Protocol of the Session on October 25, 2001

Herr Bartling!

Frau Mundlos, ich bitte da um Nachsicht. Ich muss zugeben, dass ich noch nicht so weit in die Technik der Befragung und der Auswertung eingestiegen bin, dass ich Ihnen diese Frage heute beantworten könnte. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn wir das in der vom Vorsitzenden schon terminierten Sitzung des Ausschusses für Verwaltungsreform vertiefen könnten. Es gibt eine bestimmte Technik der Auswertung, mit der man zu solchen Ergebnissen kommt. Das ist mir eben noch einmal gesagt worden. Ich kann sie Ihnen im Moment nicht im Einzelnen beschreiben.

Meine Damen und Herren, damit ist diese Dringliche Anfrage beendet.

Wir kommen zur zweiten Dringlichen Anfrage:

b) Berufsschulen als Stiefkind der Bildungspolitik - 30 000 zusätzliche Schülerinnen und Schüler, keine einzige zusätzliche Lehrkraft - Antrag der Fraktion der CDU Drs. 14/2794

Die Frage wird vom Kollegen Klare eingebracht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Entgegen der Ankündigung einer "Bildungsoffensive für Niedersachsen" - angekündigt im Schulverwaltungsblatt 7/2001 - haben die berufsbildenden Schulen trotz ihrer Bedeutung für unser Bildungswesen dort keinerlei Stellenwert. Weder zu diesem Schuljahresbeginn noch im Landeshaushalt 2002/2003 oder in der mittelfristigen Finanzplanung des Landes sind zusätzliche Lehrerstellen ausgewiesen, um die erwarteten zusätzlichen 30 000 Schülerinnen und Schüler beschulen zu können. Die Aufstockung der Teilzeitstellen an berufsbildenden Schulen zum Schuljahresbeginn 2000 hat nur die entsprechende Haushaltskürzung des Jahres 1996 rückgängig gemacht und ist keine zusätzliche Bildungsinvestition, sondern lediglich ein Nullsummenspiel. Um die völlig unzureichende Unterrichtssituation an Berufsschulen zu verschleiern, hat die Landesregierung mit statistischen Tricks und kosmetischen Verkleisterungen versucht, die Situation zu schönen: Die Klassenobergrenze wurde von 27 auf 30 Schülerinnen und Schüler angehoben, die Stundentafel an den Vollzeitberufsschulen wurde um durchschnittlich zwei Unterrichtsstunden gekürzt - also größere Klassen, weniger Unterricht.

Die berufsbildenden Schulen leiden schon jetzt unter einem dramatischen Fachlehrermangel. Zum Schuljahresbeginn 2001/2002 konnten 13 ausgeschriebene Planstellen nicht besetzt werden, weitere 20 konnten nicht in der ausgeschriebenen beruflichen Fachrichtung besetzt und mussten umgewidmet werden. Weitere 17 Lehrerstellen wurden mit Quereinsteigern besetzt. Schon jetzt konnten 30 Ausbildungsplätze in den Studienseminaren für Berufsschullehrerinnen und Berufsschullehrer nicht mehr besetzt werden. Hintergrund sind die schlechten Rahmenbedingungen für den Lehrerberuf. Für die Berufsschulen verschärft sich die Problematik insoweit noch, als potenzielle Berufsschullehrerinnen und Berufsschullehrer in aller Regel auch über eine Berufsausbildung verfügen, sodass sie von daher auch für die Wirtschaft qualifiziert und entsprechend umworben sind. Mit einer Bezahlung von weniger als 2 000 DM brutto für Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter ist der Lehrerberuf völlig unattraktiv, da gerade die besonders qualifizierten Junglehrkräfte nicht mehr in den Schuldienst gehen, sondern bessere Angebote der Wirtschaft vorziehen.

Wir fragen die Landesregierung:

Erstens. Warum hat die Landesregierung für 30 000 zusätzliche Schülerinnen und Schüler an Berufsschulen keine einzige zusätzliche Lehrkraft vorgesehen?

Zweitens. Warum hat sie die Unterrichtssituation an den Berufsschulen durch Stundentafelkürzungen an Vollzeitberufsschulen und Anhebung der Klassenobergrenze von 27 auf 30 Schüler verschlechtert - größere Klassen, weniger Unterricht -, statt für bessere unterrichtliche Rahmenbedingungen an den Berufsschulen zu sorgen?

