Protocol of the Session on December 10, 2003

Die CDU-Fraktion hat um zusätzliche Redezeit nach § 71 unserer Geschäftsordnung gebeten. Ich gewähre den Fraktionen von CDU und SPD jeweils zwei Minuten und den beiden kleineren Fraktionen jeweils eine Minute.

Herr Nerlich, Sie haben das Wort!

Frau Kollegin Müller, ich wollte nur auf Ihren Vorwurf, dass wir uns die Zahlen aus den Fingern gesogen hätten, entgegnen, dass wir sie der Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der Kollegen Dr. Biester und Jens Nacke entnommen haben. Diese stand jedem zur Verfügung, und auf die hätten auch Sie gern zurückgreifen können.

(Beifall bei der CDU - David McAllister [CDU]: Das musste mal gesagt wer- den!)

Frau Müller, bitte!

Herr Nerlich, das weiß auch ich. Nur, ich habe vor ungefähr vier Wochen für meine Fraktion eine Kleine Anfrage gestellt. Ich habe gefragt, gegen wie viele Strafgefangene ausländischer Herkunft es diese Ausweisungsverfügungen gibt. Das kann die Landesregierung nicht beantworten, und solange sie das nicht kann, kann es keine gesicherten Zahlen darüber geben, wen wir überhaupt zu

rückführen können. Das, denke ich, ist schon merkwürdig.

(Beifall bei der SPD)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht. Wir kommen damit zur Abstimmung.

Der Ausschuss empfiehlt dem Haus, den Antrag anzunehmen. Wer der Ausschussempfehlung folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? Das Erste war die Mehrheit. Damit ist das so beschlossen.

Wir kommen nun zu

Tagesordnungspunkt 20: Einzige (abschließende) Beratung: CASTOR 2003 - Schluss mit rechtswidrigen Ingewahrsamnahmen! - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/489 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen - Drs. 15/605

Die Beschlussempfehlung lautet auf Ablehnung. Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Das Wort hat der Abgeordnete Briese.

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Am Ende eines langen polemischen Tages werde ich es kurz und knackig machen.

(Reinhold Coenen [CDU]: Das war doch nicht polemisch!)

- Es war in meinen Augen auch ganz gesunde Polemik dabei. Die hat die Sache nur spannend gemacht.

Bei unserem Antrag geht es um ein wichtiges Anliegen, das sich um die Frage von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und das Grundrecht auf Demonstrationen dreht.

Meine Damen und Herren, das Demonstrationsrecht ist ein Grundrecht. Die freiheitlichdemokratische Verfasstheit unseres Landes, auf die wir in vielen Sonntagsreden auch immer so stolz sind, lebt vom aktiven Engagement der Bür

ger. Ich sage auch ganz ehrlich: Ich bin froh, dass heute hier Studierende und Vertreter anderer sozialer Gruppen dieses Grundrecht in Anspruch genommen haben.

Es gibt ein schönes Zitat des Verfassungsrechtlers Konrad Hesse. Er schreibt in seinen „Grundzügen zum Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland“: „Demonstrationen enthalten ein Stück ursprünglich ungebändigter unmittelbarer Demokratie.“

Das Volk ist der Souverän im Staat, und daher, meine Damen und Herren, mutet es grotesk an, wenn die Exekutive, also das ausführende Organ, mit unverhältnismäßiger Macht und Gewalt diese Demonstrationen zu ersticken versucht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der starke Staat zeigt durch ein riesiges Polizeiaufgebot nur seine politische Schwäche.

(Oh! bei der CDU - Reinhold Coenen [CDU]: Wo haben Sie das denn abge- schrieben?)

- Das habe ich mir selbst ausgedacht.

Meine Damen und Herren, der Protest gegen die Einlagerung von Atommüll in Gorleben wird nicht aufhören, solange nicht bundesweit ergebnisoffen nach besseren Standorten gesucht wird. Die neue Landesregierung und vor allem der neue Umweltminister Sander haben den Frieden einseitig aufgekündigt, indem sie ständig gegen das Moratorium stänkern. Das ist alles andere als konfliktschlichtend.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir fordern in unserem Antrag daher das konsequente rechtsstaatliche Verhalten der Exekutive bei Demonstrationen gegen CASTOR-Transporte. Das ist nämlich leider keinesfalls immer gegeben, wie sich auch in diesem Jahr wieder gezeigt hat.

