Protocol of the Session on October 29, 2003

Das Wort hat Herr Bartling von der SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In die Beurteilung, wem der Kürbis am ähnlichsten sieht, will ich mich nicht einschalten. Ich hatte nur überlegt, ob ich jetzt neidisch werden müsste, dass es mir in viereinhalb Jahren Amtszeit nicht gelungen ist, einen so schönen Preis verliehen zu bekommen, habe mich dann aber entschieden, nicht neidisch zu sein, sondern mich in der Sache mit dem Gesetzentwurf auseinander zu setzen.

Ich halte es durchaus für nicht verkehrt, dass hierzu eine Aktuelle Stunde beantragt wurde. Denn für mich war neu, dass die FDP in Gestalt von Herrn Rösler sagt, dass man durchaus noch Überlegungen anstelle, zu Veränderungen zu kommen. Das höre ich sehr wohl, und ich wäre sehr dankbar, wenn man in einigen Bereichen noch zu Veränderungen käme. Deswegen will ich wenige Punkte über das hinaus, was Herr Lennartz schon gesagt hat, nennen, um deutlich zu machen, dass aus meiner Sicht mit einem großen Teil dieses Gesetzes versucht wird, Scheinsicherheit nach außen zu dokumentieren, in der Sache aber relativ wenig bewegt wird. Ich nenne einmal Stichworte.

Der Ordnungsbegriff wird wieder eingeführt. Das verändert aber an der gesetzlichen Realität in Niedersachsen überhaupt nichts.

Man weitet bestimmte Dinge aus: Identitätsfeststellung. Bisher hat man gesagt, dass man dann, wenn sich jemand irgendwo aufhält, unter bestimmten Voraussetzungen die Identität feststellen kann. Jetzt reicht es, dass man angetroffen wird.

Der Unterbindungsgewahrsam wird von vier auf zehn Tage ausgeweitet. Der Innenminister hat uns vor kurzem auf eine Mündliche Anfrage mitgeteilt, dass in den Jahren 2001 und 2002 die Höchstdauer des Unterbindungsgewahrsams von vier Tagen bei zwei Personen ausgeschöpft worden sei. Warum der Unterbindungsgewahrsam auf zehn Tage erweitert werden soll, ist unerfindlich.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Das ist aber in der Anhörung gesagt worden, Herr Bartling!)

Ich hoffe nur, dass es nichts damit zu tun hat, dass man Angst davor hat, polizeiliche Lagen zukünftig nicht mehr bewältigen zu können.

Finaler Rettungsschuss: Auch hiermit wollen Sie nach unserer Auffassung den Beamtinnen und Beamten eine Scheinsicherheit vermitteln.

(Reinhold Coenen [CDU]: Die begrü- ßen das doch!)

Wir schlagen Ihnen vor, einmal nach Bremen zu schauen. Dort ist von der Großen Koalition etwas entschieden worden, was tatsächlich Rechtssicherheit für den einzelnen Beamten bringt, nämlich die endgültige Entscheidung durch den handelnden Beamten, ob er schießt oder nicht. Wenn Sie eine solche Lösung mittragen würden, dann könnten wir uns dazu durchaus verstehen.

Den letzten Punkt, zu dem Herr Lennartz ausführlich etwas gesagt hat, will auch ich hier gerne beleuchten. Meine Damen und Herren, wer Telefone überwachen will, wer Telefone abhören will, sollte zumindest einmal zuhören, was einem dazu gesagt wird. Aber diese Bereitschaft scheint bei der Mehrheit nicht vorhanden zu sein.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Schünemann, Sie haben den von mir außerordentlich geschätzten ehemaligen Direktor der Polizei in Lüneburg, Herrn Reime, zitiert. Hierzu

muss ich Ihnen mit allem Ernst Folgendes sagen: Wir sollten in der Tat auf Praktiker hören und sollten in unsere Entscheidungen auch die Meinungen von Praktikern einbeziehen. Aber was in einem Gesetz geregelt wird, hat der Gesetzgeber nach Abwägung aller Stellungnahmen zu entscheiden. Wir dürfen nicht nur das, was uns die Praktiker sagen, in Gesetzesform gießen. Wenn wir das machten, hätten wir unsere Aufgabe nicht richtig wahrgenommen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir müssen hierzu also weitere Überlegungen anstellen. Ich darf an dieser Stelle denjenigen zitieren, der wirklich Praktiker ist:

„Ein praktischer Mehrwert“

- für Telefonüberwachungen in der Form, die Sie vorsehen

„für Polizei und Justiz ist von ihr“

- der Gesetzesänderung

„im Ergebnis nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Sollte dieses Gesetzesvorhaben so umgesetzt werden, besteht die Gefahr, dass dadurch Schaden für die strafrechtlich unerlässliche Telekommunikationsüberwachung entsteht - und damit Schaden für die Effizienz der Bekämpfung der organisierten und sonstigen schweren Kriminalität insgesamt.“

Man sollte einem solchen Praktiker einmal zuhören. Wenn hier so schlank behauptet wird, dass das verfassungsrechtlich überhaupt kein Problem sei, darf ich einmal daran erinnern, dass ähnliche Bestimmungen in anderen Bundesländern, z. B. in Bayern

(Glocke der Präsidentin)

- ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin -, zurückgezogen worden sind, weil man Bedenken bekam, so etwas umzusetzen. Nun kann es sein, dass man heute mit einer Zweidrittelmehrheit so etwas wieder auf den Weg bringt. Aber vor der Landtagswahl hat man den Entwurf wegen rechtsstaatlicher Bedenken zurückgezogen. Ich hoffe, dass wir mit der Aktuellen Stunde einen kleinen Beitrag dazu leisten konnten, dass Sie noch einmal in sich gehen und überlegen, ob man von ei

ner solchen Bestimmung, die ich für nicht umsetzungsfähig halte, nicht ablassen sollte. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Zu Punkt a) spricht noch einmal Herr Professor Lennartz.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich auf ein paar Bemerkungen kurz reagieren.

