Protocol of the Session on October 10, 2000

Herr Minister, in diesem Punkt zuschieben, sondern dass es auch eine Verantwortung ist, die sich aus den Umständen als solchen ergibt. Es gab nämlich einen Vorfall, zu dem es gerade vier Wochen vorher erst gekommen war, und zwar in der Justizvollzugsanstalt Hildesheim. Das ist das, was uns ganz besonders betroffen und auch wütend macht. Dieser Vorfall in Hildesheim ist fast in jeder Einzelheit mit dem Vorfall in Wilhelmshaven zu vergleichen,

(Beifall bei der CDU)

aber daraus sind keine Konsequenzen gezogen worden.

(Glocke des Präsidenten)

Auch in Hildesheim haben wir es mit einer alten Anstalt zu tun, auch in Hildesheim waren es osteuropäische Gefangene, in Hildesheim war auch der Ausbruchshergang so ähnlich wie der in Wilhelmshaven. Auch dort ist ein Loch durch die Wand gekratzt worden,

(Frau Bockmann [SPD]: Durch die Decke!)

weil es sich um eine alte Anstalt handelt.

Es sind nicht die Konsequenzen gezogen worden, die hätten gezogen werden können, wie eine verstärkte Durchführung von Haftraumüberprüfungen, Haftraumrevisionen, Prüfung, ob in alten Anstalten eventuell temporär Personalverstärkungen vorzunehmen sind, oder auch ein weiteres Mal die Erhöhung der Sensibilität der Bediensteten in alten Anstalten nach der Devise: Liebe Kolleginnen und Kollegen, passt auf, ihr habt es mit osteuropäischen Gefangenen zu tun, mit denen gibt es immer besondere Probleme, und ihr habt es mit einer alten Anstalt zu tun! - Auch das ist nicht geschehen.

(Glocke des Präsidenten)

Schlimmer noch: Statt dies anzuordnen, wird durch ungeschickte Formulierungen - von denen ich, Herr Minister, weiß, wie sie zu verstehen sind, darüber brauchen wir uns nicht zu unterhalten; aber ich muss vom Empfängerhorizont ausgehen, und die Bevölkerung missversteht dies - wie die, dass durch zu viel Sicherheit das Risiko von Ausbrüchen noch erhöht würde, zusätzlich Öl ins Feuer gegossen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Redezeit ist abgelaufen. Herr Minister, lassen Sie mich deshalb an dieser Stelle nur noch einmal Folgendes sagen: Wir haben das im Ausschuss beraten. Im Übrigen meine ich, dass wir fair miteinander umgehen.

(Lachen bei der SPD)

- Diejenigen, die jetzt lachen, wissen nicht, worum es geht.

(Zurufe von der SPD: Doch!)

Wir haben uns auch zu Hildesheim so eingelassen, wie es sich für eine Opposition gehört. Aber hier ist jetzt ein Punkt erreicht, bei dem wir einfach erwarten, dass Sie sich Ihrer Verantwortung stellen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU - Adam [SPD]: Herr Stratmann, Sie sa- gen hier etwas, was Sie eigentlich gar nicht sagen wollen! Was soll der Blödsinn?)

Jetzt hat der Abgeordnete Schröder das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie Sie wissen, geben wir uns sehr viel Mühe in der Formulierung der Überschriften von Anträgen zu Aktuellen Stunden. Wir haben Ihnen deshalb einen Vorschlag zur besseren Formulierung Ihres Antrags zu unterbreiten: „Mit dem Kopf gegen die Wand - Verunsicherung der Bevölkerung durch erneute Populismusausfälle in Niedersachsen.“

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Unruhe bei der CDU)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das erläutern.

Natürlich hat es in Wilhelmshaven offenbar Fehler und Versäumnisse gegeben, die es jetzt aufzuklären gilt. Im vergangenen Jahr ist die Mauer für 1 Million DM instandgesetzt worden, aber es fehlt offenbar an dem nötigen Kleingeld für eine Videoüberwachung oder für einen Bewegungsmelder, den man für wenig Geld in fast jedem Baumarkt kaufen kann. Zum Vergleich: In der neuen Anstalt in Oldenburg kommt eine Kamera auf zwei Gefangene. - Hieran hat es offenbar gefehlt.

Fehler gab es offenbar auch beim Haftrichter, der auf eine Trennung der Täter nicht bestanden hat. Vielleicht gab es auch Mängel in der Organisation des Dienstablaufs. Ganz sicher gab es eine Fahndungspanne der Polizei. Sie hat nämlich das Foto von drei unbeteiligten Männern veröffentlicht. Das Foto wurde in ganz Nordwestniedersachsen abgedruckt. Nur waren es, wie gesagt, nicht die Herren Ausbrecher, sondern drei Leute, die zufällig an einem Kiosk in Sandkrug standen.

