Tagesordnungspunkt 16: Einzige (abschließende) Beratung: Abschaffung der Zweckentfremdungsverordnung - Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 15/137 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit - Drs. 15/398
Der zuständige Ausschuss empfiehlt, den Antrag anzunehmen. Eine Berichterstattung ist auch bei diesem Antrag nicht vorgesehen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrte Damen und Herren! Die Fraktionen der CDU und der FDP haben sich vorgenommen, den Dschungel aus Gesetzen, Verordnungen und Rechtsvorschriften auf Sinnhaftigkeit hin zu durchleuchten. Wir sind überzeugt, dass mehr als ein Drittel davon entbehrlich sind. Sie sind entbehrlich, weil sie einen unglaublichen Aufwand an Bürokratie und Kosten verursachen und den Bürgern dieses Landes doch nicht helfen, sondern sie bestenfalls einschnüren und Kräfte lähmen - Kräfte, die dieses Land braucht, um erfolgreich zu sein.
Eine der ersten Verordnungen, denen das Lebenslicht ausgeblasen werden wird, wird die Verordnung über Zweckentfremdung von Wohnraum sein.
Meine Damen und Herren, die Wohnraumzweckentfremdungsverordnung gehört zu den Regulierungen, die ersatzlos gestrichen werden müssen. Sie gehört abgeschafft, weil sie durch das Verbot der Umwidmung von Wohn- in Gewerberaum Investitionen erschwert, teilweise verhindert und u. a. jungen Existenzgründern es nicht erlaubt, sich selbstständig zu machen. Sie bereitet nur erhebliche Schwierigkeiten.
Es mag sein, dass die Zweckentfremdungsverordnung zu Beginn der 90er-Jahre noch ihre Berechtigung gehabt hat. Aber seit dieser Zeit ist der Wohnungsmangel überwunden, hat sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt in Niedersachsen dramatisch verändert. Der Vermietermarkt hat sich zu einem reinen Mietermarkt entwickelt.
Das Referat für Stadtentwicklung der Landeshauptstadt Hannover - nicht verdächtig, Positionen von FDP oder CDU zu vertreten - hat in einer Untersuchung im Jahr 2002 dazu festgestellt:
„In den meisten Regionen Westdeutschlands zeigen sich dagegen wieder, wie bereits Mitte der 80erJahre, mehr oder weniger stark ausgeprägte Leerstände. Im Gegensatz zur damaligen Entwicklung kann heute festgestellt werden, dass aus der einheimischen Bevölkerung anhand der Demografie kein Nachfrageschub zu erwarten ist. Auch bezüglich der Auslandszuwanderung muss aufgrund der Arbeitsmarktsituation für die nächsten Jahre von eher niedrigen Werten ausgegangen werden. Insgesamt ist zurzeit und bei konstant bleibenden politischen Rahmenbedingungen von weiter anwachsenden Leerständen im Wohnungsbestand der Bundesrepublik Deutschland auszugehen.“
Ich darf hinzufügen, dass alle Untersuchungen, die es in der Vergangenheit zu diesem Thema gegeben hat, vom Pestel-Institut, von der GEWOS oder vom IEC, diesen Trend bestätigt haben.
Meine Damen und Herren, dass die Vorgängerregierung darauf tatenlos blieb, dass sie hinnahm, dass in Niedersachsen zehntausende von Wohnungen leer stehen - davon allein über 8 000 in Han
nover und davon allein wieder über 1 200 der städtischen Wohnungsbaugesellschaft, und das im Niedrigpreissegment -, und dass sie so tat, als müsse sie darauf nicht reagieren, war für uns skandalös. Es ist an der Zeit, dass darauf reagiert wird.
Meine Damen und Herren, seit Beginn des Jahres haben wir andere politische Verhältnisse, und wir reagieren darauf, und zwar anders.
