Protocol of the Session on October 31, 2003

Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 39: Erste Beratung: Regelungswut des Umweltministers stoppen - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/483

Zur Einbringung erteile ich Frau Steiner von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Juli dieses Jahres hat uns aus heiterem Himmel das Umweltministerium mit einer neuen Verordnung beglückt, der Verordnung über die Beseitigung pflanzlicher Abfälle durch das Verbrennen außerhalb von Abfallbeseitigungsanlagen. Damit soll die bisher geltende Kompostverordnung durch eine Brennverordnung abgelöst werden. Sie beinhaltet, Gemeinden sollen beliebig Brenntage festlegen können, an denen Grün- und Holzabfälle auf dem eigenen Grundstück verbrannt werden können. Im Einzelfall soll auch Treibselverbrennung zugelassen werden.

Meine Damen und Herren, bei jeder neuen Vorschrift, die von staatlicher Seite auf den Weg ge

bracht wird, müssen wir uns als Erstes fragen: Brauchen wir diese Vorschrift? Ersetzt oder vereinfacht sie eine bestehende Regelung? - Für die Brennverordnung müssen wir diese Fragen durchweg mit Nein beantworten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Gemeinden lässt die Brennerlaubnis kalt. „Wir werden es so belassen, wie es ist“, erklärt beispielsweise die Bürgermeisterin von Großefehn. Aus ostfriesischen Gemeinden hört man: „Schon aus touristischen Gründen werden wir nicht mehr Brenntage zulassen; denn die Urlauber haben keine Lust auf ständige Lagerfeuer.“

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Ostfriesen-Zeitung titelt: „Den Ostfriesen ist die Lust aufs Brennen vergangen.“

Auch die Deichachten wollen mit der Treibselverbrennung nicht wieder anfangen. Das ist wegen der sonst zu erwartenden Freisetzung von Schadstoffen, gerade bei Treibselverbrennung mit Chlorgehalt, auch absolut richtig.

Es gab und gibt immer wieder Beschwerden aus der Bevölkerung über erhebliche Belästigungen im Zusammenhang mit dem unkontrollierten Abbrennen von pflanzlichen Abfällen.

Die Brennverordnung macht das Tor auf für die Beseitigung von Pflanzenabfällen ohne jegliche Maßnahme der Emissionsminderung. Keine Umweltbehörde einer Gemeinde wird kontrollieren können - so viele Arbeitskräfte hat sie gar nicht -, was sonst noch mit verbrannt wird: Zäune, Bahnschwellen und hin und wieder Haushaltsabfall, Plaste etc. Eine erhöhte Belastung mit Luftschadstoffen wird auf jeden Fall die Folge sein.

Gleichzeitig, meine Damen und Herren, wird der Vorrang der stofflichen Verwertung ausgehebelt. Städte und Landkreise haben ein funktionierendes Netz von Grünsammelstellen aufgebaut bis hin zum Abholservice auf Anforderung. Anlagen zur Herstellung von Qualitätskompost und regionale Vermarktungsstrukturen gehören zum Standard. Auch in diesem Bereich wurden übrigens Arbeitsplätze geschaffen, die durch eine Brennverordnung zum Teil gefährdet werden.

Die Brennverordnung dagegen beschert uns im Angesicht dieser Maßnahmen der Gemeinden tatsächlich einen Rückfall in die abfallpolitische Steinzeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Damals war es doch auch so: Die Abfälle wurden aus der Wohnhöhle geworfen und vor der Höhle verbrannt. Das, Herr Minister, können Sie uns doch heute nicht wieder aufdrücken wollen.

(Karsten Behr [CDU]: Wir haben ja keine Höhlen mehr!)

- Sie wissen, wie ich das meine.

Diese Brennverordnung, meine Damen und Herren, ist nicht nur überflüssig, sondern schädlich. Statt Deregulierung wird es als Folge der Brennverordnung einen unvorhersehbaren Wirrwarr an lokalen Einzelregelungen geben, deren Sinnhaftigkeit keinem, aber auch keinem Bürger mehr zu vermitteln wäre. Dazu kann ich nur sagen: Bei der Entbürokratisierung hat man sich von hinten durch die Brust geschossen. Ziehen Sie deshalb diese Verordnung zurück, Herr Minister Sander, bevor sie Rechtskraft erlangt!

Der nächste Punkt ist die Betretensregelung.

(Karsten Behr [CDU]: Der Höflich- keitserlass!)

Im September dieses Jahres wurden Fachleute und interessierte Laien von einem Erlass aus dem Hause Sander an die unteren Naturschutzbehörden überrascht, der kurz als „Höflichkeitserlass“ tituliert wurde. Danach sollen bei notwendigen - auch hoheitlich begründeten - Untersuchungen im Vorfeld die betroffenen Grundeigentümer ermittelt und individuell benachrichtigt werden „unter Einhaltung einer angemessenen Frist vorab schriftlich“.

