Protocol of the Session on February 15, 2002

Meine sehr verehrten Damen und Herren, guten Morgen!

(Zurufe: Guten Morgen, Herr Präsi- dent!)

Wir beginnen die heutige Sitzung mit der Fragestunde, Tagesordnungspunkt 36. Es folgt die Fortsetzung von Punkt 3, nämlich die strittigen Eingaben. Anschließend erledigen wir die Tagesordnungspunkte in der Reihenfolge der Tagesordnung.

Die heutige Sitzung soll gegen 15.35 Uhr enden.

An die rechtzeitige Rückgabe der Reden an den Stenografischen Dienst wird erinnert.

Es folgen geschäftliche Mitteilungen durch die Schriftführerin.

Es haben sich entschuldigt von der Fraktion der SPD Frau Dr. Andretta und Herr Brauns sowie von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Pothmer und Frau Stokar von Neuforn.

Wir kommen damit zu

Tagesordnungspunkt 36: Mündliche Anfragen - Drs. 14/3110

Es ist jetzt 9.02 Uhr. Wir beginnen mit

Frage 1: Sicherheit der Justizvollzugseinrichtungen in Niedersachsen

Sie wird gestellt von den Abgeordneten Adam, Frau Bockmann, Dehde, Haase, Hepke, Frau Müller, Schlüterbusch, Frau Schuster-Barkau und

Voigtländer. Wer bringt sie ein? - Frau Müller, bitte!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Jahren hat der Bundesgesetzgeber durch mehrere Novellierungen des Strafgesetzbuches bei vielen Straftatbeständen, insbesondere aber bei solchen der Alltagskriminalität, den Strafrahmen, der den Gerichten bei der Urteilsfindung eröffnet ist, zum Teil erheblich angehoben. Aber auch der härteste Strafausspruch bleibt wirkungslos, wenn die Vollstreckung nicht gewährleistet werden kann. Es kommt zwar in allen demokratischen Staaten, die Strafvollzug anordnen und Justizvollzugsanstalten vorhalten, zu Gefangenenausbrüchen. Ausbrüche werden auch in Zukunft nicht vollständig zu verhindern sein. Sie führen jedoch, häufig verstärkt durch eine spektakuläre mediale Berichterstattung, zu einer erheblichen Verunsicherung der Bevölkerung. Ziel muss es daher sein, die rechtsstaatlichen Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen, um die größtmögliche Sicherheit des geschlossenen Vollzuges zu gewährleisten.

Deshalb fragen wir die Landesregierung:

1. Wie hat sich die Sicherheit in den Einrichtungen des geschlossenen Vollzuges des Landes Niedersachsen seit der Übernahme der Regierungsverantwortung durch die SPD entwickelt?

2. Wie ist der von der Landesregierung behauptete auffällige Rückgang der Ausbrüche aus Einrichtungen des geschlossenen Vollzuges im Lande Niedersachsen zu erklären?

3. Sind weitere Maßnahmen geplant, um die größtmögliche Sicherheit in den Justizvollzugseinrichtungen auch zukünftig zu gewährleisten?

Die Antwort erteilt der Justizminister.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der niedersächsische Justizvollzug ist so sicher wie nie zuvor.

(Zustimmung bei der SPD)

Das zeigt sich gerade bei dem geschlossenen Vollzug, auf den sich die Frage richtet. Die Ausbruch

quote konnte zwischen 1991 und 2001 um 90 % gesenkt werden. Auch die Quote derer, die aus dem Hafturlaub des geschlossenen Vollzugs nicht pünktlich zurückkehren, ist in diesen zehn Jahren um 32 % zurückgegangen. Beide Quoten haben dazu geführt, dass wir 2001 auf dem niedrigsten Stand solcher Verstöße gegen die Regeln stehen, den wir je hatten.

