren dabei - das ist auch ein Stück des Erfolges in Wolfsburg -, die Zulieferer der Automobilindustrie in das Umfeld von Wolfsburg zu bringen, um Just-in-Time-Produktion und kürzere Wege zu ermöglichen. Dementsprechend werden auch immer wieder einmal Entscheidungen getroffen werden, wo jemand die Nähe zu einem anderen Unternehmen sucht.

Sie haben aber auch dem Land Niedersachsen einen Bärendienst erwiesen. Denn wir haben hier exzellente Voraussetzungen für die Biotechnologie, wenn ich an den Bereich der Medizin, der Pharmazie, der Landwirtschaft, der Lebensmittelherstellung oder der Umwelttechnik denke. Wir haben die Gesellschaft für biotechnologische Forschung in Braunschweig, die MHH in Hannover, das Fraunhofer-Institut in Göttingen, die MaxPlanck-Institute in Hannover und Göttingen, und wir sollten auch wegen der KWS in Einbeck unser Licht nicht unter den Scheffel stellen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir sind gut aufgestellt. An der Tatsache, dass wir gut aufgestellt sind, haben Sie Ihren Anteil. Er besteht darin, dass hier in Hannover in früheren Jahren die Chancen der Biotechnologie zeitweilig erkannt worden sind, wenngleich auch aus Berlin immer wieder Querschüsse kommen, indem die Bundesregierung europäische Richtlinien nicht etwa 1 : 1 umsetzt, sondern noch etwas draufsattelt. Darüber befinden wir uns im Gespräch mit verschiedenen Unternehmen in Niedersachsen.

Diese Landesregierung wird die Biotechnologie in den kommenden Jahren nachhaltig unterstützen. Es ist aber wahr, dass wir an verschiedene BioRegio-Regionen in Deutschland noch nicht heranreichen können. Ich bin 1997 mit der Landespressekonferenz Niedersachsen in Baden-Württemberg bei biotechnologischen Gründern wie Herrn von Bohlen von Halbach und auch in Martinsried in München gewesen. Dort konnte man sehen, was sich dort an Cluster für die Biotechnologie entwickelt hatte. Natürlich habe ich bedauert, dass wir 1998 nicht die Chance bekommen haben, an Martinsried aufzuschließen, und dass wir heute, im Jahre 2004, feststellen müssen, dass im Moment manches für solche Unternehmen ganz offenkundig attraktiver als bei uns ist. Wir werden diese Unterschiede aber aufarbeiten und zu verringern versuchen, insbesondere was das Kapital betrifft.

(Zuruf von Thomas Oppermann [SPD])

- Bleibeverhandlungen, lieber Herr Oppermann, haben wir in den letzten Jahren auch verschiedentlich diskutiert. Professor Baums ist damals nach Frankfurt gegangen. Den konnten wir hier nicht halten. Das haben wir hier aber nie thematisiert, weil Bleibeverhandlungen mit Professoren nicht ständig im Plenum des Landtages diskutiert werden können, außer dass wir Ihnen zusagen, dass Herr Stratmann in engsten Verhandlungen steht und wir alles dafür tun werden, Herrn Professor Dr. Hecker in Göttingen zu halten, sodass er uns nicht nach Heidelberg verlässt. Ein gewisser Wissenschaftsaustausch besteht in jedem Bundesland immer. Aber wir versuchen, Herrn Hecker in Niedersachsen zu halten.

