Protocol of the Session on April 27, 2007

Die Beschlussfähigkeit des Hauses werde ich zu gegebener Zeit feststellen.

Vorab einige Bemerkungen zur Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit der Fragestunde, dem Tagesordnungspunkt 30. Danach setzen wir den Tagesordnungspunkt 2 mit der Behandlung der strittigen Eingaben fort. Anschließend erledigen wir die Tagesordnungspunkte in der Reihenfolge der Tagesordnung, wobei die gestern zurückgestellten Tagesordnungspunkte 26 und 27 nach Tagesordnungspunkt 36 behandelt werden. Der Tagesordnungspunkt 37 wird lediglich zum Zweck der Ausschussüberweisung aufgerufen.

Die heutige Sitzung soll gegen 14.50 Uhr enden.

An die rechtzeitige Rückgabe der Reden an den Stenografischen Dienst möchte ich Sie erinnern.

Es folgen nun geschäftliche Mitteilungen durch Frau Schuster-Barkau.

Schönen guten Morgen! Für heute haben sich entschuldigt von der Landesregierung die Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit, Frau Ross-Luttmann, von der Fraktion der CDU Herr Stünkel und von der Fraktion der SPD Herr Schack, Frau Krämer und Herr Wolfkühler ab 12 Uhr mittags.

Danke schön. - Ich rufe nun auf

Tagesordnungspunkt 30: Mündliche Anfragen - Drs. 15/3715

Es ist 9.01 Uhr.

Ich rufe auf

Frage 1: Gewalt in deutschen Jugendgefängnissen Europarat rügt auch Zustände in der Jugendhaftanstalt Hameln - Welche Konsequenzen zieht die Landesregierung?

Diese Frage wird vom Abgeordneten Briese von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gestellt. Herr Briese!

Frau Präsidentin! Nach verschiedenen Medienberichten - TAZ, Nordwest-Zeitung - vom 18. April 2007 hat sich der Europarat besorgt über die Gewalt in einigen deutschen Jugendgefängnissen geäußert. In einem Bericht rügt das Europäische Antifolterkomitee vor allem die Zustände in Hameln, Weimar-Ichtershausen und Halle. Zahlreiche Insassen hatten dem Komitee Ende 2005 von Drohungen, Einschüchterungen, sexuellen Übergriffen oder anderer Gewalt durch die Mithäftlinge berichtet.

In einem Register des Gefängnisarztes von Hameln fanden die Experten Fotos von Jugendlichen mit gebrochenen Nasen, blauen Augen und Stichwunden. In anderen Jugendgefängnissen klagten Häftlinge über sexuelle Übergriffe, Bedrohungen und massive Gewaltanwendungen. Einige jugendliche Strafgefangene hatten so große Angst, dass sie ihre Zellen nicht mehr verließen und auf den täglichen Hofgang verzichteten. Der Ausschuss des Europarates hat die Zustände in verschiedenen deutschen Jugendgefängnissen als ein „Klima von Drohungen und Einschüchterungen“ beschrieben. Laut dem Bericht ist das Klima der Gewalt auch auf einen Mangel an gut geschultem Gefängnispersonal zurückzuführen. Für Hameln hat die Kommission u. a. eine deutliche Aufstockung von medizinisch geschultem Personal vorgeschlagen. Nach den brutalen Vorfällen in der Jugendvollzugsanstalt Siegburg wurde dort nunmehr eine unabhängige Ombudsstelle für Strafgefangene eingerichtet, damit die Insassen eine vertrauliche Beschwerdestelle haben.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie bewertet die Landesregierung den Bericht des Antifolterkomitees des Europarates in Bezug auf die Jugendstrafanstalt Hameln?

2. Warum lehnt die Landesregierung eine Erhöhung des medizinischen Personals nach den Vorschlägen des Europarat-Komitees ab?

3. Wie bewertet die Landesregierung den Vorschlag für eine unabhängige Beschwerdestelle für Strafgefangene in Niedersachsen?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön. - Bevor die Frage beantwortet wird, stelle ich die Beschlussfähigkeit des Hauses fest.

