Protocol of the Session on November 15, 2000

„Es muss etwas geschehen im Umgang mit Brustkrebs. In Deutschland erkranken jährlich 45.000 Frauen an Brustkrebs. Die Sterberate liegt bei 15.000 Frauen pro Jahr. In den letzten 20 Jahren hat sich der Anteil der an Brustkrebs erkrankten Frauen nahezu verdoppelt. Während in unseren Nachbarstaaten 70 bis 80 % der Tumore durch Mammographie entdeckt werden, ertasten hierzulande fast 80 % der Frauen den Tumor selbst. Für viele kommt die Diagnose jedoch zu spät, wenn der Tumor schon eine Größe von mehr als 1 bis 2 cm erreicht hat.“

Recht hat sie, die frauenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag.

(Frau Pothmer [GRÜNE]: Ja!)

Denn genau sie habe ich eben zitiert, meine Damen und Herren insbesondere in der Fraktion der Grünen natürlich, weil ich Sie besonders ansprechen möchte.

(Zustimmung von Frau Pawelski [CDU])

26 % aller Krebsneuerkrankungen bei Frauen sind Brustkrebs. Fünf Jahre nach Diagnosestellung leben von den erkrankten Frauen noch 73 %. Das muss jedem, jeder zu denken geben. Das Mammakarzinom ist in den westlichen Industrieländern die häufigste maligne Erkrankung der Frau. Die Mammographie besitzt in der Primärdiagnostik von Veränderungen der weiblichen Brust absoluten Vorrang vor allen anderen Methoden. Je früher Tumore diagnostiziert werden, desto größer sind die Überlebenschancen. Als einzige Methode hat die Mammographie die Reduzierung der Sterblichkeitsrate bei Brustkrebs in Studien unter Beweis gestellt. Ich meine, das ist unbestritten. Die Zahl der Zweifler ist zahlenmäßig sehr klein. Die Mehrheit der Fachleute jedoch - sie werden verstärkt um die Meinung der Bundesgesundheitsministerin

hat keinen Zweifel am Sinn des MammographieScreenings.

In Deutschland gibt es zwar seit langem Krebsvorsorgeuntersuchungen für Frauen, aber die Mammographie gehört nicht zu den allgemeinen Vorsorgeleistungen, die die gesetzlichen Krankenkassen finanzieren.

(Frau Pawelski [CDU]: Das ist ganz schlimm!)

Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen eine kurative Mammographie. Die diagnostische Mammographie ist derzeit keine Kassenleistung. Dies hat dazu geführt, dass hierzulande rund 4 Millionen verdeckte Mammographien vorgenommen werden. Dabei handelt es sich um Untersuchungen ohne Vorliegen von Symptomen. Dieses Verfahren wurde bisher von den Krankenkassen toleriert und finanziert. Seit der Einführung der Budgetierung ist Schluss mit dieser „großzügigen“ Handhabung. Die Ärzte sagen ihren Patientinnen jetzt oft: Ich würde Sie ja gerne zur Mammographie schicken, aber das müssen Sie von nun an selber bezahlen. Das kostet um die 180 DM. - So sieht die Wirklichkeit in Deutschland aus, wenn Sie sich einmal mit solchen Ärzten und Frauen unterhalten!

In Deutschland finden bisher vier von fünf Frauen selber knotenartige Veränderungen durch Ertasten. Dann ist der Krebs schon 1 bis 2 cm groß und hat oft auch Metastasen gebildet. Dann ist es meist schon zu spät. In Schweden, Dänemark und Großbritannien z. B. werden sieben von zehn Knoten entdeckt, bevor sie ertastet werden können. Dort gehört die Mammographie nämlich zum Standardprogramm der Krebsfrüherkennung.

Die CDU-Landtagsfraktion fordert mit ihrem Antrag, dass die Frauen ab dem 40. Lebensjahr endlich einen Anspruch auf die Übernahme der Kosten für eine Mammographie als Regelleistung der gesetzlichen Krankenkassen bekommen sollen.

(Zustimmung von Frau Pawelski [CDU])

Uns reicht die Hinhaltetaktik des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, der bereits in der Zeit von 1989 bis 1993 Modellprojekte in Deutschland hat durchführen lassen, sie dann evaluiert hat und 1996 zu dem Ergebnis gekommen ist, abermals drei neue Modellprojekte in Deutschland in Gang zu setzen. Deren Laufzeit beträgt etwa drei Jahre. Wenn wir die Evaluierung

und Entscheidungsfindung noch dazurechnen, ist mit einer Entscheidung vor 2005 überhaupt nicht zu rechnen. Dies ist uns zu lange.

