Protocol of the Session on November 15, 2001

- Ich weiß nicht, Herr Plaue, ob Sie sich bereits damit auseinander gesetzt haben.

(Plaue [SPD]: Ich war sicherlich schon in mehr Kindertagesstätten als Sie!)

Es werden Ihnen alle bestätigen, dass es hier erhebliche Defizite bei der Umsetzung des Bildungsauftrags gibt. Also, setzen Sie unseren Antrag bitte mit um, im Interesse der Kinder.

(Beifall bei der CDU - Plaue [SPD]: So ein Unfug!) )

Herr Kollege Plaue, den Begriff „scheinheilig“ muss ich zurückweisen. Im Gegenteil: Das war die erste Rede der Frau Kollegen Vockert, bei der sie die Redezeit nicht überzogen hat.

(Zurufe von der CDU)

- Das war eine Anmerkung außerhalb der Geschäftsordnung. Das muss auch einmal gestattet sein.

Frau Janssen-Kucz!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte gar nicht groß auf die Vorrede eingehen. Wir wissen alle, dass Tageseinrichtungen für Kinder der Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern dienen. Sie haben einen eigenen Erzie

hung- und Bildungsauftrag. So steht es im Gesetz, und so ist es richtig.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Es ist sicherlich auch richtig, dass wir diesen Bildungsauftrag stärken, dass wir den Kindern in den Kitas mehr Anregungen für ihr kognitives, ihr motorisches, ihr musisches und ihr soziales Lernen geben und dass wir die Zusammenarbeit zwischen Kita und Schule verbessern.

Aber der Antrag der CDU-Fraktion bezieht sich nur auf den Bildungsauftrag. Der Erziehungsauftrag wird nicht angesprochen, ebenso wenig die Betreuungssituation in den Kitas, die in meinen Augen, in den Augen der Grünen und - darüber gibt es mittlerweile einen Konsens - auch in den Augen der SPD verbesserungsbedürftig ist. Uns liegt insofern ja noch ein Antrag vor, bei dem wir an einer gemeinsamen Beschlussempfehlung arbeiten.

Ihr Antrag hingegen ist sehr einseitig ausgerichtet. In den Augen der CDU-Fraktion sollen die Kinder im Kindergarten noch früher auf die Lernanforderungen in der Schule vorbereitet werden. In Ihrem Antrag bleibt aber völlig unklar, mit welchem altersangemessenem pädagogischen Konzept Sie das umsetzen wollen. Wie will man eigentlich mit den unterschiedlichen Altersgruppen, die nun einmal im Kindergarten sind, arbeiten? Oder wollen Sie anfangen, im Kindergarten die Kinder nach Altersjahrgängen zu sortieren: Dreijährige, Vierjährige, Fünfjährige, Sechsjährige?

Wenn so der Bildungsauftrag des Kindergartens gestärkt werden soll, dann widerspricht das in meinen Augen allen Grundsätzen der offenen Kindergartenarbeit und zerstört die positiven pädagogischen Ansätze, die sich in den letzten drei Jahrzehnten entwickelt haben, die erarbeitet wurden und ständig weiterentwickelt werden.

Die CDU-Fraktion plant anscheinend eine rein schulische Lernform im Kindergartenbereich. Der Kindergarten soll die Kinder bis zur Einschulung auf einen gewissen Wissens- und Entwicklungsstand drillen.

(Frau Vockert [CDU]: Ich habe extra gesagt „keine Verschulung“!)

So lese ich Ihren Antrag. Unter Nr. 3 heißt es: „Vorbereitung auf die Anforderungen von Schule“,

„Einführung in Lern- und Arbeitsmethoden“. Wollen wir das Stillsitzen-Üben jetzt schon im Kindergarten anfangen, mit drei Jahren?

Zugespitzt kann ich zu dem Antrag sagen: der Kindergarten als Vorbereitung auf die Turboschule bis hin zum Turboabitur à la CDU.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Doch die Pädagoginnen im Kindergarten arbeiten anders. Sie bemühen sich, die Kinder dort abzuholen, wo sie stehen. Sie bemühen sich, ihnen einen eigenen Erfahrungsraum für spielerisches Lernen zu bieten. Und: Die Arbeit ist bedürfnisorientiert und wird auch so gestaltet.

Der Kindergarten arbeitet bedürfnisorientiert, dem CDU-Antrag aber fehlt die Orientierung an den Bedürfnissen der Kinder. Es fehlt in dem Antrag auch jeglicher Hinweis auf diejenigen Kinder, die schon im Kindergarten einer besonderen Förderung bedürfen: Kinder aus sozial schwachen Familien, Migrantenkinder. Es fehlt die Forderung nach sprachlicher Förderung von Kindern mit anderen Muttersprachen und nach interkulturellem Lernen. Auch fehlen die Themen, die das MFAS im Rahmen des Bildungsauftrags der Kitas fördern will - nachzulesen in der Familienpolitischen Initiative -, also Medienpädagogik, Integration von Migrantenkindern, Mädchen-/Jungenerziehung, Ernährung und Gesundheit. Diese Punkte haben Sie überhaupt nicht angesprochen. Insofern befindet sich sogar das MFAS einen Schritt vor dem Antrag der CDU-Fraktion.

