Protocol of the Session on December 12, 2007

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Managerabfindungen und -gehälter haben in den vergangenen Jahren wirklich schwindelerregende Höhen erreicht. Das immer stärkere Auseinanderklaffen der Bezüge am oberen Ende und der geringen Einkommen am anderen Ende ist inzwischen zu einer ernsthaften Bedrohung der Grundlagen unseres gesellschaftlichen Konsenses

geworden. Während die Bezüge der DAXVorstandschefs - dabei sind Aktienoptionen nicht eingerechnet - in den vergangenen vier Jahren um 62 % anstiegen, mussten sich Arbeiter und Angestellte mit lumpigen 2,8 % zufriedengeben. Während über 600 000 Menschen selbst von einem Vollzeitarbeitsplatz nicht leben können, schieben sich die Vorstände deutscher Unternehmen immer höhere Millionenbeträge zu.

In diesen Männerbünden hat sich in den letzten Jahren eine Kultur der Schamlosigkeit breitgemacht. Man will und bekommt exorbitante Gehälter, ohne bereit zu sein, selbst das geringste Risiko zu tragen. Das Risiko tragen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer allein. Der frühere Vorstandsvorsitzende von DaimlerChrysler setzte riesige Investitionssummen in den Sand, und zum Dank erhielt er einen Extrabonus von geschätzten 50 Millionen Euro aus Aktienoptionen. Das ist kein goldener Handschlag mehr; dieser Handschlag ist schon eher aus Platin. Ich finde das unanständig.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Je mehr Arbeitsplätze abgebaut werden, desto höher ist der Bonus der Vorstände. Das ist die Logik des Systems. Je mehr Niedriglöhne vom Steuerzahler subventioniert werden, desto besser ist es für die Aktienkurse. Diese Logik finde ich pervers.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Eine Kaste hebt ab - so schrieb der Spiegel in dieser Woche. Ich glaube das nicht. Da hebt niemand mehr ab. Da leben Menschen längst auf einem anderen Planeten.

Es ist Zeit, über diese Unanständigkeiten offen zu reden. Vor allen Dingen muss die Debatte über Mindestlöhne weitergeführt und zu Ende gebracht werden. Ich finde es unerträglich, wie z. B. die FDP hier reflexhaft reagiert und Mindestlöhne automatisch mit Arbeitsplatzabbau gleichsetzt.

(Jörg Bode [FDP]: Was ist denn mit PIN?)

- Kommen Sie mir nicht mit den Entlassungen bei Axel Springer, Herr Bode! Es ist doch schlicht nicht richtig, wenn Sie behaupten, die PIN-Group entlasse Hunderte von Mitarbeitern, weil sie als Tochterunternehmen nicht in der Lage sei, Mindestlöh

ne zu zahlen. Das ist schlicht die Unwahrheit. Tatsächlich gab es schwerwiegende Fehler im Management der PIN-Gruppe. Über 50 Millionen Euro sind versenkt worden, und zwar ohne Mindestlöhne; denn diese gibt es überhaupt noch nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

An dieser Stelle ist der Schlingerkurs des Ministerpräsidenten überhaupt nicht nachvollziehbar. Wir wissen immer noch nicht genau, Herr Wulff, ob Sie ein bisschen für den Mindestlohn oder ein bisschen dagegen sind. Sie erzählen das eine, und Herr Rösler erzählt das andere. Am 20. Dezember wird im Bundesrat über Mindestlöhne abgestimmt. Wer sich nicht auf den Erpressungsversuch der PIN-Group einlässt, wer dafür ist, dass Menschen Löhne beziehen, von denen sie auch leben können, der muss am 20. Dezember dafür stimmen, dass es in diesem Lande endlich Mindestlöhne gibt. Herr Ministerpräsident, das erwarte ich von Ihnen und von Ihrer Regierung.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion hat nun der Abgeordnete Thiele das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Jüttner und Frau Helmhold, eines finde ich ja gut und in Ordnung, nämlich dass Sie hier in dieser Plenardebatte ein weiteres Mal offenlegen, wo Sie in dieser Gesellschaft stehen: nicht in der Mitte, sondern am linken Rand.

