Protocol of the Session on February 22, 2001

Schon gestern während der Aktuellen Stunde zum Thema Rechtsextremismus wurden auch viele andere Projekte aufgezeigt. Die unterschiedlichsten Aktivitäten sind notwendig, um rechte Gewalt in unserer Gesellschaft zu bekämpfen. Weitere hervorragende Beispiele möchte ich nennen, z. B. das landesweite Bündnis für Demokratie und Toleranz oder auch das Internationale Jugendcamp in Bergen-Belsen oder die vielen örtlichen Aktionen zum Programm "Gesicht zeigen".

All diese Programme und Aktivitäten helfen aber nur, wenn wir den Rechtsextremismus nicht wie schlechtes Wetter behandeln, das kommt und von allein auch wieder geht. Wir müssen die Zukunftsperspektiven für alle Jugendlichen eröffnen. Nicht nur die auf der einen Seite, die so genannten Guten, müssen einen Ausbildungs- und Arbeitsplatz bekommen, sondern auch die auf der anderen Seite, die Schwächeren, die es nicht so einfach haben, z. B. aufgrund von familiären Bedingungen. Auch denen muss frühzeitig klar gemacht werden, dass wir sie brauchen, auch wenn sie in manchen Bereichen nicht mithalten können. Sie müssen wissen, dass wir sie trotzdem brauchen und ihnen dann auch einen Ausbildungs- und Arbeitsplatz zur

Verfügung stellen, damit sie auch die Chance für ein selbstbestimmtes Leben haben.

Ich finde, es muss ein gesamtgesellschaftliches Anliegen werden, keine Rechtsextremisten, keine rassistischen Äußerungen, keine Gewalttäter zu dulden, sondern dies öffentlich zu missbilligen. Dies gilt für die Stammtische, für Schulhöfe, für Familien und für Betriebe, also überall in unserem Alltag.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei Abgeordneten der CDU)

Es muss ein Ende haben mit der Toleranz gegenüber Intoleranz. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Seeler. - Herr Kollege Busemann!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Fraktionen des Landtages hatten seinerzeit gemeinsam einen Entschließungsantrag verabschiedet, der lautete: "Für Demokratie und Menschenrechte - gegen Gewalt und Fremdenhass". Das war ein Bekenntnis für ein weltoffenes, ausländerfreundliches Niedersachsen, für ein friedliches Zusammenleben aller, auch unterschiedlicher Kulturen hier in Niedersachsen.

Ich muss ehrlich sagen, ich finde es gut, dass die SPD an diese Tradition mit dem Antrag „Schulen gegen Gewalt und Rassismus“ anknüpft. Ich darf für unsere Fraktion sagen - Sie haben es bereits angedeutet -: Wir werden natürlich diesem Antrag auch zustimmen.

Aus dieser gemeinsamen Initiative will ich einen Satz zitieren und voranstellen:

„Insbesondere jungen Menschen ist die Bedeutung der Achtung der Würde des Menschen, der körperlichen Unversehrtheit und des Eigentums zu vermitteln. Kinder und Jugendliche orientieren sich an dem, was Erwachsene ihnen vorleben. Der Erziehungsauftrag zu Toleranz und Achtung der Menschenwürde richtet sich deshalb

zuallererst an die Eltern, neben Schule und Kinderbetreuungseinrichtungen.“

Ich glaube, das ist richtig. In dieser Schnittmenge zwischen Schule und Elternhaus müssen wir diesen Antrag und das gesamte Thema miteinander beleuchten. Ich will und kann das nicht in Gänze machen, will das aber auch mit einigen Aspekten von unserer Seite tun.

Meine Damen und Herren, Schulen spielen keine Sonderrolle in unserer Gesellschaft. Sie sind insbesondere keine friedlichen Inseln in einer sonst von Konflikten gekennzeichneten Welt, sondern unsere Schulen sind das Spiegelbild unserer Gesellschaft. Wer wissen will, wie es in der Gesellschaft aussieht, muss in die Schulen gehen und sich das dort ansehen. Schule darf sich deshalb nicht auf bloße Wissensvermittlung beschränken, sondern muss sich auch der Herausforderung der Erziehung stellen und die Lebensprobleme ernst nehmen, die sich oft vor die Lernprobleme stellen.

