Ich hoffe und setze darauf, dass einschneidende Veränderungen des Aufbaus und des Verfahrens der Institution Justiz in Zeiten des wirtschaftlichen Drucks leichter zu verwirklichen sind als in Perioden konsolidierender Verhältnisse. Dieser Nährboden reicht aber alleine nicht aus; es bedarf hierzu auch der Einsicht. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, Kürzungen im Haushalt anprangern, aber an der Aufrechterhaltung des nicht mehr finanzierbaren Systems beharrlich festhalten und damit immer neue Schulden das Wort reden, einzig getragen von der illusorischen Hoffnung auf Besserung,
leisten Sie den nachfolgenden Generationen einen Bärendienst. Diese haben die Schuldenlast zu tragen. Ich vermag nicht, diese Einstellung nachzuvollziehen. Weder ist sie vernünftig, noch akzeptiert sie die Realitäten.
Warum diese Skepsis, dass Reformen, die mehr sein wollen als Flickwerk am Bestehenden, von vornherein aussichtslos sind? - Das beharrliche Festhalten an dem überhöhten, die Wirklichkeit nicht widerspiegelnden Bild einer Justiz mit Allzuständigkeit wird zunehmend zu einem Zerrbild. Wie, Herr Kollege Helberg, soll die Justiz bei fehlenden strukturellen Reformen anders als durch Schulden der von Ihnen im letzten Plenum ins Feld geführten Pflicht, ausreichend Personal zur Verfügung zu stellen, nachkommen, wenn sie nicht das Geld dafür hat? Warum, verehrter Herr Kollege Helberg, soll die Übertragung der Handelsregister unrealistisch sein, so wie Sie es im letzten Plenum behauptet, aber nicht begründet haben? - Ich jedenfalls halte in der Politik nichts für unrealistisch, wenn man es nur wirklich will und natürlich die dafür notwendige Überzeugungsarbeit leistet.
Ich will mich nicht dem Gesetz des Mittelmaßes verschreiben. Noch habe ich die Hoffnung - dafür gibt es auch eindeutig Anzeichen; das muss ich fairerweise einmal sagen -, dass Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, das nicht wollen. Deshalb appelliere ich für die Einsicht für
die notwendige Strukturveränderung und bitte dabei um Ihre Unterstützung. Machen Sie Ihren Einfluss in Berlin geltend, damit wir nicht nur in dem Fazit verharren, dass die deutsche Justiz reformbedürftig ist, sondern dass wir jetzt mit der Justizreform anfangen und es nicht bei punktuellen Eingriffen in das System belassen. Ansonsten verlieren wir das Ganze aus dem Blick, und dann werden wir ganz sicher nicht dem Auftrag gerecht, den uns die Bürgerinnen und Bürger erteilt haben, d. h. eine gute, starke dritte Gewalt in diesem demokratischen Rechtsstaat, für den ich einstehe. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Wir kommen jetzt zum Bereich Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit. Der Erste, der dazu das Wort hat, ist der Kollege Schwarz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Einstieg in die Haushaltsberatungen 2004 im Sozialetat begann mit der kühnen Behauptung der Sozialministerin, dass sie dort 156 Millionen Euro einsparen werde, und zwar zwei Drittel davon durch eine Bundesratsinitiative. Diese Ankündigung der Ministerin hielt keine zwei Tage, nachdem der Finanzminister die geplanten Luftbuchungen unverzüglich ablehnte. Nach dieser Schelte wollte nun Frau von der Leyen die 156 Millionen Euro doch im eigenen Haushalt einsparen, wobei natürlich völlig klar war, dass das angesichts der vorhandenen Strukturen im Sozialministerium absolut unmöglich ist.
Die Wahrheit, meine Damen und Herren, sieht doch anders aus. Tatsächlich ist nicht ein Bruchteil dieser 156 Millionen Euro eingespart worden, sondern vielmehr werden rund 18 Millionen Euro Städtebaufördermittel sowie 110 Millionen Euro für Krankenhausinvestitionen rechtswidrig als Einsparung gerechnet, obwohl sie als Schattenhaushalt in die Landestreuhandstelle verschoben wurden. Der Landesrechnungshof bestätigte am 7. November 2003 schriftlich, dass diese Ausgaben im Landeshaushalt veranschlagt werden müssen und dass
Ich bin schon gespannt, wie die nächsten Taschenspielertricks aussehen werden, wenn es darum geht, im Sozialetat die globale Minderausgabe in einer Größenordnung von knapp 42 Millionen Euro einzusparen. Diese 42 Millionen Euro - 41,6 Millionen ganz konkret - machen im Prinzip den Gesamtetat der freiwilligen Leistungen aus. Insofern ist auch hier klar, dass das im Haushalt nicht zu erwirtschaften sein wird. Mal sehen, welche Tricks einem dieses Mal einfallen.