Ich darf ein Zitat von Wulf Haack hinzufügen, der sich mit diesem Thema auseinander gesetzt hat und im Bericht zur Lage 2003 vor den niedersächsischen Kommunen Folgendes sagte - Wulf Haack geht es um einen Umbau unserer Gesellschaft -:
„Für den öffentlichen Bereich geht es bei weitem nicht mehr um die Vereinfachung von Genehmigungsverfahren, sondern um den Wegfall von Genehmigungserfordernissen. Es geht auch nicht um ein Weniger an Aufsicht, sondern um den Wegfall von Aufsicht. Das mag in dem einen oder anderen Fall auch bedeuten, dass sich für den Einzelnen das Lebensrisiko erhöht; denn Aufsichts- und Genehmigungsverfahren sollen Gefahren abwenden, die ohne Aufsicht und ohne Kontrolle eintreten könnten. Das Grundkonzept des Gesetzgebers der vergangenen Jahrzehnte, durch Vorschriften, Aufsicht und Genehmigungsvorbehalte eine Absicherung gegen jedes Lebensrisiko erreichen zu wollen, ist auch ein Teil der Verkrustung unserer Gesellschaft, aus der wir jetzt einen Ausweg freibrechen oder freisprengen müssen.“
„Lassen Sie uns dabei frei nach dem Motto verfahren: Fürchtet euch nicht, es geht auch ohne Vorschriften!“
Meine Damen und Herren, ganz so weit wollen wir und können wir auch nicht gehen. Ich glaube zwar nicht, dass die Abschaffung der Wohnraumzweckentfremdungsverordnung für sich allein das Land Niedersachsen umkrempeln wird. Aber ich glaube, dass dieser Beschluss, den wir heute mit großer Mehrheit fassen werden, ein weiteres Signal in das
Land hinein sein wird, dass CDU und FDP, dass diese Landesregierung entschlossen ist, Niedersachsen wieder auf die Erfolgsspur zu setzen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Beckmann, die SPD-Landtagfraktion stimmt dem Begehren zu, die Zweckentfremdungsverordnung zum 31. Dezember 2003 aufzuheben. Allerdings nicht aus der Begründung heraus, die Sie hier vorgetragen haben, sondern aus einer anderen Begründung heraus: Für uns ist das keine grundsätzliche Frage, sondern eine temporäre Frage der Zweckmäßigkeit.
Erstens. Die Zweckentfremdungsverordnung ist ein klassisches Instrument der Bewirtschaftung der Wohnungsknappheit. Eine solche hatten wir Ende der 80er- und Anfang bis Mitte der 90er-Jahre, weil die Regierung Kohl und die Regierung Albrecht der erkennbaren Wohnungsnot nicht entgegengewirkt hatten. Wir hatten damals die Situation - das wollen wir auch nicht vergessen -, dass skrupellose Vermieter noch aus jedem verrotteten Loch Miete herausholen konnten.
Mit einer großen Kraftanstrengung hat die Regierung Schröder, haben wir - damals die Fraktionen der SPD und der Grünen - die Fehler unserer Vorgängerregierung ausgebügelt. Das hat Milliarden D-Mark gekostet; das wollen wir auch nicht vergessen. Die Zweckentfremdungsverordnung hat mitgeholfen, dringend benötigten Wohnraum zu erhalten und nicht in Büros umwandeln zu können, die noch teurer zu vermieten gewesen wären. Die Wohnungsknappheit haben wir mit diesen Schritten überwunden. Wir haben heute noch ein Fehl an genügend Wohnungen im unteren Preissegment. Es ist aber eine Frage der Wohnungsbaupolitik des Landes, diesem zu begegnen.
Zweitens. Schon die vorherige Landesregierung hat das Instrument der Zweckentfremdungsverordnung flexibel gehandhabt. Derzeit sind von ihr nur noch wenige Städte betroffen. Von einem Übermaß an Bürokratie zu sprechen, ist sicherlich fehl am Platze. Wenn Kommunen vernünftig damit umgehen, reicht es aus, beim Antrag auf Nutzungsänderung ein zusätzliches Kästchen anzukreuzen.
Drittens. Die Zweckentfremdungsverordnung kann Baurecht nicht ersetzen. Die Idee, mit der Verordnung könne man den Wegzug der Bewohner aus den Innenstädten verhindern, trägt nicht. Wer aus genehmigten Wohnungen Büros oder Gewerberäume machen will, braucht dazu immer noch - das war auch schon in der Zeit vor der Zweckentfremdungsverordnung so - eine Genehmigung zur Nutzungsänderung. Auf der Grundlage des Baurechts und der Baunutzungsverordnung wird geprüft, ob die beantragte Nutzungsänderung mit den Zweckbestimmungen, die in diesem Stadtbereich vorherrschen - reines Wohngebiet, allgemeines Wohngebiet oder Mischgebiet -, vereinbar ist. Das, was vielfach beklagt wird, nämlich eine nicht genehmigte, weil nicht einmal beantragte Nutzungsänderung von Wohnraum in Gewerberaum, ist illegal.
