Protocol of the Session on October 30, 2003

Es bedurfte nicht dieses Antrags, da die von mir vorgetragenen Sachverhalte einerseits in dem von uns gesetzlich geregelten Dialog zwischen Eltern und Schule und andererseits in der Einführung der allgemeinen Leistungsstandards ihren Niederschlag finden. Die Einzelpunkte haben wir schon umgesetzt und erledigt, und wir haben die Konsequenzen aus PISA und IGLU gezogen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Korter das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies ist heute nicht der erste und einzige Antrag, über den offensichtlich die Zeit hinweggegangen ist. Es wurde schon erwähnt, er stammt vom 30. April, also aus einer Zeit, in der einige von uns noch glaubten, die CDU- und die FDP-Fraktion seien durch wissenschaftliche Erkenntnisse aus den internationalen Schulvergleichstests zu beeindrucken.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD - Zurufe von der CDU und von der FDP)

Es ist aber auch ein Antrag, der zeigen soll, wie toll doch die SPD Schulpolitik gemacht haben will. Die schwarz-gelbe Regierung wird mit ihrem neuen Grundschulerlass - wenn er uns vorgelegt wird sicherlich einen ganzen Teil von dem, was an der SPD-Schulpolitik richtig und sinnvoll war - das gab es in diesem Bereich ja durchaus -, beibehalten und fortführen.

Deshalb ist das Meiste aus dem vorliegenden Antrag eigentlich Konsens, aber nicht alles ist geklärt. Was mir fehlt - das hat Frau Eckel schon angesprochen -, ist eine exakte Auswertung der IGLUErgebnisse und des sich daraus ableitenden Handlungsbedarfs. Was ist z. B. mit intensiver Leseförderung für die schwächeren Schülerinnen und Schüler an den Grundschulen? Wie kann sie aussehen? Wer soll sie durchführen? Lernen Jungen

eigentlich anders lesen als Mädchen? Was ist mit der Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund? Reicht der Sprachunterricht vor der Einschulung - das halbe Jahr -, oder muss nicht unbedingt zumindest im Grundschulbereich die Hausaufgabenhilfe weiterhin stattfinden, um die fehlende häusliche Unterstützung auszugleichen, zumindest dort, wo keine Ganztagsschulen vorhanden sind?

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Was ist mit Elternschulen und mit Sprachunterricht für ausländische Mütter? - Kein Wort bis jetzt dazu. Was ist mit den Kenntnissen über innere Differenzierung im Grundschulunterricht? Die IGLU-Studie hat uns gezeigt, dass unsere Pädagoginnen und Pädagogen auf diesem Gebiet noch erheblichen Qualifizierungsbedarf haben. Soll denn das Notensystem so bleiben, wenn wir doch aus IGLU wissen - das haben wir im Ausschuss gehört -, wie subjektiv die Benotung erfolgt, die später weitgehend für die Laufbahnempfehlung ausschlaggebend ist? Die spannendste Frage bleibt aber für mich vollständig unbeantwortet: Warum schafft es die heterogen zusammengesetzte Grundschule, insgesamt so gute Leistungen zu bringen, in einer so großen Bandbreite und mit erstaunlich großer Motivation bei den starken und eben auch bei den schwächeren Schülern? Woran liegt es, dass sich dieses positive Bild in der Sekundarstufe so erheblich verändert, so gravierend verschlechtert? Liegt es vielleicht daran - wie es Herr Busemann in Erwägung gezogen hat -, dass so viele Frauen in der Grundschule unterrichten? Oder liegt es daran, dass die Kinder kaum Misserfolgserlebnisse wie sitzen bleiben und aussortieren zu verkraften haben? Oder liegt es daran, dass alle besser voneinander und miteinander lernen?

Meine Damen und Herren, die Regierungsfraktionen haben diese wichtigen Fragen nicht geklärt, legen uns aber demnächst einen neuen Grundschulerlass vor. Die Klärung dieser Fragen ist sie aber den Schülerinnen und Schülern, den Eltern und auch den Lehrkräften in Niedersachsen unbedingt schuldig.

