Protocol of the Session on February 15, 2002

Der Kollege Pörtner hat beantragt, dass über den Antrag sofort entschieden werden soll. Ich habe keinen Widerspruch bei der SPD gehört, frage aber das Haus, ob es gegen den Antrag auf sofortige Entscheidung Widerspruch gibt und Ausschussüberweisung gewünscht wird. - Das scheint nicht der Fall zu sein.

Wir können also über die Drucksache 3111 sofort abstimmen. Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, dass das Haus diesen Antrag einstimmig beschlossen hat.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 45: Erste Beratung: Einrichtung einer europäischen Institution zur historischen Aufarbeitung des Kommunismus - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 14/3112

Der Antrag wird vom Kollegen Biestmann begründet. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen im Jahre 1989 in der Sowjetunion, der DDR und den osteuropäischen Staaten

gehörte zu den herausragenden Ereignissen des 20. Jahrhunderts. Der Zusammenbruch des Kommunismus offenbarte nicht nur den ökonomischen und ökologischen Ruin eines verfehlten Systems, sondern auch die Folgen einer 40-jährigen Unterdrückung von Freiheit und Menschenrechten.

Der Präsident der Tschechischen Republik, Václav Havel, der als Dissident unter dem kommunistischen Regime in seiner Heimat im Gefängnis saß, hat in einem Gastkommentar für die Zeitung Die Welt am 18. November 1999 geschrieben:

„Unsere Novemberrevolution fiel keineswegs vom Himmel. Sie war organischer Teil einer großen Bewegung des unaufhaltsamen Zerfalls eines Systems, das auf Lügen, Hass und Zwang baute, eines Systems, das die Menschen ihrer fundamentalsten Rechte beraubte, das dem ureigensten Sinn des Lebens zuwiderhandelte und glaubte, den Fortschritt der Geschichte unter dem Banner einer verlockenden, doch falschen Utopie aufhalten zu können.“

Meine Damen und Herren, Dokumente aus den mittlerweile geöffneten Archiven der früheren kommunistischen Staaten in Russland und Osteuropa belegen ausdrücklich, in welchem Ausmaß die kommunistischen Staaten fast durchweg auf eine Politik der Liquidierung und Unterdrückung begründet waren. Alexander Jakowlew, früherer Weggefährte Gorbatschows und Chef der Staatlichen Kommission für Rehabilitierung von Opfern politischer Unterdrückung, gab vor kurzem in Moskau an, dass allein in der früheren Sowjetunion zwischen 1917 und 1987 etwa 32 Millionen Menschen in Lagern oder Gefängnissen getötet worden sein sollen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Es ist bekannt, dass auch in weiteren osteuropäischen Staaten während des kommunistischen Regimes Menschen in großer Zahl zu Tode gekommen sind.

In Deutschland ist 1990 mit der Einrichtung der so genannten Gauck-Behörde in vorbildlicher Weise ein wesentlicher Schritt zur Aufarbeitung und Bewältigung der kommunistischen Diktatur in Ostdeutschland unternommen worden. Die Beschäftigung mit der DDR-Vergangenheit ist jedoch keineswegs einseitig auf die Stasi-Akten gerichtet

gewesen. So hat es in der Vergangenheit eine Enquete-Kommission des Bundestages gegeben, die wissenschaftliche Publikationen, Filme, Romane, Ausstellungen und Veranstaltungen inszeniert hat, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Erinnerung an diktatorisches Unrecht zu erhalten und Wissen um das Wesen von Diktaturen zu vermitteln.