Die NBank wird sich mit dem Thema des Beteiligungskapitals befassen. Die BioRegioN GmbH plant, unter Einbeziehung der NBank einen Life Science Capital Fonds aufzulegen, der Kapital sowohl für die Frühphase als auch für weitere Finanzierungsrunden zur Verfügung stellt. Wir müssen dabei auch die Erblast aufarbeiten, dass der Niedersachsenfonds Mitte 2003 wegen fehlender Nachfrage seine Tätigkeit eingestellt hat und dass die Beteiligungsgesellschaft, die Sie gegründet hatten, derzeit ihr gesamtes Kapital in andere Beteiligungen investiert hat, von denen viele außerhalb des Landes Niedersachsen liegen. Wir haben stets kritisiert, dass nicht darauf geachtet wurde, dass das Geld auch tatsächlich in Niedersachsen zur Verfügung steht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich möchte zum Schluss etwas Grundsätzliches zur Einordnung des Landes Niedersachsen in Bezug auf seine Beschäftigungspolitik und auf die Anwerbung von Unternehmen sagen, weil das für die Stimmungslage wichtig ist, mit der wir in dieses Jahr 2004 gehen. Sie können heute in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung lesen: „Niedersachsens Jobs am sichersten“. Was verbirgt sich dahinter? - Dahinter verbirgt sich die aufregende Entwicklung, dass Niedersachsen mit dem Saarland den geringsten Rückgang bei der Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr hat. Dass es neben dem Saarland die beste Entwicklung bei der Arbeitslosenquote hat, hängt mit vielen Unternehmen zusammen, die zu uns gekommen sind. Um hier auch einmal ein anderes Unternehmen zu nennen, führe ich z. B. die Firma Coppenrath & Wiese an, die aus NRW wegwollte, jetzt in Niedersachsen angesiedelt ist und allein 70 % aller Tiefkühltorten in Deutschland auf den Markt bringt. Wir haben einen Rückgang in der Arbeitslosigkeit gegenüber dem Vorjahreswert, wir befinden uns beim Wirtschaftswachstum auf Platz 4 unter den Bundesländern, und wir haben die beste Ausbildungsstellenbilanz in Deutschland, weil wir eindeutig gegenüber dem Bundestrend eine Verringerung der mit Ausbildungsplätzen unversorgten Jugendlichen registrieren. Was will ich damit sagen? - Wir brauchen hier keine Miesepetrigkeit, keine Griesgrämigkeit, sondern wir brauchen Leute, die Mut machen.

(Starker Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich habe Ihnen jetzt alles erspart in Richtung der Bundesregierung, nach drei Jahren Rezession und Stagnation. Ich hätte Ihnen viel über Berlin und das Umfeld der wirtschaftlichen Bedingungen sagen können. Aber wenn wir hier in Niedersachsen innerhalb des letzten Jahres offenkundig einen besseren Trend, eine bessere Stimmung und bessere Zahlen im Vergleich zum Vorjahr haben, dann sollten wir die Sache mutig anpacken und auf die Vorzüge unseres Landes hinweisen. Sie können uns vertrauen, dass wir mit der Firma Avontec weiterhin in guten Gesprächen sind.

(Starker, anhaltender Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der nächste Redner ist Herr Dr. Noack von der CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Politische Kommunikation“ - so Coordt von Mannstein im Behördenspiegel dieses Monats - „muss Stimmungen aufnehmen, erzeugen und für sich selbst nutzen, um Stimmen für sich zu gewinnen. Es geht um den ‚voters value‘.“ - So betrachtet, ist dieser Antrag ein Lehrbeispiel. Herr Oppermann, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, greift die bei den verantwortungsvoll Handelnden seit Wochen bekannte Gefahr des Weggangs der Avontec GmbH nach München in einer dramatischen Entschließung öffentlich auf und will die Landesregierung verpflichten, die Sitzverlegung des Unternehmens, die im Übrigen bereits beschlossen ist, nach München zu verhindern. Gelänge das der Landesregierung, wären Herr Oppermann und seine Fraktion die wahren Urheber. Verlagert das Unternehmen, kann die SPD die Regierung öffentlich der Unfähigkeit zeihen. Ein typischer Antrag aus dem Lehrbuch „Wie maximiere ich meine Stimmen?“. Dabei bedurfte, wie der Ministerpräsident überzeugend dargelegt hat, die Landesregierung des öffentlichen Eilanstoßes nicht, denn - auch das hat der Ministerpräsident bereits gesagt - alle drei direkt gewählten Göttinger Abgeordneten - nämlich Ilse Hansen, Lothar Koch und ich - haben bereits zu Beginn dieses Jahres

(Thomas Oppermann [SPD]: Erst Anfang des Jahres? Das ist doch schon seit November bekannt!)

in ähnlich lautenden Schreiben den Ministerpräsident unterrichtet und ihn gebeten, in Gesprächen mit der Unternehmensführung die Möglichkeiten zusätzlicher Landeshilfe auszuloten.

