Protocol of the Session on January 24, 2002

Zur heutigen Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 17, den Dringlichen Anfragen. Anschließend setzen wir die Beratungen in der Reihenfolge der Tagesordnung fort. Die heutige Sitzung soll gegen 17.45 Uhr enden.

Ich möchte noch auf eine Veranstaltung hinweisen: Neben dem Parlamentarischen Abend wird heute Herr Professor Dr. Baumert, Direktor am MaxPlanck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, um 19 Uhr in der unteren Wandelhalle einen Vortrag zu dem Thema „PISA 2000 - Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich“ halten. Ich empfehle diese Veranstaltung Ihrer Aufmerksamkeit.

An die rechtzeitige Rückgabe der Reden an den Stenografischen Dienst bis spätestens morgen Mittag, 12 Uhr, wird erinnert.

Es folgen geschäftliche Mitteilungen durch die Schriftführerin.

Es haben sich entschuldigt von der Landesregierung Herr Ministerpräsident Gabriel bis ca. 12 Uhr und von der Fraktion der SPD Herr Wolfkühler und Herr Schwarz.

Beim Durchzählen ist mir aufgefallen, dass der Landtag schon beschlussfähig ist. Das stelle ich damit fest.

Wir kommen jetzt zu

Tagesordnungspunkt 17: Dringliche Anfragen

Es liegen drei Dringliche Anfragen vor: a) „Wie gefährlich ist das Grundgesetz? Gefährderansprachen, Meldeauflagen und Reiseverbote gegen Mei

nungs- und Versammlungsfreiheit“ - Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drs. 14/3054, b) Niedersachsens Reaktion vorbildlich - wo liegen die Ursachen für den Fischmehlskandal? - Anfrage der Fraktion der SPD, Drs. 14/3055 und c) Drogendealer mit allen Mitteln bekämpfen Einsatz von Brechmitteln ist verhältnismäßig Anfrage der Fraktion der CDU, Drs. 14/3056.

Ich erinnere an die Spielregeln: Jeder Abgeordnete kann nur bis zu zwei Zusatzfragen stellen. Zu zählen sind die einzelnen Fragen. Die Zusatzfragen müssen knapp sein, sie sollen zur Sache gehören und sollen sich nicht auf andere Gegenstände ausdehnen. Vor allem dürfen sie nicht verlesen werden.

Wir kommen zur ersten Dringlichen Anfrage:

a) „Wie gefährlich ist das Grundgesetz? Gefährderansprachen, Meldeauflagen und Reiseverbote gegen Meinungs- und Versammlungsfreiheit“ - Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 14/3054

Wer bringt sie ein? - Frau Stokar von Neuforn!

Guten Morgen und Gesundheit, Herr Präsident und meine Damen und Herren! Wie gefährlich ist das Grundgesetz? Gefährderansprachen, Meldeauflagen und Reiseverbote gegen Artikel 5. - Im Vorfeld des EU-Gipfels in Brüssel im Dezember 2001 forderte das Niedersächsische Innenministerium die Polizeibehörden des Landes auf, so genannte Gefährderansprachen bei möglichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern von Demonstrationen gegen den EU-Gipfel vorzunehmen.

Wie öffentlich bekannt wurde, wandte sich die Polizeiinspektion Göttingen mit einem Anschreiben an zahlreiche Personen, die u. a. mit dem vom DGB organisierten Bus zu einer angemeldeten und genehmigten Demonstration nach Brüssel fahren wollten. In dem Anschreiben heißt es:

„Der Polizei Göttingen ist bekannt, dass Sie im Zusammenhang mit versammlungsrechtlichen bzw. demonstrativen Aktionen polizeilich in Erscheinung getreten sind. Daher ist es nicht auszuschließen, dass Sie auch in Zukunft an demonstrativen Ereignis

sen teilnehmen werden. Für den 13. bis 15. Dezember 2001 sind demonstrative Aktionen gegen den EU-Gipfel in Brüssel geplant. Zu diesen Aktionen in Belgien rufen gewerkschaftliche, studentische, linksautonome, Antifa-Gruppen sowie sonstige Globalisierungsgegner auf. Bei gleichgelagerten Aktionen (z. B. Göteborg, Genua) kam es in der Vergangenheit zu erheblichen gewaltsamen Ausschreitungen seitens einiger Demonstrationsteilnehmer.“

(Möllring [CDU]: „Einiger“ ist aber untertrieben!)

