Protocol of the Session on March 7, 2007

(Beifall bei der SPD)

Wir können hier heute sicherlich nicht auf alle Einzelheiten eingehen, aber ich will einige Punkte herausgreifen.

Dass die Resozialisierung nicht mehr das alleinige Ziel des Strafvollzuges sein soll, stört uns schon sehr; denn die Sicherheit, die Sie als gleichwertig daneben setzen, ist eine Selbstverständlichkeit.

Man muss sie nicht noch einmal in einem Gesetz festschreiben. Wenn Sie es trotzdem tun, dann wird damit meiner Meinung nach der Wert der Resozialisierung ein Stück weit herabgewürdigt. Das halten wir grundsätzlich für falsch.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden auch all das kritisch hinterfragen - das machen wir nicht nur in den Beratungen in den Fachausschüssen, das eigentlich schon seit mehr als zwei Jahren -, was Sie aus Ihrem einheitlichen Vollzugskonzept jetzt in Gesetzesform zu übernehmen versuchen. Das bezieht sich zum einen auf die Frage des Chancenvollzugs. Sie haben vorhin gesagt, dass Sie Schuldnerberatung anbieten wollen. Ich finde es in Ordnung, dass das gemacht wird; darüber brauchen wir gar nicht zu reden. Wenn Sie dann sagen, das sei für den Basisvollzug und im Chancenvollzug werde dann bei der Schuldenregulierung geholfen, dann hört sich das richtig klasse an, Frau Ministerin. Man muss aber wissen - Sie wissen das -, wie viel ein Gefangener überhaupt nur verdienen kann, nämlich ungefähr 200 Euro im Monat, wenn er in der Anstalt voll arbeitet, und wie viel er von diesen 200 Euro behalten kann. Von diesen 200 Euro soll er vier Siebtel als Überbrückungsgeld ansparen; das ist völlig in Ordnung. Aber aus den restlichen drei Siebteln soll er sich nach Ihren Vorstellungen an allen möglichen Kosten beteiligen und dann zusätzlich auch noch seine Schulden begleichen. Dann ist das keine Chance, sondern es ist schlicht und einfach albern, so etwas zu behaupten.

(Clemens Große Macke [CDU]: Al- bern ist es, wenn Sie so etwas sa- gen!)

Mit diesem bisschen Geld lässt sich keine Schuldenbegleichung machen. Auch darüber werden wir uns noch unterhalten.

(Beifall bei der SPD)

Dasselbe gilt für den Umgang mit Lockerungen. Lockerungen sind kein Gnadenerweis, sondern ein dringend notwendiges Mittel, um Entlassungen vorzubereiten und um zu erproben, ob sich ein Gefangener in der Freiheit wieder straffrei bewegen kann. Auch da werden wir nicht nur darauf achten, wie der Gesetzestext aussieht, sondern auch darauf, wie hinterher faktisch gehandelt wird.

Das Recht auf eine Einzelzelle möchten wir auf jeden Fall beibehalten. All das, was Sie bisher zur

Begründung angeführt haben - dass man es nämlich bei Suizidgefährdung usw. anders regeln können muss -, hat schon im alten Gesetz gestanden. Jetzt haben Sie nichts anderes als den Versuch vor, einer eventuell irgendwann mal wieder drohenden Überbelegung - die ich zurzeit in Niedersachsen für absolut unwahrscheinlich halte - begegnen zu können, indem Sie Einzelzellen, die im Neubau knapp 9 m2 betragen - mit Tisch, Bett, Schrank und Stuhl ist die Zelle voll -, doppelt belegen. Es dürfte schwierig sein, einen zweiten Gefangenen in eine solche Zelle zu packen; dies wäre auch nicht in Ordnung.

Ich muss noch ein paar Dinge ansprechen, z. B. die Frage, wie man soziale Bindungen der Inhaftierten an die Familien erhält. Das ist ganz wichtig, um Rückfälle zu verhindern. Ich nenne hier nur das Stichwort Pakete; über den Rest können wir im Ausschuss reden.

Natürlich gefällt meiner Fraktion der § 171 überhaupt nicht. Das ist der Paragraf, der eine Teilprivatisierung der Gefängnisse ermöglicht. Wir haben schon lange und immer wieder darüber geredet und werden dies auch jetzt wieder tun.

