Wir haben die jüngsten Zahlen noch nicht vorliegen, meine Damen und Herren. Aber es wird wahrscheinlich demnächst heißen: Regt euch mal nicht auf, die Unterrichtsversorgung haben wir doch bei 95 %. Aber alle, die damit zu tun haben, wissen, dass es faktisch viel, viel schlimmer aussieht. Da können Sie locker minus 10 % dazutun. Dann ist die Katastrophe auf dem Felde schon einmal erklärt, meine Damen und Herren.
Das Drama wird seine Fortsetzung nehmen. Sie wissen vielleicht mittlerweile auch in der SPD - das dämmert Ihnen ja -: Wir haben keinen Lehrernachwuchs. 40 % unseres Lehrerbestandes wird in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand gehen. Wenn wir mal günstig rechnen, dann werden Sie kaum die Hälfte des Bedarfs in den nächsten zehn Jahren wieder decken können. Wir laufen in eine Katastrophe hinein. Ich weiß nicht, Frau Minister, ob Sie es schon verinnerlicht haben. Aber ein Konzept von Ihnen haben wir zu diesem Problemfeld noch nicht gesehen.
Meine Damen und Herren, ich will auch nach den Ereignissen der letzten Wochen die ganze Fragestellung zur Berechenbarkeit von Bildungspolitik in Niedersachsen gleich an anderer Stelle abhandeln. Frau Minister, ich will Sie einfach mal fragen, auch nach den Ereignissen der letzten Wochen: Haben Sie sich vielleicht schon mal selber gefragt, ob Sie Ihrem Amt überhaupt noch gewachsen sind? Haben Sie sich schon einmal selber gefragt?
(Beifall bei der CDU - Mühe [SPD]: Eine Frechheit ist das! - Zuruf von der SPD: Busemännchen, Busemänn- chen!)
- Wieso Frechheit, Herr Kollege? Ich bitte Sie. Von unserem Herrn Ministerpräsidenten heißt es: Gabriel auf Ministersuche. Das kann ich ja irgendwo verstehen. Und in der Liste der Ministerien, die da vielleicht eine andere Führung bekommen sollen - so vernehmen wir ja -, ist das Kultusministerium dabei. Ich will hier ja auch gern Tröstliches sagen, Frau Minister. Von unserer Seite würde ich sagen: Bleiben Sie bitte ruhig und mit Ruhe im Amt. Sie haben ja schon einiges an Schaden angerichtet,
und Sie haben einiges hier auch schon verkauft, was Sie immer wieder als Erfolgsmodell preisen, Verlässliche Grundschule usw. Da würden wir gerne mit Ihnen abwarten, wie das denn wirklich aussieht, wenn das Modell einmal völlig umgesetzt ist. Ende 2002 werden wir gerne wieder mit Ihnen bilanzieren. Dann ist die politische Abrechnung fällig. Bleiben Sie also bis dahin gerne im Amt.
Meine Damen und Herren, ein Schulsystem kann ja aussehen, wie es will. Aber eine gute Unterrichtsversorgung ist immer die entscheidende Voraussetzung dafür, dass ein qualitativ hochwertiges Schulwesen vorgehalten wird und dass die Schule auch den Anforderungen der Zukunft gerecht wird.
Thema Orientierungsstufe: Diese hat bei einer Schule dieses Anspruches keinen Platz mehr. Sie kann leistungsstärkere Schülerinnen und Schüler nicht hinreichend fordern und Leistungsschwächere nicht hinreichend fördern. Wenn wir die pädagogischen und erzieherischen Herausforderungen
in einem schwierigen Jugendalter wirklich ernst nehmen wollen, brauchen wir gerade im Hinblick auf die besonders förderbedürftigen Schülerinnen und Schüler langzeitige Bildungsgänge und keine zweijährige Durchgangsstation.
Diese Erkenntnis, Herr Fasold, ist mittlerweile ja auch dem Herrn Ministerpräsidenten gekommen. Ich brauche das auch gar nicht mehr vertiefend zu begründen. Nur wenn das denn jetzt schon allgemeiner Kenntnisstand ist, meine Damen und Herren, was soll dann diese merkwürdige Untersuchung, jetzt ja nur noch ein Jahr, um sozusagen die Orientierungsstufe noch einmal zu untersuchen? Ich weiß nicht, ob der Kostenrahmen noch stimmt. Wenn das denn über 1 Million DM kosten soll, Frau Ministerin, halte ich das für unverantwortlich, was Sie da machen.