Sie haben es mit fadenscheinigen Argumenten bis heute noch nicht einmal geschafft, das Niedersächsische Pflegeversicherungsgesetz im Haushalt abzubilden, weil Sie dort nämlich 110 Millionen Euro mehr für die Kommunen einsetzen müssten, und diese 110 Millionen haben Sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt schlichtweg nicht.
Das, was Sie an Kürzungen im Haushalt vorsehen, betrifft einseitig Kranke, Menschen mit Behinderungen und deren Familien sowie Frauen, Familien, Kinder und Jugendliche.
Ich fange einmal mit den Behinderten an: Auch die neue Landesregierung sieht es als ein wesentliches Ziel ihrer Politik an, mitzuhelfen, dass Menschen mit Behinderungen ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Leben verwirklichen können. - So Frau von der Leyen am 30. April vor dem Sozialausschuss. Tatsächlich haben Sie im Bereich der Behindertenhilfe auch wirklich Außergewöhnliches auf den Weg gebracht: 20 % Kürzung bei den Blinden, komplette Streichung der Zuschüsse für die Betreuung von seelisch Behinderten in Nachsorgeeinrichtungen für Drogenabhängige, komplette Streichung der Zuschüsse an die Träger von Heilerziehungspflegeschulen und Heilerziehungshilfeschulen, Nullrunde für alle Behinderteneinrichtungen - minus 14 Millionen Euro - und Stillstand bei der Umsetzung eines Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen.
möglich gewesen, entsprechend dem Bundesgesetz Modelle für das persönliche Budget auf den Weg zu bringen. Nun soll es am 1. Januar 2004 endlich so weit sein, mit drei Modellen. Ich hoffe, wenigstens das gelingt und dass Sie dabei die seelisch Behinderten nicht vergessen.
Das ist für die 37 000 Behinderten in Niedersachsen in der Tat ein sehr eigenwilliger Beitrag der Landesregierung zur Behindertenhilfe, und das ausgerechnet im Europäischen Jahr der Behinderten. Meine Damen und Herren, diese Politik stärkt Behinderte nicht, sondern mit dieser Politik werden Behinderte verstärkt diskriminiert.
Anders, als es die Sozialministerin immer behauptet, bedeutet die Nullrunde natürlich eine Kürzung um 14 Millionen Euro. Allein durch den Tarifabschluss für zwei Jahre sind alle Einrichtungen in der Pflicht, auch für das Jahr 2004 die vereinbarten Gehaltssteigerungen auszuzahlen. Das führt zum Abbau von landesweit 230 Vollzeitstellen, zur Flucht aus Tarifverträgen und zu verschlechterten Stellenplänen insbesondere zulasten von Mehrfachbehinderten. Es bleibt keine Zeit mehr für eine intensive Betreuung.
Ich nenne einmal ein konkretes Beispiel für das, was wir aus den Einrichtungen gehört haben. Konkret heißt es: Anstatt einem behinderten Kind beizubringen, wie es selber essen kann, wird es aus Zeitmangel gefüttert und hat keine Chance, selbständiges Essen und entsprechendes Verhalten zu lernen. Das heißt, es bleibt ein Leben lang, für immer, auf das Füttern angewiesen.
(Bernd Althusmann [CDU]: Tiere wer- den gefüttert! Menschen wird das Es- sen gereicht, Herr Schwarz!)
- Herr Althusmann, ich finde das überhaupt nicht witzig und lächerlich. Sie können sich solche Bemerkungen wirklich sparen.
Mit partnerschaftlicher Zusammenarbeit hat dies jedenfalls nichts zu tun. Die Träger haben keine Übergangsmöglichkeit. Mit ihnen wird auch nicht diskutiert, sondern es wird ihnen mitgeteilt, was zukünftig passiert, und ihre Zustimmung im blinden Gehorsam wird erwartet.
(Bernd Althusmann [CDU]: Wissen Sie, was ich gesagt habe? Ich habe gesagt: Tiere werden gefüttert, und Menschen wird Essen gereicht! Men- schen werden nicht gefüttert! Sie müssen auch mal hinhören, was ich gesagt habe!)
- Ich habe Ihnen gesagt, was Pflegerinnen und Pfleger dazu sagen. Wenn Sie das in meinem Referat nicht unterscheiden können, dann ist das Ihr Aufnahmeproblem, nicht meines, Herr Althusmann.