Herr Biallas, Sie haben - mit meinen Worten wiedergegeben - davon gesprochen, ich sei eigentlich ganz in Ordnung, aber der grüne Dunstkreis führe offensichtlich zu solchen Merkwürdigkeiten wie dieser Aktuellen Stunde zu dem Thema. Ich wusste bislang nicht, dass der Generalstaatsanwalt Range aus Celle zum grünen Dunstkreis gehört.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Denn er hat die Kritik in unnachahmlicher Deutlichkeit formuliert.

Herr Schünemann, Sie haben gesagt, Sie fänden es absurd, dass im laufenden Gesetzgebungsverfahren eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt und realisiert werde, und das sei eine Showveranstaltung. Diese Beurteilungen weise ich ganz entschieden zurück. Es geht mir wirklich um die Sache, und es geht mir wirklich um die Frage, ob - ich habe mich auf einen aus meiner Sicht besonders gravierenden Grundrechtseingriff beschränkt - bei allem Verständnis für die Praxisinteressen der Polizei in der Zukunft noch rechtsstaatlich agiert wird. Ich finde, dass man sich die Zitate aus der Anhörung, die ich angeführt habe, noch einmal auf der Zunge zergehen lassen sollte.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Schünemann, Sie sagten, das Ganze sei ein völlig rechtsstaatliches Verfahren. Ich muss Ihnen dazu sagen: Bitte lesen Sie die Stellungnahme des GBD, die nach Aussagen des GBD mit Ihrem Haus

abgestimmt ist. Lesen Sie die Ausführungen des GBD auf Seite 21 der Vorlage - ich werde sie hier nicht zitieren -, aus denen eindeutig hervorgeht, dass die Regelungen zumindest in einer Hinsicht verfassungsrechtlich mindestens erheblich bedenklich sind; das ist eine vorsichtige Formulierung.

Nehmen Sie doch bitte einfach einmal Folgendes zur Kenntnis: Wenn im Dezember abgestimmt wird, kann man natürlich Änderungsanträge einbringen. Aber jetzt gibt es noch die Möglichkeit, auf der Ebene des Innenausschusses zu einem nach meinem Dafürhalten besonders gravierenden Punkt eine Kurskorrektur vorzunehmen.

Zu Herrn Rösler und zur FDP-Fraktion: Herr Rösler, Sie haben die grüne Bundestagsfraktion und die Schily I- und II-Sicherheitspakete angesprochen. Ich erwähne den Antrag Ihrer Bundestagsfraktion vom 25. September, der sich mit der rechtsstaatlichen Sicherung der Telefonüberwachung befasst. Ich finde diesen Antrag in der Sache verdienstvoll und seriös. In der Begründung heißt es an einer Stelle, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte - vielleicht hat das auch für Sie als Landtagsfraktion eine gewisse Bedeutung -:

„Insbesondere die Einführung von vorbeugenden Telefonüberwachungen ohne konkreten Tatverdacht ist abzulehnen. Die Telefonüberwachung ist auf die Strafverfolgung im Rahmen eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens zu beschränken und nicht auf die präventive Gefahrenabwehr auszudehnen.“

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das ist die Auffassung der Bundestagsfraktion der FDP.

Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie eine Evaluierungsregelung vorgesehen haben.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Eine Be- fristung!)

- Eine Befristung. - Das ist zugegebenermaßen doch immerhin etwas. Aber ich finde, es ist noch zu wenig. Sie haben mehrfach deutlich gemacht, dass Sie Probleme mit dieser Bestimmung im Polizeigesetz haben. Warum gehen Sie nicht noch einmal - auch im Hinblick auf die Vorstellungen

und Positionen Ihrer Bundestagsfraktion - mit Ihrem Koalitionspartner in Klausur, um diese Frage erneut zu diskutieren? Es könnte an dieser Stelle eine breite Übereinstimmung geben.

Deswegen bitte ich einfach, das hier nicht als Showveranstaltung abzuqualifizieren, sondern in der Sache als ein ernsthaftes Anliegen wahrzunehmen. - Schönen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das Wort hat Herr Jörg Bode von der FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bartling, ich finde es schon sehr schön, dass Sie heute gesagt haben, man sollte, wenn man abhören möchte, doch demjenigen, der darüber etwas sagt, zuhören. Das finde ich deshalb besonders interessant, weil Sie es doch waren, der am zweiten Tag, als die von den Grünen und von der CDU benannten Experten zu der Frage der Telefonüberwachung geredet haben, gar nicht anwesend war und so gar nicht zuhören konnte. Das gehört dann auch zur Wahrheit.

(David McAllister [CDU]: Ach! - Bernd Althusmann [CDU]: Hört, hört!)

Wenn man über diesen Paragrafen redet, dann gehört auch zu der Wahrheit und Klarheit, dass man ihn vorher in Gänze gelesen hat. Ich muss Ihnen sagen, Herr Bartling, meine Fraktion wartet heute immer noch darauf, dass sich irgendjemand einmal entschuldigt, der vorher durch die Lande gezogen ist und behauptet hat, in dem Entwurf der Fraktion stehe kein Richtervorbehalt. Genau das Gegenteil ist der Fall, und dann ist es nicht ehrlich, entsprechendes in der Öffentlichkeit zu verkünden.