Meine Damen und Herren, die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Marianne Birthler hat anlässlich der Verabschiedung von Joachim Gauck zur Notwendigkeit einer weiteren Beschäftigung mit dem Unrechtsregime der DDR ausgeführt:

„Die Erinnerung gilt zuerst den Opfern von Repressionen, Zersetzung und politischer Justiz, die ein Recht auf Aufklärung, Rehabilitierung und würdige Entschädigung haben. Auch wo Recht und Unversehrtheit nicht wieder hergestellt werden können, gibt es doch wenigstens Genugtuung durch Wahrheit. Wir wollen auch darauf achten, dass die Erinnerung an jene Opfer der Diktatur nicht verblasst, die nicht mehr leben. Wir haben Verantwortung gegenüber Menschen, denen durch lange Haftstrafen Jahrzehnte ihres Lebens gestohlen worden sind und die heute zu kraftlos und enttäuscht sind, um ihre Interessen selber zu vertreten.“

Die Frage nach den Folgen einer Diktatur wird nicht nur in Deutschland gestellt, sondern auch in anderen Ländern Europas. In Tschechien, Ungarn, Polen, den ehemaligen Ländern der Sowjetunion steht sie bereits auf der Tagesordnung. Sie wird auch die jugoslawische Öffentlichkeit beschäftigen.

Wenn wir den Weg zu einem gemeinsamen Europa und einer europäischen Identität anstreben, meine Damen und Herren, brauchen wir auch eine europäische Idee unserer Geschichte. Dies setzt eine gemeinsame Betrachtung der Geschichte des Kommunismus in Europa voraus.

(Beifall bei der CDU)

Anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Gesetzes über die Unterlagen der DDR-Staatssicherheit hat sich die Bundesbeauftragte Marianne Birthler für eine historische Aufarbeitung des Kommunismus in einer europäischen Institution ausgesprochen. Die CDU-Fraktion hält die Einrichtung einer

solchen Institution für notwendig, um eine Aufarbeitung der Geschichte des Kommunismus aus europäischer Sicht zu ermöglichen und die Erinnerung an die Opfer des Kommunismus wach zu halten.

(Beifall bei der CDU)

Dass es notwendig ist, auch in Deutschland an die Folgen des DDR-Unrechtsregimes zu erinnern, zeigt die innenpolitische Entwicklung der letzten Jahre. Nach einer Studie des Instituts für Hochschulforschung der Universität Halle verlieren Lehrveranstaltungen über die Beschäftigung mit der DDR-Geschichte an deutschen Hochschulen immer weiter an Bedeutung. Nach dem Ergebnis der Studie ist die Behandlung der DDR-Geschichte mittlerweile auf dem vergleichsweise niedrigen Stand des Jahres 1990 angelangt. Eine vergleichbare Entwicklung ist für die Geschichte der kommunistischen Diktaturen in Osteuropa festzustellen.

Ein Rückschlag für die Aufarbeitung des Kommunismus und ein Bruch mit dem antitotalitären Konsens aller demokratischen Kräfte seit dem Zweiten Weltkrieg ist die Kooperation der SPD mit der PDS, der SED-Fortsetzerpartei, in mehreren Bundesländern. Bis 1989 war die SED die Partei der DDR-Diktatur.

(Zuruf von der SPD: Einschließlich der Blockflöten!)

Die SED hat sich nie aufgelöst, sondern nur zur PDS umbenannt, um Vermögen und Organisation zu retten. Mehr als 80 % der PDS-Mitglieder waren schon in der SED. Mitglieder der Kommunistischen Plattform erhalten auf Parteitagen bei Wahlen die Unterstützung von etwa einem Drittel der Delegierten. In Mitgliederstruktur und Programmatik ist die PDS immer noch die alte SED.

(Zuruf von der SPD: Ost-CDU! - Weitere Zurufe)

- Herr Rabe, hören Sie zu. Es geht noch weiter. - In Berlin hat die SPD zum Zwecke des Machterhalts - Herr Rabe, das können Sie nicht bestreiten - in Kauf genommen, dass eine Entschuldigung der PDS für das von der SED begangene Unrecht nicht in den Koalitionsvertrag aufgenommen wird.

(Zuruf von der SPD: Aber die Block- flöten!)

