Protocol of the Session on September 17, 2003

(Zuruf von Sigmar Gabriel [SPD])

- Wir gehen dem nach. Herr Biestmann hat die Briefe, die jetzt von den Gartenbaubetrieben kommen, auf dem Tisch. Sie bombardieren uns mit Vorschlägen, die von dem abweichen, was Sie vor der Wahl den Leuten verbindlich zugesagt haben. Sie sagen z. B., wir mögen die Erhöhung der Umsatzsteuer auf 16 % verhindern, damit die Gartenbaubetriebe gegenüber Holland im Wettstreit bestehen können.

Aus den Reihen der Sozialdemokratie kommt eine völlig unkoordinierte Vorgehensweise hinsichtlich des Landeshaushalts und der Landesfinanzen in Niedersachsen, bis hin zu der soeben erhobenen Forderung, wir sollten die Mittel der Gemeinschaftsaufgabe doch bitte schön als Mittel für den Landeshaushalt verbuchen.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Das habe ich nicht gesagt!)

- Sie haben gesagt: Wenn die Gemeinschaftsaufgaben beendet werden, dann steht das Geld für den Landeshaushalt zur Verfügung. Das soll verhandelt werden.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Nein! Das sollen Sie beim Bund fordern und nicht einfach sagen, die sollen uns das überweisen!)

Aber, lieber Herr Gabriel, wenn der Bund die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur“ von 40 Millionen Euro auf null setzt, dann frage ich Sie, was wir im Landeshaushalt verbuchen sollen.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Das ist Wirt- schaftsförderung und nicht Agrar- struktur!)

- Ja. - Wenn der Bund die Mittel die Mittel für den Hochschulbau in den nächsten drei Jahren von 1,1 Milliarden auf 700 Millionen Euro absenkt - -

(Zuruf von Heinrich Aller [SPD])

- Lieber Herr Aller, Sie müssen sich schon einmal intellektuell darauf einlassen, dass Ihr Fraktionsvorsitzender soeben gefordert hat, wir sollten Mittel im Landeshaushalt verbuchen, die der Bund zunehmend streicht und wovon er nichts mehr übrig lässt. Die Verhandlungsbasis der Länder ist eine andere.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Ich bin jetzt nicht sicher, wer hier verwirrt ist!)

- Sie haben eben vorgetragen, die Gemeinschaftsaufgaben sollen zurückgeführt werden. Das ist die Position der 16 Bundesländer.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Richtig!)

Die 16 Bundesländer müssen dann aber auch einen Verhandlungsspielraum, eine Verhandlungsmasse für die Kommission von Bund und Ländern haben. Diese Verhandlungsmasse, über die die 16 Bundesländer einschließlich der sozialdemokratischen Bundesländer reden wollen, wird in diesen Tagen im Bundeshaushalt gegen null verändert, und dann ist kein Verhandlungsspielraum mehr da. Wenn ich die Zeitung von heute richtig gelesen habe, haben Sie, Herr Gabriel, exakt das Gegenteil von dem

gesagt, was Herr Oppermann heute Morgen in der Debatte vorgetragen hat.

(Widerspruch bei der SPD)

Herr Oppermann hat hier heute Morgen gesagt, wir sollen den Subventionsabbau begrüßen, weil die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ ohnehin keine positiven Effekte hätte und sehr umstritten sei und Herr Hirche als Subventionsabbauer doch begrüßen sollte, dass die Mittel gestrichen werden.

Sie haben heute Morgen in der Zeitung gesagt - so habe ich es gelesen -, das sei ein Fehler der Bundesregierung, wir brauchten die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ auch in der Zukunft, und Sie wollten an unserer Seite dafür kämpfen, dass die Mittel wieder eingestellt werden.

An diesen Stellen zeigt sich, dass Sie eine ganze Menge dazu beitragen, dass in diesem Lande zwischen Oppositions- und Regierungsfraktionen ein hohes Maß an Verwirrung entstanden ist.