Es gibt dennoch - das gebe ich gern zu und erwähne es hier - einige positive Ansätze, z. B. die §§ 67 bis 69. In ihnen geht es um die durchgehende Betreuung, also um das, was wir auch Nachsorge nennen und alle miteinander, glaube ich, für notwendig halten und was verstärkt werden soll. Wir werden Sie aber daran messen, Frau Ministerin, ob das nur Gesetzeslyrik ist oder ob da auch etwas passiert; denn durchgehende Betreuung und eine verstärkte Nachsorge kosten Personal und Geld.

Zum Thema U-Haft will ich nur ganz wenige Sätze sagen. Dieser Bereich ist bisher nie gesetzlich geregelt gewesen. Wir finden es in Ordnung, dass es jetzt geschieht. Wir werden genau hingucken, wie der Richtervorbehalt und die Verantwortung der Anstalt geregelt werden. Natürlich sind wir uns darüber im Klaren, dass U-Häftlinge noch nicht schuldig sind und als unschuldig zu gelten haben. Von daher sind die Verhältnisse andere.

Ich will nur noch zwei Sätze zu dem Thema Sicherungsverwahrung sagen.

Frau Müller, bitte beschränken Sie sich auf einen Satz!

Natürlich wissen wir, dass es Menschen gibt, bei denen keine Resozialisierung hilft. Ich glaube, die Finger meiner beiden Hände reichen aus, um durchzuzählen, wie viele solcher Menschen wir in Niedersachsen haben. In diesem Gesetzentwurf sind eine Reihe von Erschwernissen vorgesehen, über die wir im Rechts- und Verfassungsausschuss und im Unterausschuss Strafvollzug werden intensiv beraten müssen. Es werden Anhörungen nötig sein, worauf wir uns im Ausschuss bereits grundsätzlich verständigt haben. Wir werden uns während der Beratungen streiten; da bin ich mir ganz sicher. Dies halte ich auch für in Ordnung. Dieses Gesetz ist so wichtig, dass es verdient, dass wir uns im Zweifelsfalle streiten, wenn wir unterschiedlicher Meinung sind, und dass wir es in aller Ruhe miteinander beraten. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Frau Peters, Sie haben jetzt für die FDP-Fraktion das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vom Bundesverfassungsgericht wurde verpflichtend vorgegeben, bis zum Ende dieses Jahres ein Jugendvollzugsgesetz zu schaffen. Seit Jahren wird beanstandet, dass es kein Gesetz für den U-Haftvollzug gibt. Diesen beiden Problemkreisen hilft die Landesregierung nunmehr ab, indem sie den Entwurf für ein niedersächsisches Vollzugsgesetz vorlegt. Im Interesse einer schlanken Gesetzgebung ist auch der allgemeine Erwachsenenvollzug, für den die Länder nach der Föderalismusreform die Gesetzgebungskompetenz erhalten haben, in diesem Gesetzentwurf verankert worden. Die Kritik der Opposition, dass es verfassungswidrig sei, dies alles in ein Gesetz zu packen, kann ich nicht nachvollziehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das Bundesverfassungsgericht dazu herablässt, die Anzahl der Buchrücken zum Maßstab dafür zu machen, ob ein Gesetz verfassungsgemäß ist oder nicht.

(Zustimmung von Jörg Bode [FDP])

Bereits im Vorfeld des jetzt vorliegenden Gesetzentwurfs haben die Fraktionen der CDU und der

FDP mit dem Ministerium über die Eckpunkte und die sich daraus ergebenden Folgen diskutiert und sich über wesentliche, maßgebliche Punkte verständigt. Lassen Sie mich auf einige Schwerpunkte eingehen.