„Auch während dieses EU-Gipfels ist damit zu rechnen. Um zu vermeiden, dass Sie sich der Gefahr präventiver polizeilicher Maßnahmen im Rahmen der Gefahrenabwehr (bis hin zur Zu- rückweisung an der deutsch- belgischen Grenze) oder strafprozessualer Maßnahmen aus Anlass der Begehung von Straftaten im Rahmen der demonstrativen Aktionen aussetzen, legen wir Ihnen hiermit nahe, sich nicht an den o. g. Aktionen zu beteiligen.“

Bei den angeschriebenen Personen löste das Anschreiben der Polizei Verwunderung, aber auch Empörung aus. Für die Betroffenen ist in keiner Weise nachvollziehbar, aufgrund welcher Informationen oder Daten sie für diese „Gefährderanschreiben“ ausgewählt wurden. Keiner der bekannten Betroffenen ist wegen eines Vergehens oder einer Straftat im Zusammenhang mit dem Versammlungsrecht verurteilt. Aus anderen Bundesländern ist bekannt, dass es im Vorfeld von EUund Weltwirtschaftsgipfeln neben Gefährderanschreiben auch polizeiliche Hausbesuche, Meldeauflagen und Ausreiseverbote gab.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie viele Personen wurden in den Jahren 2000 und 2001 im Vorfeld von Demonstrationen durch polizeiliche Hausbesuche, Gefährderanschreiben oder sonstige persönliche Gespräche aufgefordert, sich nicht an Demonstrationen zu beteiligen, und gegen wie viele Personen wurden Meldeauflagen oder Reisebeschränkungen verhängt?

2. Wie viele Personen aus Niedersachsen sind in der „Zentral-Datei für linke Gewalttäter“ beim Bundeskriminalamt erfasst?

3. Nach welchen Kriterien werden in Niedersachsen Personen als „links motivierte Gewalttäter“ eingestuft und an das BKA zur Aufnahme in die „Gewalttäterdatei“ weitergemeldet?

Die Landesregierung antwortet in Gestalt des Innenministers Bartling. Bitte!

(Mühe [SPD]: Kommt er, oder er- scheint er?)

Vielen Dank, Herr Präsident, für die freundliche Begrüßung. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor dem Hintergrund der Aktivitäten deutscher Globalisierungsgegner in Göteborg, Salzburg und Genua sowie unter Berücksichtigung der bis Ende November 2001 bekannt gewordenen Mobilisierung innerhalb der deutschen Antiglobalisierungsszene, insbesondere nach Beginn der Militäraktionen der NATO in Afghanistan und dem durch den Deutschen Bundestag beschlossenen Einsatz der Bundeswehr, war von der Beteiligung einer größeren Anzahl deutscher Globalisierungs- und Kriegsgegner an Versammlungen gegen den EU-Gipfel in Laeken bzw. Brüssel auszugehen. Das Bundeskriminalamt hatte aufgrund dieser Lage die Polizeien der Länder zur Durchführung der Sicherheitsmaßnahmen für den EU-Gipfel um geeignete Aufklärungsmaßnahmen und darüber hinaus um Prüfung weitergehender Maßnahmen gebeten, insbesondere so genannte Gefährderansprachen oder Pass- oder Meldeauflagen nach eigener Lage- und Gefährdungsbeurteilung angeregt. Ziel polizeilicher Maßnahmen war, die Anreise militanter Globalisierungsgegnerinnen und -gegner zu verhindern, um massive und gewalttätige Ausschreitungen wie in Göteborg oder Genua zu unterbinden und damit einen friedlichen Versammlungsablauf zu gewährleisten.

Das Niedersächsische Innenministerium hat hieraufhin am 27. November 2001 die Polizeibehörden per Fernschreiberlass gebeten, insbesondere so genannte Gefährderansprachen und gegebenenfalls weitergehende Maßnahmen wie z. B. den Erlass von Meldeauflagen oder passrechtliche Beschränkungen in die Wege zu leiten. Gefährderanspra

