Protocol of the Session on November 9, 2006

- Wir haben ein anderes Verständnis von der sozialen Marktwirtschaft, wie sie unter Konrad Adenauer und Ludwig Erhard in Deutschland umgesetzt worden ist.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Sie haben gar kein Verständnis!)

Wir wollen nämlich das Soziale in der Marktwirtschaft erhalten.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Sie haben es nicht verstanden!)

Davon können wir nicht einfach 2 Millionen Beschäftigte im Einzelhandel von den Verbrauchern und dem Volk ausnehmen, sondern wir sind in der Demokratie auch immer gefordert, einen Ausgleich herzustellen.

Da behaupte ich einmal: Die 70 %, die Frau Meißner vorhin zitiert hat, die auf die schlichte Frage

„Hätten Sie gern zusätzliche Ladenöffnungszeiten?“ geantwortet haben, sind bestimmt nicht nach Ihrem Modell 6 x 24 unter Erläuterung des Hintergrunds, welche Konsequenzen das für die Ladenqualität und das Angebot in ihrer unmittelbaren Nähe hat, gefragt worden. So hätte man die Frage nämlich stellen müssen. Ich bin überzeugt, dass sich das Ergebnis völlig anders darstellen würde; denn so hat es der Verbraucher auch nicht gemeint, wie letztendlich das Ergebnis Ihres Gesetzes aussehen wird. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Christa Elsner-Solar [SPD]: Wir brauchen mehr Geld und nicht mehr Zeit!)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung.

Federführend soll der Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit sein, mitberatend der Ausschuss für Inneres und Sport, der Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen sowie der Kultusausschuss. Wer so verfahren möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Das ist einstimmig so beschlossen.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung: Wir machen das Klima - Nachhaltig für Niedersachsen! - Rat für Klimafragen einrichten - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/3267

Ich erteile der Kollegin Steiner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte schön, Frau Steiner!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

„Der Befund ist deprimierend, wenn auch alles andere als überraschend: 15 Jahre nach dem großen Umweltgipfel in Rio und zwei Jahre nach dem Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls

werden weltweit immer mehr Treibhausgase in die Luft geblasen“.

So kommentiert Wolfgang Roth das akute Stadium des Klimawandels in der Süddeutschen Zeitung. Die Folgen der Erderwärmung werden viele Jahre lang spürbar sein, selbst dann, wenn die internationale Staatengemeinschaft ihren Kurs radikal ändern würde; denn das Klima reagiert träge: Wir bekommen jetzt die Quittung für die letzten 30 Jahre. Heutige Anstrengungen zur Abschwächung des Klimawandels werden sich erst bis 2050 auszahlen.

Der Anstieg des Meeresspiegels, die Ausdehnung der Meere und die Veränderung des Salzgehalts führen schon jetzt zu weltweiten Klimaveränderungen. Mit der Verringerung der arktischen Eisflächen und der Gletscherschmelze werden zusätzliche Wärmemengen in die Atmosphäre gepumpt. Längere Trockenperioden, räumliche und zeitliche Verschiebungen der Niederschläge, stärkere Hochwasser und Stürme verursachen weltweit erhebliche Veränderungen der Lebensbedingungen für Menschen, Tiere und Pflanzen.

Meine Damen und Herren, als kritische Grenze für den Klimawandel gilt eine Erwärmung von 2 °C über dem Niveau zu Beginn der Industrialisierung. Eine solche Begrenzung des Temperaturanstiegs wäre zu erreichen, wenn es gelänge, die Konzentration des CO2 in der Atmosphäre auf 550 ppm zu begrenzen. Heute liegt sie bereits bei 380 ppm. Aber selbst das wäre kein Wohlfühlszenario. Auch wenn mancher und manche in Norddeutschland sich sagen, 2 bis 3 °C wärmer wären doch nicht von Schaden, hat das auch in Deutschland seinen Preis: Hitzewellen im Sommer und Sturzregen im Winter. Wir brauchen nur an das letzte Elbehochwasser zu denken. Die Vegetation wird sich verändern, die Wälder werden andere werden. Ob die Buchenwälder überleben, hängt von der Höhe des Temperaturanstiegs ab.