(Frau Pothmer [GRÜNE]: Deswegen werden wir auch gegen den Antrag stimmen!)

Ich meine, dass die abermalige Durchführung von Modellprojekten, wie sie jetzt vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen angeleiert worden sind - sie haben ja erst in diesem Jahr angefangen -, auch zur Folge hat - das müssen wir dabei auch bedenken -, dass wir in Deutschland bis heute noch nicht einmal die EU-Standards für die Qualitätskriterien einhalten. Das prangert sogar unser ehemaliger Kollege und GrünenStaatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, Pico Jordan, in einem Zeitungsartikel an. Er spricht in diesem Zusammenhang sogar von Deutschland als einem Entwicklungsland.

(Frau Pawelski [CDU]: Ein kluger Mann!)

Hier ist Handlungsbedarf angesagt. Zur Sicherung der Bildqualität und der Beurteilungsqualität der Mammographie muss ein Qualitätssicherungsprogramm eingeführt werden. Ergebnisse der deutschen Mammographie-Studie und die Daten des European Network of Reference Centers belegen, dass zurzeit die Qualität sowohl der Aufnahmen als auch der Beurteilung nicht ausreicht. Wir fordern deshalb eine Verbesserung der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität durch das Einrichten zertifizierter Qualitätszirkel und das Auswerten statistischer Erhebungen.

Der Krebskongress, der im März in Berlin mit einer Fülle von Fachleuten stattgefunden hat, hat besonders gefordert, dass die Mammographie eine Regelleistung der gesetzlichen Krankenkassen werden soll. Es wurde auch von den Verbänden ein Zehn-Punkte-Programm vorgeschlagen. Aber das Wichtige ist, meine ich, dass unser Antrag in der Anhörung im Sozialausschuss von der Ärztekammer Niedersachsen uneingeschränkt befürwortet worden ist.

(Frau Groneberg [SPD]: Dann fragen Sie mal den Ärztinnen-Tag!)

Die CDU-Fraktion will mit ihrem Antrag die Öffentlichkeit unterrichten und aufrütteln und eine Bewegung in Gang setzen, die den Bundesaus

schuss der Ärzte und Krankenkassen endlich zum Handeln zwingt.

(Zustimmung von Frau Pawelski [CDU])

Wir sind es leid, hingehalten zu werden - und zwar seit etwa 15 Jahren - und irgendwann vielleicht - aber auch nur vielleicht - ein positives Votum der Krankenkassen zur Einführung der Mammographie als Regelleistung der gesetzlichen Krankenkassen zu bekommen. Unsere Geduld ist am Ende. Die Gesundheit der Frauen muss Vorrang haben vor Finanzierungsbedenken der Kassen.

(Zustimmung von Frau Pawelski [CDU])

Zu bedenken ist auch, dass der entdeckte Krebs ebenfalls behandelt werden muss - sei es durch ärztliche Behandlungen wie Operationen, Amputationen oder Nachbehandlungen, ganz abgesehen von der psychischen Belastung der Frauen und ihrer Angehörigen.

Bei keiner anderen Krebsart ist die Effektivität einer Früherkennungsmaßnahme so eindeutig nachgewiesen wie bei Mammakarzinomen durch den regelmäßigen Einsatz der Mammographie. Jeder Frau sollte die Mammographie als GKVLeistung möglich sein.

(Zustimmung von Frau Pawelski [CDU])

Die Krankenkassen müssen die Mammographie als Regelleistung in ihren Katalog mit aufnehmen. Wir fordern die Landesregierung in unserem Ursprungsantrag auf, hierzu die notwendigen Schritte einzuleiten. Wir können deswegen der Beschlussempfehlung, die jetzt zur Verabschiedung ansteht, nicht zustimmen. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Frau Kollegin Pothmer, Sie sind die nächste Rednerin.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach der Rede von Frau Schliepack stelle ich fest, dass es einige Mitglieder der CDU-Fraktion gibt, die Anhörungen und Beratungen, die im Ausschuss durchgeführt werden, ernst nehmen und auch die

Bereitschaft haben, eindeutige Ergebnisse zur Kenntnis zu nehmen und in ihren Meinungsbildungsprozess einzubeziehen.

