Protocol of the Session on November 20, 2003

Viertens. Die Umsetzung der Gemeindefinanzreform wird - auch hier geht die Aufforderung an Sie, im Bundesrat nicht zu blockieren - dazu beitragen, dass sich auch Unternehmen und Betriebe an der Finanzierung der kommunalen Infrastruktur beteiligen.

Das ist das, worum es geht, meine Damen und Herren. Steuern sind kein Selbstzweck. Wir brauchen sie, um die Aufgaben des Gemeinwesens und die Schaffung der erforderlichen Infrastruktur hinreichend finanzieren zu können. Wir wissen, sie müssen nach oben begrenzt werden, um die wirtschaftliche Dynamik nicht zu stören und um im internationalen Vergleich keine Wettbewerbsnach

teile aufzubauen. Aber, meine Damen und Herren, Steuern haben sehr viel mit Gerechtigkeit zu tun. Das ist augenscheinlich bei Ihnen, Herr Dinkla, überhaupt noch nicht angekommen.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir sind sicher: Niedrige Steuersätze sind nur dann vertretbar, wenn die steuerliche Bemessungsgrundlage breit und möglichst umfassend gestaltet ist; denn für uns gilt: Starke Schultern sollen finanziell mehr tragen als schmale Schultern.

(Beifall bei der SPD)

Das ist keine Neiddebatte, sondern das ist eine Gerechtigkeitsdebatte.

(Beifall bei der SPD)

Was ist Ihr Konzept? - Sie wollen den Spitzensteuersatz weiter senken. Sollen denn noch mehr öffentliche Einrichtungen in den Kommunen geschlossen werden? Wie wollen Sie denn gewährleisten, dass Bildung und Soziales auf den verschiedenen öffentlichen Ebenen weiterhin finanzierbar bleiben? Sie betreiben Gleichmacherei im Gesundheitswesen und im Steuerrecht. Wie stark wollen Sie Arbeiter und Angestellte noch belasten?

Für uns gilt: Wir werden die Vermögen stärker an der Finanzierung der öffentlichen Aufgaben beteiligen, wie es im Übrigen in vielen Ländern gang und gäbe ist. Wir tun dies durch die Besteuerung privater Veräußerungsgewinne bei Immobilien und Wertpapieren. Das haben wir in Bochum verabredet. Wir tun dies durch eine Änderung des Bewertungsgesetzes, damit 2006 ein neues Erbschaftsteuerrecht in Kraft treten kann. Das haben wir in Bochum beschlossen.

Dabei muss klar sein - das sind die Punkte, auf die Sigmar Gabriel immer hingewiesen hat -: Erstens. Es kann nicht angehen, dass das privat genutzte Wohneigentum im Erbschaftsteuerrecht mit erfasst wird. Das muss ausgenommen bleiben. Zweitens. Der Betriebsübergang im Erbschaftsfall darf nicht erschwert werden.

Beide Punkte stehen in der Beschlussfassung von Bochum, sind von uns mit erkämpft worden. Deshalb ist der Titel Ihres Antrages für die Aktuelle Stunde absolut falsch. Es geht nicht um Sprunghaftigkeit, sondern es geht um eine angemessene Beteiligung der gesellschaftlichen Gruppen an der Finanzierung der öffentlichen Aufgaben. Hier gibt

es erkennbar Defizite im Bereich der Behandlung von Vermögen. Wir entwickeln ein modernes und gerechtes Steuerrecht. Nehmen Sie sich ein Beispiel daran!

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat der Kollege Wenzel. Bitte schön!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der König von England, Georg III., soll im 18. Jahrhundert einmal gesagt haben: König sein, das ist eine Tyrannei, weil man immer Vorbild sein muss. - Damals war er auch König von Hannover. Das gilt aber offensichtlich nicht für Seine Königliche Hoheit Prinz Ernst August Herzog zu Braunschweig und Lüneburg im 21. Jahrhundert. Vor dem Amtsgericht Springe stellte die Staatsanwaltschaft in einem Prozess im Dezember 2001, also vor zwei Jahren, fest, das Einkommen liege bei 1,2 bis 1,5 Millionen Euro. Der Prinz legte einen Bescheid des Finanzamtes Braunschweig vor, der lediglich ein steuerpflichtiges Einkommen von 155 000 Euro und einen Jahresnettogewinn von 85 000 Euro auswies. Damit liegt der Durchschnittssteuersatz für den Herrn König bei ca. 5 %. Dafür hat er aber laut Gericht drei bis vier Bodyguards und einen Chauffeur.