Untersuchungen und Erfassungen sind z. B. für Artenerfassungen, Schutzgebietsausweisungen, Umweltverträglichkeitsprüfungen von Investitionsvorhaben usw. notwendig. Hiervon sind häufig bei einem Vorhaben mehrere 100 Eigentümer betroffen. Insbesondere in vielen vom Naturschutz her bedeutsamen Wald- und Moorgebieten sind die Flurstücke eher kleinflächig parzelliert, und kleine Flächen können eine große Zahl von Eigentümern aufweisen.

Deshalb haben sich viele bei der ersten Lektüre des Erlasses gefragt: Ist das ein verspäteter Aprilscherz, oder ist das ernst gemeint? - Es war leider ernst gemeint. Umweltminister Sander begründete die Vorschrift mit dem Gebot der Höflichkeit und

glaubte damit vermutlich, voll im Trend als Umweltdienstler zu liegen.

Ich möchte Ihnen einige Reaktionen derer vortragen, die auf der Grundlage des Erlasses arbeiten müssten. Der Bund Deutscher LandschaftsArchitekten stellt fest, „dass selten zuvor eine... administrative Regelung derartiges Befremden, wenn nicht gar Verunsicherung unter den betroffenen Mitgliedern unseres Verbandes hervorgerufen hat“, und fordert einen Runden Tisch. Der Bund deutscher Biologen hält „diesen Erlass mit seinen möglichen Konsequenzen für verheerend“ und fordert die Rücknahme.

Die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände, auf die Sie sich sonst ja auch gerne beziehen, schreibt kurz und knapp: „Der Erlass hätte zur Folge, dass ein bürokratischer Aufwand entstehen würde, der den Bestrebungen der Landesregierung zur Entbürokratisierung der Verwaltung zuwiderliefe.“ Die Arbeitsgemeinschaft teilt mit, dass sie sich nicht in der Lage sehe, den unteren Naturschutzbehörden die Anwendung des Erlasses zu empfehlen. - Das spricht Bände.

In der Tat, meine Damen und Herren: Würde der Erlass umgesetzt, würde die Arbeit der unteren Naturschutzbehörden in diesem Bereich lahm gelegt. Müssen bei Begehungen von Grundstücken erst die Eigentümer ermittelt und angeschrieben werden und anschließend bei Einwänden über die Rechtslage aufgeklärt werden - denn das müssen sie zulassen -, dann können Sie sich vorstellen, wie viel Zeit und Arbeitskraft hier gebunden werden - ganz abgesehen von den zusätzlichen Kosten, die damit verbunden sind. Es besteht die erhebliche Gefahr, dass die notwendigen Untersuchungsergebnisse nicht mehr flächendeckend erhoben werden können oder dass bestimmte Genehmigungsverfahren als Voraussetzung für Investitionsvorhaben nicht mehr zeitnah durchgeführt werden können. Das gefährdet öffentliche und private Vorhaben und verteuert sie auf jeden Fall.

Ist es das, Herr Minister, was Sie mit Ihrem Entbürokratisierungserlass erreichen wollten? Ihr merkwürdiges Verständnis von Menschenfreundlichkeit verursacht mehr statt weniger bürokratischen Aufwand und führt dazu, dass die tatsächlich notwendige Arbeit nur noch höchst eingeschränkt geleistet werden kann.

Wir sind gespannt, wie Sie damit umgehen, wenn das Land anschließend mit unvollständigen Unter

suchungen, die für EU-Schutzgebiete erforderlich sind, in Verzug kommt. Zahlen Sie dann für die Nachuntersuchung, oder zahlen Sie lieber das Bußgeld?

Meine Damen und Herren, dieses Erlasswerk ist ein Bärendienst für den Naturschutz und eine unnötige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die kommunalen Naturschutzbehörden. Überflüssig ist es obendrein; denn die jetzige Regelung der öffentlichen Bekanntmachung hat nach Auffassung aller Beteiligten immer funktioniert.

Kurz gesagt: Eintracht Schwarz-Gelb hat ein echtes Eigentor beim Bürokratieabbau geschossen!

(Beifall bei den GRÜNEN - Bernd Al- thusmann [CDU]: Besser Eintracht als Zwietracht!)

Sie sollten den Erlass zurückziehen und den Stürmer auswechseln. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Haase das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht gleich in den fußballerischen Jargon verfallen. Aber zumindest ich hätte es gut gefunden, wenn wir heute den vorliegenden Antrag nicht hätten beraten müssen. Ich möchte Ihnen auch detailliert sagen, warum. Ich hatte nämlich immer die Hoffnung, dass Herr Minister Sander, wie er es landauf, landab immer wieder betont, seine Umweltpolitik mit den Menschen in Niedersachsen gemeinsam gestalten will.