Es gibt also in der Tat Aufklärungsbedarf, aber die Kritik, die hier und auch schon in den vergangenen Tagen in der Presse formuliert worden ist, ist in jeder Hinsicht überzogen und unangemessen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich möchte dazu aus einem Beitrag der „NWZ“ vom gestrigen Tage zitieren. In diesem Beitrag hat sich der Kollege Busemann geäußert. Er hat gesagt, der Minister habe hervorgehoben, dass Gefängnisse nicht zu ausbruchsicher sein dürften, weil sonst die Gefahr einer Geiselnahme erhöht werde. Er führt seine Kritik dann zu folgender Schlussfolgerung: „Dann können wir gleich den offenen Strafvollzug zum Regelvollzug machen.“

(Busemann [CDU]: Genau!)

Herr Kollege Busemann, genau das ist seit mehr als 20 Jahren geltende Rechtslage in Deutschland. Ich finde, das ist für einen Juristen eine ganz erstaunliche Anmerkung. Schauen Sie doch einmal in den § 10 des Strafvollzugsgesetzes! Da werden Sie genau das nachlesen können.

(Heiterkeit und lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Auf ähnlichem Niveau bewegen sich Ihre weiteren Ausführungen.

Dass eine maximale Ausbruchsicherheit das Risiko der Geiselnahme erhöht, ist eine Banalität, eine Binsenweisheit für jeden, der sich in den vergangenen Jahren mit Fragen der Sicherheit im Strafvollzug beschäftigt hat. Ich erinnere nur an die Geiselnahmen in Celle, in Salinenmoor, ich erinnere nur an den Bericht der unabhängigen Sachverständigenkommission nach der Celler Geiselnahme von 1991, die klipp und klar festgestellt hat: Übersicherung von Gefangenen kann kontraproduktiv sein, verstärkt die Aggressivität, erhöht die Risiken. Optimale Sicherheit wird in erster Linie er

reicht durch eine optimale Personalausstattung in den Anstalten.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zurufe von der CDU)

Wer auch im Vollzug für Freiheit einsteht, der muss mit dem Missbrauch dieser Freiheit rechnen. Verantwortungsbewusste Politik zeichnet sich dadurch aus, dass sie erstens bereit ist, unvermeidbare Risiken mitzutragen,

(Möllring [CDU]: Ja, unvermeidbare!)

und dass sie zweitens bereit ist, die Bereitschaft in der Bevölkerung, einen humanen, liberalen Strafvollzug mitzutragen, stärkt. Wer aber weismachen will, es könne absolute Sicherheit geben und das sei nur davon abhängig, wer gerade Justizminister sei, der handelt nach meiner Überzeugung verantwortungslos. Das größte Sicherheitsrisiko für einen erfolgreichen Strafvollzug in diesem Land ist nach wie vor die CDU. - Schönen Dank.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Jetzt hat das Wort der Abgeordnete Plaue.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Stratmann, ich will durchaus einräumen, dass sich die Rede, die Sie hier gehalten haben, sehr wohltuend von dem abgehoben hat, was Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender Busemann in der Presse und in der Öffentlichkeit verbreitet hat; gar keine Frage.

(Beifall bei der SPD - Unruhe bei der CDU)

Hierauf werde ich gleich zurückkommen. Gleichwohl, Herr Kollege Stratmann, möchte ich mich mit zwei Bemerkungen, die Sie in Ihrer Rede gemacht haben, auseinandersetzen.

Sie haben gesagt, nicht jeder Ausbruch sei auf Fehler der Landesregierung zurückzuführen; „nicht jeder“, haben Sie gesagt.

(Möllring [CDU]: Das stimmt ja auch!)

Sie haben dabei aber den Eindruck zu erwecken versucht, dass speziell der hier zur Diskussion stehende Ausbruch auf Fehler der Landesregierung zurückzuführen sei.

(Zuruf von der CDU: Natürlich!)

Ich stelle zunächst einmal fest, Herr Kollege Stratmann, dass Sie an keiner Stelle Ihrer Rede dafür einen Beleg geliefert haben. Ich finde aber, zum fairen Umgang miteinander gehört auch, dass man dann Ross und Reiter nennt,

(Zuruf von der CDU: Hat er doch!)

wenn man dieser Meinung ist. Der Kollege Busemann überschreitet an der Stelle nach meiner Einschätzung das Maß des politischen Anstandes. Herr Kollege Stratmann, Sie sollten ihm auf diesem Wege nicht folgen.

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube auch zu wissen, weshalb Sie Ross und Reiter nicht genannt haben und warum Sie dem zuständigen Ressortminister zwar verbal die politische Verantwortung zugewiesen haben, dies aber nicht weiter ausgeführt haben. Da müssen Sie nämlich ehrlicherweise zur Kenntnis nehmen, dass im Jahre 1984

(Unruhe bei der CDU)