Für die Landesregierung antwortet Frau Ministerin Heister-Neumann. Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ende des Jahres 2005 hat der Europäische Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe - CPT - rund zwei Wochen lang in Deutschland verschiedene Haftanstalten untersucht. Vom 28. bis zum 30. November 2005 war der CPT in der Jugendanstalt in Hameln, also zwei Tage. Während der zwei Wochen insgesamt in Deutschland hat sich der CPT mit folgenden Themen beschäftigt: Unterbringung von Abschiebegefangenen, Vollzugskonzeption, Gewalt zwischen Gefangenen und Subkultur, Einzel- und Gemeinschaftsunterbringung, Fixierung Gefangener in besonders gesicherten Hafträumen, Gewährleistung von Hygiene und Zufuhr von Tageslicht und Luft, Nichtraucherschutz, Kontrolle des Briefverkehrs sowie Umgang des Personals mit den Gefangenen und Personalausstattung, insbesondere im Bereich des medizinischen Dienstes der Anstalt.

Der CPT gehört organisatorisch dem Europarat an. Er prüft durch regelmäßige Besuche in Mitgliedstaaten des Europarats die Behandlung von Personen, denen die Freiheit entzogen ist.

Das Gremium setzt sich aus unabhängigen und unparteiischen Experten aus verschiedenen Bereichen und Mitgliedstaaten des Europarats zusammen. Der Ausschuss besucht Haftanstalten, Polizeigewahrsamseinrichtungen und psychiatrische Einrichtungen. Die Mitglieder des CPT haben freien und ungehinderten Zugang zu allen Orten, an denen Menschen festgehalten werden. Die Be

richte des Ausschusses sind so lange vertraulich, bis sich der besuchte Staat mit einer Veröffentlichung einverstanden erklärt. Bei Verweigerung oder Ablehnung von Verbesserungsempfehlungen kann der CPT hierzu eine öffentliche Erklärung abgeben.

Der Bericht über den Besuch des CPT in der Bundesrepublik Deutschland ist dem Niedersächsischen Justizministerium in deutscher Übersetzung am 31. Oktober 2006 zugeleitet worden. Er ist eingehend geprüft und gewürdigt worden. Soweit die Landesregierung aufgrund des Berichts Handlungsbedarf für den niedersächsischen Justizvollzug gesehen hat, sind entsprechende Maßnahmen in die Wege geleitet worden. Zum Beispiel haben die Feststellungen des CPT zur Unterbringung jugendlicher Abschiebegefangenen zu der Schlussfolgerung geführt, diese Abschiebegefangene nicht mehr in der Jugendanstalt Hameln, sondern nur noch in der Abteilung Langenhagen der JVA Hannover unterzubringen. In dem Bericht des CPT wird die Jugendanstalt Hameln in mehreren Bereichen - das ist in den Presseveröffentlichungen leider nicht vorgetragen worden oder zum Ausdruck gekommen - ausgesprochen positiv bewertet. So wird darin das Verfahren der ärztlichen Eingangsuntersuchungen bei der Aufnahme Gefangener und die Fotodokumentation von sichtbaren Befunden und Verletzungen jeder Art - einschließlich Hautkrankheiten, Arbeitsunfällen, Sportund auch Selbstverletzungen - als „besonders gut organisiert“ bezeichnet. Dazu ein wörtliches Zitat:

„Der CPT ersucht die deutschen Behörden, dieses System der computergestützten Aufzeichnung von Verletzungen, die bei der Aufnahme eines neuen Gefangenen in der Haftanstalt festgestellt werden, in allen deutschen Haftanstalten einzuführen.“

Der CPT lobt auch das Konzept der Anstalt zur Verhinderung von Gewalt und das konsequente Einschreiten bei tätlichen Auseinandersetzungen und Übergriffen. Auch hierzu ein wörtliches Zitat:

„In Hameln bemühte sich die Anstaltsleitung bereits seit vielen Jahren darum, dieses Problem auf mehreren Ebenen zu bekämpfen, und konnte einige Erfolge vorweisen. Die gefährdetsten Gefangenen wurden z. B. in einem speziellen Gebäude untergebracht, und mächtige Gruppen wur

den zerstreut, indem sie in der ganzen Einrichtung verteilt wurden.“

So viel zur Subkultur in Anstalten.

