Protocol of the Session on September 19, 2003

Lassen Sie von der CDU-Fraktion - auch Sie, Frau Körtner; reden Sie nicht immer dazwischen - Ihren Reden endlich einmal Taten folgen und tun Sie etwas für unsere Familien und unsere Kinder.

(Beifall bei der SPD - David McAlli- ster [CDU]: Gestern haben Sie uns doch einen verfassungswidrigen Haushalt vorgeworfen!)

Vielen Dank. - Frau Bertholdes-Sandrock hat das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der uns vorliegende Antrag der SPD-Fraktion fordert Lernmittelfreiheit und verweist als Erstes - die Kollegin Seeler hat das auch mündlich noch einmal getan - auf den Rückgang der Geburtenzahlen, der durch eine finanzielle Entlastung der Familien gestoppt werden soll. Mir erscheint es höchst fraglich, ob die Beibehaltung der Lernmittelfreiheit ein geeignetes Mittel ist, um die Geburtenzahlen zu steigern.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der Rückgang der Geburtenzahlen - das wissen Sie alle oder zumindest Eingeweihte - hat ganz andere Gründe als bloße finanzielle Belastungen; Stichwort: Veränderung des generativen Verhaltens. - Übrigens, die höchsten Geburtenzahlen hatten wir in Deutschland zu einer Zeit, als wir keine Lernmittelfreiheit hatten. Dies zeigt, wie unsinnig diese Kausalität ist.

(Beifall bei der CDU)

Ich fürchte, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, wir werden uns ganz andere

Mittel überlegen müssen, wenn wir die Geburtenzahlen in Deutschland steigen lassen wollen, als die Lernmittelfreiheit beizubehalten.

Mich wundert eigentlich auch der Zeitpunkt, zu dem Sie Ihren Antrag eingebracht haben. Es ist bei jedem Antrag die Frage zu stellen: Ist jetzt der richtige Zeitpunkt? - Ich sage Ihnen nur eines - das ist allen bekannt -: Die katastrophale Haushaltslage

(Unruhe bei der SPD)

- es kommt noch ein entscheidender Nachsatz, der speziell für Sie gedacht ist -, Ihre Schulden von gestern, die wir heute mit den Zinslasten zurückzuzahlen haben, werden die Steuern von morgen für unsere Kinder sein,

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

es sei denn, wir gebieten dem drastisch Einhalt. Dabei ist die jetzige Landesregierung.

(Uwe Schwarz [SPD]: Die macht ge- nau das Gegenteil! - Weiterer Zuruf von der SPD)

- Sparen Sie sich das Geld für die Frauenbeauftragten und behandeln Sie die Frauen gleichberechtigt. Fangen Sie mit mir an, indem Sie mir jetzt zuhören.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Diese Landesregierung hat eindeutig Prioritäten gesetzt, z. B. im Schulbereich. Ich fand es erstaunlich - ich bin ja neu in diesem Landtag -, dass alle Ressorts extrem solidarisch zusammengestanden haben, um diese großartige Aufgabe zu leisten. Dieses Verdienst der Landesregierung sollten wir anerkennen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Natürlich, meine Damen und Herren, wollen wir vernünftig sparen. Deshalb frage ich: Wie funktioniert die Lernmittelfreiheit derzeit eigentlich in der Praxis? Gerade in diesen Tagen ist das Ganze ja wieder in den Schulen gelaufen. Damit wird eine enorme Verwaltungsleistung gebunden: durch die gesamte zentrale Ausgabe, das Einsammeln, das Einräumen und das Sortieren. Das macht in der Tat Entlastungsstunden für Lehrer nötig. Die gibt es, und die werden aus dem allgemeinen Topf ge

nommen. Bräuchten wir sie nicht, stünden diese Stunden für den Unterricht zur Verfügung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Im Übrigen - daran können wir nicht so einfach vorbeihuschen - reden wir nicht nur über 100 oder 200 Bücher. Eine mittelgroße Schule hat einen Bestand von nahezu 10 000 Bänden. Das müssen Sie verwalten, das ganze Jahr über, mit Leihkartensystemen, mit schriftlichen Mahnverfahren, mit Ersatzbeschaffungen usw. Am Anfang des Schuljahrs müssen Sie die Bücher sogar noch einmal kontrollieren, damit der arme Teufel, der versehentlich ein kaputtes Buch bekommen hat - was vorher niemand gemerkt hat -, nicht nach einem halben Jahr dafür verantwortlich gemacht wird.

Sehen Sie also einmal in die Praxis der derzeitigen Lernmittelfreiheit! Dann wird Ihnen klar, dass wir das nicht halten können. Das hat uns jede Menge Zeit und Arbeit gekostet.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Hinzu kommt: Die Bücher wurden am Anfang des Schuljahres nicht schnell genug ausgegeben und am Ende des Schuljahres zu früh eingesammelt. Das heißt, die Unterrichtseffektivität ist gesunken.

Auch das Lernen - ich bin dankbar, dass die Kollegin Seeler es angesprochen hat; sie hat es nur nicht gesagt - war nicht so effektiv, weil die Schüler mit den Büchern ja nie wirklich arbeiten könnten. Sie durften nichts unterstreichen, sie durften keine Randbemerkungen machen, keine Querverweise anbringen usw.; denn das Buch war geliehen und musste sauber abgegeben werden. Dies mindert die Effektivität. Und diejenigen, die sich nicht daran gehalten haben, haben die Effektivität für den nächsten Schüler gemindert, weil der dann ein bekritzeltes Buch bekommen hat.