Was soll diese quälende Diskussion denn? – Es ist doch so, dass Pro und Contra zur Orientierungsstufe ausgetauscht sind. Man hat die Erfahrungen gesammelt, jetzt muss gehandelt werden!
Ich will auch mal in Richtung des Ministeriums sagen, Frau Minister: Hören Sie auf, uns und der Öffentlichkeit und dem Parlament ständig mit Diskursen zu kommen, mit Dialogphasen, mit runden Tischen zu allen möglichen Bereichen, wo Sie dann am Ende ohnehin nicht die guten Ratschläge befolgen, die Sie bekommen.
(Plaue [SPD]: Das passt Ihnen nicht! Da müssten Sie einmal eigene Mo- delle zur Diskussion stellen!)
- Herr Plaue, es geht doch schon im Kultusministerium herum: Vor lauter runden Tischen sind die Mitarbeiter gegen Feierabend schwindelig und finden den Ausgang nicht mehr. Hören Sie doch auf!
- Wenn Sie uns schon nicht glauben, aber mit den Handwerkskammern haben Sie doch - so hoffe ich jedenfalls - ein gutes Verhältnis. Die haben doch dem Ministerpräsidenten oder Ihnen einen offenen Brief geschrieben. Was sagen die denn? - Ich zitiere: Es ist nicht die Zeit langer Diskursverfahren. Wir brauchen pragmatische Beschlüsse und konsequentes Umsetzen. - Recht haben die Leute doch. Setzen Sie doch endlich mal was um!
Meine Damen und Herren, merken Sie nicht - nicht nur wegen der letzten Wochen -, dass landesweit große Verunsicherung eingetreten ist? - Das kann man doch mit den Händen greifen. Die kommunalen Schulträger - das hört man jetzt - stellen ihre Entscheidungen und Investitionen zurück, weil sie keine Klarheit über den zukünftigen Kurs haben. Das ist ein schwieriges Problem, Herr Kollege Fasold. Die Eltern sind doch verunsichert. Sie wissen gar nicht, wohin die künftigen Bildungswege der Kinder gehen. Ich will mal sagen: Hören Sie auf zu diskutieren, und fangen Sie endlich an zu handeln. Bei uns ist das eine geklärte Position. Wenn Sie die übernehmen wollen, ist das doch in Ordnung.
Wir sagen - das ist ab 2001 schon machbar -, wir sollten mit der Orientierungsstufe Schluss machen. Wenn man das sagt und fordert, ist ja wohl völlig klar, dass man dann auch eine Art schulpolitisches Gesamtreformkonzept haben muss. Wir haben das. Wir haben das auch vorgelegt. Sie haben ja nun vor drei Wochen tagespolitische Schnellschüsse losgelassen; darauf komme ich auch noch. Aber das reicht natürlich nicht.
Meine Damen und Herren, dazu gehört auch, dass die Freiheit des Elternwillens garantiert wird. Wer an diese sensible Stelle herangeht, muss sich sehr genau überlegen, was er tut. Ich halte es für eine sehr wichtige Sache, auch die Durchlässigkeit des Schulwesens insbesondere auch nach der Abschaffung der Orientierungsstufe zu gewährleisten. Wir wollen jedenfalls, dass die Eltern am Ende der vierten Klasse die weiterführende Schulform auf Basis der Empfehlung einer Grundschule frei wählen dürfen. Wir trauen der Grundschule auch zu, dass sie das leisten kann. Wir lehnen auch die Bindung an einen bestimmten Notendurchschnitt oder eine Schuleingangsprüfung - das wird ja auch diskutiert - von unserer Seite eindeutig ab.
Dann kommen Sie gelegentlich und sagen, die CDU wolle wieder alte Verhältnisse, 50er-Jahre. Ich will mal sagen: Es gab ja auch einmal eine große Koalition in Niedersachsen. Von wegen Verhältnisse der Vergangenheit! Die haben Sie genauso geschaffen wie wir auch. Aber das soll einmal ein anderes Thema sein.
Da ist jedenfalls keine Häme in unsere Richtung angesagt. Wir liefern ein modernes Reformmodell, in die Zukunft gerichtet.
