Protocol of the Session on November 10, 2006

Mit Blick auf den nächsten Tagesordnungspunkt füge ich die Frage an, ob es Erkenntnisse darüber gibt, wie viele Hooligans der rechten Szene zuzuordnen sind.

Herr Minister, bitte!

Schon vor einiger Zeit wurde das Gemeinsame Informations- und Analysezentrum eingerichtet. Dort beobachten wir nicht nur den internationalen Terrorismus, sondern auch die Hooliganszene sowie den Rechts- und Linksextremismus. Da von diesem Zentrum zur Fußballweltmeisterschaft eine Analyse gefertigt wurde, kann ich Ihnen die Daten darstellen. Insgesamt sind 370 Personen in Niedersachsen wohnhaft, die als „Gewalttäter Sport“ registriert sind. Bezogen auf die Zuständigkeit der jeweiligen Polizeidirektion, verteilen sie sich wie

folgt: PD Braunschweig 143, PD Göttingen 34, PD Hannover 76, PD Lüneburg 14, PD Oldenburg 35 und PD Osnabrück 68. Von den 370 Personen können 336 Personen Vereinen zugeordnet werden. Daher könnte ich, sollte danach gefragt werden, hier sogar noch darstellen, wie sie sich auf die Vereine verteilen.

(Zuruf von der SPD: Das war wohl nicht abgesprochen?)

Zur zweiten Frage: Wenn ich mich richtig erinnere, waren 53 Personen der rechtsextremen Szene zuzurechnen.

Danke, Herr Minister. - Weitere Wortmeldungen für Fragen liegen mir nicht vor. Die Zeit für Mündliche Anfragen ist abgelaufen. Es ist 10.07 Uhr.

Ich schließe damit diesen Tagesordnungspunkt.

Die Antworten auf die Fragen, die jetzt nicht mehr beantwortet werden können, werden dem Stenografischen Bericht als Anlage beigefügt.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 31: Erste Beratung: Rechtsextremismus an der Wurzel bekämpfen! - Antrag der Fraktion der SPD Drs. 15/3263

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Leuschner. Ich erteile ihr das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit und Rassismus sind nach wie vor eine Gefahr für die Demokratie und die politische Kultur in Deutschland.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In der Plenarsitzung am 22. Juni dieses Jahres haben wir deshalb auf Grundlage unseres Antrags mehrheitlich eine Entschließung verabschiedet, deren Ziel es war, als Parlament alles gemeinsam gegen Rechts zu unternehmen und erneut zu prüfen, ob ein NPD-Verbot durchsetzbar ist. Uns, der SPD-Landtagsfraktion, ist klar, dass die Verabschiedung einer Entschließung nicht ausreichen

kann. Wir müssen gemeinsam mehr tun. Wir brauchen ein Gesamtkonzept gegen Rechtsextremismus; deswegen bringen wir heute unseren Antrag ein.

In der Plenarsitzung im Juni habe ich aus einer Untersuchung der Universität Bielefeld zitiert, die in den Jahren 2002 bis 2005 durchgeführt wurde. Man kam zu dem Ergebnis - ich wiederhole diese Befunde -, dass sich die Hälfte der Niedersachsen und etwas mehr als die Hälfte der übrigen Deutschen politisch genau in der Mitte verortet; nur ein Sechstel sieht sich politisch eher oder ganz rechts. Jedoch, meine Damen und Herren, vertritt ein gutes Fünftel der Niedersachsen - ein ähnlicher Anteil wie bei den übrigen Deutschen - rechtspopulistische Einstellungen. Das heißt, sie stimmen antisemitischen und ausländerfeindlichen Aussagen zu und fordern eine Law-and-Order-Politik. Dagegen müssen wir vorgehen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Mittlerweile gibt es eine aktuellere Studie mit dem Titel „Vom Rand zur Mitte“, die im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlicht wurde. Im Rahmen dieser Studie wurden ca. 5 000 Menschen - 4 000 in den alten Bundesländern, gut 1 000 in den neuen Bundesländern - zu 18 Aussagenkomplexen befragt. Ich nenne die Bereiche Diktatur, nationaler Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und Nationalismus. Wer allen Thesen zustimmte, dem attestierten die beiden Forscher ein geschlossenes rechtes Weltbild. In diesem Zusammenhang kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass rechtsextreme Einstellungen in allen gesellschaftlichen Gruppen und allen Bundesländern gleichermaßen stark vertreten sind. Rechtsextremismus ist ein politisches Problem in der Mitte unserer Gesellschaft. Dagegen müssen wir vorgehen.

