Protocol of the Session on June 13, 2001

(Beifall bei der CDU)

Im Übrigen ist der Anteil des Landes Niedersachsen an VW vergleichbar mit dem - er ist etwas geringer - Anteil des Landes an der Bankgesellschaft Berlin und der Berliner Hypothekenbank. Insofern dürfen wir, da die Fragen in aller Munde sind „Wer hat was gewusst, und wer hat wo seine Rolle wahrgenommen?“, darauf drängen, dass die Vertreter Niedersachsens ihre Verantwortung im Aufsichtsrat wahrnehmen, auch im Hinblick auf Umsatzrendite oder die Zustimmung zu zustimmungspflichtigen Geschäften, und dass Kollisionen mit der Europäischen Kommission möglichst vermieden werden. Es ist eben ein Ärgernis, wenn immer wieder, wie in den letzten Tagen, Auseinandersetzungen zwischen unserem Unternehmen VW, zu dem wir uns ausdrücklich bekennen, und der EU-Kommission in die Öffentlichkeit dringen. Da könnte man sicherlich ein wenig Abhilfe leisten.

Eine letzte Bemerkung möchte ich ganz unabhängig vom VW-Gesetz machen. Wir hier im Landtag hatten auch immer Übereinstimmung dahin gehend, dass wir die Abhängigkeit unseres Landes von der Automobilindustrie - ganz unabhängig von VW - ein Stück weit zurückführen wollen. Wer sich die vergangenen zehn Jahre anguckt, wird feststellen: Die Abhängigkeit von der Automobilindustrie ist gewachsen. Vielleicht sollte man auch daran erinnern dürfen, dass dieses Ziel nicht aus dem Auge verloren wird.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat der Ministerpräsident.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor allem rund um die Hauptversammlung der VW AG gab es Spekulationen über die Auswirkungen der neuen europäischen Übernahmerichtlinie, über das VW-Gesetz und über die Rolle des Landes Niedersachsen bei VW. Ich bin deshalb dankbar, dass ich die Position der Landesregierung hier unmittelbar nach der Hauptversammlung noch einmal unmissverständlich deutlich machen kann. Ich will allerdings vorausschicken, dass ich nicht glaube, dass es sich um eine vorübergehende Debatte handelt, sondern ich glaube, es geht um beinharte Interessen, insbesondere derjenigen, die sich eine stärkere Macht über das Depotstimmrecht von Banken im Volkswagenkonzern wünschen. Es geht ein Stück

weit auch um eine ideologische Auseinandersetzung, die interessanterweise von denen vorangetrieben wird, die - seien es nun Analysten oder Mitarbeiter von Anlagenfonds oder Banken - vor einem Jahr so Erfolg versprechend die Menschen auf den Neuen Markt geführt haben und die jetzt ihre ideologische Kompetenz erneut unter Beweis stellen möchten, indem sie das Volkswagengesetz auf den Müllhaufen der Geschichte befördern möchten.

Die Position der Landesregierung ist dagegen eindeutig: Wir sehen sowohl in der Beteiligung des Landes an Volkswagen als auch im VW-Gesetz nach wie vor ein bedeutsames Instrument für die Standort-, Industrie- und Arbeitsmarktpolitik unseres Landes. Ich sehe überhaupt keinen Grund für die Defensive. Denn nicht diejenigen müssen sich verteidigen, die ein erfolgreiches Unternehmen im Land haben, das offensichtlich gut arbeitet, sondern diejenigen, die - übrigens ohne Beteiligung des Staates - ein Unternehmen massiv in die Krise geführt haben, wie das große andere internationale Automobilunternehmen im Süden Deutschlands.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich finde es auch nicht hilfreich, Herr Kollege Golibrzuch, wenn Sie in Ihrem Redebeitrag so tun, als sei das VW-Gesetz sozusagen schon obsolet. Ich will nachher versuchen, zu erklären, warum ich glaube, dass es angesichts der bevorstehenden Entscheidung zur Takeover-Richtlinie wichtiger geworden ist. Übrigens vermute ich sogar, dass es durch das, was dort paradoxerweise im Vermittlungsausschuss passiert ist, ein Stück sicherer geworden ist. Klar ist: Wir brauchen natürlich Strukturwandel, wir brauchen Unternehmergeist, und wir brauchen auch Kreativität beim Auf-, Aus-, und Umbau von Unternehmen. Deshalb gilt für alle Beteiligungen des Landes Niedersachsen:

