Protocol of the Session on November 15, 2000

Jedes Mal, wenn man versucht, örtlich solche Plätze einzurichten, entstehen Bürgerinitiativen, und dann fangen auch Sie örtlich an - nicht Sie persönlich -, dieses mit zu unterstützen. Daran können Sie erkennen, dass das ein sehr sensibles Thema ist und dass die Menschen einerseits Angst vor solchen Jugendlichen haben, dass sie sie nicht in ihrer Nähe wohnen haben möchten, und andererseits verlangen, dass wir uns um sie kümmern. Dieses lässt sich nicht leicht unter einen Hut bringen.

Der Bezirksregierung Hannover, dem Niedersächsischen Landesjugendamt, liegt inzwischen die Leistungsbeschreibung eines Trägers vor,

(McAllister [CDU]: Immerhin!)

der zwei Plätze im Rahmen des Interventionsprogramms schaffen will. Mehr will er nicht. Wir können niemanden zwingen. Das habe ich Ihnen schon ein paar Mal dargestellt. Eine Entgeltvereinbarung mit dem zuständigen Jugendamt - ich sage jetzt ausdrücklich nicht wo, damit wir nicht gleich die nächste Initiative bekommen; ich bitte darum, das zu entschuldigen; ich würde Ihnen das gerne persönlich sagen - ist bereits abgeschlossen.

Die notwendigen Umbaumaßnahmen sollen noch in diesem Jahr durchgeführt werden, sodass nach dem jetzigen Stand davon auszugehen ist, dass die Plätze im Januar oder Februar zur Verfügung stehen. Zu den Umbaukosten wird eine mit dem Träger einvernehmlich festgelegte Zuwendung gewährt. Die Genehmigung zum vorzeitigen Maßnahmebeginn habe ich am 25. September erteilt.

Es geht dabei, wie gesagt, um zwei Plätze. Wir haben bis jetzt aber zum Glück keinen Fall gehabt. Dann haben wir aber wenigstens erst einmal zwei Plätze.

(McAllister [CDU]: Sie haben die Kinder doch nach Süddeutschland ge- bracht!)

- Das ist doch Unsinn. Doch nicht solche Kinder, die geschlossen untergebracht werden müssen. Wir haben Ihnen doch schon einmal dargestellt, wie viele Kinder dies im Laufe der Zeit gewesen sind.

Ein kommunaler Träger befindet sich in sehr konkreten Planungen zur Errichtung einer Gruppe mit sechs Plätzen. Auch hier stehen noch geringfügige Umbauarbeiten und das formelle Genehmigungsverfahren an, sodass diese Einrichtung vermutlich

im Frühjahr des nächsten Jahres die ersten Kinder aufnehmen kann, wenn denn solche eingewiesen werden sollten.

(Zuruf von der CDU)

- Ich hatte eben gesagt: zwei und dann noch einmal sechs Plätze. Das macht insgesamt acht Plätze.

Sie alle konnten in den letzten Jahren verfolgen, wie sensibel das Thema der geschlossenen Unterbringung in der Fachwelt, aber auch in der politischen Öffentlichkeit diskutiert wird. Ihr Argument von Mehmet in Bayern ist nun wirklich keines. Herr Mühe hat Ihnen das schon zugerufen. Dort gibt es eine geschlossene Unterbringung, und solche Fälle werden auch nicht durch die Androhung einer geschlossenen Unterbringung verhindert.

Wir müssen, wenn es konkret wird, nur dafür sorgen, dass wir eine Zeit lang intervenieren können. Darüber sind wir uns doch die ganze Zeit einig. Sie alle konnten dies, wie gesagt, in den letzten Jahren verfolgen. Sie, Frau Vockert, haben dazu auch etliche Anfragen gestellt. Ich kann mich nun aber des Eindrucks nicht erwehren, dass es für die Umsetzung des Programms letztlich günstiger gewesen wäre, wenn es hier - ich habe Ihnen das eben schon dargestellt - wegen der Sensibilität dieser Thematik nicht so viel Aufhebens gegeben hätte.

