Wenn Sie, meine Damen und Herren, mit Bediensteten des niedersächsischen Justizvollzugs über Suizidgefahren sprechen - das mache ich durchaus und oft -, dann werden Sie feststellen, dass bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine sehr hohe Sensibilität vorhanden ist.
Es ist falsch, den Suizid eines Gefangenen aus der Justizvollzugsanstalt Uelzen am letzten Wochenende in einen Zusammenhang mit angeblichen Engpässen in Verbindung zu bringen. Dies unterstellt, dass die Bediensteten, die am Wochenende in der Justizvollzugsanstalt Uelzen im Dienst waren, aus Personalnot notwendige Kontrollen im Haftraum nicht durchgeführt haben.
Meine Damen und Herren, dies ist eine Kritik, die den Betroffenen nahegeht und an der Vollzugswirklichkeit vorbeigeht.
Die Bediensteten führen die Kontrollen durch, die sie für notwendig erachten, um Leben zu schützen und Leben zu retten, und zwar in jeder Anstalt in diesem Land. Je nach Lage des Einzelfalls werden
diese Kontrollen in kürzeren oder längeren Abständen durchgeführt. Es werden auch sogenannte Sitzwachen eingerichtet; d. h. nichts anderes als: Wenn eine Beobachtung rund um die Uhr erforderlich ist, wird ein Gefangener in einen bestimmten Raum gebracht und ein Mitarbeiter an seine Seite gestellt. Auch das praktizieren wir im niedersächsischen Justizvollzug.
In diesem konkreten Fall waren solche Kontrollen nicht vorgesehen. Die Entscheidung, auf Kontrollen zu verzichten, beruhte auf Gesprächen, die Fachleute - u. a. eine Ärztin mit psychotherapeutischer Ausbildung - mit dem Gefangenen geführt hatten, und zwar seit Wochen.
Aufgrund dieser Gespräche gingen die Experten vor Ort gemeinsam davon aus - es war nicht eine Person, es waren mehrere Personen, die gemeinsam diese Gespräche geführt haben -, dass die vormals latente Gefahr der Selbstverletzung, die am Anfang in Stade gegeben war - nicht etwa, Herr Voigtländer, wie Sie mit der Dringlichen Anfrage unterstellen, eine besonders hohe Suizidgefahr -, jetzt in Uelzen nicht mehr vorhanden war.
- Herr Voigtländer, diese Einschätzung stellt sich aus jetziger Sicht als eine Fehlprognose heraus; und das ist tragisch. Dies bedauern - davon können Sie ausgehen - die an dieser Entscheidung beteiligten Bediensteten sicherlich am meisten. Prognoseentscheidungen werden jedoch - das gilt auch für andere Fälle - immer das Risiko einer Fehlbeurteilung bergen, das nicht gänzlich auszuschließen ist.
Meine Damen und Herren, das Thema ist zu ernst, als dass ich hier in einen politischen Schlagabtausch eintreten möchte. Hier hat sich ein Mensch im Alter von 27 Jahren das Leben genommen. Das ist furchtbar.
Meine Damen und Herren, dieser tragische Freitod eines Menschen eignet sich meines Erachtens wahrlich nicht für populistische Personaldiskussionen.
Zu Frage 1: Für die Hauptanstalt der JVA Uelzen standen im Jahre 2002 insgesamt 148,5 Stellen und 2006 insgesamt 151,5 Stellen - also drei Stellen mehr - zur Verfügung. Im Haushaltsplan für den Justizvollzug waren 2002 insgesamt 3 874 Stellen ausgebracht. Im Haushaltsplan für das Jahr 2006 waren es 3 871 Stellen.
Meine Damen und Herren, im Haushaltsplan für das Jahr 2002 waren die Stellen für die JVA Rosdorf bereits enthalten. Aber für die Sozialtherapie, die Sie aus der Betrachtung der Personalsituation ausklammern wollen, sind davon landesweit etwa 110 Stellen gebunden.