Heute kann sich trotz Schlössern, Land- und Grundbesitz sowie Aktienverkäufen in Österreich, die etwa 50 Millionen Euro betragen haben sollen, sogar der König arm rechnen und sein Geld sonst wohin verschieben. Da ist etwas schief, und das spüren die Menschen. Wenn sich König, Schumi und Boris Becker ins Ausland verabschieden und dort ihre Steuern nicht mehr bezahlen, dann schwillt so manchem der Kamm. Das ist ein Problem der Glaubwürdigkeit für uns alle, auch für die CDU.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das ist vor allem auch ein Problem im Kontext der Globalisierung der Wirtschafts- und Finanzbeziehungen; denn wir alle haben ein Interesse daran, dass jeder gerecht seine Steuern bezahlt, in der Europäischen Union und hier in der Bundesrepublik Deutschland.

Es ist grundsätzlich im nationalen und im europäischen Kontext ein lösbares Problem. Daran arbei

ten wir. Wir werden deshalb alle Vorschläge, die in diesem Kontext auf den Tisch kommen, vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen, die sich stellen, sehr ernsthaft prüfen. Aber wir appellieren auch an die CDU und insbesondere an die FDP: Verschließen Sie sich nicht den Ansätzen, die darauf abzielen, beispielsweise Steueroasen auszutrocknen oder Steuerschlupflöcher dichtzumachen.

(Zuruf von Hermann Dinkla [CDU])

- Es sind viele Elemente, die da zusammenkommen. Versteifen Sie sich nicht auf einige in der Öffentlichkeit immer wieder kursierende Begriffe. Es geht um ein Gesamtsteuersystem, das Gerechtigkeit schafft. Es geht nicht um Klamauk, sondern um ernsthafte Arbeit und gerechte Gestaltung, die alle trifft, ganz im Sinne dessen, was im Sitzungssaal des Amtsgerichts Springe an der Wand steht: Ihr sollt den Kleinen hören wie den Großen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Zu Tagesordnungspunkt 1 c) liegen mir keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Beratung zu diesem Punkt.

Wir kommen zu

d) AKW stADE: Landesregierung setzt weiter auf ausgemachten Unsinn - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/571

Zur Einbringung hat Frau Kollegin Harms das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit 1986 gibt es in der Bundesrepublik eine ausgesprochen stabile Mehrheit für den Ausstieg aus der Atomenergie. Einen eindeutigen Meinungswechsel in der Bundesrepublik hat - dieses Datum muss man sich immer wieder klar machen - Tschernobyl markiert. Ich finde es bis heute schlimm, dass ein so verheerendes Unglück, dass solch eine todbringende Katastrophe notwendig war, um in der Bundesrepublik einen falschen technologischen Weg zu verlassen und das Ende einer solchen fal

schen und unverantwortlichen Entwicklung zu fordern und jetzt einzuleiten.

Dass es diese Mehrheit gegen die Atomenergie gibt, ist meiner Meinung nach bis heute sehr gut begründet. Auch in Stade ging es - auch wenn das in der öffentlichen Debatte der letzten Tage manchmal untergegangen ist - um gravierende Sicherheitsprobleme. Heute, anlässlich der Abschaltung von Stade, darf man nicht allein über die Frage der Wirtschaftlichkeit oder der Nichtwirtschaftlichkeit reden. Man muss vielmehr auch daran erinnern, dass der dortige Reaktordruckbehälter wegen seiner Versprödung nicht nachrüstbar war. Man muss daran erinnern, dass ein Reaktor mit einem so schwachen Containment heute nicht mehr genehmigungsfähig wäre, alleine schon wegen der großen Gefahren im Falle von Flugzeugabstürzen.

Meine Damen und Herren, anders als es Herrn Sander offensichtlich bewusst ist, haben wir in deutschen Atomkraftwerken in den letzten Jahren eine Reihe von gravierenden Störfällen erlebt, die zeigen, dass nicht nur Stade vom Netz müsste, sondern dass in deutschen Atomkraftwerken allgemein das Risiko wächst. Das hat auch mit dem Alter bzw. mit der überholten Technik dieser Anlagen zu tun.

