Protocol of the Session on November 15, 2000

Noch ein letztes Wort zur SPD.

Frau Kollegin Pothmer, ich habe Ihnen viele Hinweise gegeben. Ich bitte Sie, jetzt zum Schluss zu kommen.

Ich komme wirklich zum Schluss, Frau Präsidentin. Vielen Dank.

Ich war mit den Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion völlig einig darüber, dass es falsch ist, einen solchen Antrag vom Ausschuss und vom Parlament verabschieden zu lassen, dass es richtig gewesen wäre, den Antrag aus diesen Gründen abzulehnen. Dem, was Sie jetzt vorgelegt haben, kann aus unserer Sicht überhaupt nicht zugestimmt werden, weil der Antrag nicht einen einzigen Punkt enthält, - -

Schönen Dank, Frau Kollegin Pothmer. Sie haben wirklich überzogen.

- - - der die Kompetenz der Landesregierung oder die Kompetenz des Parlaments betrifft. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Kollegin Groneberg, Sie sind die nächste Rednerin.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich noch einmal ausdrücklich feststellen, dass wir uns hier tatsächlich mit einer Forderung beschäftigen, die wir zwar beraten können, über die wir aber in keinem Fall entscheiden können; das ist richtig, Frau Pothmer. Schlicht und einfach fällt es nicht in unsere Zuständigkeit. Aber zu sagen „Mit dem Antrag beschäftigen wir uns nicht“ halte ich angesichts der Tatsache, dass das so viele Frauen betrifft, für nicht gerechtfertigt und nicht angemessen. Wir haben uns mit dem Thema im Ausschuss ausführlich auseinander gesetzt. Das war gut so, und das war auch richtig so. Das hat – das muss ich auch für meine eigene Fraktion sagen – Erkenntnisse gebracht. Es war

wichtig, um das Informationsdefizit, das viele in dem Punkt hatten, zu decken.

Gerade deshalb, weil wir uns mit dem Thema so fachlich differenziert beschäftigt haben, ist mir die Haltung der CDU-Kolleginnen und –Kollegen völlig unverständlich. Die Mitglieder Ihrer Fraktion im Sozialausschuss, meine Damen und Herren, sind doch wohl als Fachleute zu bezeichnen; zumindest in einem Fall ist das so. Oder stellen Sie jetzt die fachliche Kompetenz von Herrn Dr. Winn infrage? – Das könnte unter Umständen Ihren Meinungsumschwung erklären. Über Ihre jetzige Haltung, Frau Schliepack, bin ich absolut enttäuscht. Ich habe den Eindruck, dass Sie wirklich beratungsresistent sind.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Im Interesse der Frauen hätte ich mir eine sachlich fundierte Haltung gerade auch zu diesem Thema gewünscht. Ich habe also den Eindruck, dass Sie die Aussagen der von uns befragten Fachleute bzw. die vorgelegten Unterlagen, die wirklich eine breite Palette von Meinungen abdecken, schlicht und einfach ignorieren.

Aber halten wir uns doch einmal an die Fakten. – Es ist richtig, dass das Mammakarzinom eine steigende Inzidenz aufweist und inzwischen als häufigster Tumor bei Frauen jährlich zu etwa 39.000 bis 45.000 Neuerkrankungen, leider auch zu ca. 18.000 Todesopfern führt.

(Unruhe)

Bisher ging man davon aus, dass mit einer qualitätsgestützten Mammographie ein großer Teil der Tumore - -

Frau Kollegin Groneberg, ich muss Sie einen Augenblick unterbrechen. - Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um etwas mehr Aufmerksamkeit. Es ist einfach zu laut. Wir warten so lange, bis etwas mehr Ruhe eingekehrt ist.

Ja, gern.

Bitte schön, Frau Groneberg!

(Frau Pawelski [CDU]: Das gilt auch für Herrn Plaue!)

- Das gilt grundsätzlich für jeden in diesem Plenarsaal. Das gilt auch für Frau Kollegin Rühl und Herrn Kollegen Hogrefe. Es gilt für jeden in diesem Plenarsaal. - Bitte schön!