(Beifall bei der CDU - Ursula Helm- hold [GRÜNE]: Wir stehen bei den Anständigen, Herr Thiele! - Weitere Zurufe von den GRÜNEN und von der SPD)

- Warum regen Sie sich eigentlich gleich so auf? Es ist doch eine klare Standortbestimmung, die Sie vornehmen.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Wo ste- hen Sie denn, Herr Thiele? Bei den Unanständigen?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind Bundespräsident Horst Köhler und Bundeskanzlerin Ange

la Merkel sehr dankbar dafür - Ihre Aufregung ist völlig überflüssig -, dass sie den Anstoß für eine sachliche Auseinandersetzung über die Bezahlung der Führungselite in den deutschen Unternehmensspitzen gegeben haben. Diese Debatte richtet sich - das wissen wir alle - in erster Linie nicht an den Gesetzgeber, sondern an die Aufsichtsräte. Es wurde eben so dargestellt, dass sich die Führungsspitzen in Unternehmen gegenseitig die Pfründe zuschieben. Die Wahrheit ist natürlich, dass die Gehälter und auch die Abfindungen - so ist das im Aktiengesetz festgelegt - im Regelfall in den Aufsichtsräten festgelegt werden und dass daran im Wesentlichen auch Arbeitnehmervertreter beteiligt sind. Das ist der Grund dafür, warum sich Arbeitnehmervertreter und führende Gewerkschafter in den letzten Tagen sehr differenziert zu diesem Thema eingelassen haben.

Worüber wir reden müssen, ist die Frage von Unternehmenskultur. Es geht um die Verantwortung von Managern in ihren eigenen Unternehmen, aber auch in unserer Gesellschaft. Ich meine, dass die Managementetagen in den großen Unternehmen Deutschlands auch ein Stück weit Verantwortung dafür tragen, ob und in welchem Umfang Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft herrscht. Es kann nicht sein, dass über Arbeitsbedingungen in Deutschland, wie wir sie ansonsten in Osteuropa vorfinden, und gleichzeitig über Gehaltsentwicklungen in Unternehmensvorständen, die sich immer am dem US-Vorbild orientieren sollen, diskutiert wird. Das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit muss auch in Chefetagen gelten. Wir brauchen eine unvoreingenommene und vorurteilsfreie Diskussion. Wer als Manager gute und erfolgreiche Arbeit leistet, muss auch gutes Geld verdienen. Diesen Satz habe ich bemerkenswerterweise beispielsweise auch von Berthold Huber in den letzten Tagen häufiger gehört. Ich will feststellen, dass für die allermeisten Unternehmensführer gilt, dass sie gute und erfolgreiche Arbeit leisten.

Bei dem, der aber nicht so gute Arbeit abliefert, der sein Unternehmen im Zweifel schlecht führt, muss kritisch hinterfragt werden, ob Millionenabfindungen und Spitzengehälter immer gerechtfertigt waren. Es gibt eben die Beispiele der Essers, der Schrempps, der Reuters, der Ron Sommers, der Gersters, wo am Ende Millionen an Abfindungen gezahlt worden sind, um den goldenen Handschlag zu geben. Das ist der Grund dafür, warum wir diese Debatte in unserer Gesellschaft führen.

Es war beim Thema Postmindestlohn, wie ich finde, ein unerträglicher Zustand, dass wir gleichzeitig, als die PIN-Group erklärt hat, sie müsse wegen des Mindestlohns Tausende von Mitarbeitern entlassen, darüber diskutieren mussten, dass Herr Zumwinkel den steigenden Aktienkurs der Post AG genutzt hat, um Kasse zu machen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das geht nicht, das war nicht in Ordnung - dies hat er inzwischen eingeräumt -, das untergräbt das Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft und in die Unternehmensführung, und das werden wir nicht zulassen. Deshalb haben wir diese Diskussion mit den Unternehmensleitungen begonnen.

(Dorothea Steiner [GRÜNE]: Wollen wir jetzt endlich mal etwas zum Min- destlohn sagen?)