Zurück zum Antrag: Die Forderungen aus dem SPD-Antrag können eigentlich nur von allen hier im Hause unterstützt werden. Ich war bis jetzt gespannt, mit welcher Begründung die Mehrheitsfraktionen heute gegen einen inhaltlich völlig richtigen Antrag stimmen wollen. Nach dem Vortrag der

Kollegin Pfeiffer bin ich allerdings eher sprachlos über die „profunden“ Kenntnisse bei den Fachpolitikerinnen aus dem Grundschulbereich in der CDUFraktion. - Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Für die FDP-Fraktion hat Herr Professor Zielke das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kinder lernen umso mehr und umso leichter, je jünger sie sind. Keine Frage: Kitas und Grundschulen müssen besser vernetzt werden. Genau dabei sind wir jetzt. Aber Sie schreiben in Ihrem Antrag z. B. „gemeinsames Lernen ohne Auslese“, als sei das das Nonplusultra. Nein, das ist Ideologie von vorgestern.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Das ist die Ideologie der 68er, das kommt aus der reformpädagogischen Mottenkiste. Sie haben völlig Recht: Sich wohlfühlen, wie Sie schreiben, und hoch motiviert Leistungen erbringen, das sind keine Gegensätze. Aber es ist auch nur die halbe Wahrheit. Lernen und Leistung dürfen auch anstrengend sein, und sie sind es oft. Sie schreiben in Ihrem Antrag über individuelle Förderung. Klar, niemand ist dagegen. Abbau sozialer Disparitäten - auch das ist klar! Aber bitte, bitte kein so genanntes kompensatorisches Lernen mehr. Das war die Förderung der Langsamen auf Kosten der Schnellen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Apropos, Frau Eckel, ist Ihnen mal die Idee gekommen, dass soziale Herkunft und individuelle Begabung miteinander korrelieren könnten? Nur mal so zum Nachdenken.

(Zuruf von der SPD: Wie bitte?)

Ich komme zum Verhältnis von PISA zu IGLU. Sie sollten die IGLU-Studie nicht zu hoch hängen. Die statistische Basis von IGLU reicht bei weitem nicht an die statistische Basis von PISA heran.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Stichwort „Sprachförderung“: Da machen wir genau das, was Sie nie gewollt oder nie hingekriegt haben. Wir prüfen rechtzeitig vor der Einschulung, und dann helfen wir, dann fördern wir gezielt.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Ich fasse zusammen: Teilweise rennen Sie mit Ihrem Antrag offene Türen ein, und er benennt Selbstverständlichkeiten. Teilweise ist er aber völlig daneben und zeigt nur, wie schwer im Erwachsenenalter das Dazulernen ist.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Busemann das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Eckel, Sie hatten hier vorhin zur Frage der Grundschulen einen runden Tisch angeregt. Ich sage Ihnen mit allem Respekt: Wir haben ein geordnetes Parlamentswesen und geordnete parlamentarische Abläufe. Runde Tische mögen z. B. beim Untergang der DDR gerechtfertigt gewesen sein, wenn man also gar keine Regierung hat oder wenn man Regierungen hat, die dramatisch schlecht arbeiten. Aber solche Fälle kann ich hier nicht erkennen, und deshalb geht es ins geordnete parlamentarische Verfahren.

(David McAllister [CDU]: Wir haben ja keine Opposition mehr!)

Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion macht ihre Forderungen am Ergebnis der so genannten IGLU-Untersuchung fest. Ich gebe einen kurzen Rückblick, ihre Vorstellung liegt ja schon ein bisschen zurück: Die Internationale Grundschul-LeseUntersuchung IGLU hat das Leseverständnis von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich getestet. An diesem internationalen Vergleich waren 35 Staaten beteiligt. In der Bundesrepublik Deutschland wurde zusätzlich eine Ergänzungsstudie, genannt IGLU-E, durchgeführt, mit der mathematische und naturwissenschaftliche Grundkompetenzen und Leistungen im Rechtschreiben erfasst wurden. An dieser Ergänzungsstudie haben sich 12 Bundesländer beteiligt. Außerdem haben sieben Bundesländer zusätzliche Untersuchungen durchführen lassen, deren Er