Die von der SPD geförderte Regierungsbeteiligung der SED-Fortsetzerpartei in Berlin und die weite

ren Kooperationen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt sind ein Schlag ins Gesicht der Opfer des DDR-Unrechtsstaates

(Beifall bei der CDU)

und offenbaren bei der SPD ein erschreckendes Maß an Geschichtsvergessenheit.

Diese Unfähigkeit, sich klar vom DDRKommunismus abzugrenzen und alles Notwendige zur Aufarbeitung des Unrechts in der DDR zu unternehmen, hat die SPD bereits in der Vergangenheit gezeigt. Erinnert sei an das SPD-SEDGrundwertepapier von 1987, in dem ideologische Gemeinsamkeiten hervorgehoben werden, sowie an die damaligen Forderungen SPD-geführter Bundesländer, die Zentrale Erfassungsstelle Salzgitter - Herr Mientus, das ist wichtig - durch Einstellung der Mittelzuweisungen zu schließen. Vielleicht fanden Sie das ja gut, wir nicht.

(Mientus [SPD]: Was habt ihr daraus gemacht? Ich habe nie etwas gehört!)

Die genannten politischen Entwicklungen zeigen in aller Deutlichkeit, dass die historische Aufarbeitung des Kommunismus nicht abgeschlossen ist und insbesondere die Geschichte der kommunistischen Diktaturen in Europa wach gehalten werden muss. Meine Damen und Herren, die CDUFraktion fordert daher die Landesregierung auf, auf Bundesebene mit dem Ziel initiativ zu werden, die Einrichtung einer europäischen Institution zur historischen Aufarbeitung des Kommunismus zu ermöglichen. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Herr Kollege Wendhausen.

(Zuruf von der CDU: Jetzt wird auf- gearbeitet!)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Bei dem Beitrag von Herrn Biestmann ist mir eines, wenn es nicht schon vorher deutlich war, ganz klar geworden: Dieser Antrag dient nur dazu zu versuchen, die SPD aufs Glatteis zu führen. Wenn wir diesen Antrag ablehnen würden, würden Sie

uns sofort in eine Ecke mit der PDS stellen. Das werden wir nicht tun.

Dieser Antrag stellt bei uns nur Fragen in den Raum, die wir in aller Ruhe im Ausschuss bereden wollen. Es geht um Fragen wie: Ist das überhaupt ein EU-Thema? Welche Auswirkungen hat das z. B. auf die EU-Osterweiterung, auf das Verhältnis Deutschlands zu Osteuropa? Belastet dieser Antrag vielleicht die Beziehungen zu Russland und China? Welche wirtschaftlichen Auswirkungen könnte dieser Antrag haben? Muss es denn ein Institut sein, kann es auch eine Forschungseinrichtung sein, oder gibt es vielleicht sogar schon so eine?

Wir werden diesen Antrag in aller Ruhe und Tiefe im Ausschuss mit Ihnen beraten. Wir werden, wenn unsere Überlegungen zum Abschluss kommen, zu diesem Thema auch noch eine Anhörung machen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Wenzel hat das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich geärgert, nachdem ich die Präambel von SPD und PDS in Berlin gelesen und gesehen habe, dass dort immer nur sehr euphemistisch von Unrecht die Rede ist, aber dass nicht ein einziges Mal das Wort „Verbrechen“ auftaucht.

(Beifall bei der CDU)

Nichts anderes ist eigentlich das, was in der DDR jahrelang passiert ist. Ich habe lange in unmittelbarer Nähe zu der widerwärtigen Grenze gelebt, welche Deutschland fast drei Jahrzehnte geteilt hat. Ich kenne durch Freunde und Bekannte auch einen Ausschnitt der Lebensbedingungen in der ehemaligen DDR und der Behandlung so genannter Republikflüchtlinge.

Was in der DDR und in den ehemaligen realsozialistischen Ostblockstaaten geschehen ist, verstieß gegen elementare und unveräußerliche Menschenrechte.

(Beifall bei der CDU)

Bündnis 90/Die Grünen stehen in der Tradition der Bürgerbewegung in der DDR, und das schon sehr