Noch einmal kurz zu der Zusammenarbeit von Kindergarten und Schule. Es ist weiterhin erstrebenswert, wenn die beiden Bildungseinrichtungen Kindertagesstätte und Grundschule stärker kooperieren. Dass diese Kooperation nicht überall funktioniert, wissen wir. Da ist noch viel Arbeit vor Ort notwendig. Es ist auch notwendig, dass die Berührungsängste zwischen Kindergarten und Grundschule abgebaut werden. Aber die Kooperationen müssen von den Menschen gestaltet und mit Leben erfüllt werden. Das passiert garantiert nicht schneller, wenn wir das als Rahmenbedingung im Kindertagesstättengesetz verankern.

Wenn wir den Bildungsauftrag im Kita-Gesetz wirklich ernst nehmen und ihn stärken wollen, dann geht es nicht um eine Verschulung des Kindergartens,

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

sondern um eine Verbesserung der Ausbildung, der Fort- und Weiterbildung, der Förderung der Fachberatung durch das Land und der weiteren Absicherung der Standards.

Mit dem Antrag der CDU-Fraktion aber verlassen wir die drei Säulen der Kindergartenarbeit – Erziehung, Bildung und Betreuung - und verlagern das Gewicht eindeutig auf Bildung. Frau Vockert, Sie haben sich um die Frage gedrückt, was die CDUFraktion denn zum Thema Kindergartenpflicht sagt. Dazu sollten Sie sich auch äußern. - Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Kollege Mühe hat jetzt das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist seltsam, was hier passiert. Wenn man bedenkt, was vor 1990 in diesem Land im Kindertagesstättenwesen festzustellen war, dann ist das, was Frau Vockert vorgetragen hat, und insbesondere das, was dabei an Wendigkeit und Veränderungsfähigkeit festzustellen ist, schon erstaunlich. 1990, nach 14 Jahren Politik von Herrn Albrecht und der CDU, war Niedersachsen kindergartenmäßig eine Ruine, meine Damen und Herren.

(Fischer [CDU]: Was?)

Die Versorgung betrug 55 %. Im Haushalt standen 37 Millionen DM für damals 180 000 Kinder zur Verfügung. In Bezug auf die Kindergartenplätze hatten wir die rote Laterne in der Hand. Wir waren in allen Bereichen des Kindertagesstättenwesens rückständig und hatten unter allen Bundesländern den letzten Platz.

Herr Kollege Mühe, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich habe so wenig Zeit, dass ich keine Zwischenfrage gestatte.

(Zuruf von der CDU)

- Wovor soll ich denn Angst haben?

Meine Damen und Herren, 1998, acht Jahre, nachdem die SPD gemeinsam mit den Grünen die Regierung übernommen hat, waren im Haushalt knapp 300 Millionen DM zur Unterstützung des Kindertagesstättenwesens vorgesehen. Damit sind 80 000 neue Kindergartenplätze geschaffen worden, etwa 10 000 neue Stellen für Erzieherinnen und Erzieher, und es wurde insbesondere der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz geschaffen.

(Zustimmung bei der SPD)

Außerdem haben wir 1992 gemeinsam mit den Grünen ein Kindertagesstättengesetz auf den Weg gebracht, dass von der CDU scharf bekämpft wurde.

Dieses Kindertagesstättengesetz beinhaltet in § 2 in dem entsprechenden Absatz Folgendes.

(Zuruf von Schirmbeck [CDU])

- Herr Schirmbeck, ich lese es Ihnen einmal vor, damit Ihnen deutlich wird, dass der Antrag, der von Frau Vockert begründet wurde, ins Leere geht. Er ist schlicht und einfach überflüssig, weil alle Formen von niedersächsischen Kindertagesstättengesetzen Folgendes beinhalten: Tageseinrichtungen dienen der Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern. Sie haben einen eigenen Erziehungsund Bildungsauftrag. Tageseinrichtungen sollen insbesondere die Kinder in ihrer Persönlichkeit stärken, sie in sozial verantwortliches Handeln einführen, ihnen Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten vermitteln, die eine eigenständige Lebensbewältigung im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten des einzelnen Kindes fördern, die Erlebnisfähigkeit, Kreativität und Phantasie fördern, den natürlichen Wissensdrang, die Freude und die Neugierde am Lernen pflegen, die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen erzieherisch fördern usw.

Es geht dann mit der Integration, mit Kindern verschiedener Herkunft, verschiedener Kulturen usw. weiter. Frau Janssen-Kucz hat das schon vorgetragen.

Das alles beinhaltet § 2 des geltenden und auch des zukünftigen Kindertagesstättengesetzes, und zwar seit acht Jahren. Davon zu reden, wir hätten in Niedersachsen reine Verwahranstalten organisiert, ist schlicht und einfach eine Frechheit. Es ist eine

Beleidigung der Erzieherinnen und Erzieher in Niedersachsen in Bezug auf ihre Arbeit in den Kindertagesstätten.

(Beifall bei der SPD)

Was sollen die eigentlich davon halten?

Nach § 3 des Kindertagesstättengesetzes besteht die Verpflichtung, dass jede Einrichtung eine Konzeption für ihre Arbeit auszuarbeiten hat. Diese Konzeption muss sich mit folgenden Fragestellungen befassen: Wie geht man mit dem Bildungsauftrag um? Was beinhaltet der Erziehungsauftrag? Was haben die Betreuungsangebote zu beinhalten?

Diese Konzeptionen sind verpflichtend und müssen fortgeschrieben werden. Das heißt, sie müssen aktualisiert werden und man muss sich auf neue Entwicklungen einstellen. Insofern verstehe ich, ehrlich gesagt, nicht, wie man dieses Thema in dieser Form aufgreifen kann, wenn man doch weiß, dass in unseren Kindertagesstätten exzellente Arbeit geleistet wird.