Ich möchte im Hinblick auf die Sicherheit zunächst auf ein paar Besonderheiten eingehen. Die Erste ist das Problem - es mag Sie überraschen, dass ich damit anfange - der Arbeitslosigkeit hinter Gittern. Knapp die Hälfte der Gefangenen im niedersächsischen Strafvollzug ist gegenwärtig beschäftigungslos. Das ist für uns deswegen ein Sicherheitsproblem, weil solche Gefangenen dann maximal ein sehr bescheidenes Taschengeld haben und mit Neid auf die anderen blicken, die Arbeit haben und für die Vollzugsverhältnisse relativ gut verdienen.

Von daher ist Geschäftemacherei bei den Beschäftigungslosen immer ein Problem: Sie erpressen und unterdrücken andere oder versuchen, ihr Einkommen mit Drogenhandel aufzubessern. Von daher ist Vollbeschäftigung auch ein Ziel, das die Sicherheit erhöht. Ich werde noch einmal darauf zurückkommen, wie wir das erreichen wollen.

Zum Zweiten ist es ein besonderes Problem im Vollzug, dass wir dort über hochgefährliche Täter verfügen, über Gewalttäter, die gefährliche Sexualstraftäter sind. Deshalb ist der Ausbau der Sozialtherapie, den wir uns für die nächsten Jahre vorgenommen haben, nicht nur auf die potenziellen Opfer nach draußen gerichtet, sondern auch nach innen in den Vollzug. Solche Gefangenen sind mit ihrem Gewaltpotenzial ein Problem in der Anstalt. Ich bin deswegen dankbar, dass wir durch den Haushalt für die nächsten beiden Jahre die Möglichkeiten erhalten haben, die Sozialtherapie zu verdoppeln und damit für sichere Verhältnisse in den Anstalten zu sorgen. Die Verbesserung des Klimas wird sich positiv auswirken.

(Zustimmung bei der SPD)

Unter Sicherheitsaspekten ist eine niedersächsische Spezialität besonders hervorzuheben: Der Fall Heinz hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass wir etwas verbessern können. Das haben wir auch getan. Niedersachsen ist das einzige Bundesland, in dem diese Gruppe von besonders gefährlichen Gefangenen in Sicherungsverwahrung nicht auf

der Basis eines Gutachtens herauskommt, sondern nur, wenn zwei Gutachten, die von Gutachtern verschiedener Herkunft - Psychiatrie und Psychologie parallel - erstellt werden, übereinstimmend zu der Einschätzung gelangen: Wir können es riskieren, dass bei diesen Gefangenen mit Vollzugslockerungen Richtung Entlassung begonnen wird. Dann kann das geschehen.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die gestellten Fragen wie folgt:

Zu Frage 1: Seit der Übernahme der Regierungsverantwortung durch die SPD hat sich die Sicherheit in den Einrichtungen des geschlossenen Vollzugs ständig verbessert. Dabei bin ich meinen beiden Vorgängern im Amte, Frau Merk und Herrn Weber, besonders dankbar. Denn sie haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sich die Zahlen so günstig entwickeln konnten. Sie haben sich für die Investitionen im Vollzug ausgesprochen. Dadurch können wir heute sagen, dass wir den sichersten Vollzug haben, den wir je hatten.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe diesen sicheren Vollzug übernommen und kann von daher wirklich nur dankbar sein.

Einige Beispiele, was konkret geschehen ist: Zunächst einmal haben wir in vielen Anstalten - dort, wo es nötig ist - Personensicherheitsanlagen einführen können. Damit haben die Bediensteten die Möglichkeit, im Notfall sofort Alarm zu schlagen, wenn sie irgendwo eine gefährliche Situation erblicken oder wenn sie sehen, dass jemand flüchten möchte. Dadurch haben wir das Sicherheitsbewusstsein der Bediensteten insgesamt deutlich erhöhen können.