Diese Erfolge spiegeln sich auch in der Statistik wider. Die Zahl der schwerwiegenden tätlichen Auseinandersetzungen unter den Gefangenen konnte von 94 im Jahr 2002 auf 77 im Jahr 2004 und auf 45 im Jahr 2006 verringert werden.

Auch das Konzept zur Suizidprophylaxe in der Jugendanstalt Hameln wird in dem Bericht des CPT gewürdigt:

„Der CPT möchte die in der Jugendhaftanstalt Hameln unternommenen beachtlichen - und erfolgreichen - Bemühungen zur Senkung des Selbstmordrisikos hervorheben … Der CPT fordert die Behörden aller anderen Bundesländer auf, die Einführung eines solchen Programms in allen deutschen Justizvollzugsanstalten in Betracht zu ziehen.“

Glücklicherweise hatten wir in den letzten vier Jahren in der Jugendanstalt Hameln keinen einzigen Suizid. In den vier Jahren zuvor waren es insgesamt sechs Suizide.

Im Übrigen lobt der CPT Größe und Ausstattung der Hafträume, bewertet das anstaltsinterne Gesundheitszentrum als „beeindruckend“ und die fachärztliche Versorgung, meine Damen und Herren, als „höchst zufriedenstellend“. Das „formalisierte Instrument für Beschwerden an die Anstaltsleitung“ sei gut, ebenso die Einführungskurse und Infobroschüren für Gefangene in verschiedenen Sprachen.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Namen der Landesregierung wie folgt.

Zu Frage 1: In der Kleinen Anfrage ist die Rede von einem aufgefundenen Register des Anstaltsarztes mit Fotos von Jugendlichen mit körperlichen Verletzungen. Diese Fotos, meine Damen und Herren, sind jedoch nicht „gefunden“ worden, wie es die Berichte suggerieren und wie es in einer Pressemitteilung der Grünen vom 18. April 2007 dargestellt wird. Sie sind auch nicht „zutage gebracht worden“, wie es die SPD in einer Presseinformation vom selben Tag behauptet. Es sind vielmehr Bestandteile einer offiziellen Bilddokumentation in der Anstalt. Diese Dokumentation hat

der Anstaltsarzt selbst dem CPT präsentiert. Darüber hinaus sind die Aufnahmen Bestandteil der jeweiligen Gesundheitsakte jedes einzelnen Gefangenen. Sie werden u. a. zur Analyse und Prävention von Übergriffen verwendet und auch gegebenenfalls zur strafrechtlichen Verfolgung genutzt. Wie bereits erwähnt und wörtlich zitiert, fand diese Form der Dokumentation die ausdrückliche Anerkennung des CPT.

Die Landesregierung sieht damit die in der Jugendanstalt Hameln praktizierte „Kultur des Hinschauens“ bestätigt. Dem systematischen und genauen Hinschauen folgt entschlossenes Handeln. Bedrohungs- und Einschüchterungsversuchen subkulturell orientierter Gefangener treten die Bediensteten entschieden entgegen. Das konsequente Vorgehen der Anstalt hat zu einem deutlichen Rückgang der Auseinandersetzungen zwischen den jungen Gefangenen geführt. Solche Übergriffe werden sich auch wegen der Persönlichkeitsstrukturen der im Jugendstrafvollzug einsitzenden Gefangenen nie ganz verhindern lassen.

Die Jugendgerichte verhängen eine Jugendstrafe nur als letztes Mittel. Dies ist statistisch belegt. Nur 4,6 % aller nach dem JGG verurteilten Straftäter erhalten Jugendstrafen ohne Bewährung. 20 % dieser Verurteilten sind dann für eine Unterbringung im offenen Vollzug geeignet. Die Übrigen befinden sich im geschlossenen Vollzug.

Von den mehr als 600 jungen Gefangenen im geschlossenen Vollzug der Jugendanstalt Hameln sind rund 300 Gefangene wegen Körperverletzung, wegen Sexual- oder Tötungsdelikten oder wegen anderer Gewaltdelikte verurteilt.

