Protocol of the Session on November 15, 2000

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, es kann nicht sein, dass Eingaben in deutscher Sprache eingereicht werden und auf Englisch oder Französisch geantwortet wird. Wir erwarten schon, dass dann offiziell in deutscher Amtssprache geantwortet wird. Ansonsten wird sich die Distanz der Bürger zu Europa vergrößern.

Meine Damen und Herren, die Tagesordnung und auch die Ziele der Regierungskonferenz 2000 sind längst festgelegt. Dies haben wir schon bei der Einbringung genau erläutert. Die Ziele sind, eine handlungs- und leistungsfähige Kommission auch

bei der Erweiterung um die MOE-Staaten zu strukturieren. Wir wollen auch die Zusammensetzung des Ministerrates so gestalten, dass Größe und Einwohnerzahl der Mitgliedstaaten angemessen berücksichtigt werden. Wir wollen darüber hinaus, dass die Beschlussfassungsverfahren - das ist in den Beiträgen der Redner vor mir auch zum Ausdruck gekommen - übersichtlich, effektiv und konsensorientiert neu geregelt werden.

Wir haben die Vorschläge formuliert und artikuliert. Dennoch frage ich: Ist nicht auch die Kompetenzabgrenzung viel mehr in den Vordergrund zu stellen? Müssen wir nicht eine stärkere, klarere und subsidiäre Aufgabenabgrenzung vornehmen?

Kommissionspräsident Prodi hat für 2001 ein Weißbuch „Neue Entscheidungsstrukturen in Europa“ angekündigt. Darin sollen die Zuständigkeiten der einzelnen Ebenen behandelt werden.

Meine Damen und Herren, wir brauchen eine klare Abgrenzung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten mit ihren Ländern, Regionen und Kommunen entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip. Die Angelegenheiten der Kommunen müssen auch von den Kommunen entschieden werden. Die Angelegenheiten der Länder müssen in den Parlamenten der Länder entschieden werden.

(Beifall bei der CDU)

Die Angelegenheiten der Mitgliedstaaten müssen in den Mitgliedstaaten entschieden werden und die Aufgaben der Europäischen Union selbstverständlich in der Europäischen Union.

Es kann und darf nicht sein, dass Brüssel sozusagen durch die Hintertür in die kommunalen Angelegenheiten eingreift. Es kann nicht sein, dass z. B. der Bau einer Umgehungsstraße oder auch die Pflege eines Naturschutzgebietes durch die Ausweisung von FFH-Gebieten nicht mehr durch die Kommune erfolgen kann oder dass Städtebauförderungen blockiert werden.

Meine Damen und Herren, diese Einmischung von Europa wollen wir nicht. Von daher brauchen wir klare Zuständigkeitsstrukturen.

Wir müssen Formeln für ein bürgernahes Europa entwickeln und uns auch daran orientieren: Darf die Europäische Union tätig werden? Wenn ja, soll sie überhaupt tätig werden bzw. in welchem Umfang und auf welche Weise? - Daher wollen wir als Länderparlament auch mit entscheiden, wenn

Kompetenzen von unten nach oben bzw. von oben nach unten verlagert werden. So haben wir es auch aufgrund eines Änderungsantrages in die Beschlussempfehlung mit aufgenommen. Ich finde das gut und bin dankbar dafür, dass Sie es mit aufgenommen haben.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, die CDU/CSUBundestagsfraktion hat immer wieder darauf gedrängt, die Kompetenzabgrenzung mit auf die Tagesordnung der Regierungskonferenz zu nehmen. Die rot-grüne Bundesregierung hat - das will ich auch einmal kritisch anmerken - dieses Thema über Monate verschleppt und als Begründung angegeben, der Erweiterungsfahrplan wäre dadurch möglicherweise gefährdet.

Ich kann nun mit Genugtuung feststellen, dass gerade auf Betreiben Frankreichs dieser Punkt offizieller Verhandlungsgegenstand geworden ist. Der französische Staatspräsident hat dies in seiner Berliner Rede Mitte des Jahres auch dokumentiert. Er will sich auch persönlich für die Kompetenzabgrenzung einsetzen.

Meine Damen und Herren, wenn ich auf die Uhr schaue, muss ich feststellen, dass ich all die anderen Punkte, die erwähnenswert sind und zum Teil bereits von meinen Vorrednern angesprochen worden sind, nicht mehr ansprechen kann. Auf das Beschlussfassungsverfahren und die Zusammensetzung der Kommission will ich aus Zeitgründen verzichten.