Nun zum Thema Mindestlohn. Ich finde, Sie haben ein bisschen an Ihrer Aufgabenstellung vorbei diskutiert. Ich will Ihnen eines sagen. Sie werden bei uns nur Mitglieder finden, die sagen: Jeder, der ehrlich arbeitet, muss dafür auch anständig bezahlt werden. - Selbstverständlich ist das so. Der Weg, den Sie gehen, ist aber genau das Gegenteil von dem, was Sie vorgeben. Sie sorgen dafür, dass Menschen ihre ehrliche Arbeit verlieren. Wir wissen doch heute, dass die flächendeckende Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns dazu führen würde, dass gerade diejenigen, die sehr, sehr schwer in den Arbeitsprozess einzugliedern sind, die schlecht oder niedrig qualifiziert sind, ihre Arbeit verlieren würden. Dies würde Hunderttausende, wenn nicht sogar über eine Million Menschen betreffen. Unser Weg ist nicht der eines einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns. Unser Weg ist zunächst einmal der von Tarifpartnerschaften und tariflichen Mindestlöhnen, die wir in diesem Land brauchen

(Beifall bei der CDU)

und die dafür sorgen, dass wir Wohlstand und Arbeit in diesem Land haben. Wir reden dann über Kombilöhne und über staatliche Ergänzungsleistungen, um zu erreichen, dass auch diejenigen, die schlecht ausgebildet sind und die auf dem Arbeitsmarkt Schwierigkeiten haben, ihren Platz finden. Was Sie tun, ist Arbeitsplatzvernichtung. Diesen Weg werden wir nicht mit Ihnen gehen.

Noch einen Satz zum Schluss. Herr Jüttner, wenn Sie es im Zusammenhang mit den Managerbezü

gen mit den Themen Unternehmerkultur und politische Kultur ehrlich gemeint hätten, dann hätten Sie dem ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder nach der jahrelangen Funkstille, die zwischen Ihnen und ihm geherrscht hat, spätestens in Celle mit auf den Weg geben müssen, dass es unanständig war, nach politischen Beschlüssen, die er als Bundeskanzler noch selbst mit getroffen hat, in den Aufsichtsrat von Gasprom zu wechseln und dafür ein fürstliches Gehalt zu kassieren mit der Folge, dass in diesem Land die politische Kultur und die Unternehmenskultur zerstört werden. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die FDP-Fraktion hat nun der Abgeordnete Dr. Rösler das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Richtig ist, dass wir alle gemeinsam aufpassen müssen, dass in der sozialen Marktwirtschaft die richtige Balance, das richtige Gleichgewicht zwischen Leistung auf der einen Seite und Vergütung auf der anderen Seite nicht verloren geht.

(Beifall bei der FDP)

Politik - ganz gleich, welcher Richtung - wird kaum in der Lage sein, Gehälter und Arbeitsleistungen richtig zu bewerten und Vergütungen per Gesetz festzulegen.

(Beifall bei der FDP)

Zwar kann und muss man vielleicht auch öffentlich kritisieren, dass Manager auch schlechte Leistungen in Form von hohen Abfindungen honoriert bekommen. Staatlich verhindern kann man solche Maßnahmen aber leider noch lange nicht. Insofern ist es richtig - wie Sie, Herr Jüttner, es gesagt haben -, dass wir hier eine gesellschaftliche Diskussion über Managergehälter führen. Allerdings kommt es dabei dann sehr auf die Schlussfolgerungen an. In dieser Situation nach Gesetzen zu rufen, ist so einfach wie falsch; denn erstens werden Sie kaum eine Regel finden, die in der Lage ist, jeden Einzelfall richtig zu beurteilen und am Ende auch finanziell zu bewerten, und zweitens wird schon bei dem Versuch, eine solche Regel zu finden, das eh schon gestörte Gleichgewicht zwi

schen Leistung auf der einen Seite und Vergütung auf der anderen Seite weiter zerstört.

