Protocol of the Session on May 16, 2001

Meine Damen und Herren, die Fraktion der CDU hat im Februar – also vor knapp drei Monaten – ihr Konzept für das Nachmittagsprogramm vorgelegt: bedarfsgerechtes Angebot auf die unterschiedlichen Bedürfnisse ausgerichtet, familienergänzendes Erziehungs- und Betreuungsangebot, Freiwilligkeit der Teilnahme mit den Elementen gemeinsames Mittagessen, Hausaufgabenbetreuung, wahlfreier Unterricht, Förderunterricht und ein Bildungs- und Freizeitangebot in Zusammenarbeit mit Dritten und mit den kommunalen Einrichtungen. Nun aber kommt die Landesregierung und verkündet praktisch das gleiche Modell – leider auf einem etwas geringeren Niveau. Natürlich haben wir nichts dagegen, wenn der Ministerpräsident und Sie, Frau Ministerin, immer schlauer werden und sich unserer Position anpassen,

(Beifall bei der CDU)

aber es gehört zum politischen Stil und auch zum Anstand, wie ich meine, zu sagen: Wir haben einfach von dem Programm, das die CDU vor drei Monaten vorgestellt hat, abgeschrieben.

(Beifall bei der CDU – Zuruf von der CDU: So ist es!)

Zur politischen Überlegung und der vernünftigen Wirkung nach außen gehört es auch, zu sagen: Wir

von der SPD weichen deutlich von dem ab, was wir bislang immer wieder zur Ganztagsbeschulung gesagt haben.

Meine Damen und Herren, gerade in der laufenden Dialogphase – Frau Harms hat darauf hingewiesen – gilt immer noch ein völlig anderes Konzept. Da gilt das verpflichtende Schulkonzept nur angebunden an die Haupt- und Realschulen oder die so genannten Sekundarschulen, und zwar als Lockvogelangebot. Das wissen wir, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Natürlich kann man sich neu orientieren und etwas ändern. Aber erwecken Sie doch nicht mehr den Eindruck, als wenn die Dialogphase noch wirklich offen für Vorschläge aus den Schulen oder aus der Elternschaft wäre! Sie schaffen vollendete Tatsachen - nicht nur in dieser Frage -, und genau diese Art ist geeignet, die Bürgerinnen und Bürger zu verunsichern und zu verärgern. Es passt nicht zusammen. Wie soll z. B. im nächsten Schuljahr die Ganztagsbetreuung angesiedelt werden, wenn es die Schulen möglicherweise gar nicht mehr gibt oder wenn sie zusammengelegt werden? Wie wollen Sie eigentlich die Finanzierung gestalten, wenn keine einzige Mark dafür im Haushalt enthalten ist? Wollen Sie beim Kindergeld weiter einsparen und es dort wegnehmen, wie es der Ministerpräsident angekündigt hat? Er will möglicherweise diese Mittel verwenden. Irgendwann ist natürlich auch das Kindergeld nicht mehr belastungsfähig; denn den Laptop für Schüler will er auch aus dem Kindergeld finanzieren.

(Zurufe von der SPD)

Ich sage Ihnen, was Sie mit diesem Aktionismus - immer neue Vorstöße, immer neue Ankündigungen, immer neue so genannte Konzepte - bezwecken. Dahinter steht, dass Sie die großen Probleme, die an unseren Schulen bestehen, verstecken und verschleiern wollen.

Sorgen Sie zuerst für eine vernünftige Unterrichtsversorgung. Das ist Ihre Pflicht. Dann reden wir mit Ihnen ernsthaft über ein Betreuungskonzept. Wenn Sie unsere Vorschläge zur Unterrichtsversorgung – 3 000 zusätzliche Lehrer – und das, was ich zur Ganztagsbetreuung gerade ausgeführt habe, aufnehmen, dann können wir uns einigen. Aber erst haben Sie Ihre Pflicht zu tun - dann können wir darüber reden.

(Beifall bei der CDU)

Es spricht der Kollege Wulf.

Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Präsident! Ich bin sehr froh darüber, Herr Klare, dass Sie gleich zu Beginn Ihrer Rede zugegeben haben, dass Sie nicht wissen, wie es in der Schulund Bildungspolitik des Landes weitergeht. Dass die CDU das nicht weiß, ist uns allerdings schon seit Jahren klar, Herr Klare.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin den Damen und Herren von der Fraktion der Grünen allerdings auch dankbar dafür, dass sie das Thema der Aktuellen Stunde, die Kinderpolitik und die Interessen unserer Kinder, in den Mittelpunkt gestellt haben. Das gibt mir wie auch der Kultusministerin Gelegenheit, deutlich zu machen, dass die Sicherung der Zukunft für unsere Kinder ein ganz zentrales Anliegen der SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag ist,

(Frau Vockert [CDU]: Auf dem Pa- pier!)

und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern das gilt in der Realität von der Kinderkrippe über den Kindergarten bis hin zur Schule und zu außerschulischen Angeboten. Besonders deutlich wird das an dem Konzept, das die Landesregierung mit dem Vorhaben der Ganztagsschule vorgelegt hat, wie es die Kultusministerin gerade dargestellt hat.

Ich möchte allerdings noch etwas zu den Grünen anmerken. Ich halte es für einen etwas schlechten Stil, wenn unser Konzept vor dieser Debatte in der Presse von meiner geschätzten Kollegin Brigitte Litfin als „radikale Ganztagsdiät“ bezeichnet wird. Ich meine, wir sollten in dieser Frage lieber von einem „dreigängigen Spitzenmenü“ sprechen. Denn das ist real der Fall.

(Frau Harms [GRÜNE]: Nur zu! – Zuruf von Frau Litfin [GRÜNE] – Zu- ruf von der CDU)

Wer sich vor dem Hintergrund schwieriger finanzieller Rahmenbedingungen bzw. eines haushaltspolitisch engen Spielraums dennoch so wie wir der schwierigen und notwendigen gesellschaftspolitischen Aufgabe stellt, Ganztagseinrichtungen schrittweise zu einem Netz in Niedersachsen aus

zuweiten, der sollte eigentlich auch von den Grünen unterstützt werden.

Um auch der CDU eines deutlich zu machen: Es ist nie die Rede davon gewesen - auch nicht in dem Vorschlag der Landesregierung zur Umwandlung der Schulstruktur in Niedersachsen -, dass die Einführung von Ganztagsangeboten von jetzt auf gleich geschehen sollte.

(Busemann [CDU]: Nein, nein!)

Natürlich – das liegt in der Natur der Sache – kann es bei einem solchen Vorhaben nur um ein zeitlich gestrecktes Vorgehen gehen, anders ist das bei dem finanziellen Umfang gar nicht möglich. Das bedeutet nun einmal, dass dafür auch ein Übergangszeitraum notwendig ist. Das betrifft auch mögliche Veränderungen in der Schulstruktur.

Im Übrigen, Herr Kollege Klare, ist der Diskussionsprozess zur Schulstrukturreform selbstverständlich nach wie vor ergebnisoffen. Wir haben auch gestern noch ein entsprechendes Gespräch mit den Verbänden geführt. Wir sind bereit, Vorschläge aufzunehmen. Das wissen Sie auch. Die Behauptung des Gegenteils hilft Ihnen auch nicht weiter.

(Busemann [CDU]: Nach allen Seiten offen!)

Meine Damen und Herren, ein Ganztagsmodell muss natürlich bedarfsgerecht sein. Selbstverständlich muss es sich auch an den finanziellen Möglichkeiten orientieren, und es muss – das ist ganz entscheidend – den Bedürfnissen der Eltern und der Schülerinnen und Schüler vor Ort entsprechen.

Was wir vorhaben, ist kein Billigmodell, sondern wir werden das natürlich auch mit Lehrkräften realisieren, auch mit Unterricht am Nachmittag, und wir werden ein umfassendes besonderes Arbeitsbeschaffungsmodell – wie ich es einmal bezeichnen möchte – für Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen und für Erzieherinnen und Erzieher schaffen, die dadurch neue Tätigkeitsmöglichkeiten erlangen werden.

(Oh! bei der CDU)

Ich halte das Modell, wie wir es vorschlagen, für optimal, um durch die Tätigkeit von Erzieherinnen und Erziehern, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen die Erziehungsaufgabe der Schule zu verstärken. Ich meine, dass es gerade vor dem

Hintergrund der allgemein anerkannten und bekannten und offensichtlich immer schwieriger werdenden Situation zahlreicher Kinder und Jugendlicher in unserer Gesellschaft eine große Bedeutung hat, und zwar auch in Beziehung auf die Vereinbarkeit von Kindererziehung und Berufstätigkeit.