Modellrechnungen des Umweltbundesamtes lassen einen Anstieg der Jahresmitteltemperatur bis zum Jahr 2100 im Vergleich zum Zeitraum 1961 bis 1990 um 1,5 bis 3,7 °C erwarten. Als sehr wahrscheinlich gilt eine Erwärmung um 2 bis 3 °C. Der größte Temperaturanstieg ist im Winter zu erwarten. Die sommerlichen Niederschläge könnten sich bis zum Jahr 2100 um 30 % verringern. Ganz andere Wirkungen als bei uns hat eine Erwärmung des Erdklimas um 2 °C für den Süden. Im letzten Spiegel finden Sie für eine angenommene Erwär

mung um 2 °C folgendes Szenario: Das Abschmelzen des grönländischen Eispanzers kommt irreversibel in Gang. 15 bis 40 % aller Arten drohen auszusterben, z. B. Eisbären, Karibus und viele Amphibien. Das südliche Afrika und die Mittelmeerregion verfügen über 20 bis 30 % weniger Wasser. 40 bis 60 Millionen Menschen mehr werden in Afrika an Malaria erkranken. Wer noch einen weiteren Impuls für den Handlungsbedarf in Fragen des Klimawandels braucht, kann sich dort die Szenarien für 3°, 4° und 5 °C Erwärmung ansehen.

Meine Damen und Herren, schon jetzt ist überdeutlich, dass der Klimawandel und seine Folgen nicht allein ins Ressort Umweltpolitik gehören, sondern dass die ökonomischen Auswirkungen heftig sein werden. Nach vorläufigen Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung könnten die Kosten in Deutschland bis 2050 auf jährlich 27 Milliarden Euro ansteigen. Hier geht es nicht mehr um virtuellen Umweltschutz und auch nicht nur um Diskussionen über die Verantwortung der Länder des Nordens für die Entwicklung im Süden des Globus, sondern um die ökonomischen Folgen unserer eigenen Wirtschaftsweise. Diese Folgen kosten Milliarden, die erst einmal aufgebracht werden müssen.

Die notwendige Anpassung an den Klimawandel stellt uns auch in Deutschland vor schwierige Fragen: Wie kann eine Strategie zur Anpassung an die Klimaänderungen aussehen? Welche Maßnahmen müssen ergriffen werden? Wer hat sie umzusetzen und bis wann? Welche Rolle spielen Staat und Verwaltung und welche die Zivilgesellschaft?

Die Beschleunigung des Meeresspiegelanstiegs, verbunden mit einer ab Mitte des Jahrhunderts zu erwartenden signifikanten Zunahme schwerer Stürme, stellt eine erhebliche Herausforderung für den Küstenschutz an Nord- und Ostsee dar. Anpassungsmaßnahmen zur Sicherung des Küstenraums, seiner Infrastruktur und seiner Bevölkerung bergen teilweise erhebliche Konfliktpotentiale; sie werden gesellschaftliche Standards in Frage stellen, umfangreiche Investitionen erfordern und tief in die Raum- und Landesplanung eingreifen. Es ist zu klären: Brauchen wir weitere Deichlinien wie in den Niederlanden, und brauchen wir Sturmflutwerke in den Flussmündungen wie vor London oder Rotterdam?

(Unruhe)

- Ich kann mich hier ganz schwer konzentrieren.

Gleichzeitig wissen wir nicht genau, wie weit wir die Erderwärmung werden begrenzen können. Die unsicherste Variable ist der Mensch. Das ist eine Rechnung mit mehr als einer Unbekannten; deswegen sind sowohl Prognosen als auch Handlungskonzepte mit Unsicherheiten behaftet.

Meine Damen und Herren, wir schlagen Ihnen vor, einen Sachverständigenrat für Klimafragen einzurichten, der Fachkompetenz aus allen betroffenen gesellschaftlichen Bereichen versammelt. Seine erste Aufgabe soll es sein, die ökonomischen und ökologischen Auswirkungen des Klimawandels für Norddeutschland abzuschätzen und entsprechende Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel vorzuschlagen. Wir wollen diese Aufgabe nicht auf Niedersachsen beschränken, wir müssen alle norddeutschen Küstenländer einbeziehen; anders wäre es Stückwerk.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die zweite Aufgabe dieses Rates wird es sein, ein Konzept aus wirksamen Schritten zur Minderung des Ausstoßes klimaschädlicher Gase zu erarbeiten. Das Mindeste, was wir erreichen müssen, ist, den Ausstoß dieser Gase bis 2020 um 25 % zu reduzieren. Das muss unser Beitrag sein, wenn die Erderwärmung tatsächlich nur - -

Frau Steiner, bitte warten Sie, bis hier ein bisschen mehr Ruhe eingekehrt ist.