(Beifall bei der FDP)

Die staatliche Festlegung von Managergehältern, aber auch von Mindestlöhnen ist eben längst nicht mehr soziale Marktwirtschaft, sondern der direkte Weg in die Planwirtschaft. Das Eingreifen des Gesetzgebers in die Lohnfindung ist nicht hilfreich, sondern, meine Damen und Herren, schädlich.

(Beifall bei der FDP)

Die richtige Konsequenz auch aus dieser Debatte müssen nicht die Gesetzgeber ziehen, sondern die Unternehmen und deren Aufsichtsgremien - das wurde hier schon gesagt -, namentlich die Aufsichtsräte und auch die Hauptversammlungen. Natürlich muss man dann über eine Ergänzung auch der Verhaltensregeln für Unternehmensführungen nachdenken. Zum Beispiel könnte man auch die Hauptversammlung mit einem stärkeren Mitspracherecht bei der Festlegung von Vorstandsgehältern und auch bei Abfindungen ausstatten. Gleichzeitig muss man dann aber auch anerkennen, dass die bisherigen Gremien - z. B. die Aufsichtsräte - eher wenig effektiv gewesen sind, um ein offensichtliches Ungleichgewicht zwischen Leistung und Vergütung zu verhindern, obwohl - auch das wurde hier schon gesagt - in den Aufsichtsräten zur Hälfte ja auch Arbeitnehmer und bei staatlichen Unternehmen größtenteils sogar auch Politiker mit vertreten sind. Deshalb finde ich es etwas unseriös, wenn man sich über hohe Managergehälter aufregt und auch den Postvorstandsvorsitzenden namentlich nennt, zuvor aber im Aufsichtsrat als Politiker solche Gehälter mit abgesegnet hat. Da haben sich Arbeitgeber, Anteilseigner und Arbeitnehmer untergehakt und genau solche Vorstandsgehälter genehmigt. Die Verantwortung ist manchmal auch auf politischer Seite zu finden.

(Beifall bei der FDP)

Die Kernaussage der sozialen Marktwirtschaft, dass sich Leistung lohnen, dass aber auch jeder nach seiner Leistung entlohnt werden muss, wird in der Tat zunehmend geschwächt. Deshalb brauchen wir im unteren Lohnsegment aus unserer Sicht ein Mindesteinkommen, aber keinen Mindestlohn. Wir haben hier schon mehrfach über die Unterschiede debattiert. Dieses Prinzip muss dann aber auch bei den Vorstandsgehältern gelten. Vorstände, die viel und Gutes leisten, können viel und

gutes Geld verdienen, schlechte Vorstände aber eben nicht.

(Beifall bei der FDP)

Dieses Prinzip wird im Mittelstand in Deutschland schon seit Jahrhunderten gepflegt. Dieses Prinzip galt dort und wird dort auch weiterhin gelten. An diesem Prinzip sollten sich große DAX-Konzerne durchaus orientieren. Das wäre ein sinnvoller Beitrag zur Stärkung der sozialen Marktwirtschaft. Alle anderen Maßnahmen, die Sie vorschlagen, führen am Ende nur zur Arbeitsplatzvernichtung. Auch diese Diskussion haben wir schon geführt. Sind Mindestlöhne zu niedrig, machen sie keinen Sinn. Sind sie zu hoch, vernichten sie alle anderen Arbeitsplätze, die in der Wertschöpfung darunterliegen. Das sehen wir zurzeit beim privaten Briefzustellungsbereich. Ich möchte in diesem Zusammenhang nicht nur die PIN-Gruppe sehen, sondern auch andere Branchen, die sich diese Löhne schlicht nicht mehr leisten können. Meiner Meinung nach kommt erschwerend hinzu, dass Sie hiermit einem Monopolisten den Rücken stärken. Am Ende führt dies dazu, dass auf dem Markt nur noch ein Bewerber übrig bleiben wird, der dann dem Verbraucher die Preise wieder diktieren wird. Diese Preise wird niemand mehr tragen können. Und auch diese Maßnahme führt zu einer Verteuerung der Preise für die Menschen in unserem Lande. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Für die Landesregierung hat Ministerpräsident Wulff das Wort.