Protocol of the Session on November 8, 2006

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 24. Juni dieses Jahres - sozusagen auf dem Höhepunkt der Jagd nach dem Bären Bruno aus Bayern - titelte die Bild mit der Frage: „Ist Minister Glos der Problem-Bär unserer Regierung?“

Rainer Brüderle, FDP-Vize, beantwortete das im Bundestag auf seine Art und sagte, Glos tapse orientierungslos durch die politische Landschaft. Da drängt sich förmlich ein Vergleich mit dem Problembären Bruno auf. Die Zeit ätzte sogar: „Man ist sich auch nach sieben Monaten nicht sicher, ob er sein Amt schon angetreten hat.“

(David McAllister [CDU]: Reden Sie über Jüttner?)

Wie auch immer. Herr Glos hat spätestens am vergangenen Wochenende mit seinen Äußerungen zum Kündigungsschutz deutlich gemacht, dass er wirklich im Amt ist. Dass er dabei den alten Ladenhüter „Aufweichung des Kündigungsschutzes“ strapaziert, um sich zu profilieren, zeigt, auf welch traurigem Niveau dieser Minister mittlerweile angekommen ist.

(David McAllister [CDU]: Etwas mehr großkoalitionären Respekt, bitte, mein Lieber!)

Zum einen hätte er wissen müssen, dass es bereits im Jahre 2004 eine umfassende Reformierung des Kündigungsschutzrechtes gegeben hat. Zum anderen hätte er nur aufmerksam die Studie des IAB studieren müssen, dann wüsste er - ich zitiere -, dass die Variation der Schwellenwerte im deutschen Kündigungsschutzrecht weder die Zahl der Einstellungen noch die Zahl der Kündigungen messbar verändert hat. Deshalb kann ein signifi

kanter Einfluss auf die Entwicklung des Beschäftigungsniveaus bzw. der Arbeitslosigkeit nicht nachgewiesen werden.

Weil das so ist, meine Damen und Herren, sagt die SPD ganz deutlich: Wir brauchen keine neue Debatte über die Reform des Kündigungsschutzes. Wir als SPD lehnen eine Aufweichung des Kündigungsschutzrechtes ab.

(Beifall bei der SPD)

Ganz im Gegenteil: Erfolgreiche Unternehmen haben häufig weit über das Gesetz hinausgehende Regelungen zur Beschäftigungssicherung vereinbart. Sie wissen genauso gut wie viele Handwerksmeister: Nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich mit dem Unternehmen identifizieren, die sich keine Sorge um ihren Arbeitsplatz machen müssen, können tatsächlich Höchstleistungen erbringen. Deswegen ist Kündigungsschutz aus unserer Sicht sogar ein positiver Standortfaktor.

Jetzt - lassen Sie mich auch das sagen -, wo die Menschen endlich wieder etwas Vertrauen in die wirtschaftliche Entwicklung gewonnen haben, die Binnenkonjunktur offensichtlich wieder angesprungen ist, ist eine solche Debatte sogar schädlich. Das haben offensichtlich auch Herr Hundt und seine Kollegen aus dem Arbeitgeberverband gelernt. Gestern gab es beim BDA darüber keine Diskussion. Der Vorschlag von Herrn Glos ist ja auch nicht aufgenommen worden.

Herr Wulff und Herr Hirche, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der CDU - und insbesondere Herr Rüttgers versucht ja seit geraumer Zeit, sozialpolitisches Profil für die CDU zu entwickeln;

(David McAllister [CDU]: Haben wir schon!)

das durften wir an verschiedenen Vorschlägen lernen -, binden Sie dem Wahlvolk nicht weiter einen Bären auf, schon gar nicht den Glos`schen Bären, sondern bekennen Sie sich hier und heute ganz deutlich zu dem bestehenden Kündigungsschutz. Dann hätte diese Aktuelle Stunde ein wenig Klarheit über die Zielrichtung der CDU geschaffen. Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD - Bernd Althus- mann [CDU]: Ein tolles Thema haben Sie sich da ausgesucht!)

Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Hermann das Wort. Bitte schön, Herr Hermann!

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Wolfgang, jetzt nicht Berliner Opposi- tion machen!)

Frau Präsidentin! Verehrte Damen, meine Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion! Herr Lenz, mit Ihrem Thema zur Aktuellen Stunde stellen Sie die Behauptung auf, in Deutschland herrsche Arbeitsplatzsicherheit, und diese Sicherheit sei in dem strengen Kündigungsschutz begründet. Beide Behauptungen sind schnell widerlegt.

Erstens. Wir arbeiten uns derzeit von eigentlich unfassbaren 5 Millionen Arbeitslosen langsam auf die immer noch viel zu hohe Zahl von 4 Millionen Arbeitslosen vor. Herr Lenz, angesichts solcher Zahlen von Arbeitsplatzsicherheit zu sprechen, ist völlig verfehlt.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zuruf von Günter Lenz [SPD])

Zweitens. Die Menschen wurden nicht arbeitslos, Herr Lenz, weil der Kündigungsschutz zu locker ist, sondern weil Deutschland seit Jahren das europäische Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum ist. Das ist die Ursache.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Arbeitsplatzsicherheit entsteht durch Wirtschaftswachstum und nicht primär durch etwas anderes.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Ich wiederhole diesen Satz in fast jedem Plenum. Aber man lernt ja am besten durch Wiederholung. Deswegen sage ich ihn immer wieder gerne.