(Bernd Althusmann [CDU]: Es ging doch schnell diesmal!)

- Ja, es ging schnell, aber es war trotzdem nicht rechtsstaatlich konsequent.

Es ist ein Verstoß gegen das geltende Recht, wenn Demonstranten zu Hunderten in Gewahrsam genommen werden, ohne richterlichen Beschluss

und ohne richterliche Anhörung. Das ist ein ganz eklatanter Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Althusmann, hören Sie mal zu: Rund 2 000 Demonstranten wurden allein 2001 stunden- oder tagelang ohne richterlichen Beschluss festgehalten. Grundgesetzlich geschützte Verfahrensgarantien sind dadurch verletzt worden. Auch in diesem Jahr sind viele Protestler viel zu lange in Gefangenensammelstellen festgehalten worden. Anwälte und Richter vor Ort haben das bestätigt. Immerhin konnte sich auch der Innenminister dazu durchringen, jetzt eine Arbeitsgruppe einzurichten. Wir sind sehr gespannt auf das Ergebnis.

(Björn Thümler [CDU]: Welcher Rich- ter?)

- Ich kann Ihnen sagen, welcher Richter das war. Das war der Amtsrichter des Amtsgerichts Lüchow-Dannenberg. Mit dem können Sie sich ja mal in Verbindung setzen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist im Übrigen ein Verstoß gegen das Recht, wenn kein konkreter Anlass für eine Ingewahrsamnahme besteht. Es ist ein Verstoß gegen das Recht, wenn die Ingewahrsamnahme unverhältnismäßig lange dauert. Und es ist ein Verstoß gegen das Recht, wenn die in Gewahrsam Genommenen nicht ihre originären Rechte zugestanden bekommen.

Herr Briese, bitte kommen Sie zum Ende!

Ich bin gleich fertig, Frau Präsidentin.

Meine Damen und Herren, der Staat bricht hier das Recht zumindest in verfahrensrechtlicher Hinsicht. Das wurde in mehreren Gerichtsentscheidungen bestätigt. Sowohl das Amtsgericht Uelzen als auch das Landgericht Lüneburg und das OLG Celle haben entsprechend geurteilt.

In einem Rechtsstaat haben sich eben alle an das geltende Recht zu halten. Nichts anderes fordern wir in unserem Antrag. Wenn der Staat allerdings die personellen Kapazitäten für eine rechtskonforme Ingewahrsamnahme nicht aufbringen kann,

dann hat er diese zu unterlassen und kann nicht einfach darüber hinwegsehen. Der starke Staat zeigt seine politisch-demokratische Schwäche, wenn er das Recht bricht.

Herr Briese, bitte halten auch Sie sich an die Spielregeln!

Hier sind in den letzten Tagen und auch heute von Bürgerlich-Konservativen schöne hehre Worte für diesen unseren Rechtsstaat gefallen, insbesondere was das Mediengesetz angeht. Beim nächsten CASTOR-Transport können Sie zeigen, wie ernst Sie es mit diesen Worten meinen. - Besten Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das Wort hat der Minister Schünemann.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Briese, dieser Entschließungsantrag ist der wiederholte, aber ebenso untaugliche Versuch, das Handeln der Polizei bei den CASTOR-Transporten nach Gorleben systematisch als rechtswidrig darzustellen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Rebecca Harms [GRÜNE]: Verun- glimpfung der Richter, Herr Innenmi- nister!)

Nachdem dies im Bereich des Versammlungsrechts nicht gelungen ist, weil die Entscheidungen der Polizei und der Versammlungsbehörden durchweg gerichtlich bestätigt wurden - bis hin zum Bundesverfassungsgericht -, sind nun die Ingewahrsamnahmen an der Reihe.