Diese Missstände, meine Damen und Herren, wollen wir beseitigen. Wir können uns nichts leisten, was teuer ist und nichts bringt.

(Beifall bei der CDU)

Wenn wir die Bücher selbst kaufen lassen oder eine Kostenbeteiligung einführen, hat das den eindeutigen Vorteil, dass die Wertschätzung für Bildung und Bücher steigt. Auch hier gilt schließlich das Motto: Was nichts kostet, ist auch nichts wert.

Frau Kollegin Seeler, ich wundere mich, dass Sie gesagt haben - Sie kommen doch aus dem Schuldienst, wenn ich das richtig mitbekommen habe -, Sie kritisieren, dass Bücher verkauft werden sollen. Je nach Schüler und nach Fach, vor allem mit ansteigendem Lebensalter, sind die Intensität und die Art der Arbeit mit Büchern ganz verschieden. Wenn Sie selber Ihre Bücher kaufen müssen, haben Sie immer einen Anteil, der sich weiterzuverkaufen lohnt. Das minimiert eindeutig die Kosten, zumal dann, wenn das Buch geschont wurde, und erzieht zur Selbstdisziplin.

(Amei Wiegel [SPD]: Aber dann darf man auch nichts reinschreiben!)

Natürlich gibt es verschiedene Modelle, nicht nur das des individuellen Eigentums am Buch. Wir werden darüber zu reden haben, welche der Modelle wir bevorzugen.

(Silva Seeler [SPD]: Sagen Sie doch mal, was!)

Ich nehme die Frage, die aus Ihrem Antrag hervorgeht, sehr ernst, nämlich: Was kann man Eltern zumuten? Wir stellen erst einmal fest: Es gibt nicht nur die Reichen in diesem Land, sondern es gibt eine Menge Menschen - wir können sagen, zum Glück -, die die Bücher ihrer Kinder bezahlen oder sich an ihren Kosten beteiligen können. Die sozial Schwächeren können von Kostenerstattungen profitieren, und Geschwisterkinder können die Bücher ihrer älteren Geschwister weiter nutzen.

Nun ein Wort zu den Stigmatisierungen, die Sie befürchten. Ich sehe die nicht! Ich will Sie einmal andersherum in aller Deutlichkeit: fragen: Wollen Sie allen Ernstes allen Schülern alles geben, egal was es kostet, bloß damit nicht auffällt, wer es wirklich braucht? - Das kann doch nicht wahr sein.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Eine solche Verhaltensweise wäre eklatant ungerecht. Denn wenn Sie Ungleiche gleich behandeln, schaffen Sie noch längst keine Gerechtigkeit. Ich glaube, das wissen Sie.

Außerdem wäre es reine Verschwendung. Das kann man allenfalls in Zeiten voller Kassen machen. Das Bedauerliche ist aber, dass Sie das in den letzten Jahren getan haben, obwohl die Kassen leer waren.

(Wolfgang Wulf [SPD]: Wann waren die Kassen in Niedersachsen voll?)

Deswegen ist unsere Finanzsituation ja auch so, wie sie ist. Das ist Ihre Schuld. Auch die Diskussion, die wir jetzt führen, haben Sie mit verursacht. Wir machen das nicht mit. Die Bürger erwarten zu Recht, dass wir mit den geringen Mitteln optimal umgehen.

Wir ziehen niemandem unnötig das Geld aus der Tasche, sagen aber: Bei stark erhöhten Leistungen für die Bildung - die haben wir mit den 2 500 zusätzlichen Lehrern, mit dem Hauptschulprofilierungsprogramm, mit der zusätzlichen Sprachförderung - erwarten wir einen Beitrag von denen, die die Bildung in Anspruch nehmen, und zwar in Abhängigkeit von ihrer individuellen Leistungsfähigkeit. Meine Damen und Herren, das ist angemessen und sozial gerecht.

Im Übrigen - das sage ich zur SPD, die ja immer meint, sie habe das Privileg bei der Förderung sozial Benachteiligter -:

(Wolfgang Wulf [SPD]: Haben wir auch!)

So fördern wir sozial Benachteiligte wirklich, und zwar stärker, als Sie das zuvor gemacht haben. Denn sie bekommen weiterhin ihre Bücher und haben obendrein z. B. die frühe Sprachförderung.

(Beifall bei der CDU)

Zum Schluss: Wenn Sie jetzt die Lernmittelfreiheit fordern, aber vor ein paar Wochen lautstark gesagt haben, wir könnten uns die 2 500 Lehrer aus Kostengründen nicht erlauben, dann frage ich natürlich schon nach der inneren Logik Ihres Spargedankens. Aber ich verstehe, Sie haben sich geärgert. Wir haben unser Wahlversprechen wahr gemacht. Wir haben allen Unkenrufen zum Trotz sogar die Lehrer gefunden, und die Sache funktioniert. Ich vermute, Sie hätten die Lehrer nicht eingestellt, aber die Bücher bestellt, und die Situation wäre so fatal wie zuvor.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Bilanz: Die Lernmittelfreiheit ist nicht so gelaufen, wie wir uns das gewünscht haben. Die Bilanz ist negativ. Das Fazit: Die Lernmittelfreiheit wird abgeschafft, weil Kosten und Nachteile in keinem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen ste

hen. Die Bildungsqualität wird in Zukunft aber davon unberührt bleiben.

Deswegen ist die Abschaffung der Lernmittelfreiheit in der derzeitigen Situation nicht nur ein vertretbarer, sondern ein sehr vernünftiger Weg. Ich lade Sie ein, ihn mit uns zu gehen. - Vielen Dank.