Protocol of the Session on January 25, 2007

- Oh doch!

(Joachim Albrecht [CDU]: Nein, über- haupt nicht!)

- Fragen Sie doch mal die Leute.

(Zurufe von der CDU)

- Ganz genau. Ins wahre Leben sollten Sie einmal eintreten.

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, genau diese Realitätsverschiebung ist Ihr Problem.

(Joachim Albrecht [CDU]: Sie haben eine Realitätsverschiebung! Wir ma- chen es doch!)

Deswegen reden Sie zwar über gute Maßnahmen, handeln aber genau anders herum. Das ist traurig für die Kinder.

(Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank. - Für die Landesregierung hat Frau Ministerin Ross-Luttmann das Wort.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Nach wel- chem Paragrafen spricht sie jetzt? Die war doch schon dran!)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meines Erachtens sind wir uns hier in diesem Hause doch darüber einig - deshalb bitte ich darum, die Emotionen ein bisschen herunterzufahren -, dass wir alles tun müssen, um Kindern zu helfen und eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Ich glaube, wir sind

uns auch darüber einig, dass die entscheidenden Faktoren Bildung und Arbeit sind. Wir haben heute Morgen bereits eine umfangreiche Debatte über die Schule geführt. Besonders deutlich geworden sind dabei die Maßnahmen der Landesregierung gerade im Bereich der Hauptschulen: Wir haben die Klassengrößen verringert. Wir haben Ganztagsangebote eingeführt. Wir haben Sozialpädagogen an die Hauptschulen entsandt. Dadurch und aufgrund der Tatsache, dass wir für mehr Praxistage gesorgt haben, wofür wir vom Handwerk sehr gelobt worden sind, haben wir erreicht, dass deutlich mehr Ausbildungsverträge abgeschlossen worden sind. In Niedersachsen sind 5,3 % mehr Ausbildungsverträge abgeschlossen worden. Für jeden Einzelnen, der einen Ausbildungsvertrag bekommen hat, ist dies ein großer Erfolg.

(Beifall bei der CDU)

Wir können dem Handwerk nicht genug danken. Das Handwerk hat in den vergangenen Jahren - zu Ihrer Zeit - aber immer geltend gemacht: Wir brauchen qualifizierte Jugendliche. - Mit den Maßnahmen der Landesregierung, mit den Maßnahmen meines Kollegen Bernhard Busemann haben wir genau das erreicht. Wir haben die Hauptschule gestärkt, was das Handwerk begrüßt hat und was zu mehr Ausbildungsverträgen geführt hat. Immerhin liegen unsere Zahlen deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Die Einstiegsqualifikationen sind in den besagten Zahlen nicht enthalten.

Sehr geehrter Herr Albers, Sie haben hier die ProAktiv-Centren angesprochen, und Herr Schwarz ist darauf eingegangen. Natürlich haben wir Veränderungen vorgenommen. Wir haben die unterschiedlichen Maßnahmen, die zu guten Erfolgen geführt haben, bei den Pro-Aktiv-Centren gebündelt und zusammengeführt und auf diese Weise erreicht, dass unsere Jugendlichen einen Ansprechpartner aus einer Hand haben. Ich glaube, dass dies ein Schritt in die richtige Richtung ist. Ich freue mich über jeden Vorschlag Ihrerseits, der darauf abzielt, Kinderarmut erfolgreich zu bekämpfen. Wir nehmen Ihre Vorschläge gern auf und werden sie auch umsetzen, wenn sie dazu beitragen, Kinderarmut erfolgreich zu bekämpfen.

(Beifall bei der CDU - Uwe Schwarz [SPD]: Sie haben noch keinen einzi- gen Vorschlag aufgenommen!)