Drittens. Welche konkreten, wann und wie wirksamen Maßnahmen hat die Landesregierung ergriffen, um die Attraktivität des Berufsschullehrerberufes gerade in Konkurrenz zur Wirtschaft deutlich zu verbessern?

Die Antwort erteilt die Kultusministerin.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon bemerkenswert, mit welchem Beharrungsvermögen Sie Neueinstellungen fordern. Wir sind gespannt, wie in den Diskussionen zum Doppelhaushalt Ihre Finanzierungsvorschläge dafür aussehen. Sie tun in Ihrer Anfrage so, als wenn die 30 000 Schülerinnen und Schüler bereits jetzt an den Berufsschulen wären. Sie suggerieren das in Ihrer Anfrage, Herr Klare, obwohl Sie wissen, dass es sich dabei um den Gesamtanstieg bis zum Jahr 2008 handelt. Ich finde es sehr schön, dass Sie es jetzt als dringlich empfinden, mit mir über die nächste Legislaturperiode und meine zukünftigen Handlungen zu diskutieren. Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD)

Das will ich auch gerne tun. Ich kann Ihnen mitteilen, dass wir im Modernisierungskonzept für die berufsbildenden Schulen, Herr Klare, das übrigens der Bildungsoffensive vorausging und nicht nachfolgte, bereits Vorsorge bis zum Jahre 2008 getroffen haben. Ich will Ihnen das auch gerne darstellen. Ich hoffe, Sie haben das damals nachvollzogen.

Sie behaupten in Ihrer Anfrage z. B, dass gut 20 % der niedersächsischen Schülerschaft lediglich 16 % der Lehrerinnen und Lehrer zur Verfügung stehen. Wir können das auch umgekehrt rechnen. Bloß, was sagt uns das? Wir können auch sagen, 60 % der Schülerinnen und Schüler sind in Teilzeitbe

rufsschulen. Rechnet man dieses um, dann kann man sagen: 13 % der niedersächsischen Schülerschaft stehen immerhin 16 % der Lehrerinnen und Lehrer zur Verfügung. - Aber auch das scheint nicht weiter zu interessieren.

Ich kann an dieser Stelle nur sagen: In Niedersachsen erhalten die Schülerinnen und Schüler in den letzten vier Jahren so viel Unterricht wie nie zuvor. Ich kann Ihnen auch sagen, dass wir diese Maßnahmen mit dem Modernisierungskonzept für die berufsbildenden Schulen in Niedersachsen bereits vor der Bildungsoffensive getroffen haben, ebenso wie wir bereits vor der Bildungsoffensive für die allgemein bildenden Schulen die Weichenstellungen für die Sicherung der Unterrichtsversorgung vorgenommen haben. Es ist ein Erfolg dieses Modernisierungskonzepts, dass wir in diesem Jahr feststellen können: Der berufsbezogene Unterricht in den Berufsschulen wird zu nahezu 100 % erteilt. Gehen Sie in die Schulen, dort werden Sie das erfahren!

Damit erreichen wir eine qualitativ hochwertige Beschulung als Partner im dualen System. Wir haben heute etwa 5 % große Klassen mit mehr als 28 Schülerinnen und Schülern. Das sind 1 % mehr als vor In-Kraft-Treten des Klassenbildungserlasses. Aber wir haben auch 11 % kleinere Klassen mit weniger als 14 Schülerinnen und Schülern.

Damit müssen Sie doch feststellen: Das, was Sie in der Diskussion über das Modernisierungskonzept angekündigt haben - nämlich dass wir das Angebot im Land nicht aufrechterhalten können -, ist nicht eingetreten. Wir leisten uns im Flächenland Niedersachsen nach wie vor eine komfortable durchschnittliche Klassenfrequenz von knapp 20 Schülerinnen und Schülern. Im Vollzeitbereich haben wir eine durchschnittliche Klassenfrequenz von 23,6 und im Teilzeitbereich von 19,6 Schülerinnen und Schülern - allerdings mit den großen und den kleinen Klassen, wie ich es eben geschildert habe. Das lässt sich in der Fläche nicht anders realisieren. Es ist leicht erkennbar, dass die Anhebung einer Obergrenze nicht automatisch zu den Verschlechterungen führt, die Sie angekündigt haben.

