Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sind hier mit der Erklärung angetreten, Sie machten es auf landespolitischer Ebene besser. Deswegen werden wir jetzt einmal ins Gesetz schauen. - Herr Finanzminister, es ist ja interessant, dass Sie sich jetzt so engagiert an dieser Debatte beteiligen.
Haben wir denn wirklich große substanzielle Veränderungen in diesem Vollzugsgesetz, ist insbesondere das eingearbeitet worden, was die Wissenschaft und die Experten seit Jahren fordern? Ich gebe zu, es ist lange nicht so schlimm geworden, wie ich es anfangs befürchtet hatte. Die Eckpunkte am Anfang waren wirklich schrecklicher als das, was am Ende herausgekommen ist. Aber wir müssen ehrlicherweise auch sagen: Der große Wurf nach vorne, was Modernität oder Innovation angeht, ist das neue Strafvollzugsgesetz wahrlich nicht. Vielmehr ist in dieses Gesetz viel schwarze Pädagogik eingeflossen. Wir haben heute keinen mutigen Aufbruch in die Moderne zu verzeichnen.
Beginnen wir mit der Regelungstechnik. Es war in der ganzen Debatte umstritten, ob wir ein einheitliches Gesetz brauchen. Wir haben dazu eine Anhörung im Rechtsausschuss gemacht, an der sehr viele namhafte Leute teilgenommen haben, bekannte Strafrechtler ebenso wie Strafvollzugsbedienstete. Niemand in dieser Debatte hat, wenn ich mich recht daran erinnere, gesagt, es sei gut und vernünftig, es in einem einheitlichen Gesetzbuch zu regeln, dann werde es verständlicher und besser. Alle, an die ich mich erinnern kann, haben gesagt: Packt das nicht in ein einheitliches Gesetz, weil es dann schwieriger, unverständlicher und komplexer wird. - Das ist es jetzt am Ende auch geworden. Es ist wirklich nicht unbürokratischer oder leichter verständlich. Es war also falsch, dass Sie ein einheitliches Gesetzbuch vorgelegt haben.
Richtig ist, dass sich in den Gesetzesberatungen einiges verbessert hat. Daran hat - Sie haben es angesprochen, Frau Ministerin - auch der GBD Anteil. Er macht die Gesetze manchmal zwar nicht
Der umstrittene Chancenvollzug sieht jetzt wesentlich besser aus; das muss man zugestehen. Am Anfang gab es sehr viel Kritik daran; es wurde gesagt, man könne gerade mit gefährlichen Straftätern nicht so umgehen, dass sie auf den Basisvollzug zurückgestuft würden und am Ende keine Behandlung mehr bekämen, sodass sie gefährlicher aus den Gefängnissen herauskommen, als sie hineingekommen sind. Was wir jetzt regeln, ist sehr vernünftig: dass nämlich die Gefangenen nur eine Maßnahme nicht länger bekommen, wenn diese nicht wirkt, aber nicht insgesamt aus der Resozialisierungsbehandlung ausgeschlossen werden. Der Chancenvollzug ist also deutlich entschärft worden.
Eine klare Verschlechterung in diesem Gesetz, eine wirklich repressive Kehre ist aber die sogenannte Zellenmehrfachbelegung, die Sie hier durchgesetzt haben. Das ist ein altes Projekt, an dem Sie sich immer schon abgearbeitet haben. Sie wollen unbedingt die Möglichkeit haben, von Staatsseite mehr Gefangene in einer Zelle unterzubringen.
Sie wissen, dass es sehr viel Kritik daran gegeben hat; darüber können Sie heute auch mit den Praktikern reden, Herr Nacke. Natürlich wird Ihnen jeder niedersächsische Anstaltsleiter sagen, dass es ein großer vollzuglicher Fortschritt war, dass das Recht auf eine Einzelzelle durchgesetzt wurde. Das hat gar nichts mit Kuschelpädagogik zu tun, sondern es ist einfach resozialisierungsfreundlicher, weil man Subkulturen vermeidet.
Es war ein großer Fortschritt in der Resozialisierungspolitik, und heute machen wir in diesem Bereich in Niedersachsen den Rückschritt. Wenn Sie sich einmal den Siegburger Vorfall vergegenwärtigen - da wurde ein Strafgefangener von anderen Strafgefangenen in einer Mehrfachzelle zu Tode gefoltert -,
dann sollten Sie sich sehr gut überlegen, ob Sie eine Zellenmehrfachbelegung jetzt in Niedersachsen wieder einführen wollen.