In der Regierungserklärung hatte der Ministerpräsident versprochen: Wir wollen mit allen ein ehrliches und offenes Wort sprechen. Wir müssen vor allem den sozialen Einrichtungen Planungssicherheiten geben, damit sie wissen, woran sie sind, und sie ihre Arbeit auf einer klaren Grundlage fortführen können. - Meine Damen und Herren, die Realität sieht anders aus: Sie machen ohne große Vorankündigungen die Einrichtungen schlichtweg platt.
Genau so schlimm ist, was in der Heilerziehungspflege passiert. Ohne jede Übergangsfrist werden alle Zuschüsse zum 1. Januar 2004 gestrichen.
- Es sind viele Verträge befristet worden, um zu überprüfen, wie sich der Bedarf entwickelt hat, Frau Kollegin. Wie sich der Bedarf in der Heilerziehungspflege entwickelt hat, wissen Sie: Er liegt bei knapp 1 700 Schülerinnen und Schülern, und Sie fahren es auf 700 herunter.
Zwei Drittel dieser Kräfte werden in den freigemeinnützigen Schulen unterrichtet, d. h. fast 1 256 Schülerinnen und Schüler müssen ab 1. Januar nächsten Jahres Schulgeld bezahlen. Die anderen 700 Schüler an öffentlichen Schulen - und das sind nur acht Schulen - bleiben kostenfrei. Die öffentlichen Schulen sind ohne Frage nicht in der Lage, den sich dann auftuenden Bedarf abzudecken. Wie sagte doch der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung? - Wir wollen dazu beitragen, dass der Pflegeberuf wieder mehr Anerkennung findet. Die dort tätigen Menschen leisten einen großartigen Beitrag für unsere Gesellschaft. - Damit hat er eindeutig Recht. Tatsächlich aber
Sie belasten die Eltern der Schülerinnen und Schüler zusätzlich mit der Finanzierung der Erstausbildung, und Sie belasten darüber hinaus insbesondere Familien mit behinderten Kindern. Ich finde, das ist eine tolle Familienpolitik. Ich finde, das ist für eine christliche Partei in Sachen Behindertenpolitik wirklich beschämend.
Ich habe zu Anfang der Legislaturperiode eine partnerschaftliche Sozialpolitik zugesagt. Vor allem die Kommunen und die Wohlfahrtsorganisationen sind herausragende Partner des Landes. - So die Sozialministerin am 25. Juni dieses Jahres vor dem Landtag. Beide Versprechen haben mit der Realität in der Praxis nichts zu tun. Bei den kommunalen Spitzenverbänden schreiben Sie die wesentlichen Gesetze ab wie die Regelungen zur Pflegeversicherung und zu Frauenbeauftragten, die Wohlfahrtsverbände hingegen haben Sie offensichtlich als neues Feindbild entdeckt.
- Sie brauchen nur einmal die ganzen Stellungnahmen der Wohlfahrtsverbände zu lesen. Wahrscheinlich lesen Sie sie nicht, weil Sie die Wahrheit nicht wahrhaben wollen, meine Damen und Herren.
Kurzerhand werden ohne jede Vorwarnung für die Wohlfahrtsverbände die Gesetze geändert und ihnen so knapp 1,8 Millionen Euro gestrichen. Der FDP-Vorsitzende Rösler - leider interessiert er sich nicht für Sozialpolitik - war sogar der Meinung, man könne noch weiter streichen. Meine Damen und Herren, die Verbände der Wohlfahrtspflege bieten in mehr als 6 000 Einrichtungen rund 205 000 Menschen in Niedersachsen einen Arbeitsplatz. Damit sind die Wohlfahrtsverbände nach VW der zweitgrößte Arbeitgeber dieses Landes. Hinzu kommen mehr als 20 000 Personen, die in den Werkstätten für Menschen mit Behinderten eine Beschäftigung haben. Die Wohlfahrtsverbände bieten ihnen ihre Arbeit, und sie binden in die Arbeit unzählige Ehrenamtliche ein und nehmen darüber hinaus originäre Staatsaufgaben wahr.
Die Wohlfahrtsverbände stellen fest - das, was Sie mit Ihrem Zwischenruf gesagt haben, war nicht wahr -: Es sei relativ witzlos, sich mit der Sozialministerin oder ihrem Staatssekretär an einen Tisch zu setzen. Unter dem Diktat der Finanzpolitiker seien die Sozialpolitiker nicht mehr handlungsfähig. - So zu lesen in der HAZ vom 5. November, meine Damen und Herren.