chen werden nicht nur von der niedersächsischen Polizei, sondern auch von den Polizeien anderer Bundesländer als Präventivmaßnahme zur Verhütung von Straftaten erfolgreich vorwiegend bei Hooligans oder Rechtsextremisten eingesetzt. Nach übereinstimmender Auffassung handelt es sich hierbei um ein geeignetes Instrument, gewalttätigen Ausschreitungen bei internationalen Großveranstaltungen entgegenzuwirken und Straftaten auch staatenübergreifend konsequent zu verfolgen. Diese Maßnahme ist bislang nicht problematisiert, im Gegenteil allseits begrüßt worden. Ihr anerkanntes Ziel ist, mäßigend einzuwirken und die Folgen einer möglichen Straftat aufzuzeigen. Es handelt sich dabei keineswegs um ein faktisches Reise- und Demonstrationsverbot, sondern lediglich um einen vorsorglichen Hinweis auf mögliche Folgen eines bestimmten Verhaltens der angesprochenen Personen ohne eigenständige Eingriffsqualität. Rechtsgrundlage für diese Maßnahme ist § 11 des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes. Grundlage für die Auswahl des betroffenen Personenkreises durch die Polizeiinspektion Göttingen waren Erkenntnisse zu diesen Personen aus der Datei „Gewalttäter Links“ des Bundeskriminalamtes und die Auswertung der vorhandenen Erkenntnisse aus den Kriminalakten.

Die Innenministerkonferenz stimmte der Einrichtung bundesweiter Dateien „Gewalttäter Links“, „Gewalttäter Rechts“ und „Straftäter politisch motivierter Ausländerkriminalität“ in ihrer 165. Sitzung im November 2000 zu. Mit den neuen Dateien sollen in Anlehnung an die Datei „Gewalttäter Sport“ insbesondere Gewalttaten in Form von linksorientierten politisch motivierten Straftaten, rechtsorientierten politisch motivierten Straftaten und Straftaten politisch motivierter Ausländerkriminalität verhindert werden. Die Datei „Gewalttäter Links“ dient der Polizei zur Verhinderung und Verfolgung politisch motivierter Straftaten im Sinne des Definitionssystems politisch motivierte Kriminalität - links -, insbesondere zur Verhinderung gewalttätiger Auseinandersetzungen und sonstiger Straftaten im Zusammenhang mit öffentlichen Veranstaltungen und Nukleartransporten sowie zur Abwehr von Gefahren, die von Ansammlungen gewaltbereiter Personen ausgehen.

Die Errichtung erfolgte gemäß § 34 Abs. 3 des BKA-Gesetzes vom 23. Januar 2001 durch Sofortanordnung des BKA. Rechtsgrundlagen für die Datei „Gewalttäter Links“ sind die §§ 7, 8 und 13 des Bundeskriminalamtgesetzes. Rechtsgrundlagen für das Führen von Kriminalakten sind die §§ 38

und 39 des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes.

Die betreffenden 13 Personen wurden durch die Polizeiinspektion Göttingen angeschrieben, da gegen sie in der Vergangenheit im Zusammenhang mit gewalttätigen versammlungsrechtlichen Aktionen Ermittlungen wegen des Verdachts verschiedener Straftaten geführt wurden, z. B. wegen Landfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Sachbeschädigung, Diebstahl, gefährliche Körperverletzung, und ferner die Annahme bestand, dass sie aus Anlass der angemeldeten Versammlungen nach Belgien reisen könnten. Bei dieser Sachlage war der bloße Hinweis, was nach Einschätzung der Polizei passieren könnte, wenn Personen mit diesen einschlägigen polizeilichen Erkenntnissen trotzdem nach Belgien reisen würden, das mildeste Mittel im Verhältnis zu polizeilichen Meldeauflagen, Passbeschränkungen oder Unterbindungsgewahrsamnahmen. Maßnahmen dieser Art wurden in keinem Fall verhängt.

Dies vorausgeschickt, meine Damen und Herren, beantworte ich namens der Landesregierung die Anfrage wie folgt:

Zu Frage 1: Zur Beantwortung der Anfrage habe ich die Polizeibehörden um Bericht gebeten. Gefährderansprachen werden durch die niedersächsischen Polizeibehörden nicht durchgehend statistisch erfasst, sodass eine abschließende Bezifferung der Fälle nicht möglich ist. Nach den Berichten der Polizeibehörden wurden für die Jahre 2000 und 2001 rund 450 Gefährderansprachen mit Personen der rechtsextremistischen Szene und rund 40 Gefährderansprachen mit Personen, die der linksextremistischen Szene zuzuordnen sind, zahlenmäßig erfasst. Durch die Polizeibehörden wurde ferner gemeldet, dass in mindestens sieben Fällen Meldeauflagen erteilt wurden. Reisebeschränkungen wurden gemäß den vorliegenden Berichten nicht erteilt.

Zu Frage 2: In der Datei „Gewalttäter Links“ sind 189 Personen aus Niedersachsen erfasst. Das ist der Stand von Mitte Januar 2002.

