Protocol of the Session on May 17, 2001

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Hierarchie der Bildungsgänge hat sich der Realschulabschluss zu dem Schulabschluss entwickelt, den Eltern und Jugendliche als beste Grundlage für den Einstieg in eine erfolgreiche berufliche Erstausbildung ansehen. Da sind wir uns einig.

(Lindhorst [CDU]: Bravo! Das reicht!)

Gesellschaftliche Rahmenbedingungen haben dazu beigetragen, die Anforderungen der Betriebe und das Schulwahlverhalten der Eltern. 40 % eines Jahrgangs - Sie haben es schon gesagt - streben den mittleren Bildungsabschluss an. Diesen Trend möchte die SPD unterstützen und fördern. Denn wir brauchen in allen wirtschaftlichen Bereichen diese Ausbildungsgrundlage. Aber wir möchten auch, dass junge Menschen genau diese Bildungsgrundlage haben, um ihr Leben überhaupt bestehen zu können.

Uns geht es um den qualifizierenden Schulabschluss. Darum wollen wir die Schule auch weiterentwickeln, und zwar zeitgemäß weiterentwickeln.

(Frau Vockert [CDU]: Sie entwickeln sie aber zurück!)

Deswegen diskutieren wir über eine neue Schulstruktur, sprechen wir über Haupt- und Realschulen unter einem Dach und stellen uns vor, dass dies zu Verbünden von lockerer Kooperation, zu Schulform übergreifenden Lerngruppen in einzelnen Fächern

(Frau Vockert [CDU]: Das ist ein or- ganisatorisches Chaos!)

bis hin zur Verschmelzung in einem integrierten System führen kann. Alle diese Möglichkeiten kann es geben.

Wir befinden uns dabei natürlich im Einklang mit der Kultusministerkonferenz, die 1993 festgelegt hat: Die Schularten im Sekundarbereich I umfassen jeweils einen oder mehrere Bildungsgänge. Das heißt, eine Schulart kann alle Abschlüsse der Sekundarstufe I vergeben.

Niedersachsen soll auch nach unserer Meinung Realschulland bleiben, und zwar in dem Sinne, dass der Realschulbildungsgang in allen Teilen des Landes von vielen Jugendlichen erreicht werden kann.

Wenn die CDU-Fraktion fordert, Niedersachsen solle Realschulland bleiben, so verwendet sie einen Bildungsgang synonym zu einer Schulart. Ist das eigentlich eine Negierung der bereits bestehenden Haupt- und Realschulen unter einem Dach? Wenn ja, dann empfinde ich das als Missachtung der sehr engagiert arbeitenden Lehrkräfte

(Busemann [CDU]: Hören Sie doch auf! Das hat doch damit nichts zu tun!)

und auch als Missachtung der Leistung der dort lernenden Schülerinnen und Schüler mit einer Hauptschulempfehlung.

(Zustimmung bei der SPD)

Wenn wir uns den CDU-Antrag zur Stärkung der Hauptschule in Erinnerung rufen, in dem Sie einen nur an der Hauptschule zu erwerbenden Abschluss gefordert haben, wird überdeutlich: Die CDU will weiterhin in der Dreigliedrigkeit des Schulsystems den Stein der Weisen sehen

(Klare [CDU]: Die sich definitiv be- währt hat !)

und die Durchlässigkeit, die in den vergangenen Jahrzehnten erreicht wurde, anscheinend am liebsten rückgängig machen. „Isolieren statt kooperieren“ scheint die CDU-Devise zu sein. Ich frage mich: Warum sind Sie so ideologieverhaftet? Warum gehen Sie nicht viel pragmatischer an den Vorschlag Sekundarschulen heran? Sie wissen doch, dass in Niedersachsen fast die Hälfte aller Realschul-spezifischen Bildungsgänge bereits jetzt in Verbundsystemen angeboten werden. Nur dadurch können wir doch Realschulland sein.

(Klare [CDU]: Und warum sollen die jetzt aufgelöst werden!)

Die Zusammensetzung der Schülerschaft hat sich nicht nur in den bestehenden Verbundsystemen von Haupt- und Realschulen verändert, sondern genau so an den selbständigen Realschulen. Die Realschule hat ihre traditionelle Schülerpopulation an das Gymnasium abgegeben. Das ist eine nicht aufzuhaltende Entwicklung. Trotz der nachströmenden Schülerinnen und Schüler aus der Hauptschule ist es den Kollegien gelungen, erfolgreich Realschul-spezifische Bildungsinhalte zu vermitteln.

Frau Kollegin Eckel, möchten Sie eine Frage des Kollegen Busemann beantworten?

Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, dass zwischen dem Verbundsystem und der Verschmelzung ein Unterschied besteht?

Ja. Das habe ich auch erläutert.

(Zustimmung bei der SPD)

Wenn Sie mir zugehört hätten, dann hätten Sie gehört, dass ich gesagt habe: Es gibt mehrere Möglichkeiten: von locker kooperierenden Schulen über Schulen, die in einigen Fächern stärker kooperieren, bis hin zur Verschmelzung. Alles das kann es geben.