Ich verweise auf die zunehmende Zahl allein Erziehender. Deshalb hat es neben der familienpolitischen Bedeutung auch ausdrücklich eine frauenpolitische Bedeutung, wenn wir in diese Sache einsteigen.

In diesem Kontext - das ist inzwischen auch klar hat selbst die CDU Lernprozesse aufweisen können. Ich finde es löblich, dass das Wort „Ganztagsschule“ inzwischen auch schon von der Kollegin Hohlmeier oder auch von Frau Schavan in den Mund genommen wird.

(Frau Pawelski [CDU]: In Bayern gibt es so viele Ganztagsschulen, davon träumen Sie doch!)

Ich will noch einen Satz zu dem Konzept der CDU „Lernen plus“ sagen. Für uns ist das nicht nur eine familienergänzende Maßnahme, sondern wir wollen mit den Maßnahmen, die wir vorhaben, gesellschaftspolitisch und auch präventiv tätig werden. Dabei laufen wir Ihnen nicht hinterher, sondern führen diese Diskussion in der SPD schon seit Jahren.

(Beifall bei der SPD - Lachen bei der CDU)

Unsere Konzepte sind allgemein bekannt. Im Übrigen kann man Ihnen, sehr geehrter Herr Klare, auch gar nicht hinterher laufen, denn Ihre Politik geht immer nur rückwärts.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich bin fest davon überzeugt, dass unser Vorhaben „Ganztagsschule“ genauso eine Erfolgsstory wird wie die Verlässliche Grundschule. Ich garantiere Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU: Die von Ihnen geführten Kommunen werden mit die Ersten sein, die Ganztagsschulen beantragen werden. - Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Zum selben Punkt noch einmal Frau Kollegin Harms!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, dass viele Menschen darüber nachdenken, ob diese Kinderdiskussion, die im Moment von allen Seiten geführt wird, eigentlich ernst gemeint ist oder ob nicht am Ende wieder so etwas Halbherziges herauskommt, wie man das von der Politik gewohnt ist. Die Redebeiträge der Ministerin bzw. des Kollegen Wulff in der von uns beantragten Aktuellen Stunde zeigen, dass sich die SPD in Niedersachsen zumindest an dem Gesamtproblem, nämlich dass Kinder bei uns vernachlässigt werden, vorbei drücken will.

Das Problem, das sich uns stellt, lässt sich nicht darauf reduzieren, dass wir erweiterte Betreuungsangebote für Kinder ab der siebten Klasse, wie es noch vor zwei Wochen hieß, bzw. für Kinder ab der fünften Klasse vorhalten, sondern wir müssen auch die Kinder verantwortlich betreuen, die klein sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Da fängt das Problem an: bei den Kitas. Ich finde es schon erstaunlich, dass hier von der SPD zwei Reden gehalten wurden, ohne dass man sich auf dieses Problem überhaupt eingelassen hat.

Wir brauchen das, was wir in der Fraktion diskutieren, was aber auch unsere Kinderkommission im Bund diskutiert, nämlich einen Paradigmenwechsel, was Leistungen des Bundes, des Landes und der Kommunen angeht. Darauf müssen Sie sich ernsthaft einlassen. Sonst werden wir den Aufgaben, Kinder so gut zu betreuen, wie wir es selber immer beschreiben, nicht gerecht werden können.

Der Ministerpräsident ist an dieser Stelle gehalten, eine Zukunftsbaustelle mit aufzumachen. Sonst bleibt das eine Lückenfüllerei im Schulbereich, die zu nichts führen wird.

Wir haben in einer der letzten Plenarsitzungen über das Problem der wachsenden Verarmung von Kindern gesprochen. Kinder verarmen aber nicht nur monetär, Kinder verarmen auch sozial und kulturell. Wenn in den Einrichtungen, in denen eine qualitativ hochwertige Erziehung stattfinden soll, wenn da, wo, wie Herr Pfeiffer immer sagt,

gefördert, gefordert, geachtet werden soll, nicht mehr passiert, und wenn dort nicht mehr investiert wird, dann bleibt diese neue Kinderpolitik in der Bundesrepublik Schall und Rauch.

Ich bin der Auffassung, dass wir uns auf der Grundlage von Anträgen weiter damit auseinander setzen müssen. Ich weiß aber, dass wir mit dem kleinmütigen Ansatz, der von der Landesregierung bisher praktiziert wird, nicht weit kommen werden.