Übrigens haben wir in Deutschland bereits in vielen Bereichen einen sehr lockeren Kündigungsschutz. 90 % aller Unternehmen - allein in Niedersachsen rund 260 000 Unternehmen - haben weniger als zehn Mitarbeiter und diese damit keinen oder kaum Kündigungsschutz. Herrscht deshalb in niedersächsischen Kleinbetrieben - übrigens sind diese Kleinbetriebe der größte Arbeitgeber in diesem Land

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

ein gnadenloses Hire and Fire? Nein. Der Großteil dieser Arbeitgeber zeigt ein hohes Maß an Verantwortung für seine Mitarbeiter, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wer die Position unserer Fraktion, insbesondere vertreten durch unseren Wirtschaftsminister Walter Hirche, kennt, der weiß, dass wir nicht einfach eine komplette Streichung des Kündigungsschutzes fordern. Nein. Denn eine alleinige Lockerung des Kündigungsschutzes schafft nicht automatisch neue Arbeitsplätze. Eine deutliche und dauerhafte Senkung der hohen Arbeitslosenzahlen ist nur durch eine Reihe von Maßnahmen zu erreichen. Als Erstes ist natürlich das Wirtschaftswachstum zu nennen. Denn ohne Wachstum passiert auf dem Arbeitsmarkt nichts.

Als Nächstes brauchen wir eine deutliche Senkung der Lohnnebenkosten, damit der Faktor Arbeit nun endlich billiger wird und gleichzeitig die Arbeitnehmer netto mehr in der Tasche behalten.

Hinzukommen bessere Bildung und Qualifizierung. Denn es sind die Geringqualifizierten, die die größten Probleme haben. Gleichzeitig haben viele Unternehmen Probleme, qualifizierte Mitarbeiter zu finden.

(Zuruf von der SPD: Ausbilden!)

Andere Länder haben erkannt, dass eine schnelle Reintegration in den Arbeitsmarkt wichtig ist. Jobtraining in den Unternehmen geht vor dem Besuch theoretischer Kurse; und Bildungsträger werden dort nach Erfolg bezahlt.

Wir benötigen auch eine bessere Vermittlung, die schnell passgenaue Angebote für Arbeitsuchende findet. Die verstärkte Übertragung der Arbeitsvermittlung auf die Kommunen ist hierfür ein gutes Beispiel.

Wir müssen auch davon weg, dass die meisten Kündigungen vor dem Arbeitsgericht landen. Meine Damen und Herren, Sie müssen wissen, dass das bis an die Grenze der Möglichkeiten der Unternehmen geht, die dort sehr viel Geld verlieren. Das ist ein großes Problem in vielen mittleren Betrieben, meine Damen und Herren. Wir müssen Mediatoren oder Schiedsgerichte davor tätig wer

den lassen. Denn nur die können eine Erleichterung bringen.

Letztlich brauchen wir auch eine allgemeine Lockerung des Kündigungsschutzes, meine Damen und Herren. Schauen Sie sich doch um in Europa! Niedrige Arbeitslosenquoten gehen immer Hand in Hand mit flexiblen Arbeitsmärkten. Wer also wie die Gewerkschaften und die SPD wichtige Elemente einer Arbeitsmarktreform von vornherein ausschließen will, verhindert eine vernünftige Diskussion und schadet nur den Arbeitslosen, Herr Lenz.

Die Antwort unserer erfolgreichen Nachbarn wie Dänemark, Holland oder der Schweiz liegt in der Verbindung von Flexibilität - wie in den angelsächsischen Ländern - mit der Sicherheit eines europäischen Sozialsystems. Sicherheit heißt nicht Sicherheit vor Veränderung, sondern Sicherheit in der Veränderung. Deutschland ist und bleibt ein Hochlohnland. Doch das geht nur dann, wenn wir auch ein Hochflexibilitätsland werden.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss kommen und noch ein Wort zu den Kosten sagen.

Herr Kollege Hermann, Ihre Redezeit ist zwar noch nicht ganz abgelaufen, aber Sie haben schon fünf Minuten am Stück gesprochen.

Danke schön, Frau Präsidentin. Ich bin gleich fertig und möchte nur noch die letzten paar Sätze sagen.

(Heiterkeit und Zurufe)

- Ich habe doch sieben Minuten.

Herr Kollege, Sie dürfen sich nachher gern noch einmal melden.

Meine Damen und Herren, das Thema ist zu ernst, um eine Diskussion über die Redezeit anzufangen.

(Heiterkeit und Beifall)

Herr Hermann, hören Sie mir bitte einmal einen Moment zu! Unsere Geschäftsordnung sieht vor, dass jeder Redner fünf Minuten am Stück redet. Sie dürfen sich gleich gern noch einmal zu Wort melden und dann den Rest Ihrer Redezeit in Anspruch nehmen.

Ach so, das ist ja schön.

(Heiterkeit)

Ich komme zum Schluss. Unser Sozialsystem, meine Damen und Herren, ist also nicht unterfinanziert, sondern schlicht ineffizient. Geld allein nutzt nichts, wenn man keine guten Ideen hat. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.