Im Übrigen gibt es überhaupt keine Notwendigkeit dafür. Wir haben mittlerweile mehr neue Anstalten in Niedersachsen. Das haben allerdings nicht Sie zu verantworten, Frau Heister-Neumann; mit dieser Feder sollten Sie sich nicht schmücken. Das hat die Vorgängerregierung geplant.
- Ja, natürlich! Das ist doch ein lange von der Vorgängerregierung geplantes Projekt. Jetzt haben Sie das Problem der Überbelegung nicht mehr.
Aber Sie haben wenig Vertrauen in Ihre eigene Kriminalprävention, wenn Sie sagen, wir brauchten die Zellenmehrfachbelegung wieder im Gesetz, obwohl es faktisch keine Notwendigkeit dafür gibt.
Hartherzigkeit auch bei den Paketen: Es sind keine Nahrungsmittel mehr erlaubt. Da zeigt sich auch der Konservativismus, der Stellenwert von Mutter, Frau und Kindern. Sie erlauben es nicht mehr, dass Mama oder die Kinder dem Strafgefangenen einen Kuchen schicken. Das halte ich für sehr hartherzig.
Natürlich gibt es auch einige Lichtblicke in diesem Gesetz. Es wird sich daran messen lassen müssen, ob die durchgängige Betreuung funktioniert. Das ist die entscheidende Schnittstelle; da muss sich einiges verbessern.
Die Jugendlichen hätten wirklich ein eigenständiges Gesetz verdient, so wie wir Ihnen das vorgeschlagen haben; das wissen Sie auch. Wir haben ein eigenständiges Jugendgerichtsgesetz in diesem Lande, und natürlich hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil auch gesagt, dass dies eine eigenständige, autonome Materie sei. Es ist nicht besonders fair, wie Sie hier mit den Jugendlichen umgehen und dies einfach in einem Gesetz verkleistern. Es ist nicht anwenderfreundlich, sondern es ist exekutivfreundlich. Die Mehr
Herr Briese, Sie dürfen den Präsidenten nicht belügen. Sie hatten vor vielen Sätzen gesagt, jetzt komme Ihr letzter Satz.
Das ist jetzt wirklich mein letzter Satz, Herr Präsident. - Die Mehrheitsfraktionen werden sich daran messen lassen müssen, ob die Rückfälle in Niedersachsen künftig höher ausfallen. Wenn sie höher ausfallen, haben Sie es zu verantworten. Wir werden dieses Gesetz jedenfalls nicht mittragen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zu Ihrer Information, damit sich die Redner darauf einstellen können: Die Fraktionen sind übereingekommen, dass die Tagesordnungspunkte 13 und 18 ohne Beratung abgestimmt werden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Strafvollzug war für die Föderalismuskommission das falsche Thema. Das habe ich oft genug gesagt. Deswegen will ich mich damit heute nicht mehr aufhalten. Das ist Schnee von gestern.
Wenn das neue Justizvollzugsgesetz gleich beschlossen ist, werden Sie auf der rechten Seite des Hauses wieder jubeln und sich gebärden, als hätten Sie den Jackpot gewonnen. Dieses Gesetz ist aber alles andere als ein Hauptgewinn.
Spätestens bei der Anhörung zu diesem Machwerk hätte Ihnen das klar sein müssen. Über 30 Fachleute haben heftigste Kritik geübt, aber Sie mit Ihrer Selbstherrlichkeit und Beratungsresistenz wollten das ja nicht wahrnehmen. Andere Bundesländer verhalten sich klüger und besonnener als Niedersachsen und gestalten erst einmal ein Jugendvollzugsgesetz, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert. Frau Ministerin, Sie regeln Ju
gendvollzug, Erwachsenenvollzug und U-Haft in einem Gesetz. Das ist unsinnig, aber natürlich dem Wahltermin geschuldet. Eigenständig, wie vom Verfassungsgericht gefordert, ist der Abschnitt Jugendvollzug in Ihrem Gesetz nicht. Von knapp 200 Paragrafen befassen sich ganze 19 mit dem Jugendvollzug. Es gibt aber immerhin 70 Verweisungen auf den Erwachsenenvollzug, auch wenn sie jetzt nicht mehr einzeln aufgeführt sind, sondern etwas anders formuliert wurden. Inwieweit das dann noch eigenständiger Jugendvollzug ist, müssten Sie erst einmal erklären.
