Protocol of the Session on November 14, 2007

Aber, Frau Heiligenstadt, auch das SPD-Allheilmittel Mindestlohn - Sie haben es eben angeführt führt nicht zum Ziel. Denn es gibt in der Fleischbranche keinen flächendeckenden Tarifvertrag,

(Frauke Heiligenstadt [SPD]: Daher brauchen wir den gesetzlichen Min- destlohn!)

und das ist Voraussetzung für die Aufnahme in das Entsendegesetz.

Meine Damen und Herren, natürlich wollen auch wir Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt in den Schlacht- und Zerlegebetrieben. Missbräuche

und kriminelle Machenschaften müssen mit aller Härte geahndet werden. Wir sind allerdings nicht bereit, eine ganze Branche unter Generalverdacht zu stellen. Die große Mehrzahl der Betriebe arbeitet nach wie vor gesetzestreu und korrekt.

Die Landesregierung hat die Lage erkannt. Minister Hirche hat schon lange gehandelt. Er hat erfolgreich den richtigen Weg eingeschlagen. Dabei sollten wir alle ihn nach Kräften unterstützen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Zu einer Kurzintervention hat sich jetzt Frau Heiligenstadt gemeldet. Frau Heiligenstadt, Sie haben anderthalb Minuten.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Hoppenbrock, Sie haben nicht verstanden, worum es geht.

(Oh! bei der CDU)

Die Staatsanwaltschaft und der Zoll sagen: Bei jeder Überprüfung werden rechtswidrige Zustände festgestellt. - Da geht es nicht nur um ein paar schwarze Schafe. Es geht um ein Manifestieren dieser illegalen Zustände in einer ganzen Branche zulasten derer, die sich bemühen, noch rechtmäßig zu handeln.

Wenn Sie sagen, Mindestlohn geht nicht: Natürlich geht ein tariflicher Mindestlohn in diesem Bereich nicht, der in das Entsendegesetz aufgenommen werden könnte. Aber wir müssen doch genau in den Branchen, in denen wir eben nicht die entsprechende Abdeckung über Tarifparteien haben, den gesetzlichen Mindestlohn einführen. Sie wissen genau, dass in der Branche, in der solche Werkvertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitneh

mer eingestellt werden, die Tarifbindung überhaupt nicht erzielt werden kann. Deswegen ist ja der Mindestlohn so wichtig. Aber daran haben Sie einfach kein Interesse, wie Sie vorgestern im Koalitionsausschuss deutlich gemacht haben.

(Beifall bei der SPD)

Herr Hoppenbrock möchte darauf nicht antworten. Deswegen ist jetzt Frau König von der FDPFraktion an der Reihe.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir kommen jetzt einmal auf die Tatsachen zurück, ohne polemisch zu werden. Dieser Antrag zielt nämlich genau darauf ab, die durch die EU-Osterweiterung ermöglichte leichtere Beschäftigung billiger Arbeitskräfte in einzelnen Branchen einzuschränken. Dazu gehört auch das hier aufgeführte fleischverarbeitende Gewerbe.

Durch die Zollkontrollen wissen wir, dass sowohl die nicht nachweisbaren Arbeitszeitüberschreitungen als auch die daraus zum Teil resultierenden viel zu niedrigen Löhne, die zwischen 1 und 3 Euro schwanken, bemängelt werden. Das haben Sie vorhin ganz richtig gesagt. Allerdings ist, wie gesagt, die Zahl von 13 bis 16 Arbeitsstunden, die Sie angeführt haben, Frau Heiligenstadt, leider nicht nachweisbar, weil darüber keine Nachweise geführt worden sind.

(Zuruf von Frauke Heiligenstadt [SPD])

Wir unterstellen die. Aber wir können sie nicht wirklich akzeptieren und darstellen. Das ist eine Annahme der Zollverwaltung gewesen.

Bei den Kontrollen wurden auch illegale Beschäftigungen und inakzeptable Unterbringungen festgestellt, die nicht in Ordnung sind.

Alle diese Missstände zwingen uns dazu, die Verletzungen der Regelungen zur Arbeitnehmerüberlassung abzustellen. Es ist nicht hinnehmbar, dass einige Unternehmen eine ganze Branche in Misskredit bringen.

Wir werden also dafür Sorge tragen müssen, dass die Kontrollen weiterhin verdichtet und Verstöße geahndet werden, ohne die Mehrzahl der gesetzestreuen Unternehmen zu belasten. Wir nehmen nicht alle in Kollektivhaft. Auch wenn es bei vielen Betrieben unterschiedliche Verfehlungen gegeben hat, sind die nicht direkt auf die Dinge zurückzuführen, die wir hier angesprochen haben.

Eine wichtige Rolle spielt das Bündnis zwischen den Verbänden der Fleischwirtschaft, der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, dem Zoll und

der Gewerbeaufsicht. Diese arbeiten eng zusammen, um in den Betrieben der Mitglieder Verstößen gegen Regelungen zur Arbeitnehmerüberlassung nachzugehen und um gegen illegale Beschäftigung vorzugehen.

Wir dürfen unsere Augen aber auch nicht vor den illegalen Versuchen verschließen, die E-101-Bescheinigung zu missbrauchen. E-101-Bescheinigungen sollen eigentlich dazu dienen, eine bestehende Sozialversicherung aus dem Heimatland zu bescheinigen. Häufig wird diese Möglichkeit aber genutzt, um die Sozialversicherungspflicht zu umgehen. In den EU-Beitrittsländern sitzen Briefkastenfirmen, die selbst niemanden beschäftigen, sondern nur Arbeitskräfte entsenden. Die spielen hierbei eine unrühmliche Rolle.