Im Bereich der U-Haft wurde aus der Praxis heraus stets reklamiert, dass die Zuständigkeit für Vollzugsentscheidungen aufgrund von Praktikabilitätserwägungen besser bei den Justizvollzugsanstalten als bei den Richtern aufgehoben sei, da Erstere näher am Gefangenen seien. Dieser Argumentation kann man sich nicht vollständig verschließen, wenn man die tatsächliche Handhabung in den letzten Jahren betrachtet. Zu einem großen Teil wird bereits jetzt die Zuständigkeit für den Vollzug an die Justizvollzugsanstalten delegiert. Daraus zu schließen, dass die Justizvollzugsanstalten gesetzlich zuständig sein sollten und der Richtervorbehalt insofern entfallen müsse, ist nach unserer Auffassung jedoch nicht zulässig. Das Gesetz aber der gelebten Praxis anzugleichen, indem die Zuständigkeit immer dann, wenn der Richter sie nicht für sich reklamiert, bei der Justizvollzugsanstalt liegen soll, halten wir für legitim. Die Formulierung des § 131 Abs. 1 Satz 2 „Das Gericht kann sich die Entscheidung vorbehalten“ wird unseres Erachtens den rechtsstaatlichen Anforderungen und dem Schutz der richterlichen Gewalt gerecht.

(Zustimmung bei der FDP)

Die Regelung erscheint uns als Vereinfachungsmaßnahme sowohl für die Gerichte als auch für die Justizvollzugsanstalten, um beide zu entlasten.

Darüber hinaus bleibt es im Bereich der Untersuchungshaft weiterhin bei dem Grundsatz, dass eine gemeinsame Unterbringung der U-Haftgefangenen mit Strafgefangenen nicht zulässig ist. Das entspricht nach unserer Auffassung dem Grundsatz, dass der noch nicht Verurteilte als unschuldig anzusehen ist.

(Zustimmung bei der FDP)

Im Bereich des Jugendvollzugs drückt die Formulierung des § 112 „Der Vollzug ist erzieherisch zu gestalten“ die Abgrenzung zum Erwachsenenvollzug aus. Nicht in erster Linie Strafe, sondern die Hilfestellung für die Entwicklung zu einem straffreien Mitglied unserer Gesellschaft soll nach dem Willen des Bundesverfassungsgerichts Inhalt des Jugendvollzugs sein.

Dem Willen des Bundesverfassungsgerichts wird auch dadurch Rechnung getragen, dass die Besuchsmöglichkeiten mit mindestens vier Stunden im Monat vorgesehen sind und darüber hinaus auch noch Langzeitbesuche gewährt werden können. Auch halte ich für erwähnenswert, dass anerkannt wurde, dass das Ende einer Ausbildungsmaßnahme durchaus einmal nach dem Entlassungszeitpunkt liegen kann. In § 123 wird die Rechtsgrundlage dafür geschaffen, dass die Maßnahme nicht wegen des Endes der Jugendstrafe abgebrochen werden muss, sondern noch beendet werden kann. Dies ist, glaube ich, im Entwurf der Grünen auch enthalten. Dass wir hier zu gleichen Ergebnissen kommen, sehe ich durchaus als positiv an. Im Hinblick auf die Ziele des Jugendvollzugs, die jungen Gefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen, ist dies sicherlich ein sehr sinnvoller Baustein.

In Niedersachsen wird im Bereich des Jugendvollzugs bereits bundesweit beispielgebende Arbeit geleistet. Ich denke hier an das Projekt „Basis“. Junge Gefangene werden vor ihrer Entlassung außerhalb des Vollzugs erprobt und während des Vollzugs auf diese Erprobung vorbereitet. Schrittweise wird ihre Selbstständigkeit gefordert und gefördert. Die offensichtlich hohe Wirksamkeit dieser Maßnahme, die einer Evaluation zufolge zumindest für einen Zeitraum von 16 Monaten nach der Entlassung keinen Rückfall zu verzeichnen hatte, führt zu einer Auszeichnung durch den Bundespräsidenten mit dem Förderpreis Kriminalprävention.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will nicht verhehlen, dass auch ich mir im Gesetzentwurf noch die eine oder andere Konkretisierung zum Jugendvollzugsbereich vorstellen kann. Ich denke z. B. an die Bindungswirkung, die Pakete von zu Hause für Jugendliche durchaus entfalten könnten. Das aber mag die parlamentarische Beratung ergeben.

(Ralf Briese [GRÜNE]: Es muss noch vieles geändert werden, damit das gut wird!)