In den Dimensionen des Rechtsextremismus zeigten sich erschreckend hohe Zustimmungen zu den Bereichen der Ausländerfeindlichkeit und des Chauvinismus. Die Autoren bezeichnen diesen Bereich als „Einstiegsdroge“ zu einem geschlossenen rechten Weltbild.

Wenn man die Studien mit vorliegenden Studien aus den Jahren davor vergleicht, dann kann man zu dem Ergebnis kommen, dass sich Rechtsextremismus in Deutschland auf einem konstanten Niveau bewegt, aber der nationale Chauvinismus

deutlich zugenommen hat. Dagegen müssen wir vorgehen.

Zwar sind Jugendliche, die keine berufliche Perspektive haben, anfällig für rechtsextremes Gedankengut. Aber die Einstellung ist genauso unter älteren Menschen verbreitet. Sie zieht sich durch alle Bevölkerungsschichten und ist ein Problem der Mitte. Ursachen hierfür sind natürlich wachsende Erfahrungen sozialer Ungleichheit in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft. Bei vielen jungen Menschen macht sich eine bedenkliche Zunahme von nationalsozialistischem, ethnozentristischem und antisemitischem Denken breit, was auch Gewalttaten zur Folge hat.

Wir sollten angesichts der letzten Wahlerfolge rechtsextremer Parteien sehr aufmerksam sein, konsequent gegen Rechtsextremismus vorgehen

(David McAllister [CDU]: Gegen Ex- tremismus insgesamt!)

und alles daran setzen, dass wir als Parlament geschlossen dagegenstehen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - David McAllister [CDU]: Gegen Extremismus insgesamt!)

Die Polizeilichen Kriminalstatistiken zeigen einen Anstieg; die empirische Sozialforschung kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Erschreckend ist nicht nur die Zunahme der Zahl rechtsextrem motivierter Gewaltdelikte. Auch die wachsende Brutalisierung dieser Szene sollten wir sehr ernst nehmen.

Meine Damen und Herren, die Ursachen liegen also nicht primär bei den Jugendlichen selbst. Sie liegen in der Mitte unserer Gesellschaft, für die rechtsextremistische Erklärungsmuster immer attraktiver werden. Es ist erschreckend, dass viele Bürgerinnen und Bürger, die sich eigentlich in der Mitte unserer Gesellschaft einordnen, bei genauerem Nachfragen rechtspopulistische Aussagen stützen, sie tolerieren und sie teilweise auch in Handlung umsetzen. Das muss für uns ein Signal sein, dagegen etwas zu tun.

Natürlich unterstützen wir als SPD-Landtagsfraktion die Maßnahmen der Landesregierung gegen rechts. Sie sind doch nicht zuletzt in unserer Zeit ins Leben gerufen worden. Es wäre absurd, wenn wir sie nicht weiter fortführen würden. Aber ich will noch einmal erwähnen, dass die Koalitionsfraktionen die Landeszentrale für politische Bil

dung abgeschafft haben. Dort wurden Multiplikatorinnen und Multiplikatoren ausgebildet, die dieses Themas Herr werden sollten. Die Abschaffung ist nach wie vor ein Fehler, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir fordern ein Gesamtkonzept, das gerade im Bildungsbereich ansetzt - von Familienzentren bis hin zu Gesamtschulen -, weil man dort die Möglichkeit hat, die Eltern einzubeziehen und demokratische Strukturen zu fördern. Es ist unser wichtigster Ansatz, im Bildungsbereich zu investieren und gerade junge Menschen zu befähigen, demokratische Erlebnisse umzusetzen.