Zu Frage 3: Eine Einstufung als „links motivierter Gewalttäter“ erfolgt im reinen Wortsinn nicht. Hingegen können in die Datei „Gewalttäter Links“ Erkenntnisse zu Personen eingestellt werden, die als Beschuldigte, Verdächtige oder rechtskräftig Verurteilte einer in einer langen Liste von Straftaten bezeichneten Straftat in Erscheinung getreten

sind. Erlauben Sie mir bitte, diese Straftaten nur auszugsweise zu nennen, meine Damen und Herren. Ich kann das aber gerne in der Vollständigkeit nachreichen, wenn das erforderlich ist. Hierbei handelt es sich u. a. um Straftaten unter Anwendung von Gewalt gegen Leib und Leben oder gegen fremde Sachen mit der Folge eines nicht unerheblichen Schadens, Verstöße gegen das Waffengesetz, Landfriedensbruch, Raub- und Diebstahlsdelikte, Straftaten nach § 27 des Versammlungsgesetzes. Darüber hinaus finden Aufnahme in die Datei „Gewalttäter Links“ die Daten von sonstigen Personen, gegen die Personalienfeststellungen, Platzverweise oder Ingewahrsamnahmen zur Verhinderung anlassbezogener Straftaten angeordnet wurden, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Personen zukünftig Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden, und sonstigen Personen, bei denen Waffen oder andere gefährliche Gegenstände sichergestellt bzw. beschlagnahmt wurden, wenn der Betroffene sie in der Absicht mitführte, anlassbezogene Straftaten zu begehen, soweit die Erfassung in der Datei nicht schon wegen des Verstoßes gegen das Waffengesetz oder Versammlungsgesetz erfolgte.

Diese Daten können jedoch nur dann gespeichert werden, wenn dies geeignet und erforderlich ist, den Zweck der Datei zu erfüllen, insbesondere gewalttätige Auseinandersetzungen und sonstige Straftaten im Zusammenhang mit öffentlichen Veranstaltungen und Nukleartransporten zu verhindern sowie Gefahren, die von Ansammlungen gewaltbereiter Personen ausgehen, abzuwehren. Die Polizeibehörden stellen diese Daten eigenständig in die Verbunddatei ein. Insofern werden die Daten nicht an das BKA zur Aufnahme in die Datei gemeldet. - Vielen Dank.

Eine Nachfrage hat der Abgeordnete Wenzel. Danach folgt Herr Schröder.

Sehr geehrter Herr Innenminister, vor dem Hintergrund, dass Sie in Ihrer Datei sowohl Menschen haben, die nur einen Platzverweis bekommen haben, als auch Menschen haben, die einen Mord oder Totschlag begangen haben, und vor dem Hintergrund, dass einige noch nicht einmal rechtskräftig verurteilt wurden, frage ich Sie: Wie können Sie Ihre Tätigkeit mit den einschlägigen Artikeln des Grundgesetzes, z. B. dem Recht auf Frei

zügigkeit und dem Recht auf Versammlungsfreiheit, vereinbaren?

Herr Bartling!

Herr Wenzel, diese Aufnahme lässt sich durchaus damit vereinbaren, denn es ist nicht nur so, wie Sie es dargestellt haben, dass irgendein Tatbestand, der in der Vergangenheit einmal stattgefunden hat, zur Aufnahme in die Datei führt, sondern zur Aufnahme in die Datei führt auch - das habe ich bereits in der Beantwortung geschildert -, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass jemand in Zukunft eine Straftat begehen wird oder etwas begehen wird, was zu Folgen führt, die wir gerne verhindern möchten.

Herr Schröder!

Herr Minister, ich möchte konkreter nachfragen. Wie viele von den zehn Personen, die in Göttingen angeschrieben wurden, weil sie offenbar in der Datei „Gewalttäter Links“ registriert sind, sind rechtskräftig wegen einer Straftat verurteilt, und wie viele dieser Verurteilungen bezogen sich auf Verstöße gegen das Versammlungsrecht oder auf Gewaltdelikte?

Herr Innenminister!

Herr Schröder, mir ist gerade von meinen Mitarbeitern berichtet worden, dass gut die Hälfte derjenigen, die benachrichtigt worden sind, wegen einer Straftat verurteilt worden sind.

(Wenzel [GRÜNE]: Das ist falsch! Das ist gelogen, Herr Bartling!)

- Wenn das so ist, würde ich gerne die Antwort korrigieren. Ich werde das überprüfen. Da ich die Einzeldaten der Personen und deren Kriminalakten nicht zur Verfügung habe, kann ich es Ihnen im Moment nicht sagen. Ich werde das aber überprüfen. Meine Mitarbeiter haben gesagt, dass es unge