In diesem Jahr werden alle zur Verfügung stehenden Stellen besetzt - es ist falsch, wenn Sie behaupten, es würden Stellen nicht besetzt -, und das, weil ich angewiesen habe, gegebenenfalls auch außerhalb der normalen Einstellungstermine einzustellen. Das habe ich im Kultus- und im Haushaltsausschuss dargestellt, und dies können Sie

auch im Protokoll des September-Plenums nachlesen.

Wenn Sie 17 Quereinsteiger als Ausdruck des Fachkräftemangels bezeichnen, dann wissen Sie offensichtlich nicht, dass der Einsatz von Quereinsteigern eine langjährig geübte Praxis im berufsbildenden Bereich ist. § 12 der Besonderen Niedersächsischen Laufbahnverordnung lässt es zu, Bewerberinnen und Bewerber einzustellen, die z. B. ein Studium der Agrarwissenschaften, der Informatik oder der Ingenieurwissenschaften haben. Das ist, wie gesagt, üblich und keine neue Praxis. Es ist bisher auch von niemandem ernsthaft behauptet worden, dass wir auf diese berufliche Fachlichkeit an der Berufsschule verzichten könnten.

Natürlich sind uns die Betriebe dankbar, dass wir in den IT-Berufen, in denen es gar keine grundständig ausgebildeten Lehrkräfte gibt, 78 ITFachkräfte eingestellt haben. Auch das werden Sie nicht als Ausdruck des Lehrermangels bezeichnen können. Es gibt bisher keinen solchen Studiengang. Wir haben ihn jetzt eingerichtet.

Das Modernisierungskonzept kam deshalb zum richtigen Zeitpunkt. Zutreffend in Ihrer Darstellung ist allein, dass die Schülerzahlen noch bis zum Jahr 2008 steigen werden. Genau dies habe ich Ihnen aber auch schon damals dargestellt; das ist überhaupt nichts Neues. Wir haben, wie gesagt, mit dem Lebensarbeitszeitkonto für Lehrkräfte an den berufsbildenden Schulen den Grundstein gelegt; das haben Sie offenbar vergessen. Dadurch stehen uns schrittweise ab dem 1. August 2002 und nochmals ab dem 1. August 2006 zusätzliche Lehrerstunden zur Verfügung.

(Klare [CDU]: Nein! - Frau Körtner [CDU]: Im Gegenteil! Wie kann man das vergessen!?)

- Sie haben es in dem Antrag zumindest nicht erwähnt. Das darf ich hier doch wohl feststellen.

(Pörtner [CDU]: Herr Klare vergisst nie etwas!)

Wir tun also etwas, um dann, wenn die Schülerzahlen wirklich steigen, mehr Lehrerstunden in die Berufsschulen geben zu können.

Wir werben ebenfalls für den Lehrerberuf, das wissen Sie. Die Werbekampagne zeigt bereits Wirkungen. Wir haben erhebliche Zuwächse; zwar

immer noch nicht in den richtigen Fachrichtungen - das gebe ich zu -, aber ich kann niemanden zwingen, bestimmte Fachrichtungen zu wählen.

Wir prüfen die Zahlung von Anwärtersonderzuschlägen. Aber ich will Ihnen sagen - ich habe das im Haushaltsausschuss auch schon gesagt -: Ein Wettlauf mit den anderen Ländern, ein Hochschaukeln der Bezahlung an dieser Stelle, würde uns nicht viel bringen, weil wir dann wieder genauso in Konkurrenz stünden. Wir werden uns genau ansehen, an welchen Stellen wir diese Zuschläge zahlen können, wenn uns die Bundesregierung die Möglichkeit eröffnet.