Der nächste Bereich: Wir fordern die Landesregierung auf, alles zu unternehmen, um der wachsenden Jugendarbeitslosigkeit entgegenzutreten und gerade diejenigen, die schlechte Hauptschulabschlüsse haben, zu qualifizieren und ihnen eine Perspektive zu bieten.

Wir wissen - das ist ein Ergebnis der Studie -, dass es nicht ausreicht, ordnungspolitische Maßnahmen aufzuziehen, um dem rechtsextremen Gedankengut entgegenzutreten. Man kann nicht verbieten. Eine Law-and-Order-Politik reicht nicht aus. Es muss in gesellschaftspolitischen Prozessen angesetzt werden. Aber wir wollen, dass das Versammlungsrecht überprüft wird. Das muss man mit Augenmaß tun. Dabei muss man sehr sensibel vorgehen. Denn die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut. Aber wir dürfen rechten Gruppierungen nicht die Straße überlassen. Wenn es uns gelingt, in Niedersachsen auf diesem Gebiet einen Schritt weiterzukommen, wären wir auf einem guten Weg. Ich bitte die Fraktionen im Landtag, diese Position zu unterstützen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der nächste Punkt unseres Antrags betrifft die Internetauftritte von rechtsradikalen Gruppierungen. Ich weiß, dass es schwierig ist, dieses Themas Herr zu werden. Die ändern immer wieder die Adressen. Man kann das wahrscheinlich nur im europäischen Kontext bewerkstelligen. Aber ich meine, dass es wichtig ist, dafür einzutreten, dass die rechten Gruppen keine Möglichkeit haben, über Internet an die Bevölkerung heranzutreten.

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, unseren Antrag zu unterstützen. Wir müssen dieses Thema gemeinsam weiter bearbeiten. Es gilt, Gesicht zu

zeigen und für Weltoffenheit und Toleranz in unserem Land einzutreten. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Danke, Frau Leuschner. - Nächster Redner ist Herr Biallas von der CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unter der Überschrift „Rechtsextremismus an der Wurzel bekämpfen!“ liegt heute ein Antrag der SPD-Fraktion vor, der eine gewisse Kontinuität zu verschiedenen Anträgen aufweist, die wir - wohlgemerkt berechtigterweise - in diesem Hause schon besprochen haben. Wir haben uns auch schon in verschiedener Weise auf gemeinsame Anträge geeinigt. Der Vollständigkeit halber würde ich gerne ergänzen wollen: Rechtsextremismus an der Wurzel zu bekämpfen, ist richtig. Aber für die CDU-Fraktion ist ebenso wichtig, dass das nicht nur für den Rechtsextremismus gilt, sondern gleichermaßen für jede Art von Extremismus in dieser Gesellschaft.

(Beifall bei der CDU - David McAllister [CDU]: Auch für Linksextremismus!)

Ferner möchte ich dazu sagen - das ist kein Vorwurf, sondern eine Feststellung -: Aus der Rede der Kollegin Leuschner ist deutlich geworden, dass wir im Grunde genommen schon seit vielen Jahren herumrätseln, wie wir das tatsächlich bewerkstelligen können. Es ist - auch das ist kein Vorwurf sehr viel leichter, sich darüber in Fachgesprächen auszutauschen, als etwas zu unternehmen, was nachhaltig in diese Klientel hineinwirkt. Das ist sehr schwierig. Die Tatsache, dass Sie, Frau Kollegin Leuschner, eine ganze Palette von möglichen Ursachen aufgezählt haben, zeigt, dass einfache Lösungen, schnelle Beschlüsse nichts bewirken können. Man kann nicht eben mal dies oder das tun, so traurig es ist. Deswegen ist es neben einer intensiven Debatte über die Ursachen auch nötig, sehr genau zu überlegen, wo man die Kräfte einsetzt, um nichts zu verpulvern, sondern das zu erreichen, was Sie hier völlig berechtigt angesprochen haben.

