Protocol of the Session on January 21, 2004

„Dies schließt ein, dass die einzelnen Länder zu verschiedenen Regelungen kommen können, weil bei dem zu findenden Mittelweg auch Schultradition, die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung und ihre mehr oder weniger starke religiöse Verwurzelung berücksichtigt werden dürfen.“

Wir handeln also ausdrücklich auf einer soliden verfassungsrechtlichen Basis mit unseren Koalitionsfraktionen-Gesetzentwurf.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich will abschließend sagen: Wer eine Gleichsetzung von Kopftuch und christlichen Symbolen fordert, der verkennt auch die religiöse Verwurzelung in ganz bestimmten niedersächsischen Landesteilen. Ich denke hier vor allem an unsere katholischen Landesteile im Westen. Welche Bedeutung das Kreuz in den Klassenzimmern und in den öffentlichen Gebäuden hat, das haben die Menschen

im Oldenburger Münsterland Mitte der 30er-Jahre unter Einsatz ihres Lebens im Rahmen des so genannten Kreuzkampfes eindrucksvoll bewiesen. Das müssen wir wissen. Das Thema wird im Land unterschiedlich diskutiert. Aber gerade in den katholischen, religiös besonders verwurzelten Landesteilen ist es absolut unzulässig, die christlichen Symbole aus den Schulen entfernen zu wollen.

(Beifall bei der CDU)

Mit dem von uns eingebrachten Gesetzentwurf schaffen wir lediglich die gesetzliche Grundlage für das, was für uns in Niedersachsen seit Jahrzehnten Gültigkeit hat. Wir lassen alles, wie es war und wie es ist. Das Kopftuch bleibt verboten, und die christlichen Bezüge bleiben erhalten. Dafür stehen gerade wir Christdemokraten in diesem Hause.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Aller, da ich davon ausgehe, dass sich der Geschäftsordnungsantrag erledigt hat, frage ich, ob Sie ihn zurückziehen.

Wenn Sie mich fragen, ziehe ich ihn zurück, weil Herr Althusmann inzwischen das Kabinett eingesammelt hat.

(Ursula Körtner [CDU]: Jäger und Sammler!)

Herzlichen Dank. - Damit kann ich den nächsten Redner aufrufen, Herrn Jüttner!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn es noch einer Begründung für den intensiven Debattenbedarf, den wir in den nächsten Monaten in Niedersachsen organisieren sollten, bedurft hätte, dann war es die Rede von Herrn McAllister eben.

(Beifall bei der SPD)

In einem gründlichen Anhörungsverfahren hätten die türkische Gemeinde, Herr Fürst von der jüdischen Gemeinde und viele andere - übrigens auch aus dem katholischen und evangelischen Bereich

mit sehr ernsthaften Stellungnahmen deutlich gemacht,

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das können Sie immer noch!)

dass Ihre Argumentation so überhaupt nicht stichhaltig ist und dass der Versuch, christliche Konfessionen einzuvernehmen und Ihren Weg als den für Christen alleinigen darzustellen, wirklich dreist ist. Ich sage Ihnen das in aller Deutlichkeit.

(Beifall bei der SPD)

Die Debatte hat doch deutlich gemacht, dass es nicht nur um ein Stück Stoff geht, sondern dass hier zahlreiche verfassungsrechtliche, landesrechtliche, grundsätzliche Fragen zu berücksichtigen sind und dass es unter politisch-praktischen Gesichtspunkten ein Thema ist, das die Menschen im Lande gegenwärtig sehr bewegt. Wir sind gehalten, darauf Antworten zu finden, Antworten, die im gesellschaftlichen Konsens enden. Ich glaube, daran haben Sie wenig Interesse. Wir sind auch gehalten, Antworten zu finden, die vor dem Verfassungsgericht Bestand haben. Ich glaube, auch daran haben Sie überhaupt kein Interesse.

(Beifall bei der SPD)

Es geht beispielsweise um die folgenden Fragen: Wie viel Religionsausübung ist im Unterricht zulässig? Was bedeutet Neutralität des Staates und der Schule? Wie gehen wir politisch mit Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes um? Wie viel Meinungsfreiheit gestehen wir unseren Lehrkräften zu? Wie viel Toleranz gegenüber anderen Religionen und politischen Einstellungen wollen wir uns leisten? Ist es verfassungsgemäß, die Glaubensfreiheit nur für eine Religion, hier den Islam, an den Schulen einzuschränken, dies aber für Christen und Juden nicht zu tun? Wird in dieser Debatte nicht eine unbestimmte Angst vor dem Islam und seinen fundamentalistischen Ausprägungen und unsere Hilflosigkeit demgegenüber hinter der Diskussion um das Kopftuch geradezu versteckt?

Das sind doch die Fragen, die sich uns stellen. Dieser Konflikt wird nicht nur in Deutschland anhand des Kopftuches ausgetragen. Er organisiert Koalitionen quer zur sonstigen politischen Gesäßgeografie.