Schließlich haben wir - das habe ich auch schon alles im Kultusausschuss dargestellt - die Kapazitäten im Vorbereitungsdienst bereits erhöht: Wir haben sie gegenüber 1990 verdoppelt. Wir werden in diesem Doppelhaushalt noch einmal etwas hinsichtlich der Kapazität für die Lehrer für Fachpraxis tun.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen wie folgt:

Zu 1: Ausgehend von den derzeitigen Schülerzahlen laut der Voraberhebung rechnen wir damit, dass die Schülerzahl bis zum Jahr 2008 um ca. 26 000 zunimmt. Diese Steigerung ist aber sehr differenziert zu betrachten. Die erste erhebliche Steigerung setzt schwerpunktmäßig im Jahr 2004 ein. Von da ab steigen die Schülerzahlen kräftig pro Jahr an, fallen 2008 aber wieder und pendeln sich 2014/2015 auf dem Niveau von 2004 wieder ein.

Wir können das gerne diskutieren. Ich diskutiere Bildungspolitik gerne langfristig, vor allem dann, wenn wir in der Verantwortung sind.

(Beifall bei der SPD - Klare [CDU]: Für eine Ministerin ist das eine wich- tige Aussage!)

- Das wird bei mir wahrscheinlich noch ein bisschen länger der Fall sein.

Nach den bisherigen Prognoseberechnungen gibt es für diesen Doppelhaushalt keinen Handlungsbedarf. Im Jahr 2002 gibt es keine wesentlichen Steigerungen. Mit 540 Schülerinnen und Schülern zusätzlich ergibt sich rechnerisch ein Einstellungsbedarf von 23 Vollzeiteinheiten. Für das Jahr 2003 bei 3 000 Schülerinnen und Schülern mehr entsteht ein Bedarf von 168 Vollzeiteinheiten. Danach

haben wir in den nächsten Jahren einen höheren Bedarf pro Jahr. Diesen höheren Bedarf machen wir mit dem Lebensarbeitzeitkonto locker wett. Wir haben das also genau richtig eingesetzt, da müssen Sie keine Sorge haben. Auch die zweite Stufe des Arbeitszeitkontos wird genau zum richtigen Zeitpunkt greifen.

(Klare [CDU]: Super!)

Zu 2: In meinen Vorbemerkungen wurde schon deutlich, dass sich alle Bundesländer auf einheitliche Standards verständigt haben. Wir haben uns diesen Standards in den Vollzeitbildungsgängen angenähert; ich habe das eben dargestellt. Sie wissen auch, dass wir in den beruflichen Vollzeitbildungsgängen vorher mehr Unterricht erteilt haben. Wir befinden uns jetzt genau im Mittelfeld der Bundesländer.

Zu 3: Das Kultusministerium hat eine Werbekampagne unter dem Titel „Gute Leute machen Schule“ gestartet. Die Lehrerverbände sind dabei, auch die Berufsschullehrer. Wir haben eine Informationsbroschüre erstellt. Sie kennen sie. In dieser Broschüre wird gezielt geworben, es wird auch gezielt gesagt, wo es sich lohnt. Sie wissen, junge Leute überzeugt die Einstellungsperspektive. Seitdem wir hohe Einstellungsraten haben, verzeichnen wir auch wieder ein großes Interesse am Lehrerberuf und am Lehramt. Ich hoffe, das hält auch an. Wir werden natürlich immer rechtzeitig steuernd einwirken, was die Bedarfe in einzelnen Fachrichtungen angeht. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Die erste Zusatzfrage stellt Frau Kollegin Vockert.

(Voigtländer [SPD]: Danach kann man doch gar nichts mehr fragen!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, können Sie bestätigen, dass sich Ihre Aussage, dass die niedersächsischen Berufsschüler und Berufsschülerinnen so viel Unterricht wie nie zuvor erhalten, nur dadurch erklären lässt, dass Sie nach neuester Erlasslage die Zahl der Unterrichtsstunden abgesenkt haben, die Klassenstärke gestiegen ist und Sie damit die statistische Unterrichtsversorgung geschönt haben?

(Beifall bei der CDU - Busemann [CDU]: Das kann sie bestätigen! - Klare [CDU]: Um 10 %!)

Frau Jürgens-Pieper, bitte!

Ich kann nicht bestätigen, dass wir die Unterrichtsversorgung geschönt haben. Ich kann Ihnen bestätigen, dass wir die Standards, so wie ich es dargestellt habe, den KMK-Standards angepasst haben.