Sicherlich ist Aufklärung sehr notwendig. Ich will aber auch sagen, dass ebenfalls konsequentes rechtsstaatliches Vorgehen mit Verfassungsschutz

und Polizei gegen extreme Gewalttäter wichtig ist. Diese Gewalttäter müssen wissen, dass das, was sie in diesem Lande meinen tun zu können, mit allen Mitteln strafrechtlich verfolgt wird und dass sie dafür belangt werden.

Sie haben eben von gesellschaftlichen Entwicklungen gesprochen, die den Rechtsextremismus befördern. Was Sie gesagt haben, ist sicherlich richtig. Hier ist die hohe Zahl von arbeitslosen Jugendlichen zu nennen. In diesem Zusammenhang spielt sicherlich auch die Frage eine Rolle, wie wir es optimieren können, dass möglichst jeder einen guten Schulabschluss erreichen kann. Was die Perspektivlosigkeit junger Menschen angeht, so gibt es nach dem, was ich gehört habe, ein gewaltiges Gefälle zwischen den neuen Bundesländern und den alten Bundesländern. All das muss man sich vor Augen führen. Alles, was man dazu sagt, gilt nicht in gleicher Weise für ganz Deutschland. Man kann also nicht sagen: Es gibt ein Phänomen in Mecklenburg-Vorpommern, und dieses lässt sich 1 : 1 z. B. auf Niedersachsen übertragen. - Wir müssen somit überlegen, was wir tun können.

Ich will auf einige Punkte kurz eingehen. Sie haben gesagt, das Versammlungsrecht müsste neu gestaltet werden. Ich weise aber darauf hin - Sie haben in Ihrem Antrag ja auch angedeutet, dass dieser Bereich nach der Föderalismusreform Sache der Länder ist -, dass wir dabei behutsam vorgehen müssen. Alle Rechtsänderungen, die wir vornehmen, um die Rechtsextremisten einzudämmen, gelten natürlich auch für alle anderen. Sie haben zu Recht geschrieben, dass das Versammlungsrecht ein hohes Gut ist. Wir erleben hier in Niedersachsen rechte Aufmärsche, etwa in Göttingen oder in Celle. Ich verweise auch auf die Ereignisse in Verden. Die dadurch entstehenden Probleme sind aus meiner Sicht nicht allein durch das Versammlungsrecht zu lösen. Wir haben es mit der Provokation durch Rechte zu tun, deren Zahl allerdings nicht in die Tausende geht. Unter Umständen handelt es sich nur um ein paar Hände voll. Es gibt Bürgerinnen und Bürger, Verbände, Gewerkschaften und Kirchen, die - das ist auch wichtig und richtig so - eine Gegendemonstration organisieren. Auch das würde noch nicht in erster Linie dazu führen, dass man mit einem so hohen Ansatz für den Polizeieinsatz rechnen muss. Das Problem ist häufig, dass sich gewalttätige Linksextremisten - Autonome und Hooligans - unter diejenigen mischen, die etwas Gutes wollen, und dann kommt es eben zu diesen Auseinandersetzungen.

(Zurufe von der SPD: Wovon reden Sie denn? - Die etwas Gutes wollen?)

- Entschuldigen Sie. Haben Sie die Berichte über das, was in Göttingen los war, nicht gelesen? Dort haben sich Linksextremisten unter diejenigen gemischt, die etwas Richtiges und Gutes wollten. Ich wollte darauf hinweisen, dass Sie die Probleme durch eine Änderung des Versammlungsrechtes wahrscheinlich nicht lösen können. Wir werden aber darüber reden.