Danke schön. - Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Meißner. Bitte schön, Sie haben das Wort!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eines ist meines Erachtens ganz wichtig: Kinderarmut lässt keinen von uns kalt. Wir alle wissen, dass es wichtig ist, dass Kinder Chancen haben und im Zuge ihrer Entwicklung Zugang zu allen Bereichen bekommen. Das ist bei allen Regierungen so gewesen. Das ist bei der vorigen Landesregierung genauso gewesen wie jetzt natürlich auch bei unserer Landesregierung. Meiner Meinung nach muss hier vorab Folgendes gesagt werden: Hier wird wieder der Anschein erweckt, dass unter der jetzigen CDU/FDP-Landesregierung alles schlechter geworden sei. Das stimmt doch aber überhaupt nicht!

(Beifall bei der SPD - Zurufe von der SPD: Das ist so!)

- Da brauchen Sie gar nicht zu klatschen. - Sie sollten sich einmal angucken, welche Daten es vorher gab, was Sie gemacht haben und welche Defizite es gab. Dann werden Sie feststellen, dass sich im Grunde genommen gar nicht viel verändert hat. Das hat auch mit gesellschaftlichen Realitäten zu tun, die wir in der Bundesrepublik Deutschland generell haben. Wir haben Armutsprobleme. Jede Regierung sieht, welche Ursachen es dafür gibt und welche Probleme zu bekämpfen sind. Jede Regierung versucht dann, entsprechende Programme zu entwickeln.

Ich komme jetzt zurück auf die Debatte von heute Morgen. Heute Morgen haben wir schon über vieles gesprochen, was in diese Richtung geht: Es ging dabei um Kinderschutz, um Förderprogramme in den Schulen und Ähnliches. Herr Briese hat an einer Stelle gesagt: Die Ziele sind ja in Ordnung, aber die Rezepte sind falsch. - Aber das genau ist die Frage. Wir alle sehen die Ziele und wissen, was notwendig ist. Die Rezepte aber sind verschieden. Darum gibt es die Demokratie. Wir sind in diesem Fall mit unseren Rezepten gewählt worden. Das muss man einfach einmal so feststellen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Norbert Böhlke [CDU]: Sehr richtig! - Elke Müller [SPD]: Das sind nun wie- der Märchen, was Sie hier erzählen!)

- Doch, das ist eindeutig so. Wenn Sie uns darauf hingewiesen haben, dass bestimmte Programme nicht fortgesetzt worden seien, dann ist das richtig. Wir haben sie aber nur deshalb nicht fortgesetzt, weil wir der Meinung waren, dass andere Programme besser sind. Wir haben ja nicht weniger gemacht, sondern wir haben immer weiter ausgebaut. Wir haben einiges von der Vorgängerregierung übernommen - z. B. die Familienhebammen und weiter ausgebaut, weil es sich bewährt hatte. Wir haben jetzt aber noch einen draufgelegt, weil es notwendig war. Das genau ist die Realität.

Wir haben darüber gesprochen, dass es verschiedene Armutsrisiken gibt. Diese sind allgemein bekannt: Arbeitslosigkeit, Verschuldung, aber auch Drogensucht, Kriminalität und Gewalt in Familien, Krankheit, mangelnde Bildung oder mangelnder Zugang zur Bildung, mangelnde Abschlüsse, Trennung der Eltern mit der Folge der Alleinerziehung, Kinderreichtum und Migrationshintergrund. - Das sind die Hauptursachen für Armut. Diese Gründe kennen wir, wie hier schon erwähnt worden ist. Wir sind jetzt aufgefordert, diese Spirale zu durchbrechen. Unter Umständen kommen ja alle Komponenten zusammen: Jemand, der arm ist, der weniger Zugang zu Bildung und weniger Teilhabe hat, der verschuldet ist, der möglicherweise in eine Spirale aus Gewalt und Drogen gerät und krank wird - denn das ist häufig der Fall -, der wird deshalb möglicherweise noch ärmer. Diese Spirale durchbrechen wir jetzt auch. Sowohl von der Ministerin als auch von Herrn Böhlke ist hier aufgezeigt worden, dass wir eine große Anzahl verschiedenster Programme aufgelegt haben, die wir in Niedersachsen auf den verschiedensten Gebieten ressortübergreifend und durchaus auch erfolgreich fahren, um Abhilfe zu schaffen.

