Protocol of the Session on March 8, 2007

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herzlichen Dank. - Für die Landesregierung hat Herr Minister Schünemann das Wort.

(Unruhe)

- Ich bitte erneut um etwas mehr Ruhe. Nach der Abstimmung ist die Mittagspause, in der Sie alle sich erholen können.

Herr Minister, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Diskussion um das Bleiberecht spielen immer auch Emotionen eine Rolle. Wir alle kennen aus unseren Heimatkreisen abgelehnte Asylbewerberfamilien, vielfach mit schulpflichtigen Kindern. Es ist schwierig, sich vorzustellen, dass sie abgeschoben werden müssen. Da wir in einem Rechtsstaat leben, müssen wir jedoch darauf achten, dass wir gerechte Lösungen durchsetzen und dass der Rechtsstaat durchgesetzt wird.

Dennoch habe ich mich dafür eingesetzt - dies halte ich für absolut richtig -, dass gerade Familien mit Kindern, aber auch Jugendliche, die seit vielen Jahren in Deutschland leben, die Möglichkeit haben, hier zu bleiben, wenn sie wirtschaftlich und sozial integriert sind. Was bedeutet „wirtschaftlich und sozial integriert“?

„Sozial integriert“ heißt, dass sie die deutsche Sprache sprechen müssen. Es ist aber völlig klar, dass jemand, der straffällig geworden ist, nicht von einer Bleiberechtsregelung begünstigt werden

kann. Herr Bachmann, darin sind wir uns wirklich einig. Das will ich eindeutig sagen.

„Wirtschaftlich integriert“ bedeutet, dass man seinen Lebensunterhalt auf Dauer selbst bestreiten kann. Oftmals sind die ausreisepflichtigen Personen über einen längeren Zeitraum hinweg von den Sozialsystemen begünstigt und leben auf Kosten der Gesellschaft. Das wird die Gesellschaft auf Dauer nicht akzeptieren. Deshalb müssen wir Wert darauf legen, dass sie zumindest die Chance haben, ihren Lebensunterhalt vernünftig zu verdienen.

(Beifall bei der CDU - Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Von uns will doch niemand, dass das auf Dauer ist!)

- Herr Bachmann, ich sage deutlich, dass das bisher immer Haltung der SPD-Fraktion gewesen ist.

Ich möchte einmal deutlich machen, warum das nach den Regelungen der Großen Koalition, wenn sie denn umgesetzt werden, nicht mehr der Fall ist; dann haben wir einen Paradigmenwechsel. Wir können ruhig darüber diskutieren. Wenn Sie es nicht wollen, dann bin ich mir sicher, dass Sie meiner Position beitreten werden.

Im November haben die Innenminister in Nürnberg einen Kompromiss gefunden, der übrigens von allen getragen worden ist, auch von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Ansonsten wäre das gar nicht machbar gewesen. Herr Bachmann, der Bundesgesetzgeber hat den Ländern mit einer Anordnung die Möglichkeit gegeben, Bleiberechtsregelungen aus humanitären Gründen zu treffen. Es war ausdrücklicher Wunsch des Bundes, dass das auf Länderebene gemacht wird. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, ist es das erste Mal, dass ein Bundesgesetzgeber eine solche Regelung auf Bundesebene so ernsthaft diskutiert und vielleicht sogar umsetzt.

Meine Damen und Herren, die Betroffenen bekommen bis zum 30. September eine Duldung. Der Bundesarbeitsminister - das muss man sich noch einmal in Erinnerung rufen! - hat sich geweigert, die Vorrangprüfung bei einer Duldung derjenigen, die schon acht Jahre lang in Deutschland sind, wegfallen zu lassen. Frau Langhaus, der SPD-Bundesarbeitsminister hat es nicht ermöglicht, auf die Vorrangprüfung zu verzichten! Wir haben Gott sei Dank einen Trick gefunden - das sage ich ganz offen -, damit dies bei den Betroffenen auch in Zukunft möglich ist. Das heißt, sie

müssen erst einen Arbeitsvertrag vorlegen, auf dem der Arbeitgeber unterschrieben hat. Dann bekommen sie ein Aufenthaltsrecht. Danach muss der Arbeitnehmer unterschreiben. Dadurch hat jeder bis zum 30. September eine vernünftige Chance, zu versuchen, den Lebensunterhalt auf Dauer selbst zu bestreiten.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Langhans?

Sehr gern.

Herr Minister, Sie haben zu Recht gesagt, dass Arbeitsminister Müntefering es versäumt habe, die Vorrangprüfung wegfallen zu lassen. Aber verweigern nicht auch Sie sich dem, was jetzt auf Bundesebene vorgesehen ist, nämlich in dieser Zeit eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, um eine Arbeit ohne Vorrangprüfung aufnehmen zu können?

(Zustimmung von Dorothea Steiner [GRÜNE])

Ich werde Ihnen den Grund nennen, warum ich dagegen bin: Das wäre nämlich eine Verfestigung des Aufenthaltsstatus mit all den Folgen, die ich im Zusammenhang gerne noch darstellen möchte.