gebnisse einen Ländervergleich ermöglichen. Von diesen Untersuchungen wurden aufgrund der Entscheidung der Vorgängerregierung in Niedersachsen leider nur die Internationale Grundschul-LeseUntersuchung durchgeführt. Daran waren - man höre und staune - leider nur 15 niedersächsische Grundschulen beteiligt. Das kann kein repräsentatives Ergebnis für Niedersachsen ergeben. Deshalb ist es wichtig, Rückschlüsse aus den IGLUErgebnissen mit Vorsicht zu ziehen und nicht zu vergessen, dass man dabei immer nur von den deutschen Grundschulen im internationalen Vergleich spricht. In diesem Vergleich können sich allerdings die deutschen Grundschulen durchaus sehen lassen. In der Lesekompetenz gehören sie zum oberen Leistungsdrittel. Zu diesem guten Ergebnis haben auch die niedersächsischen Grundschulen beigetragen. Man muss Dinge, wenn sie positiv oder vertretbar sind, auch ansprechen. Das nehmen wir gerne so hin.

Auch auf das, was noch zu verbessern ist, gibt IGLU sehr deutliche Hinweise. Die Hinweise bei PISA und TIMSS allerdings - da hat der Vorredner auch Recht - sind schon nachhaltiger, gehen aber auch in die gleiche Richtung und sind dann entsprechend zu beachten. Es wurde allerorten und in allen Studien festgestellt, dass Kinder mit Migrationshintergrund im internationalen Vergleich auch schon in den Grundschulen größere Probleme haben. Hinzu kommt, dass die leistungsstarken Schülerinnen und Schüler in Deutschland offenbar nicht gezielt gefördert werden.

Ein weiteres Ergebnis ist, dass Kinder mit gleichen Leistungen sehr unterschiedlich bewertet werden. Offenbar fehlen verbindliche Leistungsstandards. Zudem wurde nachgewiesen, dass Kinder, die nicht den Kindergarten besuchen, häufig auch mehr Schwierigkeiten beim Lesenlernen haben. Als Konsequenz aus der IGLU-Untersuchung und der PISA-Studie hat Niedersachsen umfassend und konsequent reagiert. Während Sie sozusagen thematisch noch im April stecken, sind wir in einigen Punkten schon deutlich weiter.

(Zustimmung bei der CDU)

Wir haben ein umfassendes Konzept zur Sprachförderung in Kindergarten und Schule vorgelegt - das ist bereits angesprochen worden. Wir investieren dafür trotz einer dramatischen finanziellen Situation - Sie wissen, dass das am öffentlichen Haushalt liegt - über 20 Millionen Euro. Wir führen ab Februar für über 10 000 Kinder einen Sprach

förderunterricht mit ca. 280 Grundschullehrern durch, die zusätzlich dafür bereitgestellt werden. Das macht einen Gegenwert von fast 13 Millionen Euro aus. Außerdem geben wir über 7 Millionen Euro für zusätzliche Maßnahmen an so genannten Brennpunktstandorten in den Kindergärten aus. Das sind insgesamt 20 Millionen Euro. Das will in diesen Tagen schon etwas heißen. Aber es ist eben auch eine Reaktion auf den Handlungsbedarf und ein Zeichen für die Richtung, die wir einschlagen.

Wir fördern intensiv hoch begabte Schülerinnen und Schüler, nach Möglichkeit schon im Kindergarten, auf jeden Fall aber in der Grundschule beginnend. Auch hier werden wir in den Folgejahren weiter investieren bis ein flächendeckendes Angebot in ganz Niedersachsen vorhanden ist. Wie bei der Sprachförderung werden wir in Niedersachsen auch hier eine bundesweite Vorreiterrolle einnehmen. Ich breche mir keinen Zacken aus der Krone, wenn ich sage, dass diese Dinge bereits in der vergangenen Legislaturperiode regierungsseitig angelegt worden sind.