Der auch in uns aufkeimenden Versuchung, dies durch die Medien öffentlich zu machen, haben wir widerstanden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Sigmar Gabriel [SPD]: Weil Sie ge- ahnt haben, dass es erfolglos ist! Deshalb!)

- Das ist zweischneidig, was Sie jetzt sagen, lieber Herr Gabriel.

Der SPD-Entschließungsantrag wirft aber noch weitere Fragen auf:

Erstens. Ist es mit unseren - sicherlich übereinstimmenden - Regeln politischer Moral vereinbar, wenn bei der Begründung der Dringlichkeit des Antrages am Mittwoch von Herrn Oppermann darauf verwiesen wurde, ein Geschäftsführer der Avontec GmbH sei schließlich Dr. von der Leyen, der Ehemann unserer Sozialministerin, und deshalb müsse doch die Landesregierung über die internen Vorgänge Bescheid wissen? Meint denn der wirtschaftspolitische Sprecher der SPDFraktion tatsächlich, dass über Firmeninterna der Avontec GmbH am Küchentisch von der Leyen diskutiert wird und Frau von der Leyen nichts anderes zu tun hat, als diese Interna dann der Kabinettsrunde vorzutragen?

(Sigmar Gabriel [SPD]: Wir glauben nicht, dass er seiner Frau verheim- licht, dass er in München arbeitet!)

- Ich weiß nicht, ob Sie über die Grundsätze der Vertraulichkeit von Firmeninterna wirklich unterrichtet sind, Herr Gabriel. - Oder sollte der Hinweis auf die berufliche Situation gar den Auftrag zur Hilfeleistung zusätzlich untermauern? Wie eigentlich sollen Wettbewerber von Avontec eine allfällige großzügige Hilfeleistung des Landes an eine Gesellschaft bewerten, deren Geschäftsführer - so ja öffentlich hier herausgestellt - immerhin Ehemann der Sozialministerin ist?

Herr Noack, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Oppermann?

Nein. - Ich kann nur sagen: Dieser Hinweis auf die Person des Geschäftsführers war verfehlt, lieber Herr Oppermann.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Zweitens. Sollen denn wirklich allen Ernstes die Details der Kapitalerhöhung der Avontec GmbH hier im Niedersächsischen Landtag diskutiert werden? Sollen wirklich Verschiebungen im Stimmengewicht der Gesellschafter hier erörtert werden? Sollen denn tatsächlich unternehmerische Entscheidungen der Geldgeber, der Financiers dieses Unternehmens Gegenstand einer Landtagsdebatte werden?

(Ursula Körtner [CDU]: Nein!)

Nein, lieber Herr Oppermann!

Soll im Landtag öffentlich und im Detail eine Einflussnahme auf Bleibeverhandlungen bezüglich eines hoch angesehenen Wissenschaftlers dargelegt werden? - Auch das erscheint mir im Hinblick auf den Wissenschaftsstandort Niedersachsen verfehlt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wohlgemerkt: Die Landesregierung wird sich mit diesem Problem beschäftigen. Der Ministerpräsident hat dargelegt, dass er im Gespräch mit der Geschäftleitung ist. Natürlich lässt es uns nicht kalt, wenn ein Unternehmen wie Avontec GmbH möglicherweise seinen Sitz, später vielleicht sogar auch seine Forschungsabteilung von Niedersachsen weg nach München verlagert. Aber der Ministerpräsident hat deutlich gemacht, dass er bereits 1997 mit der Landespressekonferenz in Martinsried war. Hätten wir - das ist meine feste Überzeugung - die Wahl 1998 gewonnen, hätten wir alles darangesetzt, um die erfolgreiche Politik der letzten zehn Monate bereits früher einsetzen zu lassen. Ich bin sicher, meine Damen und Herren, es wäre uns gelungen, jedenfalls die Bedingungen in Göttingen, in Hannover und in Braunschweig, im Metropolendreieck, noch weiter zu verbessern. Wir hätten dann eine ganz andere Ausgangslage gehabt, um Unternehmen wie Avontec GmbH in Niedersachsen zu halten.