Erstens. Die Niedersächsische Landesregierung hält sich strikt aus den operativen Unternehmensentscheidungen heraus. Dies gilt für alle Unternehmensbeteiligungen, die wir haben - dies gilt für VW, für die Salzgitter AG und natürlich vor allem auch für die NORD/LB.

Herr Wulff, gestatten Sie mir aufgrund der Parallelität den Hinweis: Wenn andere Landesregierungen in Deutschland diesen Grundsatz ebenfalls gewahrt hätten, dann wären sie länger als bis zum Samstag dieser Woche im Amt.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Wir wollen bei strategischen Entscheidungen - darum geht es - beteiligt sein. Wir wollen dort, wo die Interessen der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes besonders stark von strategischen Unternehmensentscheidungen und –entwicklungen betroffen sind, gefragt werden und nicht nur als Zuschauer am Katzentisch sitzen.

(Beifall bei der SPD)

Volkswagen hat eine wirklich strukturbestimmende Rolle für die niedersächsische Wirtschaft - nicht nur für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im VW-Unternehmen, sondern vor allem auch für Zulieferer und Mittelstand. Die strategische Entwicklung des Unternehmens ist deshalb von enormer Bedeutung. Ob z. B. die Entscheidung zum Aufbau ausländischer Produktionsstandorte mit der Sicherung der niedersächsischen Standorte verbunden wird oder nicht, davon hängt in unserem Land ungeheuer viel ab. Was hilft uns ein Steigen der Börsenkurse nach Aufgabe der Landesanteile, wenn damit keine Sicherheit vor einer feindlichen Übernahme erreicht werden kann? Ich staune über diejenigen, die immer wieder den Satz prägen: Ein steigender Börsenkurs ist die beste Sicherheit vor Übernahme. - Es würde ein Blick in das Portfolio denkbarer Übernehmer reichen, um festzustellen, dass das um ein Vielfaches größer ist, als ein noch so gut steigender Börsenkurs bei Volkswagen erreichen könnte. Auch wir haben ein Interesse an einem steigenden Börsenkurs. Aber wir haben nicht die fatale Fehleinschätzung, dass dieser Kurs so stark steigen könnte, dass wir damit vor denkbaren Übernehmern geschützt würden.

Was helfen uns steigende Aktien, wenn eine Übernahme vor allem mit Schließungen von Werken in Niedersachsen verbunden wäre? ManchesterLiberalismus des 19. Jahrhunderts darf es auch im Übernahmerecht nicht geben. In unserer Verfassung heißt es nicht „Eigentum verpflichtet zu einem möglichst hohen Börsenkurs“, sondern „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Das ist keine Sozialromantik, meine Damen und Herren, das ist fundamentaler Bestandteil unserer Verfassung. Es ist ein Grundrecht, und es ist ein Pfeiler der sozialen Marktwirtschaft.

(Beifall bei der SPD)

Damit eines klar ist: Niemand ist prinzipiell gegen Übernahmen; niemand will den Kapitalverkehr

nach und aus Deutschland hemmen. Er ist sogar dringend notwendig. Worum es geht, sind feindliche Übernahmen. Es geht darum, dass bei Übernahmen in Augenhöhe verhandelt werden kann vor dem Hintergrund von Hauptversammlungsentscheidungen und damit vor dem Hintergrund der Aktionäre. Dies entspricht im Übrigen auch dem Grundsatz und der Rechtslage in den USA. Gerade dort können sich Vorstände und Aufsichtsräte gegen feindliche Übernahmen verteidigen. Aber auch in vielen anderen europäischen Ländern gibt es aktienrechtliche Vorkehrungen, vor allem Stimmrechtsbeschränkungen, die einen bloßen Ausverkauf von Unternehmen erschweren. In Italien hat man mit Montedison, in Frankreich mit Elf Aquitaine, in Großbritannien mit der Flughafenbehörde, in Belgien mit dem Gasverteiler Distrigaz mit „golden shares“ und besonderen Vetorechten vorgesorgt.