Es wäre tatsächlich schön, wenn es etwas mehr Aufmerksamkeit gäbe. Das Thema ist enorm wichtig.

Bisher – bisher! - ging man davon aus, dass mit einer qualitätsgestützten Mammographie ein großer Teil der Tumore in einem so frühen Stadium entdeckt werden könnte, dass in rund 90 % aller Fälle eine Heilung erreicht werden könnte. Diese hohe Heilungsrate kann aber nur erzielt werden, wenn Frauen eines bestimmten Alters regelmäßig und in gleich bleibenden Abständen untersucht werden. Da fängt es aber schon an. Der ideale Abstand zwischen den Untersuchungen ist strittig. Ebenfalls recht strittig ist die Beschränkung gerade auf die von Ihnen, Frau Schliepack, geforderten Alterklassen.

Zurzeit gelten in Deutschland keine allgemein akzeptierten Regeln für den Einsatz eines Mammographie-Screenings.

(Unruhe)

Wir haben kein ausreichendes Qualitätssicherungsprogramm zur Sicherung der Bildqualität und zur Beurteilungsqualität; das haben Sie, Frau Schliepack, selbst gerade erwähnt. Die Ergebnisse der Institute besagen, dass zurzeit die Qualität sowohl der Aufnahmen als auch der Beurteilung nicht ausreichend ist. Wir haben bisher keine ausreichenden Regelungen zur Erstellung eines zweiten Befundes durch einen weiteren Arzt. Schon gar nicht vernünftig geregelt haben wir die psychosoziale Betreuung von Frauen bei einem positiven Befund. Für uns resultiert daraus, dass die Einführung des Screenings nur vertretbar wäre, wenn entsprechende ausreichende qualitätssichernde Maßnahmen getroffen werden können.

Das Screening allein reicht nicht aus. Ergänzende Untersuchungen wie Ultraschall und Abtasten müssen die Mammographie ergänzen. Das geht bis hin zur Folgediagnostik. Therapie und Nachsorge müssen das Qualitätsmanagement vervollständigen. Vergessen wir eines nicht: Jede Falschdiagno

se, meine Damen und Herren, bedeutet für die betroffene Frau eine unendliche Belastung. Sie kann und darf mit dieser Situation nicht allein gelassen werden.

Zugegebenermaßen ist die Diskussion zum Mammographie-Screening erst in letzter Zeit so intensiv geführt worden; vielleicht daher das bei den Kollegen und Kolleginnen der CDU-Fraktion entstandene Defizit. Dabei hat sich vor allem herauskristallisiert, dass das Screening an sich auch nicht ohne Risiken ist. Ich empfehle Ihnen dazu ausdrücklich den Bericht vom dritten Niedersächsischen Ärztinnentag; Frau Pothmer hat daraus ja schon zitiert. Ich fand ihn äußerst beeindruckend.

Nach Aussagen der Fachwelt steht demnach die hohe Zahl falsch positiver, aber auch falsch negativer Befunde bei der Mammographie in keinem Verhältnis zu dem nachgewiesenen Nutzen. Gesicherte Erkenntnisse zum Einsatz des Screenings erhofft man sich durch die jetzt beginnenden Modellversuche. Dabei wird vor allem strikt auf die Qualität der Mammographie geachtet werden. Wir haben in Niedersachsen als Modellregion die Region Weser-Ems.

Frau Schliepack, die Zeit, um zu gesicherten Erkenntnissen zu kommen, muss, finde ich, auch im Interesse der Frauen eingeräumt werden. Die Hinhaltetaktik, die Sie beim Bundesausschuss kritisiert haben, kann ich in der Form nicht feststellen. Mir als Frau ist es doch dreimal lieber, dass noch zweimal Untersuchungen durchgeführt werden, als wenn ich Risiken tragen muss, die ich gar nicht einschätzen kann, über die sich auch die Fachwelt von vorne bis hinten streitet.

Die von Ihnen ins Feld geführte Forderung von Fachleuten nach Einführung des MammographieScreenings enthält eigentlich auch immer die Forderung nach Qualitätssicherung. Die ist zurzeit in dem geforderten Umfang eben noch nicht gegeben.