Herr McAllister, natürlich wird Religion auch im Islam instrumentalisiert. Aber Symbole haben viele Facetten. Das gilt im Übrigen für alle Religionen.

Deshalb kommt das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 24. September letzten Jahres zu der Einschätzung:

„Angesichts der Vielfalt der Motive darf die Deutung des Kopftuchs nicht auf ein Zeichen gesellschaftlicher Unterdrückung der Frau reduziert werden.“

(Beifall bei der SPD)

„Vielmehr kann das Kopftuch für junge muslimische Frauen auch ein frei gewähltes Mittel sein, um ohne Bruch mit der Herkunftskultur ein selbst bestimmtes Leben zu führen.“

Das Verfassungsgericht schlussfolgert daraus:

„Für die Ablehnung der Beschwerdeführerin wegen mangelnder Eignung infolge ihrer Weigerung, das Kopftuch in Schule und Unterricht abzulegen, fehlt es jedenfalls an einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage.“

Meine Damen und Herren, auf den Einzelfall kommt es also an, auf das tatsächliche Handeln der jeweiligen Beschäftigten. Dafür steht - das wissen wir alle - ein umfangreiches Repertoire von Bestimmungen des öffentlichen Dienstrechtes bereit, um Neutralität in der Schule zu gewährleisten und den Schulfrieden zu sichern. Diese Position ist darstellbar. So ist es nicht überraschend, dass mehrere Bundesländer keine Veranlassung zu parlamentarischen Vorstößen sehen. Das Bundesverfassungsgericht ermöglicht, aber verpflichtet nicht eine Ländergesetzgebung. Ich will nicht verschweigen: Auch bei uns in der Fraktion gibt es durchaus Sympathien für eine derartige Position. Sie ist rechtsstaatlich korrekt, klingt politisch liberal und verlagert - ich meine, das ist ihr Manko - das Problem in die Schulen. Es ist dort lösbar, aber nicht konfliktfrei.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar und - wie ich finde - vielleicht auch klug, dass mehrere Länder eine abschließende rechtliche Regelung ins Auge fassen, um das Tragen von Kopftüchern im Unterricht zu unterbinden. Das Urteil des Verfassungsgerichts lautet:

„Dies ist mit einem Landesgesetz möglich.“

(David McAllister [CDU]: Genau das machen wir jetzt!)

Aber es beschreibt sehr dezidiert die Bedingungen:

„Es mag deshalb auch gute Gründe dafür geben, der staatlichen Neutralitätspflicht im schulischen Bereich eine striktere und mehr als bisher distanzierende Bedeutung beizumessen und demgemäß auch durch das äußere Erscheinungsbild einer Lehrkraft vermittelte religiöse Bezüge von den Schülern grundsätzlich fern zu halten, um Konflikte mit Schülern, Eltern oder anderen Lehrkräften von vornherein zu vermeiden.“

Es schlussfolgert daraus:

„Das bedinge, dass Angehörige unterschiedlicher Religionsgemeinschaften dabei gleich behandelt werden.“

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr McAllister, Ihre Bemerkung zu den Landestraditionen bringt zum Ausdruck, dass es zwei Möglichkeiten gibt, mit dem Thema umzugehen, nämlich eine gesetzliche Bestimmung unter Anwendung der Prinzipien des Bundesverfassungsgerichts oder aber die Einzelfallregelung. Diese beiden Versionen lässt das Bundesverfassungsgericht zu.

Meine Damen und Herren, an dem Gleichbehandlungsgebot, gerade in Fragen der Religionsfreiheit, lässt das Bundesverfassungsgericht überhaupt nicht rütteln;

(Beifall bei der SPD - Bernd Althus- mann [CDU]: Zwingt der Koran, das Kopftuch zu tragen?)

denn hier geht es um den Kern eines mehr als 50jährigen Verfassungsanspruchs in Deutschland. Das ist mehrmals so ausgerichtet worden. Der Spielraum liegt dabei bei Null. Das wissen auch Sie, falls Sie bei denjenigen nachgefragt haben, die sich mit verfassungsrechtlichen Fragen auskennen.

Was ist Ihr Gesetzentwurf? Was ist Ihre Antwort auf Karlsruhe? - Ihr Entwurf, den wir heute disku

tieren, ist eine arrogante Ignoranz der Grundwerte unserer Verfassung und der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU und bei der FDP)

Ich sage Ihnen, wie Ihr Motto lautet: CDU- und FDP-Fraktion kümmern sich um den Stammtisch, für den Rechtsstaat ist das Bundesverfassungsgericht zuständig. Was juckt es mich - CDU- und FDP-Fraktion -, wenn die das in ein paar Jahren wieder einkassieren. Meine Damen und Herren, unterschätzen Sie in dieser Frage den Stammtisch nicht!

(Zurufe von der CDU)

Herr McAllister, was bedeutet denn der Satz in Ihrer Pressemitteilung von gestern? Sie schreiben:

„Eine Gleichsetzung von Kopftuch und christlichen Symbolen wird es mit uns nicht geben.“

(David McAllister [CDU]: Richtig!)