Für uns gilt: Der vorschulische Bereich ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir brauchen einen Mentalitätswechsel. Wenn Kinder eine Entwicklungschance haben sollen und damit unsere Wissensgesellschaft eine Überlebenschance haben soll, dann ist eine signifikante Verbesserung der frühkindlichen Bildung in Deutschland und Niedersachsen unumgänglich. Das geht in der Tat nur dann, wenn man die Chancen der Kinder von der sozialen Situation der Erwachsenen abkoppelt. Wenn dort eine Barriere ist, müssen wir politisch dafür streiten, dass sie überwunden wird, meine Damen und Herren.
Wenn Sie dazu nicht bereit sind, dann haben Sie keine Legitimation mehr, hier über Chancengleichheit zu reden.
Im zweiten Themenkreis geht es um Kinderschutz. Nach Angaben von Unicef sterben in Deutschland wöchentlich zwei Kinder an den Folgen von Verwahrlosung, Vernachlässigung oder Misshandlung. Eine zunehmende Zahl von Eltern ist oder fühlt sich überfordert, ihren Kindern gute Erzieher zu sein. Hier obliegt dem Staat das Wächteramt. Spätestens, wenn Kinderrechte verletzt sind, gilt: Kindeswohl vor Elternwille.
Der Armutsbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2006 hat den engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und der sich dramatisch verschlechternden gesundheitlichen Situation gerade bei Kindern deutlich gemacht. Die Kinderarmut in Deutschland wächst kontinuierlich. Entwicklungsauffälligkeiten gerade bei Kindern im Vorschulalter nehmen stetig zu.
Meine Damen und Herren, die Fakten liegen auf dem Tisch. Wir haben kein Erkenntnisdefizit; wir haben in Niedersachsen ein Handlungsdefizit.
Wir wollen die Eltern nicht aus ihrer Verantwortung entlassen, im Gegenteil, wir wollen sie stützen und stärken. Weil das so ist, ist unsere Geduld mit der Arbeitsverweigerung der niedersächsischen Sozialministerin in dieser Frage zu Ende.
Die SPD-Fraktion hat im Gegensatz dazu ein eigenes Programm „Kinder schützen - Kinder fördern“ vorgelegt. Es schöpft die landespolitischen Spielräume aus, um Kindern eine gute Zukunft zu sichern. Lassen Sie mich exemplarisch drei Maßnahmen nennen.
Erstens. Wir werden das von dieser Landesregierung zu verantwortende Ausbluten des öffentlichen Gesundheitsdienstes beenden. Wer wie die Sozialministerin dauernd verkündet, wie wichtig ihr der Kinderschutz sei,
Mit uns wird es deshalb für alle Kinder in Kitas und Grundschulen mindestens fünf verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen durch den ÖGD geben; denn alle Experten bestätigen: Nur auf diesem Wege werden auch die Familien erreicht, die heute noch die von den Krankenkassen angebotenen Untersuchungen nicht nutzen. Das hilft unseren Kindern und ist eine klare Alternative zum hilflosen Gezappel von Frau Ross-Luttmann.
(Beifall bei der SPD - Norbert Böhlke [CDU]: Bleib‘ doch mal sachlich bei dem Thema! - Weitere Zurufe von der CDU)
Zweitens. Wir wollen den flächendeckenden Ausbau der Familienhebammen im Lande, und zwar von der Schwangerschaft bis zum Ende des zweiten Lebensjahres der Kinder. Auch hier haben wir die Fachleute und Praktiker auf unserer Seite. Nur eine möglichst frühzeitige und niedrigschwellige Unterstützung hilft Eltern und Kindern ganz praktisch. Doch zu einer landesweiten Anstrengung fehlen dieser Landesregierung die Kraft und, wie ich glaube, auch der Wille. Wie sonst ist zu erklären, dass Sie diese Aufgaben weitestgehend auf die Kommunen abwälzen?
Drittens. Entscheidend für Familien und Kinder ist, dass sie nicht von Stelle zu Stelle rennen müssen, um Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Sie brauchen eine zentrale Anlaufstelle für die aufsuchende Kinder- und Familienhilfe. Wir wollen deshalb u. a. die Mehrgenerationenhäuser aus dem Landesprogramm zu Kinder- und Familienzentren weiterentwickeln.
(Beifall bei der SPD - Norbert Böhlke [CDU]: Wer hat die denn entwickelt? War das nicht die Familienministerin?)
Meine Damen und Herren, vorbeugender Gesundheitsschutz und die individuelle Förderung im Bildungswesen bilden die Kernpunkte unserer Kinderpolitik, und - das ist der konkrete Vorstoß heute - das Paket wird abgerundet durch die Verankerung von Rechten der Kinder in der Verfassung,
um Grundrecht, Kindeswohl und Elternrecht besser und angemessener auszubalancieren, als das heute der Fall ist.
Ich habe in der Braunschweiger Zeitung gelesen, dass Frau Mundlos das alles für überflüssig hält. Ich habe wenige Tage später zur Kenntnis genommen, dass Herr Althusmann das wohl doch für so relevant hält, dass er zustimmen oder mit einem eigenen Vorstoß kommen will. Wir sind gespannt auf den Willensbildungsprozess in der CDU. Im Interesse der Kinder in Niedersachsen hoffe ich, dass unser Vorstoß, das Kinderrecht in der Verfassung zu verankern, in wenigen Monaten Realität werden kann. - Herzlichen Dank.