Im Übrigen macht die Herausnahme einzelner Anstalten aus der Berechnung überhaupt keinen Sinn. Sie macht deshalb keinen Sinn, weil es um die Relation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und Gefangenen geht. Im Jahre 2002 kamen auf je 100 Gefangene im niedersächsischen Justizvollzug 50,9 Bedienstete. Im Jahr 2006, meine Damen und Herren, sind dies 52,45 Bedienstete.
Zu Frage 2: Das neue Haushaltssystem wirkt sich nahezu auf alle Aufgabenbereiche im Justizvollzug aus, ohne dass damit ein konkret quantifizierbarer Mehraufwand verbunden ist. Lediglich für das neu eingeführte Controlling sind landesweit acht Stellen eingesetzt worden. Von diesen acht Stellen sind 2,5 Stellen Stellen des mittleren Dienstes, die übrigen sind Stellen des gehobenen Dienstes. Das sind - wie gesagt - keine Stellen des AVD.
Zur Frage 3: Es gibt weder die mit der Dringlichen Anfrage unterstellte Ausdünnung des AVD im Schichtdienst, noch eine Verschiebung hin zum bloßen Verwahrvollzug. Im Gegenteil: Das Verhältnis von Personal zu Gefangenen konnte in den letzten Jahren eindeutig und nachhaltig verbessert werden.
Durch Zusammenführung von Verwaltungsbereichen haben wir unsere Organisation verschlankt und modernisiert. Wir haben mehr Plätze in der Sozialtherapie, sehr viel mehr als bei Regierungsübernahme - das habe ich eingangs schon dargestellt. Wir haben eine deutlich höhere Beschäftigungsquote bei den Gefangenen. Wir haben die Mehrarbeitsstunden bei den Bediensteten deutlich reduzieren können. Wir haben mehr Haftplätze für Gefangene, und wir bieten mehr soziales Training an.
Die Besetzung des Nachtdienstes in den niedersächsischen Justizvollzugsanstalten richtet sich nach den baulichen und auch nach den sicherheitstechnischen Gegebenheiten, nach der Größe des zu überwachenden Areals, aber auch nach der untergebrachten Klientel. Die Anzahl der im Nachtdienst eingesetzten Bediensteten variiert in den geschlossenen Anstalten des niedersächsischen Justizvollzuges zwischen drei und 14 Bediensteten.
Meine Damen und Herren, wir werden die Ziele des einheitlichen niedersächsischen Justizvollzugskonzeptes umsetzen und nach wie vor auch im Bundesvergleich eine Spitzenposition einnehmen - so z. B. unsere Jugendanstalt in Hameln nach einer bundesweit vergleichenden Studie, die Professor Dünkel von der Universität Greifswald durchgeführt hat.
Im Interesse der mehr als 3 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Justizvollzug wäre ich Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, sehr dankbar, wenn Sie deren Leistung - auch nicht angesichts solcher tragischer Einzelfälle nicht schlechtreden würden und wenn Sie keine Zusammenhänge konstruieren würden - meine Damen und Herren, erkundigen Sie sich bitte einmal bei der Vereinigung der Anstaltsleiter -, die es in dieser Form nicht gibt.
Geben Sie den Mitarbeitern in unseren Gefängnissen den Respekt und die Anerkennung, die sie angesichts ihrer schweren Arbeit verdienen.
Frau Ministerin, ich habe in der Zeit, in der ich dem Unterausschuss „Justizvollzug und Straffälligenhilfe“ angehört habe, viel über die Situation in niedersächsischen Gefängnissen gelernt. Sie können mir glauben, dass ich mit den Beschäftigten - z. B. in Celle und in Salinenmoor - einen guten Kontakt habe. Ihre Unterstellung, wir würden die Beschäftigten kritisieren, ist perfide und eine Frechheit.
In dieser Funktion habe ich auch erfahren - Sie haben das ja vorhin aufgezählt -, dass etliche junge Menschen in den niedersächsischen Gefängnissen Suizid begehen. Jeder Fall ist ein Fall zu viel. Man muss alles tun, um das zu verändern. Deshalb gibt es in der Tat eine Berechtigung, zwar nicht die Beschäftigten, aber die Strukturen zu kritisieren, in denen die Beschäftigten arbeiten müssen.