(Zuruf von Frau Zachow [CDU])

Erst wenn eine gesicherte und erprobte Struktur für die Durchführung des Screenings vorliegt, Frau Zachow, ist für uns Frauen auch Sicherheit gegeben. Erst wenn die beschriebene Qualitätsstruktur vorliegt, können wir zufrieden sein. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Mammographie als Teil der Früherkennung im Einzelfall für uns Frauen zur Verfügung stehen.

Einig bin ich mit Ihnen sicherlich darin – Frau Pothmer hat das auch deutlich gemacht -, dass die heutige Zusammensetzung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen - ausschließlich Männer - unbefriedigend ist. Dies ist – das ist Ihnen ja bekannt – aber ein generelles Problem der Vertretung von Frauen in Führungsgremien und Strukturen. Der Bundesausschuss mag auf einem Auge geschlechtsblind sein, aber zu schließen, dass aufgrund der rein männlichen Zusammensetzung des Ausschusses notwendige medizinische Maßnahmen für Frauen nicht früh genug als Regelleistung der Krankenkassen beschlossen werden, halte ich für sachlich nicht gerechtfertigt.

(Frau Pawelski [CDU]: Ich kann das alles überhaupt nicht verstehen!)

Gerade das Beispiel der Mammographie zeigt doch - Frau Pawelski, Sie hätten sich die Unterlagen wirklich einmal zu Gemüte führen sollen -, wie strittig in der Welt der Medizin dazu Stellung genommen wird. Wir hier im Parlament sind doch nicht die medizinischen Fachleute. Ich wundere mich, dass Sie sich anmaßen, definitiv eine Entscheidung darüber treffen zu können, was für uns das Beste ist und was nicht.

(Zurufe von der CDU)

Ich bin keine Medizinerin, aber Ihr Mediziner im Ausschuss war durchaus unserer Meinung.

Sicherlich bin ich als Frau bei diesem Thema besonders sensibel, ja betroffen.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Betroffen bin ich auch deshalb, weil ich es für fatal halte, unter dem Label „Wir müssen etwas für die Frauen tun“ eine fachliche Diskussion außen vor zu lassen. Das kann doch wohl nicht wahr sein! Wir haben ein Recht darauf, alle Risiken wirklich eingehend abgewogen zu bekommen. Eine andere Vorgehensweise halte ich für eine falsch verstandene Politik für Frauen,

(Zurufe von der CDU)

für einen falschen, schädlichen und überaus bedenklichen Lobbyismus.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU)

- Frau Schliepack, macht es Sie eigentlich nicht nachdenklich, wenn gerade auch die Fachfrauen im

Gesundheitsbereich diejenigen sind, die die größten Bedenken gegen die Einführung des mammographischen Screenings zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben?

(Glocke der Präsidentin)

Frau Pothmer hat schon auf die vorliegende Stellungnahme von Frau Friederike Perl verwiesen, die im übrigen Fachärztin und Vorsitzende des badenwürttembergischen Ärztinnenbundes ist. Des Weiteren hat Frau Pothmer - das tue ich selbst gern noch einmal - auf die Diskussion verwiesen, die beim Niedersächsischen Ärztinnentag geführt wurde und die jetzt gerade im „Ärzteblatt“ veröffentlicht worden ist. Außerdem kann man hier auf die Bedenken der Deutschen Krebshilfe, deren Mitglieder in diesem Fall sicherlich als Fachleute zu gelten haben, und der 13 Initiativen zum Brustkrebs verweisen. Diese Bedenken kann man doch nicht einfach vom Tisch wischen. Die sind doch da. Der Forderungskatalog, der hierzu erstellt worden ist, wird in die Modellversuche einbezogen und umgesetzt werden.

Ich ziehe aus der Debatte das Fazit, dass grundsätzlich ein großes Informationsdefizit besteht. Sicherlich wäre es sinnvoll, die Informations- und Diskussionsebene in der Bevölkerung zu verbreitern. Frau Pothmer, in dem Sinne halte ich es auch für richtig, dass wir uns damit beschäftigt haben, und halte auch unseren Antrag für durchaus gerechtfertigt.

(Lebhafter Beifall bei der SPD - Zuru- fe von der CDU)