Aber vor allem ist Geld in die instrumentalen baulich-technischen Sicherheitsanlagen im Justizvollzug investiert worden. Dafür sind in den letzten vier Jahren 45 Millionen Euro eingeplant worden, davon 42 Millionen Euro für bauliche Sicherheit. Davon wiederum entfallen 4,6 Millionen Euro auf kleine Neu-, Um- und Erweiterungsbaumaßnahmen. Hinzu kommen 40 Millionen Euro für größere Bau- und Sicherungsmaßnahmen - in Hildesheim, Hannover und Meppen - und schließlich weitere 3,2 Millionen Euro für die technische Sicherheit, z. B. für 200 Handsonden, 50 Durchsuchungsrahmen, 25 Gepäckdurchleuchtungsgeräte und die erwähnten Personensicherungsanlagen in verschiedenen Anstalten.

Im Jahr 2001 ist darüber hinaus in Oldenburg die modernste, sicherste U-Haft-Einrichtung Deutschlands eröffnet worden. Zwei weitere Anstalten mit demselben hohen Sicherheitsstandard werden wir in Sehnde und Rosdorf bekommen.

Das alles wirkt sich natürlich aus. Ich darf die Zahlen nennen: 1991 gab es pro 1 000 Gefangene 6,5 Ausbrüche, 1995 3,6 und 2001 nur noch 0,4. Diese 0,4 sind einmalig in der Geschichte Niedersachsens. Konkret waren das drei Ausbrüche mit vier Gefangenen bei im Durchschnitt etwa 6 800 Gefangenen.

Zu Frage 2: Neben den von mir dargelegten Gründen gibt es weitere, die dafür verantwortlich sind, dass wir einen so sicheren Vollzug haben. So haben wir nach jedem Ausbruch die Fehler analysiert und daraus Konsequenzen gezogen. Die Außensicherungen sind durch modernste Technik und Mechanik verbessert worden. Ich selber habe, nachdem ich im Frühjahr letzten Jahres das erste Mal mit Ausbrüchen konfrontiert war, dafür gesorgt, dass seitdem bei unklaren Geschehensabläufen Analyseteams - Fachleute aus anderen Anstalten in die Anstalt kommen und nicht mit freundlichen, sondern mit kritischen Augen schauen und aufklären, woran das gelegen hat.

Ferner haben wir die Kommunikationsmittel und Kontrollgeräte ergänzt und modernisiert. Die Dienstaufsicht der Anstaltsleitung wurde stärker auf Sicherheitsbelange ausgerichtet. Außerdem haben wir besondere Unterkunftsbereiche für solche Gefangene geschaffen, die als Problemfälle anzusehen sind.

Zu Frage 3: Natürlich hat es mit all dem, was ich dargestellt habe, nicht sein Bewenden. Trotz des guten Standards, den wir erreicht haben, sind wir weiter bemüht, die Sicherheit auszubauen. Dazu gehört, dass wir die Sicherheitsstandards in einigen älteren Justizvollzugseinrichtungen den neuen Erkenntnissen anpassen. Dafür stehen Haushaltsmittel zur Verfügung: insgesamt 50 Millionen Euro. In diesem Betrag sind enthalten große Baumaßnahmen in Hildesheim, Lingen, Stade und Hannover für fast 20 Millionen Euro, ferner Maßnahmen, die in der Mipla 2001 bis 2005 stehen und dort in die Dringlichkeitsliste B aufgenommen worden sind - Salinenmoor, Vechta, Meppen, Hameln -, mit insgesamt 14,5 Millionen Euro und kleinere Baumaßnahmen sowie andere Maßnahmen, die noch nicht im Detail geplant sind, für insgesamt ebenfalls 14 Millionen Euro in einer Reihe von

Anstalten; ich nenne nur Braunschweig, Lingen, Damaschke, Lüneburg, Wolfenbüttel und Hameln.

Sehnde und Rosdorf habe ich bereits erwähnt. Wir hoffen, dass sich durch diese neuen Anstalten die Belegungssituation entspannen wird. Das wiederum schafft auch Rahmenbedingungen für einen sicheren Vollzug.

