Protocol of the Session on November 15, 2007

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag wird die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf den Briefdienst nicht verabschieden. Das Gesetz aber ist Voraussetzung dafür, dass der Arbeitsminister den Tarifvertrag zwischen der Bundespost und der Gewerkschaft ver.di für allgemein verbindlich erklären kann und damit auch ausländischen sowie inländischen, nicht tarifgebundenen Unternehmen aufzwingen kann, den vereinbarten Mindestlohn zu zahlen.

Damit ist die SPD in ihre Schranken gewiesen worden. Nicht nur die FDP, sondern auch die im Wettbewerb zur Post stehenden Unternehmen

bezeichnen dies als Sieg der Vernunft. Der in Rede stehende Mindestlohn von 9,80 Euro wäre für diese mittelständischen Briefzusteller nicht bezahlbar und würde Tausende von gerade neu entstandenen Arbeitsplätzen kosten. Diesen Widerstand als Lobbyismus zu bezeichnen, halte ich für zynisch. Vom Lobbyismus für Arbeit und Arbeitsplätze ist die SPD weit entfernt.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, so stellt sich mir als nicht den Regierungsparteien im Bund angehörigem Abgeordneten die Chronologie des Streites um das Postmonopol und den Mindestlohn für Briefzusteller dar. Wohin das inhaltlich führen sollte, kann ich nicht genau sagen. Aber ich greife einmal auf die Publikation in der FAZ von gestern zurück.

(Vizepräsidentin Silva Seeler über- nimmt den Vorsitz)

Da steht in einem Kommentar eine interessante Bewertung dieses Szenarios:

„Mindestens ein Teil der Beratungen im Koalitionsausschuss war insze

niert.“

Weiter heißt es:

„Führende Sozialdemokraten wie Finanzminister Steinbrück, der auch

stellvertretender SPD-Vorsitzender ist, zeigten sich auf professionelle Weise empört - und mit Blick in die Zukunft gar nicht unzufrieden. Nun habe die SPD die Gelegenheit zur ‚breiten Mobilisierbarkeit’.“

Genau das hat uns Herr Jüttner eben in seinen Ausführungen präsentiert.

Es bleibt mir, noch einige Sätze zum Thema Mindestlohn im Allgemeinen zu sagen. Wir als FDP bezweifeln, dass ein Mindestlohn die Probleme, die wir im Niedriglohnbereich unstreitig haben, beseitigt. Aber diese Schwierigkeiten haben wir in allen Branchen sowohl der Dienstleistung als auch des produzierenden Gewerbes. Das produzierende Gewerbe, soweit es standortungebunden ist, antwortet auf den Mindestlohn in der Regel mit Verlagerung der Produktion ins Ausland. Standortgebundene Tätigkeiten führen zum Ausweichen in den Schwarzmarkt. Wenn auch das nicht funktioniert, verteuern sich die Produkte, die Nachfrage fällt aus, Arbeit und Arbeitsplätze können verloren gehen.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Aber bei der Post geht das doch nicht, Herr Ri- ckert!)

In diesem Kontext ein interessantes Beispiel: Der Mindestlohn in der Baubranche liegt in den alten Bundesländern auf relativ niedrigem Niveau. Es sind sogar eher Arbeitsplätze entstanden. Diese gingen aber in den neuen Bundesländern verloren, da hier der Mindestlohn im Verhältnis zum Lohnniveau zu hoch ist. Das zeigt: Der Mindestlohn im Entsendegesetz nutzt vor allem Unternehmen mit hohen Löhnen, um die Konkurrenz auszuschalten.

Genau das scheint das Ziel beim Postmindestlohn zu sein: die Monopolstellung der Post über 2008 hinaus zu verlängern, indem mittelständische Konkurrenten durch hohe Lohnkosten aus dem Markt gedrängt werden. Zur Erinnerung: Es geht um 9,80 Euro; der DGB fordert 7,50 Euro.

Wie alle anderen sind natürlich auch wir der Meinung, dass man von Vollzeitarbeit leben können muss.

(Aha! bei der SPD)

Das Problem niedriger Löhne können wir nicht dadurch lösen, dass wir Arbeit einfach verteuern. Die Konsequenzen habe ich aufgezeigt. Besonders betroffen sind hier die Geringverdienenden, da es für sie keine bezahlbare Arbeit mehr gibt. Besser ist es, dort, wo die Löhne zu niedrig sind, diese aufzustocken. Wir haben mit dem liberalen Bürgergeld schon seit Jahren ein durchdachtes Konzept für niedrige Löhne entwickelt. Alle Sozialleistungen werden zu einem einheitlichen Transfer

zusammengefasst, um das Nettoeinkommen anzuheben. Erst ab einer bestimmten Einkommenshöhe werden wieder Abgaben fällig. Durch den Wechsel von Lohnersatzleistungen zu Lohnergänzungsleistungen schaffen wir sowohl Anreize zur Arbeitsaufnahme als auch soziale Gerechtigkeit durch auskömmliche Einkommen und hohe Beschäftigungsquoten.