Wir haben die Zuständigkeit für die Kindertagesstätten im Sinne eines ganzheitlichen Bildungskonzepts wieder in das Kultusministerium geholt. Wir haben die Zusammenarbeit von Kindergarten und Grundschule als Verpflichtung im Schulgesetz verankert. Wir haben eine Arbeitsgruppe mit Vertreterinnen und Vertretern aus dem breiten Spektrum der Kindertagesstätten ins Leben gerufen. Diese erarbeitet in diesen Tagen einen Orientierungsplan für Bildung und Erziehung im Kindergarten, weil wir den Bildungsauftrag des Kindergartens eben ernst nehmen. Wir meinen, er muss inhaltlich ausgefüllt und es muss entsprechend gearbeitet werden.

Von den zusätzlichen Lehrereinstellungen haben alle Schulformen, auch die Grundschulen, profitiert. Dort liegen wir zurzeit mit 102 % bei einer ausgezeichneten Unterrichtsversorgung. Das wird sich entsprechend auf die Ergebnisse auswirken.

Meine Damen und Herren, in Kürze werde ich den neuen Erlass „Die Arbeit in der Grundschule“ vorstellen. Wir wollen die individuelle Förderung ebenso verbessern wie die Vermittlung von grundlegenden Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Vergleichsarbeiten werden für Qualitätssicherung auch in der Grundschule sorgen. Die Kernfächer Deutsch, Mathematik und Sachunterricht werden gestärkt. Ich will Ihnen einmal etwas sagen. Sie

kennen mich ja. Es nützt nichts, theoretisch etwas abzuhandeln und zu reden. Irgendwo muss man auch sagen: Butter bei die Fische. Vorbehaltlich einer letzten Prüfung - wir wissen, dass wir eine dünne Finanzdecke haben - neige ich dazu, die Stundentafel im zweiten Schuljahrgang an der Grundschule um zwei Unterrichtsstunden zu erhöhen. Damit hätten wir in der Grundschule wieder 94 Jahreswochenstunden. Wir hätten dann wieder die Pflichtstundentafel von 1989 zuzeiten der alten CDU-geführten Landesregierung. Ich muss den Sozialdemokraten sagen - aber Sie wissen das ja eigentlich -: Sie haben es immerhin geschafft, von 1990 bis vor kurzem die Zahl der Jahreswochenstunden von ursprünglich 94 auf 88 einfach zusammenschrumpfen zu lassen. Da setzen wir an, um die Verhältnisse an den Grundschulen zu verbessern.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nun ist in der einen oder anderen Rede - Frau Korter, ich spreche Sie an - auch so ein Wunschkatalog aufgemacht worden. Das eine oder andere können wir erfüllen. Alles können wir auch nicht herbeizaubern. Frau Korter, in einem Punkt muss ich Sie allerdings enttäuschen. Zensuren wird es auch in Zukunft in der Grundschule in Niedersachsen an allen Schulformen geben. Ich sehe auch keinen Weg, dass wir darauf verzichten könnten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ansonsten ist der SPD-Entschließungsantrag in einigen Punkten überflüssig, in einer gewissen Tendenz aber durchaus gut gemeint. Man merkt dem Antrag an, dass Sie den Dingen in der Schulpolitik in Niedersachsen immer hinterher hecheln. Die Regierung ist Ihnen auf hohem Niveau einfach immer ein paar Monate voraus.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir setzen alles daran, dass die Grundschule in Niedersachsen wieder zum Bildungsfundament werden kann. Wir werden dann in einigen Jahren auch innerdeutsche Leistungsvergleiche nicht mehr scheuen müssen. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die SPD-Fraktion hat zusätzliche Redezeit beantragt. Ich gebe Ihnen bis zu drei Minuten. Frau Eckel, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren und vor allen Dingen liebe Kollegin Pfeiffer! Sie haben zu Beginn Ihrer Rede den Lehrerinnen und Lehrern der Grundschulen für ihre gute Arbeit gedankt, die sie leisten. Das ist auch in der IGLUStudie bestätigt worden. Sie haben dann allerdings zu einem Rundumschlag ausgeholt, indem Sie Kuschelpädagogik der tollsten Art und Weise dargestellt haben. Anschließend haben Sie den zuerst gelobten Lehrerinnen und Lehrern eine schallende Ohrfeige versetzt. Ich finde es nicht richtig, so mit den Lehrkräften an Grundschulen umzugehen.