(Zustimmung bei der FDP - Zurufe von der FDP)

- Regen Sie sich doch nicht auf! - Ich gebe zu, zu diesen Menschen habe ich auch die Vertreter des Arbeitskreises Umwelt der SPD-Fraktion, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die Umwelt- und Naturschutzverbände, die über 56 000 Mitglieder in Niedersachsen allein des Nabu, Asthmakranke, Planungsbüros, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Umweltverwaltung, ehrenamtliche Natur- und Umweltschützer, Touristen - ich könnte diese Liste ellenlang weiterführen - gezählt. Ich habe ehrlich geglaubt, dass Herr Minister Sander auch für diese

Menschen seine Umweltpolitik machen möchte, doch ich wurde leider eines Besseren belehrt.

Meine Damen und Herren, der vorliegende Antrag ist ein Zeichen dafür, dass in der Naturschutz- und Umweltpolitik unseres Landes etwas völlig schief läuft. Er ist Ausdruck für die vielen Zuschriften, die wir von den Menschen bekommen, die sich von der neu entstandenen Regelungswut des Umweltministers betroffen fühlen und uns um Hilfe bitten.

Ich denke auch, dass Herr Minister Sander mittlerweile genug Zeit gehabt hätte, auf die berechtigten Hinweise der Menschen zu reagieren, doch leider hat er sich bislang beratungsresistent gezeigt. Dies bedauere ich außerordentlich, Herr Minister.

Meine Damen und Herren, auch vor dem Hintergrund der hier immer wieder gebetsmühlenartig wiederholten Parolen von Bürokratieabbau und Freiheit für die Menschen muten die im Antrag angesprochenen Regelungen - ich bin den Grünen insoweit für den Antrag dankbar - sehr befremdlich an.

Da wäre die Brenntageverordnung. Ohne Not, vielleicht nur deshalb, weil es ihm selbst ein Bedürfnis war, hat der Minister eine gut funktionierende, bewährte und einfache Regelung, die dem Schutz der Menschen in unserem Land diente, aufgehoben und zur Disposition gestellt. Er löste damit im Land Verwirrung und Befürchtungen aus, aber keine Jubelschreie.

(Zustimmung bei der SPD)

Zahlreiche Gemeinden, gerade aus dem Ostfriesischen - Frau Steiner hat die Ostfriesen-Zeitung zitiert -, bekundeten, dass sie die alte Regelung völlig in Ordnung fanden und es auch dabei belassen wollen. Da wird es keine Änderungen geben. Die Deichachten - mit der Treibselgeschichte; Sie alle kennen die Probleme, die wir in der letzten Wahlperiode bei dieser Frage hatten - sagten ebenfalls, dass sie die neue Verordnung nicht brauchen. Allein schon aus touristischem Interesse will man nicht mehr Brenntage zulassen, weil die Urlauber mit Sicherheit auf alles Lust haben, aber nicht auf Lagerfeuer an jedem Tag an jedem Ort. Vielleicht sind aber die Touristen in Golmbach etwas anders gestrickt, Herr Minister.

Meine Damen und Herren, nun zu dem Betretenserlass. Ich sage nicht „Höflichkeitserlass“; denn mit Knigge hat er wahrlich überhaupt nichts zu tun,

auch wenn der Minister dies immer wieder gerne in seinen Pressemitteilungen oder bei seinen öffentlichen Auftritten betont. Warum soll der Naturschutzverwaltung - und komischerweise nur ihr die Arbeit derart erschwert werden? Auch den beauftragten Planungsbüros und den tausenden von ehrenamtlichen Natur- und Artenschützern, auf deren Unterstützung die Landesregierung gerade in Zeiten knapper Kassen wegen der Ehrenamtlichkeit dringend angewiesen ist, werden Knüppel in einem Ausmaß zwischen die Beine geschmissen, dass man nun wirklich nicht mehr von unbürokratischer und effektiver Verfahrensweise reden kann. Will man etwa deren Engagement auf diesem Wege verhindern?

Herr Minister, Sie erinnern sich an das Problem mit der Wiesenweihe gestern Abend beim Nabu. Sie haben sicherlich ebenfalls diesen herrlichen Vogel gesehen und genau gesehen, wie er überhaupt gefunden wird: durch Ehrenamtler, die fremdes Eigentum betreten mussten, um überhaupt diese Brutstätten zu erkennen. Sollen sie in Zukunft erst einmal höflich anfragen? Vielleicht will er nicht oder ist er gerade in Urlaub. Irgendwann ist die Brutzeit vorbei, oder zwischenzeitlich ist das Nest längst ausgeräubert.