(Widerspruch bei der SPD)

- Sie müssen nur einsehen, wo die Verwirrung ausgelöst wird. Sie wird ausgelöst, weil Sie mal so und mal so reden. Erst sagen Sie, es sei unverantwortlich, dass wir Lehrerstellen abbauen, und dann fordern Sie, die 2 500 Lehrer gleich wieder zu entlassen, weil Sie die Schaffung der Stellen nicht mittrügen. Das ist nicht stimmig.

Deswegen wird Herr Möllring zu den Punkten, die Herr Möhrmann vorgetragen hat, Stellung nehmen. Mit einer Opposition, die nur Horoskope nachreicht - meines fehlt übrigens noch - , ist eine seriöse Debatte nicht möglich. Wir müssen über diese Fragen in diesem Landtag eine Debatte führen, die andere Ergebnisse hat als Ihre Politik, Herr Aller. Auf diese Art und Weise können Sie die Finanzpolitik in Niedersachsen nicht weiter betreiben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich gewähre der SPD-Fraktion eine zusätzliche Redezeit von drei Minuten. Herr Gabriel, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich war am Ende nicht ganz sicher, wer soeben verwirrt war. Ich glaube, wir waren es nicht.

Herr Ministerpräsident, erste Richtigstellung: Wir sind nicht der Meinung, dass sämtliche Kürzungsmaßnahmen, die Sie vorsehen, unabwendbar seien. Wir sind überhaupt nicht der Überzeugung, dass Sie eine einfache Aufgabe vor sich haben, und es ist auch nicht so, dass wir gegen jede Kürzungsmaßnahme zu Felde ziehen. Das unterscheidet uns im Übrigen von Ihrem Verhalten in Ihrer Zeit als Oppositionsführer.

(Beifall bei der SPD - Wolfgang Jütt- ner [SPD]: So ist es!)

Meine Damen und Herren, ich will nur einige wenige Beispiele nennen. Was haben Sie denn für ein Theater aufgeführt, als wir die Fachhochschulen im Nordwesten des Landes zusammengelegt haben?

(Ministerpräsident Christian Wulff: Wer?)

Was war los, als wir die Katasterverwaltung reformiert haben? - Hier wurde gesagt: Ihr müsst mehr machen. Vor Ort wurden die Proteste organisiert.

(Ministerpräsident Christian Wulff: Nie!)

Was war los, als wir die Beihilfemaßnahmen bei der Polizei verbessert und die freie Heilfürsorge eingeführt haben? Was war eigentlich los, als wir die Arbeitszeit für Beamtinnen und Beamte und für Lehrer verlängert haben? - Sie haben bis kurz vor der Landtagswahl überall versprochen, Sie würden die Arbeitszeitverlängerung für die den Lehrerinnen und Lehrer zurücknehmen. Sie haben immer wieder gesagt, das, was wir gemacht haben, sei ein Fehler gewesen.

(David McAllister [CDU]: Nein, das stimmt nicht!)

- Natürlich haben Sie gesagt, das sei falsch; das können Sie im Landtagsprotokoll nachlesen. Das war Ihre Oppositionspolitik.

Sie haben in Ihrer Hanstedter Erklärung mehrere Milliarden Mehrausgaben gefordert. Werfen Sie uns also bitte nicht vor, wir hätten unsere Vergan

genheit nicht im Griff. Wenn überhaupt, dann gibt es hier im Hause ein paar mehr, die dazu vielleicht ein bisschen Bescheidenheit predigen sollten.