Frau Schliepack, ich bin wirklich irritiert über Ihren Redebeitrag, den Sie hier gehalten haben, weil Sie hier die Eindeutigkeit der Sinnhaftigkeit von Mammographie-Screenings noch einmal hervorgehoben haben. Der Ausschuss hat diesen Antrag wirklich ausführlich beraten. Es haben Anhörungen stattgefunden. Das Bild der Anhörung ist hoch differenziert und gibt genau die Umstrittenheit, die es in der Fachöffentlichkeit in Bezug auf Mammographie-Screenings und Reihenuntersuchungen gibt, auch wieder.

Ich möchte noch etwas anderes zu diesem Antrag sagen. Ich halte es für ein großes Problem, dass wir einen solchen Antrag hier im Parlament und auch in den Ausschüssen beraten, weil ich es für einen Fehler halte, dass wir uns als Parlament anmaßen, entscheiden zu wollen, welche Therapiemethoden zukünftig Regelleistungen der Krankenkassen werden sollen und welche nicht. Ich habe durchaus Verständnis dafür, meine Damen und Herren, dass ein Gremium wie der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen kritisiert wird. Ich kann mich in vielen Punkten der Kritik anschließen. Ich meine auch, dass man berechtigt die Frage stellen kann, ob ein Gremium, das zu 100 % mit Männern besetzt ist, in seinen Entscheidungen vielleicht eine gewisse Geschlechtsblindheit erkennen lässt und die Interessen und Belange von Frauen im Gesundheitsbereich nur unzureichend berücksichtigt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Für diese Kritik hätten Sie mich sofort an Ihrer Seite. Dann, wenn man die Entscheidungen des Bundesausschusses kritisiert, muss man aber auch den Bundesausschuss zum Mittelpunkt der Kritik machen und den Veränderungsbedarf in den Antrag aufnehmen.

Eine Forderung nach Quotierung des Bundesausschusses hätte meine Unterstützung gefunden und hätte sicherlich auch in meiner Fraktion breite Unterstützung gefunden; aber das ist nicht Gegenstand Ihres Antrags.

Wir alle tun uns keinen Gefallen, wenn wir die Struktur beibehalten, Einzelentscheidungen aber in Parlamente ziehen – damit machen wir einen ganz großen Fehler -, und das auch noch zu einem Komplex, der, wie ich schon sagte, hoch umstritten ist. Ich habe gedacht, dass es nach der Beratung,

die wir im Ausschuss hatten, und nach den Rückmeldungen, die wir gerade auch im Rahmen der Anhörung erhalten haben, nicht nötig sein würde, hier noch einmal zu zitieren, was von der Leitenden Ärztin Dr. Cornelia Baines gesagt worden ist. Sie ist Professorin für Öffentliches Gesundheitswesen an der Universität Toronto und Leiterin des weltweit größten derzeit laufenden ScreeningProjekts in Kanada, das nämlich seit 20 Jahren läuft. Die Ergebnisse dieses MammographieScreenings sind hoch ernüchternd, meine Damen und Herren. Ich zitiere das noch einmal ganz kurz:

„Screening ist gut, wenn man Statistik betreiben will, es verhindert jedoch weder Brustkrebserkrankungen, noch senkt es die Sterblichkeit an Brustkrebs. Frauen, die so etwas erwarten und deshalb an den Programmen teilnehmen, können nur enttäuscht werden.“

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

„Wenn Geld für Gesundheitsprogramme vorhanden ist, sollte es tunlichst für etwas ausgegeben werden, das einen größeren Nutzen erwarten lässt als ausgerechnet Mammographie-Screeningprogramme.“

(Frau Groneberg [SPD]: Jawohl!)

Wie Sie nach einer solchen Einschätzung weiterhin eine derartige Position beziehen können, das ist wirklich ein Beispiel von Unbelehrbarkeit erster Güte.

(Frau Groneberg [SPD]: Beratungsre- sistent! – Glocke der Präsidentin)

- Lassen Sie mich noch einen zweiten wichtigen Punkt sagen. – Hochgradig problematisch finde ich, dass die Fraktion, die landauf, landab sagt, sie wolle im Gesundheitssystem ein System von Wahl- und Pflichtleistungen einführen, sie wolle die Regelleistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung reduzieren – das ist es doch im Ergebnis -, einen Antrag stellt, der genau die Ausweitung von Regelleistungen fordert.

(Glocke der Präsidentin)

Das ist Gesundheitspolitik à la CDU, die ich kritisiere.

Noch ein letztes Wort zur SPD.