Mit der gemeinsamen Position, die wir gleich beschließen wollen, verbinden wir die Hoffnung, dass sie in das Ergebnispapier der Regierungskonferenz aufgenommen wird und dass mit diesem Ansatz, den ich vorgetragen habe, die Akzeptanz für Europa durch die Bürgerinnen und Bürger in Europa, in Deutschland und damit auch in Niedersachsen erhöht wird. Wenn nicht, werden wir uns sicherlich in den nächsten Wochen und Monaten weiterhin damit beschäftigen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD)

Der Kollege Wenzel spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wo wird der Eurokurs in fünf Jahren wohl stehen? - Bei 0,70 Dollar, bei 1 Dollar oder bei 1,20 Dollar? Welche Maßnahmen werden den Eurokurs am Ende stützen? Die vierte oder die sechste Intervention, das Vertrauen in den Zentralbankrat oder die Abrechnung der irakischen Ölrechnung in Euro?

Ich meine, nichts von alledem wird letztlich den Ausschlag geben. Entscheidend, so meine These, wird die Fähigkeit der Europäer sein, das Projekt der europäischen Einigung zum Erfolg zu treiben.

Die Bewältigung der Tagesordnung von Nizza ist dabei nur ein kleiner Schritt auf dem Weg zum Erfolg - ein kleiner, aber unverzichtbarer Schritt, der keinen Aufschub mehr duldet, wenn die Erweiterung der Europäischen Union gelingen soll.

Der große Schritt muss viel weiter gehen. Erforderlich ist eine konstitutionelle Weiterentwicklung Europas, die auf einer europäischen Verfassung basiert. Ich meine, nur so wird die Legitimationskrise europäischer Politik mittelfristig überwunden werden können.

Kern einer europäischen Verfassung muss die Verankerung der Grund-, Menschen- und Bürgerrechte sein. - Uns liegt heute noch eine Beschlussempfehlung zur EU-Grundrechtecharta vor, die unter dem Vorsitz von Roman Herzog ausgearbeitet wurde. - Dazu gehört eine echte Gewaltenteilung mit einer demokratisch legitimierten und handlungsfähigen Exekutive und Legislative und einer präzisen Abgrenzung der Kompetenzen von Union, Nationalstaat, Ländern, Regionen und Kommunen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Antrag fordert eine europäische Verfassung. In den Beratungen im Europaausschuss ist es erfreulicherweise gelungen, in dieser Frage zu einer einvernehmlichen Linie zu kommen und unseren Änderungsantrag zusammen mit dem Änderungsantrag der CDU-Fraktion einzuarbeiten. Der Antrag der SPD-Fraktion, der sich im Wesentlichen mit der Regierungskonferenz in Nizza beschäftigt hat, ist um einen längeren Passus aus unserem Änderungsantrag erweitert worden, der weit in die Zukunft reicht.

Den entscheidenden Anstoß für die neu aufgeflammte Debatte über eine europäische Verfassung

hat die so genannte private Rede unseres Außenministers gegeben. Ich bin froh, dass wir einer der ersten Landtage sind, die in dieser Frage Pflöcke einschlagen und das Ziel einer Vision der Europäischen Union in der Form eines Beschlusses definieren.

Die Herausforderungen für Europa sind gewaltig: für die Gestaltung und Regulierung einer globalisierten Wirtschaft, für die Sicherung des Friedens und der Durchsetzung der Menschenrechte, für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Abwendung globaler Klimaveränderungen.

Wenn Europa nicht schnell zu einer konsistenten Finanz- und Steuerpolitik kommt, wird der Euro ein Spielball der Märkte bleiben. Nur eine Europäische Union, die im Rahmen der ihr zugewiesenen Kompetenzen handlungsfähig ist, kann hier bestehen, und sie muss bestehen, denn letztlich hat diese Frage sehr großen Einfluss auf die Lebens-, Umwelt- und Arbeitsbedingungen in Europa.

(Zuruf von der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das wird nur mit Mehrheitsentscheidungen gehen - im Europäischen Rat, solange es diese Instanz noch gibt, aber selbstverständlich auch in einer künftigen europäischen Regierung und im Europäischen Parlament. Dann wird es um mehr gehen als um die Handwerksordnung, die sich die Ministerpräsidentenkonferenz und der Bundesrat bisher noch für das Einstimmigkeitsprinzip vorbehalten haben.

(Glocke der Präsidentin)

- Ich komme gleich zum Schluss.