Für die Akzeptanz in der Fachwelt und somit auch in den Einrichtungen war es in jedem Fall kontraproduktiv, wie wir uns - sage ich jetzt einmal in Gemeinsamkeit - über dieses Thema streiten; denn in der Öffentlichkeit wird unser Streit natürlich wahrgenommen. Diese Kinder benötigen gerade Einrichtungen und Menschen, die den Mut aufbringen und über die nötigen Qualifikation verfügen, um sich ihrer anzunehmen. Auch bei hervorragenden Rahmenbedingungen und trotz guter beruflicher Qualifikation ist das Wagnis des Scheiterns bei der Arbeit an diesem Personenkreis sehr, sehr hoch. Wenn Sie sich vor Augen führen, wie viel Hohn, Spott und Kritik im Fall Mehmet auch gegenüber der Jugendhilfe geäußert worden ist, können Sie sich vorstellen, welche Motivation die Einrichtungsträger haben, wenn sie denn in die Gefahr kommen, dass sie, nachdem sie diese Plätze geschaffen haben, in der Öffentlichkeit auch noch kritisiert werden.

Von daher appelliere ich insbesondere an Sie von der Opposition: Hören Sie auf, diesen schwierigen

Umsetzungsprozess zu stören. - Ich betone das an dieser Stelle, Frau Vockert; denn Sie als jugendpolitische Sprecherin werden - nehme ich einmal an sicherlich auch Veröffentlichungen in der Fachpresse lesen.

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vockert?

Im Augenblick nicht. - Insbesondere in allen großen Verbänden der Jugendhilfe - außer in Bayern und jetzt auch in Niedersachsen - werden Maßnahmen der geschlossenen Unterbringung nach wie vor einmütig abgelehnt. Das müsste uns allen zu denken geben.

Wir beginnen dieses Programm in Niedersachsen nunmehr gegen alle Widerstände sozusagen in Gemeinsamkeit. Die Einrichtungen stehen in einem dauernden Kontakt mit den Bezirksregierungen und werden intensiv beraten. Der Beirat des Interventionsprogramms hat trotz seiner Bedenken gegen Teile unserer Eckpunkte in seiner letzten Sitzung Empfehlungen für den Hilfeplan verabschiedet, die in die jeweiligen Leistungsbeschreibungen integriert werden. Wir haben also alles dafür getan, dass wir nunmehr mit einigen Plätzen beginnen und auf dieser Grundlage Erfahrungen über weitere Bedarfe sammeln. Deshalb bitte ich ausdrücklich, diesen Antrag der CDU abzulehnen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Soll ich jetzt noch die Zwischenfrage von Frau Vockert annehmen?

Frau Kollegin Vockert, bitte schön!

Frau Ministerin, ich wollte nachfragen, ob Ihnen die Erfolgsquote in der geschlossenen Heimunterbringung in Gauting bekannt ist.

Ich habe sie schon einmal dargestellt. Ich habe sie jetzt aber nicht genau im Kopf. Wir können Ihnen das gern nachliefern.

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Das Wort hat jetzt Frau Kollegin Janssen-Kucz. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt einen schönen Spruch, den wir alle kennen: die Sau durchs Dorf treiben. - Das ist das, was wir hier jetzt zum wiederholten Male machen. Wieder einmal versucht die CDU, mit der geschlossenen Heimerziehung - vornehmer ausgedrückt: Interventionsprogramm - die Landesregierung vor sich herzutreiben. In Wahlkampfzeiten hat sich die Landesregierung treiben und auch dazu hinreißen lassen, diesem Interventionsprogramm in modifizierter Form zuzustimmen.

Einem Programm zuzustimmen ist einfach, dann aber kommt die Ausführung. Das hat die Ministerin im Mai-Plenum aufgezeigt. Sie hat auch gerade noch einmal deutlich gemacht, wie schwierig es ist. Bezeichnend ist doch, dass bis heute kein einziges Jugendamt und kein Hauptverwaltungsbeamter beim Landesjugendamt nachgefragt und die baldige Umsetzung eingefordert hat. Das macht nur die CDU-Fraktion.

(Frau Vockert [CDU]: Die landen in der Psychiatrie!)

Alle Fachleute, alle Profis in diesem Bereich sind sich darüber einig, dass die geschlossene Heimerziehung der falsche Weg ist, um Kinder vor sich selbst und der Gesellschaft zu schützen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte noch eines sagen: Frau Vockert, es geht um Kinder, nicht aber um Kinder und Jugendliche. Sie haben heute wieder alles durcheinander geworfen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nach dem heutigen Erkenntnisstand gibt es keine Alternative zu möglichst intensiven Formen der Einzelbegleitung und -betreuung. Anstatt - wie ich es schon gesagt habe - die Sau durchs Dorf oder durchs Parlament zu jagen, sollten wir uns doch gemeinsam Gedanken darüber machen, wie wir die Arbeit der Jugendhilfe unterstützen können, wie wir Akzeptanz auch für unpopuläre Maßnahmen der Jugendhilfe schaffen und wie wir dafür auch die entsprechenden finanziellen Mittel zur Verfügung stellen können, um so als Anwalt derjenigen

Kinder arbeiten zu können, die keine gesellschaftliche Lobby haben.