Sie von der CDU haben in den letzten Jahren immer wieder die angebliche Bürokratie im Bau- und Wohnungswesen beklagt. Ich will noch einmal ins Gedächtnis zurückrufen, was wir als SPD-Fraktion in diesem Bereich gemacht haben. Wir haben nämlich so viel Bürokratie abgebaut, dass es den Bedenkenträgern in den Behörden stets zu viel war. Ich erwähne die Genehmigungsfreistellung in § 69 a der Niedersächsischen Bauordnung und die Abschaffung der Fehlbelegungsabgabe. Letztere kann die jetzige Landesregierung nun abschaffen, weil wir als SPD-Fraktion in 2002 die notwendige Vorarbeit geleistet haben. Wir haben zusammen mit der NBauO-Novelle im letzten Jahr die Einkommensgrenzen, ab denen die Abgabe erst erhoben werden kann, so hoch gesetzt, dass sie kaum noch etwas einbringt. Weil sie so wenig einbringt, ist sie unwirtschaftlich im Verhältnis zu den Verwaltungskosten. Und erst weil sie unwirtschaftlich ist, darf nach Wohnraumförderungsgesetz des Bundes auf ihre Erhebung künftig verzichtet werden.
Das will die Landesregierung jetzt auch tun. Sie benötigt dazu offenbar keiner Aufforderung des Landtags mehr. Die Abschaffung der Zweckentfremdungsverordnung hätte sie übrigens auch
schon ohne Aufforderung durchführen können; dazu bedarf es keines Beschlusses des Landtages. Wir stimmen trotzdem zu.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir werden dem zustimmen. Weil schon verschiedene Argumente genannt worden sind, versuche ich, jetzt möglichst nichts zu doppeln, sondern Dinge zu ergänzen, die aus unserer Sicht wichtig sind.
Die Zweckentfremdungsverordnung ist eindeutig ein Hemmschuh, der wirtschaftliches Wachstum und wirtschaftliche Entwicklung bremst. Das haben wir schon gehört. Das ist für uns ein wichtiges Argument dafür, sie abschaffen zu wollen. Ferner verhält es sich so, dass dadurch Existenzgründer kostenpflichtige Genehmigungsverfahren durchlaufen müssen, die für sie eine Belastung darstellen. Das wollen wir abschaffen. Noch nicht gesagt worden ist, dass sich der weitaus überwiegende Teil der niedersächsischen Kommunen dafür ausgesprochen hat, diese Zweckentfremdungsverordnung zu streichen. Sie stellt Bürokratie dar. Wir sind angetreten und haben gesagt: Ein Drittel der Vorschriften wollen wir abschaffen. Mit der Abschaffung der Zweckentfremdungsverordnung können wir zeigen, dass wir nicht nur etwas ankündigen, sondern dass wir das auch tun, was wir sagen. Gleichzeitig setzen wir damit ein Signal auch für mehr Marktwirtschaft.
Dass wir genug Wohnraum haben, ist schon klar geworden. Das Argument, dass man wegen fehlenden Wohnraumes diese Zweckentfremdungsverordnung brauche, sticht also nicht. In gleicher Weise haben wir ja auch gehört, dass es sogar bei den Sozialwohnungen Leerstände gibt; in Hannover auf jeden Fall, in vielen anderen Kommunen
auch. Es ist überdies nicht zu befürchten, dass preiswerter, attraktiver Wohnraum für Familien mit unterdurchschnittlichem Einkommen entfallen könnte. Denn es ist fraglich, ob solche Standorte attraktiv genug sind, dass jemand dort etwa ein Gewerbe einrichten will.
Trotz des Wegfalls der Zweckentfremdungsverordnung ist nicht alles unreguliert. Es gibt zwar jetzt mehr Freiheit in diesem Bereich. Ganz viel Freiheit ist uns immer am liebsten; das wissen Sie. Es gibt ja noch die Vorgaben aus dem Planungsrecht und der Bauordnung. Diese bleiben weiterhin bestehen. Damit verfügen die Kommunen auch in Zukunft über ein ausreichendes Instrumentarium, mit dem sie eingreifen können, wenn sie der Meinung sind, dass irgendwo Fehlentwicklungen zu beklagen seien. Die Sozialklausel, die die Eigentümer beachten müssen, bleibt ebenfalls bestehen. Sie stärkt den Schutz der Mieter.
Andere Bundesländer sind schon weiter als wir. Sie haben bereits die Zweckentfremdungsverordnung abgeschafft, z. B. das SPD-regierte Schleswig-Holstein. In Berlin ist man dabei. Auch wir wollen in diesem Punkt die Bürokratie abbauen. Jetzt, da ich weiß, dass einige in der SPD darauf warten, dass das heute endlich kommt, sage ich: Wir sehen das auch unter dem Motto, dass wir den Menschen Freiheit zurückgeben. – Die Abschaffung von Verordnungen gehört dazu.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Regionalplanerische und städtebauliche Vorgaben gehören aus unserer Sicht sicherlich nicht zu den überflüssigen Vorschriften, von denen unsere Gesellschaft dringend befreit werden muss.