Sie haben ferner die Sozialberichterstattung angesprochen. Frau Ross-Luttmann hat dazu gesagt, dass auch Ihre Regierung früher schon einmal beschlossen hatte: Lieber etwas tun und nicht so viele Daten. - Natürlich muss man wissen, wo der Schuh drückt, um zielgenau handeln zu können. Fraglich ist allerdings, ob alle Daten immer beim Land, also beim Staat, gebündelt vorhanden sein müssen oder ob es zum Teil nicht ausreicht, wenn nur die Kommunen, die vor Ort handeln müssen, Bescheid wissen. Das muss man eben sehen. Wir müssen prüfen, ob wirklich ein Defizit vorliegt, ob wir zu wenige Erkenntnisse über die Bedarfe haben oder ob wir noch etwas mehr tun und Daten zusammenführen müssen. Es gibt ja viele Daten an den verschiedensten Stellen. Die Hauptsache

ist, dass wir alles tun, um der Armut in Familien abzuhelfen.

Ich möchte jetzt noch einige Maßnahmen ergänzen, die wir durchführen, die hier aber noch nicht genannt worden sind. Zum Kinderschutz ist hier schon sehr viel gesagt worden. Auch zur Kindergesundheit ist hier bereits viel gesagt worden. Ich muss aber noch einen Aspekt ergänzen; denn arme Kinder haben häufig zu wenig Bewegung, sitzen zu viel vorm Fernseher und können sich nicht gesund ernähren. Es gibt Programme für gesundes Frühstück und Ähnliches in den Kindergärten. Es gibt den Bewegten Kindergarten, der auch hilft, mobil zu sein und sich dadurch besser entwickeln zu können.

Auch Familienangebote wurden genannt. Ich möchte jetzt ein Angebot herausgreifen, das noch nicht genannt worden ist und bei dem wir erheblich zugelegt haben. Das sind die Familienentlastenden Dienste (FED). Da haben wir in Niedersachsen im Moment 29 Stellen. Darauf ist auch schon in der Antwort auf die Große Anfrage hingewiesen worden. 50 Stellen wären erforderlich, um diese Dienste flächendeckend vorzuhalten. So viele Stellen können wir im Moment noch nicht finanzieren. Wir haben den Betrag in der Zeit von 2003 bis 2005 aber von 251 000 Euro auf 512 000 Euro verdoppelt; denn gerade die Familien mit Kindern mit Behinderungen haben große Probleme und bedürfen unserer Hilfe.

Was die Familien mit Migrationshintergrund angeht, kann man sagen: Wir haben so etwas wie Integrationslotsen bzw. Integrationsberatungsstellen. - Auf die Sprachkurse wurde schon hingewiesen. Auch der Sprachtest, den wir eingeführt haben, ist in diesem Zusammenhang ganz wichtig, um Kindern eine Teilhabe an der Bildung zu ermöglichen und damit Chancengerechtigkeit einzuräumen.

Ferner haben wir den Gewaltschutz ausgebaut. Auch dies kommt den Kindern zugute.

Als Letztes möchte ich mich speziell den Schulen zuwenden, die auch heute Morgen schon angesprochen worden sind. Ich möchte an dieser Stelle aber noch auf Folgendes hinweisen: Gerade Sie reden die Schule wirklich schlecht. Sie stigmatisieren diejenigen, die auf die Hauptschule gehen, indem Sie - wie dies heute Morgen insbesondere auf Seiten der Grünen der Fall war - von „Abschu

lung“ und von „aussortieren“ sprechen. Das ist wirklich stigmatisierend.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich weiß nicht, warum Sie dieser Schulform nicht eine Chance geben wollen. Ich habe heute Morgen in der Zeitung von einer engagierten Hauptschulrektorin gelesen, die gesagt hat, dass gerade die Praxistage und viele andere Programme sehr gut sind und sowohl bei den Eltern als auch bei den Schülern gut ankommen, weil sie in die richtige Richtung gehen. Sie würde sich wünschen, dass man der Hauptschule eine Entwicklungschance gibt. Genauso notwendig ist es, bestimmte Weiterbildungsprogramme wie etwa das AQV-Programm - Aktivieren, Qualifizieren, Vermitteln -, die auch unter dieser Regierung sehr gut laufen, zu registrieren und weiter auszubauen.