Meine Damen und Herren, wir lehnen einen allgemeingültigen Mindestlohn ab; denn wenn er zu niedrig ist, macht er keinen Sinn, und wenn er zu hoch ist, vernichtet er Arbeitsplätze. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke, Herr Rickert. - Die nächste Wortmeldung ist von Herrn Hagenah. Ich erteile ihm das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die fehlende Einigung beim Postmindestlohn ist eine riesige Blamage für die Große Koalition im Bund und auch ein öffentlich sichtbar gewordener Wortbruch der Kanzlerin.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf von der CDU: Das stimmt doch gar nicht!)

Mit dem Scheitern des Mindestlohns wird sich die Situation für die Beschäftigten nach der Liberalisierung des Postmarktes zum 1. Januar weiter verschlechtern. Die zahlen die Zeche, Herr Hillmer, und das ist das Unsoziale am Verhalten der CDU in der Großen Koalition. Es wird zu einer Verschärfung des Verdrängungswettbewerbs kommen.

Weiteres Lohndumping ist die Folge. Noch mehr anständig bezahlte und sichere Vollzeitarbeitsplätze werden vom Markt verschwinden und durch schlecht bezahlte, befristete Teilzeitjobs ersetzt werden.

(Zuruf von Ernst-August Hoppenbrock [CDU])

Schon jetzt müssen viele Briefzusteller zu so niedrigen Löhnen arbeiten, Herr Hoppenbrock, dass sie zusätzlich auf Arbeitslosengeld II angewiesen sind. Die Steuerzahler subventionieren so die Gewinne der Unternehmen im Postbereich, die keinen existenzsichernden Lohn zahlen. Den Kostenvorteil erzielen die neuen Lizenznehmer zulasten der Beschäftigten. Dies belegt eine Studie von Input

Consulting Stuttgart aus dem Sommer dieses Jahres. Die Studie ergab, dass seit der Liberalisierung der Briefdienste die Beschäftigung um 10 % oder eben 15 000 Vollzeitkräfte zurückgegangen ist. Die Vollzeitkräfte werden abgebaut, Herr Hillmer. - So viel zur Liberalisierung ohne Mindestlohn!

Bei den Lizenzbriefdienstleistern sind von den 34 400 Beschäftigten ganze 62,3 % geringfügig Beschäftigte, während es bei der Deutschen Post im Briefdienst nur 1 % ist.

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Deswegen bringen die auch nicht mehr Briefe!)

Die Studie hat ergeben: Der durchschnittliche

Stundenlohn, der von den neuen Briefdienst

leistern an ihre Beschäftigten gezahlt wird, beträgt nach den Erhebungen in Westdeutschland 7 Euro, in Ostdeutschland 5,90 Euro.

(Jörg Hillmer [CDU]: Sagen Sie das mal Herrn Jüttner!)

Das auf Basis dieser Stundenlöhne durchschnittlich zu erzielende monatliche Bruttoentgelt liegt im Fall einer 38,5-Stunden-Woche bei 1 169 Euro in Westdeutschland und 985 Euro in den neuen Bundesländern inklusive Berlin. Das stammt alles aus der genannten Studie. Zu der Dimension Einkommen ist damit festzustellen, dass die bei den Lizenznehmern im Durchschnitt erzielten Entgelte in Westdeutschland um über 40 % und in Ost

deutschland um 50 % unter dem Einstiegsgehalt der Zustellkräfte bei der Deutschen Post AG liegen. Und Sie sagen, Sie wollen einen fairen Wettbewerb? - 40 % bzw. 50 % unter den Einstiegsgehältern der Post - da ist noch einige Luft drin, um einen Mindestlohn auf dieses Niveau draufzulegen.

Insofern können diese Entgelte als nicht existenzsichernd eingestuft werden, da sie in Ostdeutschland 16 % und in Westdeutschland 11 % geringer ausfallen als ein Arbeitseinkommen, mit dem sich der Mindestbedarf nach der entsprechenden Vorschrift des Sozialgesetzbuches II bestimmt. Das heißt, dieser durchschnittliche Lohn reicht nicht aus. Alle davon Betroffenen müssen eigentlich Zusatzgeld über Hartz IV bekommen. Aus diesen Gründen fordern wir CDU und SPD auf, sich bei dem Problem nicht wegzuducken, sondern die bereits zugesagte und vom Kabinett beschlossene Einigung gemeinsam zu Ende zu gehen.

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Das tun wir doch gar nicht!)

Gut wäre es, Herr Hoppenbrock, wenn das von dieser Landesregierung und der sie tragenden Koalition über den Bundesrat unterstützt würde. Auch Sie sind in der Verantwortung. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Danke schön. - Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wir stimmen zunächst über die Beschlussempfehlung zu Tagesordnungspunkt 24 ab. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen will und damit den Antrag der Fraktion der SPD in der Drucksache 15/3914 ablehnen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Das Erste war die Mehrheit.

Jetzt kommen wir zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu Tagesordnungspunkt 25.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen will und damit den Antrag der Fraktion der SPD in der Drucksache 15/4107 ablehnen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Auch hier war das Erste die Mehrheit.

Ich rufe nunmehr auf

Tagesordnungspunkt 26: Erste Beratung: Kein Einvernehmen des Landes zu einer weiteren Vertiefung von Unter- und Außenelbe, wenn … - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/4178