Ansonsten haben Sie gerade einmal die Mindeststandards eingehalten: Erziehung, Bildung, Ausbildung, vier Stunden Besuch im Monat, Wohngruppenbezug mit Einzelunterbringung in der Ruhezeit. Die Einzelunterbringung, die in vielen Gerichtsurteilen festgelegt worden ist, schränken Sie durch einen fiskalischen Vorbehalt wiederum ein. Das ist aus unserer Sicht verfassungsrechtlich bedenklich.
Beim Erwachsenenvollzug waren wir durch Ihr einheitliches niedersächsisches Vollzugskonzept schon vorgewarnt. Genauso stark populistisch geprägt wie dieses Papier ist die Tendenz Ihres Gesetzes. Die wichtigste Zielsetzung des Strafvollzuges, die Resozialisierung, wird hinter die Sicherheit während der Haftzeit zurückgedrängt. Frau Heister-Neumann, Sie machen damit eine Stammtischforderung zur offiziellen Politik dieser Landesregierung. Der Bevölkerung wird eine falsche Sicherheitsphilosophie vorgegaukelt. Sicherheit nach der Haft ist für die Bürger die entscheidende Sicherheit. Diese kann nur durch Resozialisierung erreicht werden.
Diese Sicherheit wird vornehmlich durch das gut ausgebildete Personal gewährleistet und nicht durch 1 001 Videokameras und überdimensionierte Stacheldrahtrollen.
Weil die Zeit knapp ist, kann ich nur zu einigen Stichworten aus dem Erwachsenenvollzug Anmerkungen machen. Als erstes Stichwort nenne ich den Chancenvollzug. Das neue Lieblingswort der Ministerin ist im Grunde nichts weiter als eine Nebelkerze. Nur Gefangene, die ihre Mitarbeitsbereitschaft bekunden, erhalten die Chance auf besondere Wiedereingliederungsangebote. Alle anderen
erhalten Basisvollzug, die nackte Grundversorgung. Nach Ihren Aussagen, Frau Ministerin, ist bei den besonderen Angeboten z. B. an Hilfe zur Schuldenregulierung zu denken. Schuldenregulierung ist gut. Sie vermindert unter Umständen die Rückfälligkeit. Die Möglichkeit zur Schuldenregulierung, zur Teilnahme an sozialen Trainingskursen und anderen Maßnahmen muss im Sinne der Sicherheit aber allen Gefangenen eröffnet werden.
Im Übrigen wird in zig Urteilen des Bundesverfassungsgerichts festgestellt, dass Resozialisierung ein Verfassungsgrundsatz ist. Dieser gilt nun einmal für alle. Jede Einschränkung ist deshalb verfassungsrechtlich bedenklich.
Das nächste Stichwort ist der offene Vollzug. Nach dem alten Gesetz war der offene Vollzug Regelvollzug. Jetzt wird dies der geschlossene Vollzug. Natürlich wissen auch wir, dass der geschlossene Vollzug schon immer den größeren Anteil ausmachte. Sie verstärken diese Tendenz dummerweise aber noch zusätzlich durch Ihre Regelumkehr. Sie wissen doch, dass offener Vollzug die Wiedereingliederung erleichtert, Haftschäden vermeidet, Rückfälligkeit vermindert und außerdem nur halb so teuer ist. Ihr Weltbild und Ihre Stammtischparolen lassen solche Überlegungen aber nicht zu.
Vollzugslockerungen sind das nächste Stichwort. Vollzugslockerungen sind kein Gnadenerweis. Sie dienen der Resozialisierung und Entlassungsvorbereitung. Sie sind individuell und nicht pauschal nach der Haftlänge zu betrachten. In Ihrer Regierungszeit sind die Lockerungen um ca. 10 % zurückgegangen, was mindestens zwei negative Folgen hatte. Ohne Lockerungen gibt es keine Entlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe. Das bedeutet zugleich höhere Belegungszahlen und höhere Kosten. Strafgefangene werden zudem immer häufiger am Ende der Haftzeit ohne vorherige Erprobung entlassen. Das bedeutet ein Sicherheitsrisiko, das Sie ganz allein zu verantworten haben.