Schauen Sie z. B. mal nach Nordrhein-Westfalen. Über Ihre Position, die Sie hier vertreten, würde Herr Clement den Kopf schütteln. Einiges von unserem Gedankengut wird in seinem Lande praktiziert. Holen Sie sich da vielleicht einmal ein paar politische Nachhilfestunden. Dann würden Sie auch anders mit uns hier umgehen.
Vor einiger Zeit gab es Koalitionsverhandlungen in Mecklenburg-Vorpommern. Da wollte eine Seite - ich glaube, es war die PDS - die Orientierungsstufe einführen. Mit Händen und Füßen haben sich Ihre Parteifreunde da gegen die Einführung der O-Stufe gewendet. Sie hätten möglicherweise sogar die Koalitionsverhandlungen scheitern lassen. Am Ende ist das ja dann auch verhindert worden. Also, gucken Sie auch einmal über den Tellerrand hinweg!
Meine Damen und Herren, vor kurzem hat sich auch der Kreiselternrat in Celle mit der Fragestellung befasst und hat einfach einmal eine Umfrage bei den Eltern gemacht. Das Ergebnis war ganz interessant. 67 % der Eltern waren der Meinung, auf die Orientierungsstufe völlig verzichten zu können. 63 % haben sogar erklärt, sie erachteten eine Orientierungsphase nach der Grundschule grundsätzlich als unnötig. Nur 25 % der Eltern hielten die Orientierungsstufe für erhaltenswert. Vor diesem Hintergrund sollten Sie sich das ganze Thema noch einmal richtig überlegen. Auch Ihren Vorschlag, den Elternwillen nach dem vierten Schuljahr einzuschränken und vielleicht erst nach der sechsten Klasse freizugeben, sollten Sie sich gründlich überlegen. Ich habe nicht den Eindruck, dass Sie damit in Niedersachsen Blumentöpfe gewinnen können.
Was gerade auch für die Eltern, für die Kinder ohnehin, ausgesprochen wichtig ist, ist die Durchlässigkeit des Schulwesens. Da, glaube ich, liegt die eigentliche Lösung des Problems, wenn man nach vorn diskutieren und das nach vorn bringen will. Wir als CDU treten nachdrücklich für die Durchlässigkeit des Schulwesens in diesem Bereich ein. Wir wollen keine Lebens- und Bildungswege frühzeitig zementieren. Wir wollen insbesondere die 5. und 6. Schuljahrgänge an den weiterführenden Schulen begabungsgerecht besonders fördernd und durchlässig gestalten. Wir wollen horizontale und vertikale Durchlässigkeit und
Meine Damen und Herren, nach der Grundschule können wir in Niedersachsen an gewachsene, ordentlich gegliederte Schulstrukturen anknüpfen. Wenn wir dann das richtige Reformmodell dazutun, dann, glaube ich, geht das in eine bessere Richtung.
Zur Diskussion der letzten Wochen darüber, wie die Schulformen hier zu betrachten sind. - Wir sagen: Niedersachsen ist im Bundesvergleich das Realschulland Nr. 1. Die Realschule ist mit rund 40 % der Schülerinnen und Schüler im Sekundarbereich I - wohlgemerkt: vor dem Hintergrund des Elternwillens! - Niedersachsens attraktivste Schulform. Mit einem Anteil von 30 % Hauptschülerinnen und Hauptschüler im 8. Schuljahr liegt Niedersachsen im Bundesvergleich nach Bayern, BadenWürttemberg und Rheinland-Pfalz immerhin auf dem vierten Platz - bei allen Problemen, die da durchaus vorhanden sind. Also, es spricht überhaupt nichts dagegen, dass Schulträger im Weiteren die Möglichkeit nutzen, Hauptschule und Realschule unter ein Dach zu setzen, wo es dann zu einer konstruktiven Zusammenarbeit kommt, solange - das ist wichtig! - ein begabungsgerechtes Bildungsangebot von Hauptschule und Realschule mit eigenständigen Bildungsgängen vorgehalten wird. Es ist aber unverantwortlich, jetzt von oben herab, sozusagen mit einem Federstrich, die Verschmelzung dieser Schulformen landesweit betreiben zu wollen.