Damit soll es freilich nicht sein Bewenden haben. Sie haben es vielleicht der Presse entnommen: Wir haben Frau Bennefeld-Kersten darum gebeten, aufgrund ihrer breiten Erfahrungen, die sie im Vollzug sammeln konnte, eine wissenschaftliche Untersuchung zu den Hintergründen der Ausbrüche in den letzten zehn Jahren durchzuführen. Dadurch werden wir in der Lage sein, die situativen Faktoren stärker zu berücksichtigen. Wir werden Erkenntnisse gewinnen, in welcher typischen Situation sich Gefangene befunden haben, bevor sie einen Ausbruch ins Auge gefasst haben. Von daher werden wir die Risikofälle frühzeitig erkennen und Gegenmaßnahmen treffen können. - Das ist ein Bereich, in dem wir Forschung einsetzen.

Ein zweiter Bereich ist - auch davon haben Sie möglicherweise schon gehört -, dass wir als erste Vollzugsabteilung in Deutschland noch in diesem Jahr alle Vollzugsbediensteten einer Befragung unterziehen werden. Diesen steht es natürlich frei, den anonymen Fragebogen auszufüllen. Ich hoffe aber, viele tun das; denn sie haben damit die Gelegenheit, ihre Unzufriedenheit zu artikulieren, natürlich auch Zufriedenheit auszusprechen, Verbesserungsvorschläge vorzubringen, Sicherheitsmängel zu benennen, und das alles anonym und angstfrei. Ich hoffe, dass uns auch diese Befragung Hinweise geben wird, wie wir die Sicherheit in den niedersächsischen Anstalten verbessern können.

Natürlich reicht das alles noch nicht. Ich habe die Arbeit im Vollzug erwähnt. Es ist ein ernstes Sicherheitsproblem, dass gegenwärtig so viele Gefangene in der Zelle sitzen, Däumchen drehen, auf dumme Gedanken kommen können und wegen ihres geringen Einkommens den anderen sehr oft bedrohlich begegnen und ihnen Geld abzupressen versuchen. Von daher haben wir das ehrgeizige Programm, bis Ende 2004 1 000 neue Haftplätze zu schaffen. Das wird die Beschäftigungsquote dann auf knapp 70 % anheben. Mehr ist schon fast gar nicht möglich; denn ein beachtlicher Anteil der Gefangenen ist gesundheitlich nicht in der Lage, ist schon Rentner, in U-Haft oder gerade im Verschub von einer Anstalt in die andere. Man muss also

damit rechnen, dass etwa 20 %, 25 % von vornherein für die Arbeit hinter Gittern nicht in Betracht kommen. Von daher peilen wir an, bis Ende 2004, wenn sich die Gefangenenzahlen günstig entwickeln, fast Vollbeschäftigung zu erreichen.

Das, was ich dargestellt habe, zeigt Ihnen: Der niedersächsische Vollzug befindet sich auf einem guten Weg. Es ist viel erreicht worden, was zur Erfüllung des gesetzlichen Auftrags nötig ist. Aber ständige Fortentwicklung ist ebenfalls nötig.

Ich will aber nicht die Illusion wecken, dass es in Zukunft keine Ausbrüche mehr geben wird. Ein Minister, der das behauptet, wäre vermessen. Mit Ausbrüchen müssen wir leider immer rechnen, weil die Gefangenen findig sind und sich auf jede Antwort, die wir auf Sicherheitsprobleme finden, ihrerseits wieder etwas Neues auszudenken versuchen. Wir müssen immer am Ball bleiben und dürfen nicht nachlassen.

Zum Abschluss dessen, was ich hier vorgetragen habe, möchte ich Sie um etwas bitten. Die Zahlen sind so eindeutig positiv, dass ich denke, der Vollzug verdient Vertrauen und nicht sofort Misstrauen, wenn es doch mal zu einem Vorfall kommen sollte.

Ein Letztes: Ich habe allen Anlass, den Bediensteten des Vollzugs in Niedersachsen für ihre engagierte Arbeit zu danken. Es verdient hohe Anerkennung, dass wir diesen hohen Sicherheitsstandard erreicht haben. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)