(Klare [CDU]: Aber warum machen Sie diese ganze Strukturreform? - Bu- semann [CDU]: Warum machen Sie das überhaupt?)

- Wenn Sie mir weiter zuhören, wird Ihnen vielleicht noch einiges klar.

(Zustimmung bei der SPD)

Die Anforderungen in den Ausbildungsberufen sind gestiegen.

(Klare [CDU]: Warum bleibt es nicht so, wie es ist?)

- Das kommt jetzt, Herr Klare, wenn Sie zuhören, weshalb es unserer Meinung nach nicht so bleiben kann, wie es ist. - Die Anforderungen in den Ausbildungsberufen sind gestiegen. Hautschülerinnen und Hauptschüler haben immer weniger Chancen, einen Beruf ihrer Wahl zu ergreifen oder überhaupt eine Ausbildungsstelle zu erhalten.

(Frau Körtner [CDU]: Eben, weil die Wirtschaft nicht mehr einstellt!)

Zu viele besuchen nach dem Hauptschulabschluss eine weitere Vollzeitschule, um ihre Chancen zu verbessern. In Wolfsburg - da habe ich eine Zahl parat - hat nur jeder zehnte Hauptschüler das Glück, direkt eine Lehrstelle zu erhalten.

(Frau Vockert [CDU]: Dann stärken Sie doch mal die Hauptschule!)

Ein „schärferes Profil“ der Hauptschule, wie Sie es fordern, wird daran aber nichts ändern. Ihre Rück

wärtsgewandtheit hilft den Hauptschülerinnen und Hauptschülern überhaupt nicht.

(Zustimmung bei der SPD)

Sie hilft ebenfalls nicht den Lehrerinnen und Lehrern, deren Arbeit vor allem an Hauptschulen im städtischen Umfeld immer frustrierender und auch schwieriger wird. Ihr Modell einer sich abschottenden Realschule ist nicht zukunftsfähig.

Auch wenn Ihre Absichten vom VDR unterstützt werden, meine ich doch, der VDR ist bei den Kollegien in den Realschulen noch nie als Speerspitze von Modernisierung empfunden worden.

(Beifall bei der SPD - Meinhold [SPD]: Das stimmt allerdings auch! - Busemann [CDU]: Mit solchen Be- merkungen machen Sie sich aber be- liebt! - Voigtländer [SPD]: Sie weiß, wovon sie spricht!)

Die Realschulen haben jetzt einen Brief erhalten mit der Aufforderung, Petitionen zum Erhalt der Realschule einzureichen, unterschrieben von Herrn Wulff. Das ist, meine ich, eher ein Appell an Standesdenken und verhindert die konstruktive Auseinandersetzung mit dem Modell „Hauptschule und Realschule unter einem Dach“. Denn nichts anderes meint der Begriff „Sekundarschule“. Es geht doch nicht um die Abschaffung der Realschule, sondern um die Weiterentwicklung von Schule, die sich an den Zukunftschancen von Schülerinnen und Schülern und damit an den Vorgaben sich verändernder beruflicher Qualifikationen orientieren muss. Sekundarschulen ermöglichen ein differenzierteres Eingehen auf Stärken und Schwächen der Schülerschaft durch Schulform übergreifenden Unterricht. So wollen wir die Ausbildungsreife der Hauptschülerinnen und Hauptschüler heben, ohne das Niveau im Realschulzweig zu senken.

(Zustimmung bei der SPD)

Sekundarschulen verhindern die von manchen Kindern traumatisch erfahrene Abschulung, weil sie den Schulformwechsel ohne Schulwechsel ermöglichen. Ich meine, es ist ein großes Problem, an dem wir oftmals achtlos vorübergehen, wie sehr Kinder leiden, wenn sie in der siebten Klasse der Realschule nach dem ersten Halbjahr oder am Ende des Jahres erfahren: Ihr geht zurück.

(Klare [CDU]: Die armen Schüler in Bayern und Nordrhein-Westfalen! Wie kann man so etwas erzählen? - Gegenruf von Frau Seeler [SPD] - Weitere Zurufe von der CDU - Glo- cke des Präsidenten)

Fachlehrkräfte und Fachräume können in der Sekundarschule effektiver eingesetzt und positive Eigenarten von Hauptschule bzw. Realschule können übernommen werden.

Sekundarschulen verhindern auch die Entstehung von Zwergschulen und dienen der Stabilisierung und Weiterentwicklung eines wohnortnahen Bildungsangebots,

(Klare [CDU]: Ja! Und sie lösen die einzelnen Schulformen auf!)

ohne Rieseneinheiten bilden zu müssen, die die pädagogische Arbeit und das soziale Miteinander behindern.

(Frau Mundlos [CDU]: Was ist Ihnen eigentlich der einzelne Mensch wert?)

- Eine Menge! Das ist eine tolle Frage; denn ich meine, jeder Mensch hat das Recht, seinen Begabungen entsprechend gefördert und gefordert zu werden.

(Beifall bei der SPD - Klare [CDU]: Jetzt kommen wir der Sache näher!)