Jetzt meine Frage: Hält es die Landesregierung für denkbar, dass sich ein Fall wie in Siegburg auch in einem niedersächsischen Gefängnis ereignen kann?
Inwieweit diese Frage unmittelbar mit der Dringlichen Anfrage zu tun hat, ist mir nicht so richtig ersichtlich.
Es geht hier um eine Jugendanstalt. Um das ganz klar zu sagen: In einer Jugendanstalt gibt es ein erhöhtes Aggressionspotenzial. Dort ist eine besondere Klientel untergebracht. Deswegen müssen in einer Jugendanstalt auch besondere Vorkehrungen getroffen werden, um so etwas zu verhindern.
Wir werden in keinem Gefängnis, in keiner Anstalt - erst recht nicht in Jugendanstalten - ausschließen können, dass es zu Übergriffen kommt. Wir werden aber versuchen - das gilt für Hameln, das kann ich an dieser Stelle sagen -, alles, was sich möglicherweise ereignen könnte, im Vorhinein zu erkennen. Die Personalsituation in der Anstalt in Hameln ist noch besser als in den anderen Anstalten. Dort kommt nicht auf zwei Gefangene ein Mitarbeiter, sondern dort geht das Verhältnis mehr zum 1 : 1. Wir haben dort eine sehr starke soziale Kontrolle. Wir haben zwar Wohngruppenvollzug, aber nicht mehr in der Form, in der er früher einmal existiert hat, sondern wir haben größere Kontrol
len. Wir haben mehr Einblicke. Wir haben grundsätzlich die Einzelunterbringung während der Ruhezeiten, außer, wenn eine Suizidgefährdung besteht. Das steht auch in unserem neuen Justizvollzugskonzept.
Meine Damen und Herren, alles, was wir tun können, tun wir. Übergriffe werden in Gefängnissen nie auszuschließen sein. Wir haben dafür Sorge zu tragen, dass sie, wenn sie vorkommen, umfassend aufgeklärt werden, und müssen daraus weitere Handlungsempfehlungen ableiten.
Frau Ministerin, wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie vorhin gesagt: Im konkreten Fall waren Kontrollen nicht vorgesehen. - Dass das brutale Verbrechen in Siegburg möglich war, lag sicherlich auch daran, dass über Stunden keine Kontrollen erfolgt waren. Das ist sicherlich unstreitig.
Deshalb frage ich die Landesregierung: Welche zeitlichen Intervalle sind für Kontrollen im niedersächsischen Justizvollzug generell, aber insbesondere auch nachts und an Feiertagen und Wochenenden, vorgesehen? Und kann die Landesregierung angesichts der gegenwärtigen Personalsituation garantieren, dass diese auch in diesen Intervallen durchgeführt werden?
Danke schön, Herr Kollege Helberg. - Für die Landesregierung antwortet Frau Ministerin HeisterNeumann.
Sehr geehrter Herr Helberg, ich habe eben schon darauf hingewiesen, dass hier Zusammenhänge konstruiert werden, die nicht konstruiert werden dürfen.
In dem Fall in Siegburg ging es um Übergriffe von Gefangenen auf einen Mitgefangenen im Rahmen einer gemeinsamen Unterbringung.
In unserem Fall, bei dem tragischen Selbstmord eines jungen Menschen, war der Gefangene nicht mit mehreren Gefangenen, sondern alleine in der Zelle untergebracht. Kontrollen haben deshalb nicht stattgefunden, weil - ich habe das eben dargestellt - in einer Konferenz mehrerer, auch fachkompetenter Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die latente Suizidgefahr, die in Stade noch vorhanden war, so nicht mehr gesehen wurde und deshalb entschieden worden ist, dass er wie andere Gefangene behandelt werden sollte, die nachts - das muss ich einmal so sagen - auch in unseren Gefängnissen in der Regel schlafen. Deshalb werden diese Kontrollen da nicht durchgeführt.
Wenn eine Gefahr gesehen wird, dann werden Kontrollen durchgeführt. Das habe ich eben auch gesagt. Es hängt vom Einzelfall ab, in welcher zeitlichen Folge das geschieht. Das reicht von stündlich über halbstündlich bis dauerhaft, dass ein Mitarbeiter wirklich daneben steht.