Das geht nur mit der Zielrichtung einer Erziehungspartnerschaft von Eltern und Schule, einem sich ergänzenden Miteinander, nicht mit einem Konfrontationskurs. Schule darf auch nicht überfordert werden. Sehr oft heißt es: Schule muss dieses machen, muss jenes machen, muss jenes regeln. Versäumnisse in Familie, in Gesellschaft und Politik sollen dadurch irgendwo überspielt werden. Ich spreche mich ausdrücklich für eine Richtung aus, die da lautet: Schule ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Meine Damen und Herren, wer gegen Gewalt und Rassismus antreten will - das macht diese Initiative auch deutlich -, der muss wirklich beim Elternhaus ansetzen. Es lohnt sich schon, dann auch wieder einmal unser Grundgesetz zu zitieren, was ich jetzt tue:

"Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft."

Wenn wir dieser Aufgabe als Staat nachkommen wollen, müssen wir z. B. auch in der Familienpolitik ansetzen. Dann müssen wir das Begründen von Familien begleiten, besser fördern, das Begründen von Familien attraktiver machen. Wir müssen Familienarbeit als berufliche Tätigkeit anerkennen. Wir müssen die Vereinbarkeit, Eltern zu sein und gleichzeitig einer beruflichen Betätigung nachzu

gehen, besser möglich machen als bisher. Man kann das vertiefen, aber es gehört zum gesamten Kontext dazu. Das heißt also, Binnenkräfte der Familie sind zu schützen und zu fördern.

Wenn Kinder schon in der Familie die Chance erhalten, positive Vorbilder zu erkennen, zu erlernen, Vertrauen zu erfahren und verantwortungsvolles Handeln zu erlernen, dann, glaube ich, sammeln sie auch die Grundlagen dafür, dass sie Konflikte gewaltfrei lösen können und Toleranz und Rücksichtnahme auch in der Schule und anderswo üben können.

Wer Schülerinnen und Schüler stark gegen Gewalt und Rassismus machen will, der braucht dazu auch engagierte und qualifizierte Lehrkräfte. Ohne Lehrkräfte, die engagiert sind, kann die Schule der Zukunft mit den damit verbundenen gewaltigen Herausforderungen nicht gelingen. Sie müssen unter erschwerten Rahmenbedingungen verstärkt Bildungs- und Erziehungsarbeit leisten.

Wer ihr öffentliches Amt bewusst demontiert und sie in ihrer Arbeit demotiviert, der gefährdet auch den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule. Lehrerinnen und Lehrer können ihre schwierige Aufgabe nur bewältigen, wenn sich die Gesellschaft hinter sie stellt, die schwierige Arbeit der Erziehungsberufe positiv begleitet und ihre Autorität stärkt.

Nun will ich hier keinen alten Streit wieder aufwärmen. Aber wenn denn da Zitate wie "faule Säcke" usw. in die Schule hineingeschleudert werden,

(Unruhe bei der SPD)

- ja, ja - dann gehört das auch dazu. Dann hat das was mit Demotivierung von Lehrern zu tun. Dann hat das auch etwas damit zu tun, dass wir keinen ausreichenden Lehrernachwuchs haben. - Herr Fasold, nun regen Sie sich mal nicht auf. Wir haben hohe Ansprüche an die Lehrerschaft, aber dann muss man sich auch hinter sie stellen und darf sie nicht angreifen.

(Beifall bei der CDU - Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, den besten Schutz gegen Gewalt und Rassismus bietet zunächst die wichtigste schulische Aufgabe - damit kommen wir dann wieder zu Gemeinsamkeiten, wenn Sie so wollen, zurück -: Das ist die Vermittlung von

Bildung und Wissen. Wer um die eigene Geschichte weiß, wer unsere Gesellschaftsordnung kennt, ebenso unsere Grundwerte, die unser freiheitliches Gemeinwesen zusammenhalten, wer globale Zusammenhänge und Strukturen, andere Gesellschaften, fremde Kulturen und Religionen im Rahmen seiner schulischen Bildung kennen lernt, der erwirbt damit auch gleichzeitig das Rüstzeug gegen Extremismus und gegen Ideologie. Gerade die Schule kann doch gegen die einfachen Parolen von Rattenfängern, welcher Couleur sie auch immer sind, wirksamer schützen, wenn sie junge Menschen mit der Fähigkeit ausstattet, kritische Fragen zu stellen, Informationen bewerten zu können und Entscheidungen an ethischen Maßstäben auszurichten.