Der vorliegende Antrag geht auf alle diese Punkte ein und liefert eine solide Grundlage für die verantwortlichen Stellen, um dem Missbrauch der Arbeitnehmerentsendung entgegenzuwirken. Ei

nen wirklichen Erfolg können wir aber nur haben, wenn auch der Bund, die EU und die entsendenden Länder ihrer Verantwortung nachkommen. Gerade die Entsendeländer müssen mehr Sorgfalt beim Ausstellen entsprechender Bescheinigungen walten lassen.

(Glocke der Präsidentin)

Wer wie wir für einen offenen Binnenmarkt eintritt, der Arbeitnehmern Chancen bietet, muss sich dafür stark machen, dass Missbräuche eingedämmt werden. Sonst leiden nicht nur die Betroffenen, sondern auch das Ansehen der europäischen Integration und das Vertrauen der Menschen in die europäische Integration schwinden. Das aber ist das Letzte, was wir gebrauchen können.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke. - Jetzt ist Herr Klein von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an der Reihe.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der fleischverarbeitenden Industrie sind nach Gewerkschaftsangaben bundesweit rund 15 000 Arbeitnehmer zu Niedriglöhnen tätig. 3 500 sollen es allein in Niedersachsen sein. Die Stundenlöhne von zum Teil 3 Euro und Arbeitszeiten von - im

Minimum - zwölf Stunden täglich sind hier bereits angesprochen worden. Selbst um diesen kärglichen Lohn werden insbesondere die Arbeitnehmer aus Osteuropa häufig durch Tricks und ungerechtfertigte Abzüge betrogen.

Der Betrug an diesen betroffenen Menschen und eben auch am Staat und an der Sozialversicherung ist skandalös und schlimm genug. Aber, meine Damen und Herren, damit wird nebenbei auch noch dem unqualifizierten Umgang mit Lebensmitteln Vorschub geleistet.

Es entstehen Gefahren für den Gesundheitsschutz der Verbraucher. Gerade Niedersachsen mit seinen Fleischzerlege- und -verarbeitungsbetrieben müsste besonders sensibel sein. Die Gammelfleischskandale reißen ja nicht ab. Obwohl es inzwischen schon Verurteilungen zu Freiheitsstrafen für illegale Beschäftigung in diesem Bereich gegeben hat, sind grundlegende Veränderungen - darin stimme ich Frau Heiligenstadt zu - nicht zu verzeichnen.

In dieser Branche ist doch etwas faul, wenn immer wieder gegen den Grundsatz verstoßen wird, dass Qualität ihren Preis hat.

Herr Hoppenbrock, entgegen Ihrer heutigen Rede haben Sie es doch im Ausschuss ganz anders gesagt.

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Was habe ich denn da gesagt?)

Sie haben doch beschrieben, dass es zahlreiche Rechtsverstöße in fast allen größeren Schlachtund Zerlegebetrieben gegeben hat. - So steht es jedenfalls im Protokoll. Dabei schneidet sich doch die Wirtschaft ins eigene Fleisch. Ihr unlauteres Kostendumping verspielt den Ruf der Branche und das Vertrauen der Verbraucher.

Dann treffen wir jetzt auf diesen - wie es mein Kollege Hagenah gesagt hat - Weiter-so-Antrag der CDU. Der Tenor: Vielleicht ist ja alles doch nicht so schlimm oder nicht zu beweisen, Frau König, und eigentlich haben wir schon alles getan, was getan werden kann.

Wir finden natürlich wieder den bei der CDU und der FDP bekannten Reflex: Im Übrigen sind andere gefragt - die EU, der Zoll, die Sozialpartner, das neue Bündnis, was weiß ich noch. Die Landesregierung hat natürlich wieder alles richtig gemacht und hat ihre Aufsichtspflicht erfüllt.

(Gabriela König [FDP] Das ist auch richtig!)

Wen interessieren da sittenwidrige Löhne, menschenunwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen, die Fälschung von E-101-Bescheinigungen, was kümmert da der Missbrauch der Werkvertragsregelungen,

(Glocke der Präsidentin)

um reguläre Arbeitsbedingungen zu unterlaufen, oder die Personalknappheit bei Staatsanwaltschaft und Zoll mit entsprechend lückenhaften Kontrollen?

Meine Damen und Herren, dieser Antrag ist eine Zumutung und eine Brüskierung der Betroffenen und aller, die sich um eine Verbesserung der Verhältnisse bemühen. Wir brauchen wirksamere

Kontrollen - übrigens auch durch die Lebensmittelkontrolleure des Landes und der Kommunen -, und wir brauchen einen entschiedeneren Einsatz dieser Landesregierung für die Schaffung besserer Rahmenbedingungen. Dazu gehören eine verbindliche und missbrauchsfeste Definition der Werkverträge. Dazu gehören branchenvereinbarte Mindestlöhne, wie sie inzwischen ja sogar schon vom zuständigen Arbeitgeberverband gefordert werden. Es müssen Mindestbedingungen durch Tarifverträge und zur Aufnahme in das Entsendegesetz geschaffen werden. Auch die Sozialversicherungspflicht und die Lohnsteuerpflicht müssen in

Deutschland verbindlich werden.

(Glocke der Präsidentin)

Eine Entschließung ohne diese Stichworte ist das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben steht. Sie bekommt unsere Zustimmung jedenfalls nicht. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)