(Beifall bei der SPD)

Zweiter Punkt. Ich habe nicht gesagt, die Gemeinschaftsaufgabe soll etatisiert werden, sondern ich bin der festen Überzeugung, dass Sie als Ministerpräsident des Landes Niedersachsen eine unglaublich große Chance im Bundesrat haben. Weil die Bundesregierung so viel von Ihnen will, wäre es gut, wenn Sie sich nicht dem Parteidiktat von CDU/CSU unterwerfen, sondern im Interesse des Landes selbst Verhandlungsangebote machen würden. Die Angebote könnten z. B. lauten: Lasst die Gemeinschaftsaufgabe im Haushalt, entzerrt die Mischfinanzierung, gebt sie an die Länder, dann sind wir bereit, beim Punkt A, B oder C der Bundesregierung zuzustimmen. So arbeitet man als Ministerpräsident des Landes für das Interesse des Landes, nicht auf Parteiweisung.

(Beifall bei der SPD)

Es geht darum, sich nicht immer nur dem Parteidiktat zu unterwerfen, sondern im Interesse des Landes den Eid auf die Verfassung auch im Verhandeln mit der Bundesregierung zur Wirkung kommen zu lassen. Das ist meine Forderung dazu.

Für uns bedeutet das, dass wir natürlich gegenüber der SPD-Bundestagsfraktion gegen die Streichung der Gemeinschaftsaufgabe protestieren - das habe ich auch gemacht -, aber nicht das Wiedereinsetzen der Gemeinschaftsaufgabe fordern. Wir wollen endlich das, was die 16 Länder seit Jahren fordern, nämlich die Aufgabe der Mischfinanzierung und die Überweisung dieser Mittel ohne Zweckbindung in die Länderhaushalte.

Meine Damen und Herren, wir sind dagegen, dass Sie sich dem Subventionsabbau verweigern. Das steht übrigens in unserem Entschließungsantrag. Der ist hier Beratungsgegenstand und nicht das, was Sie gelegentlich vorgelegt bekommen. Beratungsgegenstand ist das, was eine Parlamentsfraktion hier einbringt. In unserem Entschließungsantrag steht nichts von den 16 %, schon deshalb nicht, weil Sie Recht haben mit Ihrem Einwand, dass das die Gartenbaubetriebe in Schwierigkeiten bringen würde. Natürlich gibt es bei uns Debatten darüber, natürlich werden Vorschläge gemacht, und natürlich stehen manchmal auch Dummheiten in Pressemitteilungen, wenn wir nicht aufgepasst haben. Das geht uns so wie Ihnen, so ist das im

Leben manchmal. Da muss man übrigens ganz locker drüber stehen. Entscheidend ist jedenfalls, was wir hier einbringen, und in unserem Antrag steht nichts davon.

Herr Stratmann hat heute eine beeindruckende Rede gehalten zu der Frage, wie er in der Fläche des Landes die kleinen Initiativen behalten und fördern will. Wir sind dagegen, dass Sie Aidshilfe, Drogenhilfe, Obdachlosenhilfe, Kinder- und Jugendhilfe, Bewährungshilfe, Musikkultur usw. mit dem Rasenmäher überziehen müssen, nur weil Sie sich aus Angst vor Ihrer Klientel einem Abbau von Subventionen verweigern. Das ist unsere Kritik an Ihrem Haushalt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Gabriel, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Letzter Satz. Herr Ministerpräsident, Sie haben die Wahlen gewonnen, Sie haben bestimmte Dinge nicht mehr nötig. Sie haben es z. B. nicht nötig, zu behaupten, wir hätten die Staatskanzlei aufgebläht. Sie müssten dann immer hinzufügen, dass sie größer geworden ist, weil wir die Europaabteilung und die Raumordnung aus anderen Ministerien in die Staatskanzlei geholt haben. Deshalb ist niemand mehr eingestellt worden. Aber ich sage Ihnen: Wir werden prüfen, wie viele Pressesprecher und Mitarbeiter in den Büros Sie in den letzten Monaten eingestellt haben. Wir wollen einmal sehen, wer seinen Apparat aufbläht.

(Beifall bei der SPD)

Herr Möllring!

Herr Gabriel, manchmal könnte ich Sie knuddeln.