Darauf hoffe ich schon die ganze Zeit.

Ich glaube, jetzt geht es wieder.

Das muss unser Beitrag sein, wenn die Erderwärmung tatsächlich nur auf einen Anstieg von 2 °C begrenzt werden soll.

Ich kann zwar das Gemurre bereits hören: Schon wieder ein Beirat, den brauchen wir nicht! Oder im positivsten Fall: Wir machen das schon selber.

(Bernd Althusmann [CDU]: Sehr rich- tig!)

- Genau, das habe ich erwartet. Aber ich sage Ihnen, Herr Althusmann: Es ist keine Schande für eine Landesregierung und ein Landesparlament, sich zur Bewältigung einer derartigen Aufgabe Sachverstand aus vielen Bereichen zu holen und sich an den Vorschlägen eines solchen Sachverständigenrates zu orientieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Leider muss ich feststellen, dass bisher ernsthafte Anstrengungen, ein wirksames Klimafolgenkonzept für Niedersachsen oder gar für die norddeutschen Länder zu erstellen, nicht erkennbar sind. Eine kleine Polemik gestatte ich mir: Der Kabinettsbeschluss über den Nachhaltigkeitsbericht, den wir im Sommer präsentiert bekamen, ist dafür nicht einmal ein Placebo, zumal die Landesregierung erst im nächsten Jahr eine Nachhaltigkeitsstrategie vorstellen will. Meine polemische Einschätzung: Die Maßnahmen zur Umsetzung dieser Strategie werden dann wohl in den Folgejahren - vielleicht 2009 - vorgelegt. So, meine Damen und Herren, geht das nicht. In Wirklichkeit ist die Sache zu ernst, als dass man sie mit den üblichen parteipolitischen Frontstellungen angehen dürfte. Deshalb appelliere ich an Sie, diesen Vorschlag ernsthaft zu bedenken, bevor Sie versuchen, ihn in der Tonne mit der Aufschrift „Unsinnige Vorschläge der Opposition“ zu versenken.

Die letzte repräsentative Umfrage des Umweltbundesamtes hat ergeben, dass zum ersten Mal eine Mehrheit von Menschen angegeben hat, dass sie der Klimawandel persönlich betreffe. Wenn wir daran anknüpfen und eine andere Form von Kommunikation mit den Menschen etablieren, dann werden wir auch die notwendige Akzeptanz für zweifellos einschneidende Maßnahmen erreichen. Wir müssen nur jetzt damit beginnen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion hat jetzt Frau Zachow das Wort. Bitte schön, Frau Zachow!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! „Wir machen das Klima“. - Wer ist eigentlich „wir“?

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Das habe ich mich gefragt. Sind es die Grünen? Sind es die Niedersachsen? Die Europäer? Gar die ganze Menschheit? - Wie auch immer, Sie überheben sich.

Nun soll nach Ihren Wünschen die Landesregierung einen Rat für Klimafragen einrichten, der die Klimafolgen und daraus zu ziehende Konsequenzen darstellen soll. Dieser Rat soll - Frau Steiner hat es gesagt - länderübergreifend, zusammen mit Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein, arbeiten. In der Begründung führen Sie dann aus, dass für Niedersachsen eine differenzierte Darstellung erfolgen müsse. Was gilt nun eigentlich?

Meine Damen, meine Herren, dass klimarelevante Emissionen gemindert werden müssen, ist uns allen nicht erst seit der Genehmigung des KyotoProtokolls klar. Aber wir wissen auch - und das betrübt -: Wenn wir, wie von Ihnen gefordert, deutschlandweit 25 % der CO2-Emissionen einsparen, dann macht das knapp 1 % der schädlichen Klimagase weltweit aus - eine Größenordnung, die von China und Indien durch ihr Wachstum ganz locker wieder eingeholt wird.

Verstehen Sie mich jetzt bitte nicht falsch.

(Dorothea Steiner [GRÜNE]: Wir be- mühen uns!)

Dies ist kein Aufruf, nichts zu tun. Wir müssen weitermachen: Energieeffizienz erhöhen, regenerative Energien gewinnen, Spitzen in der Stromproduktion speichern und Abgaswerte reduzieren. Dabei wird uns ein Rat für Klimafragen nicht helfen.