Vor diesem Hintergrund kommt der Werteerziehung in Zusammenarbeit von Eltern, Familie und Schule, wie ich meine, eine herausragende Rolle zu. Die Erziehung zu Grundwerten wie Gerechtigkeit, Toleranz, Solidarität, Gemeinsinn und Nächstenliebe sowie das Bekenntnis zum freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat muss zu einer zentralen Aufgabe nicht nur für die Schule, sondern für alle Handlungsebenen werden.

Das Thema Religionsunterricht ist angesprochen worden. Ich glaube, man muss kein Kirchgänger sein, um zu erkennen, dass im Rahmen einer solchen Werteerziehung dem Religionsunterricht besondere Bedeutung zukommt. Christliche Verantwortung für Schöpfung und Gesellschaft gehören unverzichtbar zum verfassungsmäßigen Bestand unseres Staates.

Es gab eine interessante Studie. Sie hat das Ergebnis erbracht, dass Jugendliche, die religiös interessiert sind, zugleich auch dem Gemeinwesen aufgeschlossener gegenüber stehen als andere. Sie sind eher bereit, Autorität zu akzeptieren und Pflichten im Staat zu übernehmen. Sie sind übrigens auch überdurchschnittlich der Meinung, dass der Staat sie eher noch zu wenig in die Pflicht nimmt.

Sehr stark möchte ich mich für schulische Aktionen gegen Gewalt und Rassismus aussprechen, damit auch junge Leute das verstehen, was dahinter steht. Man kann wohl so viel im Unterricht erzählen und vormachen, was man will, die praktischen Beispiele, z. B. ein Gespräch mit ehemaligen KZ-Insassen, hinterlassen einen viel nachhaltigeren Eindruck auf unsere jungen Menschen als der noch so gut gemeinte theoretische Unterricht.

(Beifall bei der CDU)

Ein Besuch von Gedenkstätten, Synagogen, jüdischen Friedhöfen und anderer Mahnmahle kann bestimmte Eindrücke vermitteln, und man kann sagen: Die Auseinandersetzung mit Gewalt und Rassismus wird dann erst von den jungen Leuten richtig begriffen und für notwendig erachtet.

Ich will hier ein Beispiel erwähnen, eine Maßnahme, eine Initiative der Konrad-Adenauer-Stiftung. Schirmherren der Maßnahme sind Christian Wulff, Michael Fürst, Klaus Meine von den Scorpions und vielleicht auch andere. Sie machen einen Internetwettbewerb gegen Extremismus und Gewalt, gegen Fremdenfeindlichkeit und Ausländerhass. Schüler erstellen dort ihre eigenen Internetseiten. Sie werden fachlich beraten. Das wird auch durch weitere Aktionen begleitet: Fahrten zum Konzentrationslager, Vorträge, weitere Erstellung von Homepages usw. Ich halte das für eine gute Maßnahme. Herr Präsident Wernstedt oder ebenfalls Ministerpräsident Gabriel sind auf dem Felde auch aktiv. Ich schlage vor: Vielleicht kann man die politischen Stiftungen, die wir auch hier im Lande haben, da noch mehr einbinden.

Meine Damen und Herren, noch einmal zu den Schulen. Wenn es um gewalttätige und rassistische Vorkommnisse in Schulen geht, dann heißt die Taktik eindeutig und zweifelsfrei: eingreifen statt wegsehen. Konsequentes Handeln ist da erforderlich. Bereits dann, wenn sich erste Anzeichen zeigen, müssen Lehrkräfte eingreifen und zunächst einmal Gespräche anbieten. Es muss miteinander ein Konzept erstellt werden, wie man derlei Vorkommnissen in Zukunft begegnet. Hier muss dann wieder die Partnerschaft greifen, Lehrerschaft hier, Schüler dort und Elternschaft im Übrigen dazu. Jede Form von Gewalt und Rassismus muss von vornherein im Keim erstickt werden.

Wir könnten dann lange darüber reden, welche Anforderungen im Übrigen noch an die Politik zu stellen sind. Das beginnt bei den Gebäudeverhältnissen, betrifft die Unterrichtsversorgung und endet bei der Ausstattung der Schulen. Aber das will ich hier nicht vertiefen.

In diesen Kontext gehört auch - Frau Seeler, Sie haben das angesprochen - das Thema Perspektivlosigkeit: Wenn junge Leute keine Perspektive haben, sind sie eher geneigt, sich in Richtung Gewalt und Rassismus zu bewegen.