Meine Damen und Herren, ich kann ja verstehen, dass man bei einigen EU-Staaten besonders erfreulich für Neutralität plädieren kann, wenn man eigene nationale Schutzregelungen in der Hinterhand weiß. Aber wenn die Entscheidung des Europäischen Parlaments im Dezember richtig war, so kann das ganze Parlament in der noch ausstehenden endgültigen Abstimmung im Juli seine Ausgangsposition verteidigen. Ich kann deshalb nur an die Mitglieder des Europäischen Parlaments appellieren, bei ihrer bisherigen Haltung zu bleiben.

Für uns in Deutschland allerdings gilt: Wir haben Sorge zu tragen, dass wir - selbst dann, wenn das Vermittlungsergebnis zur Übernahmerichtlinie Gesetz wird - für die Übergangszeit ergänzende nationale Regelungen haben.

Meine Damen und Herren, wir haben einen Wandel von der Industriegesellschaft zur Investmentgesellschaft vor uns. Wir sollten nicht den Fehler machen, auch aus der Industriepolitik auszusteigen und nur noch Anlageberater zu werden.

Zu Volkswagen lassen Sie mich deutlich sagen, vor allem in Richtung der Grünen:

Erstens. Für eine Abschaffung des VW-Gesetzes sehe ich weder Zeit noch Raum noch Anlass, noch wird das VW-Gesetz mit In-Kraft-Treten der europäischen Übernahmerichtlinie obsolet. Im Gegenteil: Das VW-Gesetz wird wichtiger denn je. Es ist doch so, dass zurzeit noch nicht einmal eine ernsthafte Prüfung bei der EU-Kommission in Angriff genommen worden ist. Wir sollten sie auch nicht

durch solche Debattenbeiträge wie die von Herrn Golibrzuch herbeitragen.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Im VW-Gesetz werden gerade die Rechte der Aktionäre geschützt gegen die Depotmacht der Banken. Wenn sich auf einer Hauptversammlung von Volkswagen ausgerechnet Vertreter deutscher Großbanken zu Fürsprechern der Rechte der Kleinaktionäre machen, dann nimmt das manchmal groteske Züge an.

Drittens. In den vergangenen zehn Jahren sind im Volkswagenkonzern die Umsätze um 120 % gestiegen, das Ergebnis nach Steuern um 264 % und die Beschäftigung um 16 %. Meine Damen und Herren, mir ist ein erfolgreiches Unternehmen Volkswagen mit einer Landesbeteiligung lieber als ein defizitäres deutsch-amerikanisches Automobilunternehmen unter Beteiligung großer deutscher Banken.

(Beifall bei der SPD)

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Ministerpräsident.

Ich will zum Abschluss nur noch sagen, dass ich der CDU-Fraktion für die Beibehaltung ihrer Position außerordentlich dankbar bin. Herr Wulff, Rainer Barzel hat mir vor einigen Tagen einen Brief geschrieben und mich in diesem Brief in der Auffassung bestärkt, mit allen Mitteln für die weitere Präsenz des Landes als Kapitaleigner einzutreten. Er hat darauf hingewiesen - das will ich hier auch der Historie wegen sagen -, dass die soziale Sicherung der Arbeitnehmer des ehemaligen Staatsunternehmens Volkswagen bei der Privatisierung im Jahr 1960 Pate gestanden hat für all die Regelungen, die man damals unter dem Begriff „soziale Marktwirtschaft“ zusammengefasst hat. Das ist damals eine gemeinsame Politik in Deutschland gewesen. Sie hat sich leider nicht fortgesetzt, als Anfang der 80er-Jahre die Bundesanteile an Volkswagen durch die Bundesregierung verkauft worden sind. Wir wollen als Land diesen - in den 80er-Jahren jedenfalls - verhängnisvollen Schritt nicht fortsetzen.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat noch einmal der Kollege Golibrzuch.