Mehr noch als in der Vergangenheit wird es auch darauf ankommen, die Subsidiarität wirklich greifbar zu machen. Alles das, was unten gemacht werden kann - wobei unten immer so weit unten wie möglich ist -, muss unten auch getan werden. Dieser Grundsatz muss bitter ernst genommen werden, wenn das europäische Projekt zum Erfolg geführt werden soll. Hierbei ist in der Vergangenheit oft gesündigt worden.

Auch hierzu haben wir einen neuen Satz in die Beschlussempfehlung aufgenommen, der deutlich macht, wo die verfassungsrechtlichen Grundlagen und Kompetenzen der Bundesländer gesichert werden müssen.

(Glocke der Präsidentin)

- Ich bin sofort am Schluss angelangt. - Die Regierungskonferenz von Nizza soll die inneren Reformen voranbringen, die notwendig sind, und sie muss die Überbleibsel von Amsterdam bewältigen. Aber sie muss darüber hinaus auch Zeit finden, über diese Vision zu diskutieren. Ich hoffe, dass wir in Zukunft etwas auf dem Tisch liegen haben werden, das weit über die so genannten Überbleibsel von Amsterdam hinausgeht. - Vielen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Der fraktionslose Kollege Schwarzenholz erhält für seine Stellungnahme eine Redezeit von zwei Minuten.

(Möhrmann [SPD]: Das wollen wir doch gar nicht hören!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben in Niedersachsen, wenn ich mir diese EUEntschließung anschaue, ein bisschen ein Problem mit dem Thema Süderweiterung. Ich habe nicht viel Redezeit; deshalb werde ich mich im Wesentlichen darauf beschränken.

Ist es eigentlich heute noch möglich, ein solches Dokument zu erstellen, ohne auf die Beitrittspartnerschaft der Türkei einzugehen, das Wort Türkei überhaupt nicht zu erwähnen und überhaupt nicht zu sehen, welch große Aufgabe in diesem komplexen Zusammenhang mit der jetzt frisch beschlossenen Beitrittspartnerschaft existiert, sowie welche Bedeutung das für die Stabilisierung des Friedens in Europa und auch für die Stabilisierung in der Frage der Entwicklung in Deutschland hat, wenn man bedenkt, dass der größte Bevölkerungsanteil an ausländischen Mitbürgern aus der Türkei kommt?

Ich muss schon sagen: Das wundert mich sehr, auch und vor allen Dingen dann, wenn hier über Sprachen philosophiert wird. Es ist z. B. so, dass bei den Ergebnissen der Bewertung der Beitrittskandidaten deutlich geworden ist, dass das kleine Beitrittskandidatenland Zypern wirtschaftspolitisch und von allen anderen Vertragselementen her am besten abschneidet und eigentlich als erstes aufgenommen werden könnte. Wissen Sie eigentlich, dass dann, wenn Zypern aufgenommen wird, Türkisch Amtssprache in der EU wird, weil das nämlich Amtssprache in Zypern ist?

(Eveslage [CDU]: Ja und?)

Das ist eine ganz spannende Frage. Sie gehen auf diese Fragen der Süderweiterung nicht ein.

(Eveslage [CDU]: Amtssprache ist auch Englisch, aber trotzdem sind die USA nicht Mitglied!)

Sie, Herr Minister, erwähnen zwar den Balkan und die Balkankonflikte, aber darauf, dass sich das Land in dieser Frage positionieren muss, wird nicht eingegangen.

(Eveslage [CDU]: Brasilien ist auch nicht Mitglied, obwohl Portugiesisch eine Amtssprache ist!)

Dass Sie, Teile der CDU, die Türkei diskriminieren, ist mir bewusst, und das ist nicht nur hier im Land, sondern auch im Bund so. Ich bedauere aber, dass so etwas von SPD und Grünen nicht beachtet wird.

Bei einem weiteren Punkt wird mir richtiggehend komisch. In dieser Beschlussempfehlung ist anders, als ich es im Ursprungsantrag gelesen habe - formuliert, dass nach Auffassung des Landtages eine Neuordnung der Stimmengewichtung im Rat unverzichtbar sei, und zwar mit der Begründung, dass durch die Aufnahme der neuen Mitgliedsländer das Gewicht der Stimme Deutschlands proportional sinken würde. „Unverzichtbar“, liebe Kolleginnen und Kollegen, was bedeutet das? - Das bedeutet, dass Sie wollen, dass Deutschland ein überproportional großes Stimmrecht im Vergleich zu den anderen Mitgliedstaaten bekommt,