Protocol of the Session on March 5, 2003

(Beifall bei der FDP - Wolfgang Jütt- ner [SPD]: Sie haben doch während der Regierung Albrecht die Schule besucht! Sie haben 1990 Abitur ge- macht, als Albrecht abgetreten ist!)

Wir werden in dieser Regierungskoalition als Allererstes für ein leistungsfähiges Bildungssystem sorgen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir werden die Grundschule aus der romantischen Alt-68er-Ecke der Spielschule herausholen und dafür sorgen, dass sie ihren Namen wieder zu Recht trägt; denn dort werden die Grundlagen in Lesen, Schreiben, Rechnen und auch Auswendiglernen vermittelt. Das gehört zu einem Bildungssystem nun einmal dazu.

(Zuruf von der SPD)

All die pädagogischen Feinheiten, wie vernetztes Denken, Teamfähigkeit und auch ein bisschen Erziehung, wenn andere reden,

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und bei der CDU)

können Sie nur dann lernen, wenn Sie eine vernünftige Grundlage haben. Diese Grundlage wird

nun einmal in der Grundschule gelegt. Deswegen ist es völlig richtig, dass - das ist im Koalitionsvertrag eindeutig belegt - die neue Regierung einen Schwerpunkt auf die Lehrerversorgung gerade im Bereich der Grundschule legen wird.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Rösler, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Jüttner?

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Trauen Sie sich nicht? Fehlt Ihnen der Mut, jun- ger Mann?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden auch mit einem anderen Bereich aus der Alt68er-Mottenkiste aufräumen. Wir haben es eben mehrfach gehört. Wir werden mit der Spielschule aufräumen. Wir werden auch mit Ihrer elendigen Gleichmacherei aufräumen.

(Beifall bei der FDP)

Es sind nicht alle Menschen gleich. Im Gegenteil: Alle Menschen haben nur eines gemeinsam, nämlich dass sie verschieden sind. Da alle Menschen verschieden sind, müssen sie alle die gleichen Rechte und die gleichen Bildungschancen haben. Wir wollen Chancengleichheit zu Beginn und keine Ergebnisgleichheit am Ende.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Eigentlich müsste man für jeden Einzelnen von uns ein eigenes, individuelles Bildungssystem vorhalten. Das haben wir uns nicht getraut, in die Koalitionsvereinbarung einzubringen; denn das wäre nicht zu realisieren, weil es nicht zu finanzieren wäre. Deswegen ist das dreigliedrige Schulsystem nach der Klasse 4 mit einer anständigen Hauptschule, einer Realschule und einem Gymnasium das Mindestmaß an Differenzierung, das wir der jungen Generation mit auf den Lebensweg geben können, wenn wir sie begabungsgerecht differenziert fördern und auch fordern wollen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Fordern heißt für uns auch, den Leistungsgedanken wieder in die Schulen zurückzubringen. Die erste Reaktion Ihrer ehemaligen Kultusministerin auf PISA war, glaube ich, das Sitzenbleiben abschaffen zu wollen. Das ist völlig absurd. Lassen Sie sich das von jemandem sagen, der nach langer Zeit gewonnen hat. Wo, wenn nicht in der Schule, können junge Menschen lernen, dass man eine Niederlage durch Fleiß, Ehrgeiz und Engagement durchaus in einen Sieg verwandeln kann, wenn man sich nur anständig auf den Hosenboden setzt und Leistung zeigt?

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich sage Ihnen auch gleich, weil Sie so freudig erregt sind: Leistung gilt nicht nur für Forscher und Ingenieure, sondern natürlich ist der Leistungsgedanke auch für denjenigen reserviert, der sich als Hauptschüler in seiner Lehre beweisen will. Deswegen ist es völlig richtig, dafür zu sorgen, dass die Hauptschulen in Niedersachsen gestärkt werden. Diese dürfen nicht zur Restschule verkommen. Das hat diese Schulform nicht verdient.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Leistung heißt auch, schneller fertig zu werden als bisher. Ich habe hier in Hannover studiert. Viele meiner Kommilitonen sind aus den neuen Bundesländern gekommen. Sie haben dort alle nur zwölf Jahre bis zum Abitur gebraucht und nicht dreizehn wie ich. Die meisten sind bessere Ärzte geworden als ich. Deswegen stehe ich heute hier.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der FDP)

Aber wenn nicht signifikant nachgewiesen ist, dass zwölf Jahre bis zum Abitur schlechter sind als dreizehn Jahre, dann ist dieses eine Jahr Zeitersparnis das Mindeste, was wir der jungen Generation mit auf den Lebensweg geben müssen. Sie müssen sich auf Bundesebene nicht darüber unterhalten, ob die Lebensarbeitzeitgrenze vom 65. Lebensjahr auf das 67. Lebensjahr erhöht wird, wenn Sie nicht endlich daran gehen, das Berufseinstiegsalter für Akademiker von momentan 29 auf 28, 25 oder 26 Jahre zu senken. Das ist unsere Aufgabe.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Das, was für die alte Landesregierung gilt, gilt auch für das Abitur: Dreizehn Jahre sind zu viel. Zwölf Jahre hätten auch gereicht.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Sigmar Gabriel [SPD]: Bei Ihnen reichen fünf!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sehen, Bildungspolitik ist für uns nicht nur ein Modethema, sondern Bildungspolitik ist für uns die Grundlage einer freien Gesellschaft; denn nur durch eine vernünftige Bildung und Ausbildung werden die Menschen in die Lage versetzt, ihr Leben in eigene Hände zu nehmen, es selbst und frei zu gestalten. Deswegen ist für die neue Regierungskoalition Bildungspolitik Freiheitsthema Nummer eins.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Sigmar Gabriel [SPD]: Ist Ihnen ei- gentlich klar, dass Sie zu CDU-Zeiten in die Schule gegangen sind?)