Wir haben übrigens im Bundesrat beantragt, dass die Vorrangprüfung auch für die Folgefälle - man ist seit einem Jahr in Deutschland, hat das Asylverfahren durchlaufen und hat eine Duldung - nicht mehr gelten soll. Wenn alle im Bundestag diesen Antrag unterstützen würden, dann hätten wir in der Zukunft überhaupt kein Problem damit. Wir sind also schon sehr viel weiter als das, was hier diskutiert wird.

Meine Damen und Herren, in Niedersachsen haben wir mit dieser neuen Bleiberechtsregelung gute Erfahrungen gemacht. Die Zahlen sind bereits genannt worden. Allein in den ersten zwei Wochen, also bis Ende des Jahres, haben wir mehr als 1 600 Anträge gehabt. Nur etwa 60 Anträge

sind abgelehnt worden. Alle anderen haben bis zum 30. September eine faire Chance, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten.

Die Zahl der Anträge, die ich für Niedersachsen genannt habe - es gibt nur Quartalszahlen -, nämlich 5 000 bis 6 000, ist durchaus realistisch. Eine derart umfassende Bleiberechtsregelung hat es in der Vergangenheit noch nie gegeben.

Frau Langhans, ich möchte Ihnen Folgendes noch einmal deutlich sagen; denn Sie führen es ja immer wieder an: Wenn kein Pass vorliegt, bekommt man keine Arbeit. Meine Damen und Herren, das ist richtig. Das ist aber immer so. Warum wird der Pass oder warum werden Passersatzpapiere nicht beantragt? - Wir sind gerne dabei behilflich, das Ganze umzusetzen. Das versuchen wir schon seit Jahren. Der Pass wird absichtlich nicht angefordert; denn wenn man den Pass hat, wird deutlich, wer die Person tatsächlich ist, welche Nationalität sie hat und ob überhaupt eine Möglichkeit besteht, sie zurückzuführen. Das will man aber nicht, weil man auf Dauer in den Sozialsystemen ist. Das können wir mit der Bleiberechtsregelung natürlich nicht sanktionieren. Das ist völlig klar.

(Beifall bei der CDU)

Für eine gesetzliche Regelung gibt es überhaupt keine Notwendigkeit; denn die Innenministerkonferenz hat hier einen vernünftigen Beschluss umgesetzt.

Jetzt möchte ich einmal darauf eingehen, was zurzeit in Berlin diskutiert wird. Dort wird gesagt: Man soll sofort einen Aufenthaltstitel bekommen, und zwar für drei Jahre bis Ende 2009, obwohl man noch keine Arbeit hat. In dieser Zeit soll man versuchen, eine Arbeit zu bekommen. Wenn man im letzten halben Jahr eine Arbeit aufgenommen hat oder für die Zukunft Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Lebensunterhalt überwiegend gesichert sein wird, bekommt man noch einmal zwei Jahre Verlängerung, d. h. bis zum Jahre 2011. Wer in der Praxis ist, weiß ganz genau, dass man mit einem solchen Passus auf jeden Fall immer eine Chance hat, eine Verlängerung zu bekommen, wenn man beim Arbeitgeber einmal vorbeigeguckt hat. Man kann sogar dagegen klagen, wenn man keine Verlängerung bekommen hat.

Wenn man ein Aufenthaltsrecht hat - das ist anders als bei der Duldung -, bedeutet das, dass man nach dem Ablauf, also nach 2011, wieder eine Ausreiseaufforderung zustellen muss. Dage

gen kann man den Rechtsweg beschreiten. Dieser Rechtsweg wird im Durchschnitt zwischen ein und zwei Jahre beschritten. Das heißt, wir sind dann im Jahre 2013. Jetzt haben wir März 2007!

Es ist doch völlig klar, dass die Betroffenen in dieser Zeit von der Sozialhilfe leben können; sie haben überhaupt keine Motivation, in irgendeiner Weise eine Arbeit aufzunehmen. Eine Familie mit drei Kindern bekommt netto 1 826 Euro Sozialhilfe.

Meine Damen und Herren, wenn diese Regelung umgesetzt wird, können Sie nicht davon ausgehen, dass eine Motivation besteht, eine Arbeit aufzunehmen. Sie machen mit diesem Beschluss im Sommer ein Fass auf. Die betroffenen Personen werden bis zum Jahr 2013 gesichert in Deutschland bleiben können. Danach wird sie niemand mehr abschieben können. Auf Dauer wird es eine Zuwanderung in die Sozialsysteme geben. Das ist meiner Ansicht nach etwas, was wir nicht akzeptieren können.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich möchte nun darauf eingehen, welcher Kompromiss aus Bayern vorgelegt worden ist. Die Bayern haben erkannt, dass es keine Motivation ist, eine Arbeit aufzunehmen, wenn eine fünfköpfige Familie 1 886 Euro bekommt. Dann sagen Sie: Wir sollen, wenn man einen Aufenthaltstitel bekommt, um 30 % abgesenkte Asylbewerberleistungsbeträge gewähren. Das heißt, mit einer Duldung bekommen die Betroffenen 30 % mehr, als wenn sie einen gesicherten Aufenthaltstitel haben. Ich finde das charmant. Ich muss aber ganz ehrlich sagen: Ob das unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten möglich ist, ist schwierig zu beantworten. Ich habe allerdings gehört, dass sowohl der Bundesinnenminister als auch die Große Koalition meinen, dass dies zustimmungspflichtig ist. Wenn das wirklich Gesetz wird, gucke ich mir das gerne an. Dann können wir noch einmal darüber diskutieren. Aber insgesamt wäre der Paradigmenwechsel völlig falsch.