Herr Ministerpräsident, es ist doch gar nicht nötig, dass wir uns an der Stelle streiten. Aber einige Antworten hätte ich doch gerne über das Manuskript hinaus, das Sie hier verlesen haben.

Ich meine - das habe ich auch gesagt -, das VWGesetz hat sich in der Vergangenheit bewährt. Ich meine aber auch, dass es - auf die Zukunft und auf die Übernahmerichtlinie der EU gerichtet - intelligentere Lösungen zur Sicherung der VW-Standorte in Niedersachsen gibt als gesetzliche. Der Vorstand des VW-Konzerns hat das erkannt und strebt deswegen diese strategischen Partnerschaften auch mit anderen niedersächsischen Unternehmen an.

Die für uns spannende Frage ist - dazu haben Sie leider überhaupt nichts gesagt -, ob Sie den Vorratsbeschluss des VW-Vorstands - wenn es also in den nächsten Monaten zu einer Kapitalerhöhung kommt - in der Weise mitgehen wollen, dass Sie sich Mittel aus dem Landeshaushalt oder über die Tochtergesellschaft HanBG am Kreditmarkt besorgen wollen. Wir möchten gerne hören, wie die Landesregierung glaubt, angesichts der Haushaltsprobleme des Landes nicht nur kurz-, sondern auch mittel- und langfristig einen solchen Weg finanzieren zu können.

(Plaue [SPD]: Das muss ausgerechnet jemand sagen, der das VW-Gesetz zum Abschuss freigegeben hat!)

Und wir fordern, dass dies, weil es das gesamte Land und, Herr Kollege Plaue, weil es auch den Landeshaushalt betrifft, nicht am Kabinettstisch entschieden wird, sondern dass die Entscheidung hierüber im Landtag, im Parlament gefällt wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen zu Punkt 1 b liegen mir nicht vor.

Wir kommen zu

c) Gabriels Politik der Täuschungen und Enttäuschungen:

- statt Zukunftspolitik für Niedersachsen Konzeptlosigkeit - statt Schuldenabbau - Rekordverschuldung - statt Haushaltssanierung - Luftbuchungen und Finanzierungstricks - statt Solidarität mit den Schwachen - soziale Kälte - statt Infrastrukturinvestitionen - Kürzungen bei Straßenbau und Hochbau - statt Hilfen für Landwirtschaft und ländlichen Raum - Verfall von Bundesmitteln - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 14/2537

Ich habe versucht, das in einem Atemzug herunterzulesen. Sie haben gemerkt, ich hatte physische Schwierigkeiten.

Das Worte hat der Kollege Möllring.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich erlebe es in elf Jahren zum ersten Mal, dass es einem Präsidenten gelungen ist, einen Tagesordnungspunkt aufzurufen, ohne dass man verstand, was er gesagt hat.

(Plaue [SPD]: Das liegt daran, dass Sie solch einen Unfugantrag gestellt haben!)

- Das war kein Unfugantrag, Herr Plaue. Gestern hat eine Tageszeitung geschrieben, dieser Haushaltsplanentwurf sei „Murks“. - Besser kann man es eigentlich nicht auf den Punkt bringen.

(Beifall bei der CDU)

Es ist wirklich die Frage, ob der Ministerpräsident seiner Fürsorgepflicht gegenüber seinen Ministern nachkommt, wenn er sie einen ganzen Sonntag lang mit einem derartigen Unsinn beschäftigt und anschließend eine Presseerklärung herausgibt, in der er zusammen mit Finanzminister Aller unisono zwei Unwahrheiten verkündet.