Wenn sie es dann geschafft haben, wenn sie die Schulzeit hinter sich gebracht haben und glauben, sie wären frei, dann stoßen sie sofort an den nächsten Punkt der Unfreiheit in der heutigen Zeit. Ich erspare mir den Hinweis auf die Kinderlandverschickung und die ZVS. Es wurde gesagt, dass wir das abstellen werden. - Aber sie können gar nicht sagen: Jawohl, ich habe eine gute Idee. Ich habe ein gutes Produkt. Ich mache mich selbstständig; denn - das garantiere ich Ihnen - bevor sie die Tür zu ihrem eigenen Geschäft aufgeschlossen haben, müssen sie eine Fülle von Vorschriften durchlesen, Auflagen erfüllen und Behördengänge absolvieren. Wenn sie es dann geschafft und die Tür zu ihrem eigenen Geschäft aufgeschlossen haben, dann kommt sofort jemand zu ihnen, der ihnen sagt, zu welcher Zeit sie die Tür wieder zuzuschließen haben. Das heißt witzigerweise auch noch Ladenöffnungszeiten. Das ist der zweite große Punkt der Unfreiheit in der heutigen Zeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Es ist die Bürokratie in unserem Lande. Es sind die Vorschriften und Auflagen, die die Menschen bevormunden und gängeln. Es ist die Bürokratie in unserem Land, über die jeder schimpft, jeder meckert, die aber nur diese neue Regierungskoalition nachhaltig bekämpft.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Während Ihre Verwaltungsreform nur Stückwerk gewesen ist, werden wir tatsächlich ein Drittel aller Vorschriften abschaffen, künftige Gesetze, wenn möglich, befristen und Verwaltungsebenen einsparen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden uns nicht darauf beschränken, die Bezirksregierungen abzuschaffen, sondern wir wollen jegliche staatliche Aufgabe auf den Prüfstand stellen

(Zurufe von der SPD: Toll!)

mit dem Ziel, möglichst viel zu privatisieren; denn unserer Meinung nach darf der Staat ausschließlich die Dinge erledigen, die der Einzelne, die der Private alleine nicht erledigen kann. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Sigmar Gabriel [SPD]: Sanitäts- dienst bei der Bundeswehr!)

Sie als Sozialdemokraten sehen bei jedem Problem die staatliche Aufgabenerfüllung als Lösungsmöglichkeit Nummer eins. Sozialdemokraten leben für den Staat, Grüne manchmal von dem Staat.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Diese neue Regierungskoalition aber ist angetreten, dafür zu sorgen, dass die Menschen mit dem Staat leben können. Wir wissen, dass es unsere Aufgabe sein wird, dafür zu sorgen, dass die Bürokratie die Menschen nicht erstickt und auch nicht ihre Kreativität und Schaffenskraft;

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

denn diese Schaffenskraft werden wir in unserem Land brauchen. Wir wollen mehr Arbeitsplätze schaffen. Allerdings wissen wir - das ist ja nicht gerade der erste schlaue Satz, der dann immer gesagt wird -, dass nicht die Politik Arbeitsplätze schafft, sondern die Wirtschaft. Diese wiederum braucht ihre Kreativität, und genau die werden wir ihr zurückgeben.

Wenn Sie einmal zu Wirtschaftsverbänden gehen und sie fragen „Womit können wir als Politiker euch eigentlich am meisten helfen?“, dann gucken sie einen an und sagen - ich hoffe, die meinen das

nicht persönlich; aber das weiß man nicht immer ganz genau -: „Am besten, indem Sie uns in Ruhe lassen!“ Und genau das wird die neue Landesregierung tun. Wir werden die Unternehmen, egal ob kleine oder große, nicht mit vermeintlichen staatlichen Wohltaten gängeln. Wir werden die Selbständigen, die Mutigen in unserem Lande nicht mit Genehmigungsvorbehalten und Statistikunwesen belasten, sondern wir werden ihnen den Freiraum geben, den sie brauchen, um neue Arbeitsplätze hier in unserem Land für uns alle zu schaffen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Dafür haben wir auch gleich einen Garanten mit in diese Regierung gebracht - das wurde schon mehrfach erwähnt -: Walter Hirche, jetzt zum dritten Mal Wirtschaftsminister. Dass Sie ihn nicht mögen, überrascht mich nicht wirklich. Dass ich ihn jetzt lobe, erspare ich Ihnen. Aber ich will Ihnen einen Satz sagen, und den hören Sie vor allem aus dem Handwerk.

(Heinrich Aller [SPD]: Das ist doch auch ein 68er! - Beifall bei der SPD)

- Aber einer von den netten, von den guten. - Sie können in jedem Bereich der Wirtschaft fragen, Sie werden über Walter Hirche nur eines hören: Was für den Frieden die Kirche, ist für Handel, Handwerk und Mittelstand Walter Hirche. Da weiß man, wohin die Reise geht.