Meine Damen und Herren, das alles zeigt doch, dass der Kompromiss, den die Innenminister in Nürnberg verabredet haben, vernünftig und ausgewogen ist. Wir müssen sehen, dass wir in unserer Gesellschaft eine Akzeptanz dafür bekommen, dass es keine Zuwanderung in die Sozialsysteme gibt. Aber gerade für Familien mit Kindern und für Jugendliche muss es zukünftig ein Bleiberecht

geben, wenn sie sich vernünftig integriert haben. Deshalb kann ich nur sagen: Lassen Sie die Hände von einer gesetzlichen Bleiberechtsregelung! Verkoppeln Sie dies doch nicht mit dem Zuwanderungsrecht! Das hat damit überhaupt nichts zu tun.

Die Innenminister der Union sind sich absolut einig darin, dass das, was da beschlossen werden soll, falsch ist. Einzig und allein wird eine Abwägung vorgenommen, weil sich die Sozialdemokraten sonst angeblich weigern würden, z. B. beim Familiennachzug Deutschkenntnisse zu fordern oder anderes umzusetzen. Ich halte es für fatal, eine falsche Bleiberechtsregelung als Kompromissangebot für etwas zu haben, was meiner Ansicht nach absolut notwendig ist. Bei den Aussiedlern haben wir das schon längst umgesetzt. Dass sich die Sozialdemokraten da verweigern, kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Herr Bachmann, Sie haben es hier selber als eine gute Möglichkeit dargestellt.

Meine Damen und Herren, ich kann nur hoffen, dass wir in Berlin noch zu einer vernünftigen Diskussionsgrundlage kommen, dass man sich daran erinnert, dass die Innenminister in der Vergangenheit auch vernünftige Regelungen gemacht haben. Für eine gesetzliche Regelung besteht überhaupt keine Notwendigkeit. Wenn klar ist - das will ich hier einmal in aller Ernsthaftigkeit sagen -, dass man hier bis zum Jahre 2013 gesichert von Sozialhilfe leben kann, dann wird damit ein falsches Signal ausgesendet; das ist ein Signal an Schlepperorganisationen, dass die Betreffenden anschließend hier bleiben können. Meine Damen und Herren, wir dürfen auf gar keinen Fall zulassen, dass die Schlepperorganisationen irgendeine Motivation erhalten, mit menschlichen Schicksalen Geld zu verdienen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Deshalb ist meine Haltung in der Bleiberechtsfrage eindeutig. Ich weiß nicht, was in Berlin passiert. Manchmal sind Große Koalitionen so, dass man auch Unsinniges beschließen muss.

(Beifall bei der FDP)

Ich bin froh, dass ich nicht dabei bin. Aber ich sage Ihnen auch: Die Diskussion kann dann nicht aufhören, wenn auf der einen Seite Zuwanderung in Sozialsysteme zugelassen wird, man sich auf der anderen Seite aber bei Höherqualifizierten und bei Selbstständigen, die Arbeitsplätze in diesem Land

suchen, abschottet, wie es die SPD und Müntefering machen. Was ist das denn für ein Signal?

(Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Das ist doch einfach nicht wahr!)

Weltoffen will man sein. Ich sage: Zuwanderung in Sozialsysteme nicht; aber bei Hochqualifizierten kann man durchaus Weltoffenheit zeigen, und dafür trete ich ein.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Um zusätzliche Redezeit hat Frau Kollegin Langhans gebeten. Bitte schön, Sie haben für anderthalb Minuten das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich etwas zu der ewig wiederkehrenden Mär von Schlepperorganisationen sagen. Dass Sie damit hier noch immer hausieren gehen, Herr Schünemann, ist schon mehr als peinlich; denn die Zahl der Zuwanderer hat so drastisch abgenommen, dass man davon in der Tat wirklich nicht mehr reden kann. Seit Jahren nimmt die Zahl immer weiter ab. Dass Sie damit noch immer kommen, ist wieder einmal ein Zeichen für das unglaubliche Misstrauen, das Sie allen Zuwanderern entgegenbringen.

Um es noch einmal klarzustellen: Wir hätten keine Zuwanderung in die Sozialsysteme, wenn Sie sich anders verhalten würden. Keiner der geduldeten Flüchtlinge ist berechtigt, an Qualifizierungsmaßnahmen teilzunehmen. Keiner ist berechtigt, an Integrationsmaßnahmen teilzunehmen.

(Reinhold Coenen [CDU]: Das stimmt doch nicht!)