Das nächste große Feld ist, Ausbildungsplätze zu schaffen, Ausbildungsbereitschaft zu wecken, Ausbildungsangebote vorzuhalten, Sprachkurse, Eingliederungshilfen anzubieten usw. Hier sind wir noch längst nicht am Ende unserer Möglichkeiten angekommen, da ist durchaus noch politischer Handlungsbedarf gegeben.

Ich fasse zusammen. Wenn wir den Schulen Zeit für die pädagogische Arbeit lassen, wenn wir die Erziehungspartnerschaft zwischen Schulen und Erziehungsberechtigten fördern, wenn wir Fehlverhalten bereits im Entstehen erzieherisch aufgreifen, wenn wir Werte vermitteln, statt Werte zu zerstören, wenn wir in Bildung investieren und nicht Bildungsabbau betreiben, dann, glaube ich, kann es gelingen, der jungen Generation nicht nur Zukunftsperspektiven für eine gesicherte persönliche und berufliche Fortentwicklung zu bieten, sondern auch der Gewalt und dem Rassismus in der jungen Generation die Spitze zu nehmen. Vieles ist dazu erforderlich, und wir alle müssen unseren Beitrag leisten. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU)

Frau Kollegin Litfin!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Busemann hat es zum Schluss gesagt: Vieles ist dazu erforderlich. Das, worüber wir heute debattieren bzw. worüber wir im Kultusausschuss debattiert haben, und der Antrag, den wir heute gemeinsam verabschieden, deckt nur eine kleine Facette der Maßnahmen ab, die wir alle zu ergreifen haben.

Wirklich präventiv ist das, was wir hier tun bzw. worin wir die Landeszentrale für politische Bildung unterstützen, nicht. Wirklich präventive Maßnahmen gegen Rechtsradikalität, gegen Gewalt setzen sehr, sehr viel früher an. Insofern hat der Kollege Busemann Recht: Wir müssen uns gemeinsam überlegen, wie wir Familien in die Lage versetzen, Kinder so groß werden zu lassen, dass sie sich angenommen fühlen, dass sie von ihrem eigenen Wert überzeugt sind. Denn nur wenn Kinder geliebt werden, wenn Kinder Annahme erfahren, werden sie in der Lage sein, andere anzunehmen und sich anderen zuzuwenden.

Es ist eine ganz alte Erkenntnis, dass Erwachsene nur das leben können, was sie selber erfahren haben. Dazu gibt es hundertundeins Beispiele. In allen Biografien von Gewalttätern - der rechten wie auch anderer - finden wir den Nachweis, dass sie selber mit Gewalt groß geworden sind, dass sie mit Unterdrückung groß geworden sind, dass sie nicht angenommen worden sind, dass sie nicht ernst genommen worden sind.

Deshalb wünschte ich mir, öfter einmal zu hören, was Herr Justizminister Pfeiffer neulich zu den Eltern gesagt hat: „Sie müssen Ihre Kinder lieb haben.“ - Wir müssen nun gemeinsam überlegen, wie wir als Politiker diesen Einfluss auf die Elternhäuser nehmen können.

In der Schule geht es natürlich weiter. Viele Kinder erfahren auch in der Schule, dass sie nicht wertgeschätzt werden, dass sie nicht angenommen werden, sondern dass über sie bestimmt wird.

Es kann aber nicht gelingen, Kinder zu demokratischen Bürgern und Bürgerinnen in einer demokratischen, solidarischen Gesellschaft zu erziehen, wenn sie während ihrer Schulzeit immer nur Fremdbestimmung erleben, wenn sie erleben, dass sie in ihren Bedürfnissen nicht ernst genommen werden, wenn sie erleben, dass sie nicht mitbestimmen und mitentscheiden können.

Hier haben wir alle Einfluss, und diesen Einfluss sollten wir nutzen. Das geht weit über das hinaus, was in diesem Antrag, dem wir alle zustimmen und der auch gut und richtig ist, formuliert ist.

Wir müssen uns fragen, Kollege Busemann, wie wir zu diesen Grundwerten erziehen können. Reicht es, wenn wir als Erwachsene diese Grundwerte vorleben? Oder müssen wir den Kindern nicht eine ganz andere Wertschätzung entgegenbringen, müssen wir sie nicht achten und in ihrer Würde respektieren?