Danke schön, Herr Jüttner. - Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Böhlke. Bitte schön, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kinder sind in unserem Land der wichtigste Wert überhaupt. Sie sind Garanten für die Zukunft unseres Landes, für die Zukunft unserer Gesellschaft. Sie bedürfen unseres besonderen Schutzes. Deshalb ist es oberstes Ziel, ihnen in jeder Lebenslage diesen Schutz zu gewährleisten und ihnen ein besonderes Maß an Fürsorge zukommen zu lassen. Kindern gegenüber ist die Gesellschaft hierzu in besonderem Maße verpflichtet. Ich denke, darin sind wir uns alle einig. Jetzt gilt es, den richtigen Weg zu finden, um diesen Auftrag nachhaltig umzusetzen. Dabei müssen wir uns fragen, ob Kinderrechte in der Verfassung eine wirksame Maßnahme gegen Kindervernachlässigung oder -misshandlung darstellen; denn rein symbolhafte Handlungen würden uns keinen Schritt weiter führen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, allein mit der Verankerung der Kinderrechte in der Landesverfassung werden nicht sämtliche Probleme in der Erziehung, der Entwicklung und der Behandlung von Kindern gelöst. Im Nachgang zu der UNO-Kinderrechtskonvention von 1989 haben mittlerweile elf Bundesländer die Kinderrechte in ihre Verfassungen aufgenommen. Doch auch dort ließen sich tragische Kinderschicksale allein durch diese Maßnahme leider nicht verhindern. Vielmehr kann
Herr Jüttner, Sie sind ein Schlechtredner. Von 1990 bis 2003 war eine SPD-geführte Landesregierung in der Verantwortung, saßen Sie selbst als Minister am Kabinettstisch, und heute beklagen Sie hier etwas, das Sie bereits seit 1989 gemäß der UNO-Konvention hätten umsetzen können. Das ist nicht glaubwürdig.
Erstens. Durch den Einsatz von Familienhebammen haben wir ein erfolgreiches Schutzsystem für Kinder installiert, welches die Kompetenzen aller Beteiligten wie Jugendämter, Kinderärzte, Hebammen und Eltern bündelt und optimiert.
Zweitens. Als weitere Maßnahme bieten wir betroffenen Kindern und Jugendlichen sowie Eltern, Erziehern und Lehrern landesweit insgesamt 19 Beratungsstellen im Bereich Gewalt gegen Kinder und Jugendliche sowie 27 Gewaltberatungseinrichtungen für Frauen und Mädchen an. Das Angebot an Kinderschutzzentren wird stetig erweitert und ausgebaut. Hier möchte ich besonders das Koordinierungszentrum Kinderschutz im Kinderkrankenhaus Auf der Bult hier in Hannover mit seinen entstehenden Außenstellen in Braunschweig, Lüneburg und Oldenburg nennen. Kinderärzte, Kliniken, Rechtsmediziner, das Jugendamt und die nachsorgenden Institutionen sind dort miteinander vernetzt.
Insgesamt hat es im gesamten Bereich des Kinderschutzes trotz der bekannten finanziellen Haushaltslage des Landes keine Kürzungen gegeben. Im Gegenteil, aktuell stehen 620 000 Euro mehr zur Verfügung als noch im vergangenen Jahr. Das sind die Fakten, die wir hier nennen können.
Sie sehen, Herr Jüttner, es ist mitnichten so, wie von Ihnen behauptet, dass hinsichtlich des Kinderschutzes Niedersachsen spät dran wäre.
Meine Damen und Herren, unsere Aufgabe ist es jetzt, sorgfältig zu prüfen, ob die Implementierung der Kinderrechte in die Landesverfassung einen weiteren Baustein unserer konsequenten Kinder
politik darstellt. Fakt ist einerseits, dass durch die Menschenrechte bereits jetzt Kinder in der Verfassung umfassend berücksichtigt werden. Andererseits sehen wir uns gerade in heutiger Zeit mit den Problemen konfrontiert, dass immer mehr Eltern erziehungsunfähig sind. Dies zeigen uns die traurigen Schicksale von Kevin, Nadine und Emily.
Wir müssen verhindern, dass Kinder spät, möglicherweise erst zu spät, aus Situationen befreit werden können, in denen Eltern versagt haben und trotzdem auf ihre Rechte als Eltern pochen. Hier ist durchaus zu überlegen, ob ein Auf-gleicheHöhe-Setzen der Kinder- und der Elternrechte in der Verfassung ein weiterer Baustein sein kann, dessen Wirkung über eine reine Symbolfunktion hinausginge.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss noch zwei Anmerkungen zum Gesetzentwurf der SPD. Wenn die Fraktion der SPD in ihrer Begründung schreibt, das Wächteramt des Staates über die Kinderrechte bedürfe einer Stärkung, so möchte ich an dieser Stelle festhalten, dass es hier nicht um das Wächteramt des Staates geht. Vielmehr geht es um das Wächteramt der staatlichen Gemeinschaft, um das Wachsein von uns allen. Es geht um die gesellschaftliche Aufgabe, auf erkennbare Missstände zu reagieren.
Zum anderen ist mir aufgefallen, dass Ihr Gesetzentwurf weitgehend wortgleich mit Artikel 5 der nordrhein-westfälischen Landesverfassung ist.
Wenn wir nach unserer intensiven Beratung dazu kommen sollten, dass Kinderrechte in der Verfassung verankert werden sollen, dann sollten wir es uns nicht so leicht machen wie Sie, Herr Jüttner, und einfach abschreiben, uns möglicherweise auch noch mit fremden Federn schmücken.
Wir sollten vielmehr selber Überlegungen anstellen, was aufgrund der möglicherweise unterschiedlichen Ausgangslagen in den einzelnen Ländern für die Kinder in Niedersachsen am besten ist. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke schön, Herr Kollege Böhlke. - Die nächste Rednerin ist Frau Kollegin Janssen-Kucz von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.