Meine Damen und Herren, nachdem wir auch verschiedene Verlautbarungen der letzten Wochen abgeklopft haben, habe ich keinen Zweifel daran, dass Sie offenbar eine Einheitsschule für 70 % der niedersächsischen Schülerinnen und Schüler schaffen wollen. Herr Ministerpräsident Gabriel ist am 17. August in der Sendung „Hallo Niedersachsen“ aufgetreten, wurde dort gefragt - gar nicht so unklug von der Journalistin -: Würde man dann unterschiedliche Kurse in der Schulform einführen? - Darauf hat er geantwortet: Na ja, so eine Binnendifferenzierung muss man wohl machen. - Dann wurde nachgefragt, ob man denn auch unterschiedliche Kurse einrichtet. Darauf sagte er: Da habe ich aber eher Zweifel. - Diese Zweifel teilen wir. Wir haben den Eindruck, Herr Gabriel, dass Sie faktisch kleine integrierte Gesamtschulen ohne gymnasiale Schülerschaft schaffen wollen. Vor der
gymnasialen Ebene haben Sie vielleicht auch politisch Schiss, wie auch immer. Damit wollen Sie ein letztes Trostpflaster für die längst untergegangene sozialdemokratische Gesamtschulidee liefern.
(Zustimmung bei der CDU - Fasold [SPD] und Plaue [SPD] lachen - Fasold [SPD]: Das ist ein schwer wiegender Verdacht!)
- Da lachen Sie, Herr Plaue. Nun passen Sie einmal auf! Wenn wir das einmal als Wettkampf der Systeme sehen, dann frage ich Sie: Wo sind denn noch Sozialdemokraten, die für die Gesamtschule antreten, jedenfalls offen dafür antreten? - Sie müssen doch zugeben, dass das gegliederte System den Wettkampf der Systeme gewonnen hat. Gehen Sie also endlich von Ihren alten Ansichten ab!
Meine Damen und Herren, Sie schaffen dann also eine Sekundarschule. Es ist wohl davon auszugehen, dass diese jungen Leute - das sind im Moment 70 % der Schülerschaft in Niedersachsen - weitgehend in eine berufliche Ausbildung und irgendwo in die Wirtschaft gehen. Die ausbildende Wirtschaft aber lehnt Ihre Vorstellungen von Sekundarschule ausdrücklich ab. Sie schaffen also ein bildungspolitisches Produkt für einen Bedarf, der gar nicht da ist; die Beteiligten jedenfalls wollen das nicht.
In dem Zusammenhang ist auch hoch interessant, wie Sozialdemokraten mit ihren eigenen Vereinbarungen umgehen. Sie haben - das ist noch gar nicht so lange her - ein ganzheitliches Mittelstandskonzept beschlossen und mit der Wirtschaft vereinbart. Ich will einmal zitieren, was darin steht: Die Sicherung und Stärkung der allgemein bildenden Schulen des Sekundarbereichs I als Bestandteil des gegliederten Schulwesens ist ein wichtiges Anliegen. - Da kann man einmal sehen, was man von Vereinbarungen mit Sozialdemokraten halten kann!
- Wenn das für Sie nur eine leere Formel ist, Herr Plaue, gut; dann sind Sie auf einem anderen Weg unterwegs. Darauf kommen wir noch zu sprechen.
Eines will ich einmal klarstellen: Der Herr Ministerpräsident hat ja als Begründung für den von ihm vorgeschlagenen Weg angeführt, es seien deutliche Rückgänge der Schülerzahlen in den Hauptschulen zu erwarten; in den nächsten zehn Jahren würden es da 30 % weniger Schülerinnen und Schüler sein. So hat er es jedenfalls auch beim NDR verlautbart. Er hat sogar von Rest- und Zwergschule gesprochen.
Herr Ministerpräsident, das ist schlichtweg falsch. Wenn Sie die regierungsamtlichen Statistiken einmal zur Hand nähmen - ich weiß gar nicht, wer Ihre Ratgeber auf dem Feld sind -, dann wüssten Sie, dass es in den nächsten Schuljahren da noch eine Steigerung der Schülerzahlen gibt. Die Zahl wird von 91.422 auf 95.402 - auf die letzte Zahl wollen wir vielleicht nicht so genau gucken – steigen. Es wird sich bis zum Jahr 2010 also steigern. Von daher ist das Argument „Deswegen muss man die Hauptschule in eine Sekundarschule integrieren“ völlig falsch. Es ist völlig falsch, diesen Ansatz zu wählen. Von den Zahlen her ist das überhaupt nicht gerechtfertigt.
Meine Damen und Herren, ich halte es auch nicht für in Ordnung, dass in diesem Zusammenhang die Hauptschule immer wieder als Restschule geschmäht und abqualifiziert wird.