Frau Kollegin Meißner, Sie müssen zum Schluss kommen. Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Ich komme zum Schluss. Das ist mein letzter Satz. - Sie merken also: Es ist nichts, wobei man sich ausruhen darf. Das Thema ist wichtig, auch in Zukunft. Wir werden das nach unseren Möglichkeiten immer wieder anpassen und gehen dabei voran. - Danke schön.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Zu einer Kurzintervention hat sich Herr Kollege Schwarz zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Meißner, Sie kennen den Haushalt besser, als Sie das hier gerade vorgetragen haben. Kinder- und Jugendhilfeplan: 1,6 Millionen Euro, komplett gestrichen. Finanzmittel für schwerstkranke Kinder: ungefähr halbiert. Obdachlosenhilfe - wenn ich es richtig im Kopf habe, waren es etwa 650 000 Euro -: komplett auf null gefahren. So geht das nicht! Sie müssen dann schon bei der Wahrheit bleiben. Sie haben nicht etwas draufgelegt, sondern Sie haben einen draufgesetzt - aber zulasten dieser Personen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Bevor ich Frau Kollegin Meißner das Wort gegeben hatte, hatte sich noch Herr Kollege Albers zu Wort gemeldet. Er wollte auf den Redebeitrag der Ministerin antworten. Er hatte aber keine Redezeit mehr. Aber er hätte nach § 71 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung zusätzliche Redezeit beantragen können. Darum kommt er jetzt noch zu Wort. Sie erhalten eine zusätzliche Redezeit von zwei Minuten.

(Norbert Böhlke [CDU]: Wollte Frau Meißner antworten?)

- Entschuldigung, Herr Albers, ich muss noch etwas klären. Herr Kollege Böhlke fragte, ob Frau Meißner auf die Kurzintervention antworten wolle. Sie hat abgewunken.

Herr Albers, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, es ist schon bezeichnend: Wenn wir über die Bildung armer Kinder reden, bringen Sie grundsätzlich das Hauptschulthema. Es ist schon bezeichnend, dass für Sie dann immer nur die Hauptschule infrage kommt. Ich will Ihnen und Herrn Albrecht einmal aufzeigen, wie denn die Realität aussieht. Das eine ist ja Ihr Wunschdenken und Ihre Ideologie, aber die Realität sieht einmal wieder ganz anders aus.

Ich möchte Ihnen etwas zur Chancengleichheit und zur Nutzung von Einrichtungen sagen.

(Joachim Albrecht [CDU]: Nach 13 Jahren SPD-Schulpolitik - na wun- derbar!)

In ganz Deutschland kommen im gegliederten Schulsystem 12 % der Kinder aus armen Familien aufs Gymnasium. Bei sogenannten nicht armen Kindern, bei denen also erheblich mehr Geld im Haushalt zur Verfügung steht, ist dieser Anteil dreimal so hoch, also 36 %. Das hat Ursachen. Das fängt im Kindergarten an. Das hört mit der Dreigliedrigkeit und insbesondere mit der sozialen Selektion im Rahmen Ihres Schulsystems auf. Nehmen Sie das endlich einmal als Fakt zur Kenntnis und bauen Sie hier nicht irgendwelche Luftschlösser auf.

(Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank. - Herr Kollege Albrecht, Sie haben sich auf den Beitrag von Herrn Kollegen Albers zu einer Kurzintervention zu Wort gemeldet. Bitte schön!