Wir haben im Jahr 2001 erfahren, dass das Atomkraftwerk Philippsburg 16 Jahre lang nach der jährlichen Revision immer wieder ans Netz gegangen ist, obwohl der Notkühlbehälter nur unzureichend gefüllt war. In Philippsburg sind wir immer beinahe an der Katastrophe gewesen.

Wir haben Fotos von Brunsbüttel gesehen, die uns gezeigt haben, wie eine Wasserstoffexplosion eine Rohrleitung drei Meter weit völlig zerfetzt hat. Das war der bisher schwerste Störfall in der Geschichte der deutschen Atomkraftwerke.

Wir haben im Jahr 2002 in einem niedersächsischen Atomkraftwerk, im Atomkraftwerk Unterweser, feststellen müssen - der TÜV hatte das übrigens nicht festgestellt -, dass es an Zwischenkühlern gravierende Sicherheitsmängel gegeben hat.

Ich habe es gesagt: Das sind Alterserscheinungen, das sind technische Mängel an alten Atomkraftwerken. Wir haben es aber auch immer wieder mit menschlichem Versagen, mit mangelhaftem technischen Können und mit mangelhafter Aufsicht durch den TÜV und durch die Atomaufsicht zu tun gehabt.

Deshalb, meine Damen und Herren, wollen wir - wir Grünen jedenfalls -, dass in Deutschland konsequent aus dem Risiko Atomenergie ausgestiegen wird. Dieses Risiko weiter in Kauf zu nehmen, ist durch nichts mehr zu rechtfertigen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich bin immer wieder stolz - so viel zur gewünschten Patriotismusdebatte -, wenn ich verfolge, wie Klaus Töpfer weltweit eine zukunftsfähige Energiepolitik vertritt und wie er sich zu einem der Vorkämpfer für die Energiewende, für die Ausmerzung von unnötigen Risiken entwickelt hat. Ich war stolz darauf, wie die Bundesregierung beim Johannesburg-Gipfel das, was in Kyoto vereinbart worden war, gerettet hat.

Anlässlich der Abschaltung von Stade sprechen wir uns noch einmal für eine konsequente Entwicklung der Energiewirtschaft in der Bundesrepublik hin zur bestmöglichen Ausschöpfung der regenerativen Energien und hin zu einer bestmöglichen Energieeffizienz aus. Die Bundesrepublik sollte sich zu einem lead market entwickeln. Sie sollte sich nicht einen der führenden Ränge in diesen Technologien abkaufen lassen, z. B. durch Japan, das jetzt sehr ehrgeizig darangeht.

Herr Sander, ich wünsche mir, dass dieser Ehrgeiz, Deutschland technologiepolitisch in der Energiewirtschaft an die erste Stelle zu entwickeln, nicht an Umweltministern wie Ihnen scheitert, die einfach nur zu einem längst überholten Energiemix aus Kohle und Atom zurückkehren wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Frau Kollegin Zachow hat jetzt das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Harms, wenn ich Sie so reden höre, frage ich mich, wo Sie eigentlich leben. Sie haben Recht: Es hat Störfälle gegeben. Aber alle diese Störfälle hat man in den Griff bekommen.

(Rebecca Harms [GRÜNE]: Toi, toi, toi!)

In Unterweser haben die redundanten Systeme gegriffen. Es gibt regelmäßige Revisionen.

Sie sprechen hier davon, dass wir kurz vor einer Katastrophe stehen. Nun frage ich Sie: Weshalb hat sich Herr Trittin dann auf einen Ausstieg über 20 Jahre eingelassen?

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Rebecca Harms [GRÜNE]: Fassen Sie sich mal an die Brust!)

Wenn Sie so reden, müssen Sie die Verantwortung auch konsequent übernehmen. Sie dürfen nicht auf der einen Seite Katastrophenszenarien an die Wand malen, aber sich auf der anderen Seite friedlich mit der Industrie einigen, nur weil Sie Angst davor haben, Zahlungen leisten zu müssen. So ist es doch gewesen!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie sagen, Sie wollen in der Energiewirtschaft an die erste Stelle. Dem kann ich nur entgegenhalten: Die Energiepolitik, die Sie in Berlin machen, ist wirklich nicht mehr verantwortbar. Sie wollen die Kernkraftwerke abschalten; in 20 Jahren sollen alle weg sein. Sie wissen genau, dass in den nächsten 20 Jahren 40 % der konventionellen Kraftwerke erneuert werden müssen. Aber Sie haben bis heute keine Antwort darauf, wie Sie diese Lücken dann schließen wollen.