Aber so, wie ich das gerade geschildert habe, meine Damen und Herren, sieht doch kein Schäbigkeitswettbewerb aus. So gehen die ständigen Lamentos gegen die Arbeit der Landesregierung doch wohl vollständig ins Leere.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, kurz zum Erwachsenenvollzug: Meine Äußerungen zum Chancenvollzug können Sie in den Plenarprotokollen der letzten Monate nachlesen. Zu Recht stellt der Gesetzentwurf die Bedeutung der Mitarbeitsbereitschaft der Gefangenen heraus; denn ohne Mitarbeit ist ein Erfolg unmöglich - also schlicht Ressourcenverschwendung. Das kann und darf sich heute kein Land leisten.

Allerdings - und das ist mir wichtig - ist zu beachten, dass die besondere Klientel in den JVAen im Wesentlichen nicht gerade aus hochgradig motivierten Personen besteht. Wir sind also in der Pflicht, die Resozialisierung voranzutreiben und die in § 6 angesprochenen Maßnahmen aktiv zu betreiben. Eine Einstellung der Maßnahmen darf nur dann zulässig sein, wenn ihr Zweck dauerhaft nicht erfüllt werden kann. Die Betonung liegt hierbei auf „dauerhaft“. Das ist mir sehr wichtig.

Ich darf meinen Satz aus den Haushaltsberatungen vom 7. Dezember 2006 wiederholen: „Für mich hat die Resozialisierung Verfassungsrang.“ Der Stellenwert, den die Landesregierung der Resozialisierung einräumt, wird mit § 5 Satz 1 des vorliegenden Gesetzentwurfs unterstrichen. Auch Frau Heister-Neumann hat in ihrem Vortrag noch einmal den Wert der Resozialisierung für die Landesregierung betont. Ich begrüße dies ausdrücklich.

Auch § 174 will ich noch kurz positiv hervorheben. Die Pflicht zur Zusammenarbeit mit den Organisationen der Straffälligenhilfe und den weiteren Einrichtungen - die einzelnen Einrichtungen nenne ich aufgrund der fortgeschrittenen Zeit nicht; Sie können sie aber im Gesetzentwurf nachlesen - wird den Übergang von dem begrenzten Bereich der JVA in den offenen Bereich der Freiheit maßgeblich erleichtern. Auch das ist ein Stück Prävention, da vielfach bereits in den ersten Tagen nach der Entlassung aus der Haft wieder Straftaten verübt wurden, weil der bürokratische, weil der soziale und weil der therapeutische Anschluss an die Welt draußen nicht immer reibungslos klappte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, bei der Gesamtbetrachtung des vorliegenden Gesetzentwurfs lässt sich wohl feststellen: An der einen oder anderen Stelle kann sicherlich noch etwas konkretisiert, etwas nachgeschliffen werden. Vielleicht lässt sich auch die Lesbarkeit noch ein wenig

verbessern. Dazu wird der GBD möglicherweise einige Hinweise geben können.

Und wie sagen einige Herren aus der CDU-Fraktion immer so schön? - Kein Gesetz verlässt den Landtag, wie es hineingekommen ist.

(Jens Nacke [CDU] meldet sich)

- Das war Herr Nacke. - Aber alles in allem betrachtet, hat sich die Arbeit in den letzten Monaten sehr gelohnt, und es wurde ein sehr guter Gesetzentwurf vorgelegt. Es scheint mir sicher, dass ein gutes Gesetz die Folge sein wird. Ich freue mich auf interessante Beratungen in den Ausschüssen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Für die Fraktion der CDU hat jetzt Herr Dr. Biester das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser Tagesordnungspunkt lautet nicht „Reform des Sanktionenrechtes“, sondern „Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Justizvollzuges in Niedersachsen“. Deshalb, Herr Briese, waren Ihre Ausführungen zwar vielleicht durchaus amüsant oder vielleicht nicht amüsant, sondern vielmehr

(Ralf Briese [GRÜNE]: Gehaltvoll! - Dr. Harald Noack [CDU]: Lehrreich!)

lehrreich, wenn auch nicht neu. Aber wir reden heute darüber, was passiert, wenn ein Gericht nach einem strafrechtlichen Verfahren eine Sanktion verhängt hat, und wie diese Sanktion, wenn sie in einer Freiheitsstrafe besteht, in unseren Vollzugsanstalten vollzogen werden soll. Insofern habe ich den Anfang Ihrer Ausführungen nicht recht verstanden.