Die Definition und Ausgrenzung eines so genannten harten Kerns von nicht Erreichbaren ist ein immer wieder aufzufindendes Merkmal aller Hilfssysteme. Diese Personen sind Symptomträger. Sie sind in der Psychiatrie, in der Nichtsesshaftenhilfe, in der Straffälligenhilfe usw. zu finden. Es gibt bestimmte strukturelle gesellschaftliche Probleme wie neue Armut, Dauerarbeitslosigkeit, zunehmende Gewaltbereitschaft, zunehmender Konsum von legalen und illegalen Drogen. Für Personen, die von diesen Problemen besonders betroffen sind, gibt es keine Patentrezepte für eine Problemlösung. Das Wegsperren ist keine Lösung. Auch Platzverweise, wie sie zurzeit in Leer vom ehemaligen innenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion und jetzigen Bürgermeister Boekhoff praktiziert werden, sind kein Lösungsweg. Das wollte ich hier nur einmal ganz kurz anmerken.

Über fast drei Jahre hat die Landesregierung versucht, mit Trägern ins Gespräch zu kommen. Doch fast alle Träger haben sich zurückgezogen. Nicht die Landesregierung war hier zögerlich, sondern die Träger, und das aus gutem Grunde, wie es hier mehrmals ausgeführt worden ist. Der CDU geht es nicht um die Kinder, nicht um Jugendliche,

(Frau Vockert [CDU]: Falsch!)

auch nicht um die Instrumente der Jugendhilfe, sondern es geht ihr darum, weiterhin geschlossene Heime zu propagieren. Auch wenn heute wieder der Versuch gemacht worden ist, persönliche Betroffenheit zu demonstrieren, so kann ich Ihnen diese Betroffenheit bei dieser Thematik nicht abnehmen. Ihr Antrag ist überflüssig und populistisch. Es gibt keine einfachen Antworten auf komplexe Probleme, Frau Vockert. Differenzierung ist für die CDU ein Fremdwort, gerade bei solch hoch sensiblen Bereichen.

Wir werden diesen Antrag genau so ablehnen wie den vorherigen Antrag zur geschlossenen Heimerziehung. Wir haben für den Haushalt 2001 einen Änderungsantrag gestellt. Was wir brauchen, sind Landesmittel, die den Trägern der Jugendhilfe unkompliziert zur Verfügung gestellt werden, damit sie individuelle Konzepte zur intensiven pädagogischen Betreuung entwickeln können, die nicht an den kommunalen Jugendhilfehaushalten scheitern, weil sie nicht ins herkömmliche Raster passen.

Ich hoffe auch, dass die neue Chefin, Frau Trauernicht, mit einem sauberen Besen kehren wird. Sie hat eine andere Position, was erkennbar wird, wenn man das Protokoll einer Anhörung in Hamburg liest. Da wird auch die SPD noch eine kleine Kehrtwende machen müssen.

Die müssen Sie jetzt zeitlich machen, Frau Kollegin, weil Ihre Redezeit schon lange abgelaufen ist.

So lange nicht.

Doch.

Was wir außerdem brauchen, ist die gesellschaftliche Akzeptanz für Menschenkinder, die anders sind und unserer Hilfe bedürfen. Dafür müssen wir gemeinsam werben. Das sollte hier unsere Aufgabe sein. - Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Mühe, Sie haben das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Argumente der Ausschusssitzung im Mai wurden heute wiederholt. Es gab nichts Neues mit Ausnahme der Tatsache, dass Frau Ministerin Jürgens-Pieper darüber berichtet hat, dass sie in den Verhandlungen ein Stück weiter gekommen sei und Ergebnisse vorweisen könne. Ich möchte mich deshalb auf vier Bemerkungen beschränken.

Erstens. Meine Damen und Herren, wir müssen erneut feststellen: Die gesamte Fachwelt - die Arbeitsgemeinschaft der Jugendämter, die Wohlfahrtsverbände, die Kirchen, die Träger der Einrichtungen, die Fachwissenschaft, die Experten der Jugendhilfe - ist sich darin einig, dass geschlossene Heimerziehung das falsche Mittel ist, um diesem Phänomen zu begegnen.

(Frau Vockert [CDU]: Und was meint Ihr Ministerpräsident dazu?)

Für die wenigen Extremfälle gibt es in der Bundesrepublik Deutschland genügend Plätze, und es gibt genügend erfolgreiche Konzepte, um diesem Phänomen zu begegnen.