Wesentliches Ziel der Erziehung im Jugendvollzug ist es, dass diese Gefangenen im Verlaufe dieser Unterbringung lernen, Konflikte nicht mehr durch Gewalt so lösen. Dieses Ziel verfolgt die Anstalt durch verschiedene Maßnahmen: Durch konsequente Sanktionen einerseits, aber, meine Damen und Herren, auch durch Behandlungsprogramme wie die Sozialtherapie in der Jugendanstalt, durch soziales Training und auch durch Anti-Aggressionstraining sollen die Gefangenen lernen, ein anderes Konfliktlösungsverhalten einzuüben.

Zu Frage 2: In der Jugendanstalt Hameln sind rund 600 junge Inhaftierte untergebracht. Diese jungen Inhaftierten werden von zwei Anstaltsärzten, davon einem mit der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit beschäftigter Arzt, und weiteren, regelmäßig in der

Anstalt anwesenden nebenberuflichen Fachärzten ambulant versorgt. Stationär behandlungsbedürftige Gefangene werden in das niedersächsische Justizvollzugskrankenhaus in Lingen oder in öffentliche Krankenhäuser in der Nähe verlegt.

Im medizinischen Bereich werden in der Jugendanstalt regelmäßig sechs Bedienstete des mittleren Dienstes eingesetzt. Damit ist eine Assistenz der Anstaltsärzte wochentags morgens ab 6 Uhr bis zum abendlichen Einschluss der Gefangenen sowie mit einer Pflegekraft an Wochenenden auch gewährleistet.

Ein ständiger Einsatz von Pflegepersonal im medizinischen Bereich während der Nachtzeit ist aufgrund der grundsätzlichen Einzelunterbringung der Inhaftierten in verschlossenen Hafträumen und wegen der baulichen Struktur der Jugendanstalt Hameln unseres Erachtens nicht erforderlich. Der Nachtdienst erfüllt anders als der Tagesdienst auch im medizinischen Bereich nicht den Zweck, Gefangene zu beaufsichtigen, zu behandeln und zu betreuen. Er dient dazu, die Sicherheit der Anstalt zu gewährleisten, insbesondere Ausbrüche zu verhindern, Zellenbrände rechtzeitig zu erkennen oder auch bei Lärmbelästigung zu intervenieren. Deshalb werden die Nachtdienstbeamten vor allem in den Außenbereichen eingesetzt und nur im Bedarfsfall in den Unterkunftshäusern; das ist aber auch gesichert.

Alle Nachtdienstleiter der Jugendanstalt sind, obwohl sie nicht zum medizinischen Personal im engeren Sinne gehören, zu Ersthelfern ausgebildet, sodass grundsätzlich rund um die Uhr Ersthelfermaßnahmen durchgeführt werden können. Alle Bediensteten der Jugendanstalt Hameln werden zudem regelmäßig in Erste-Hilfe-Maßnahmen weitergebildet.

Die Jugendanstalt Hameln liegt zudem günstig zu den Einrichtungen weiterer Hilfsdienste. Dadurch steht auch im Bedarfsfall fachlich qualifizierte Hilfe durch Rettungsdienste und ärztliche Notdienste innerhalb kürzester Zeit zur Verfügung. Darüber hinaus können die Anstaltsärzte auch außerhalb ihrer Dienstzeit für akute vollzugsmedizinische Probleme in Anspruch genommen werden. Nur selten besteht die Notwendigkeit einer stationären medizinischen Versorgung während der Nachtstunden in der Jugendanstalt Hameln. In diesen Einzelfällen erfolgt eine Verlegung in das niedersächsische Justizvollzugskrankenhaus oder, wie bereits gesagt, in die örtlichen Krankenhäuser.

Nach Auffassung der Landesregierung ist die personelle Ausstattung mit Pflegekräften deshalb ausreichend.

Zu Frage 3: Gefangenen steht in unserem Rechtsstaat eine Vielzahl von förmlichen und nicht förmlichen Rechtsbehelfen zur Verfügung. Es gibt eine hocheffiziente gerichtliche Kontrolle des Strafvollzuges durch die Strafvollstreckungskammern. Mit ihren Entscheidungen leisten sie über den Einzelfall hinaus einen bedeutsamen Beitrag zur Vollzugsgestaltung. In zweiter Instanz können sich Gefangene mit Rechtsbeschwerden gegen Beschlüsse der Strafvollstreckungskammern an das Oberlandesgericht Celle als zentrale Rechtsmittelinstanz wenden.