Protocol of the Session on June 20, 2000

Lassen Sie mich jetzt noch einen anderen Komplex ansprechen. Das ist das Thema Aktenmanipulation. Für uns als CDU - die Kollegen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen denken wohl genauso - ist völlig geklärt: Die so genannte Drittelseite bei der Akte Aufsichtsratsnebenvergütungen kann nur Ihr Büroleiter, Herr Glogowski, nämlich Herr Wehrmeyer, abgeschnitten haben. Alle anderen Bemühungen bzw. Überlegungen, die in andere Richtungen gehen, sind absolut fruchtlos. Es kann nur Herr Wehrmeyer gewesen sein.

(Zuruf von der SPD: Unverschämt! - Adam [SPD]: Was sind Sie eigentlich für ein Jurist? - Weitere Zurufe von der SPD)

Am Ende hat er ja offenbar auch eingeräumt, dass er das war.

(Weitere Zurufe von der SPD)

- Herr Adam, wenn ich Ihnen eine unversehrte Akte nach Wilhelmshaven schicke, Sie diese Akte ein paar Wochen bei sich zu Hause unter Verschluss halten und sie mir dann versehrt wieder herausgeben, wer soll das dann wohl gewesen sein?

(Beifall bei der CDU - Zurufe von der SPD)

- Davon sind wir - über den Punkt diskutiere ich auch gar nicht mehr mit Ihnen - schon weit weg. Wenn Sie da wieder zurückrudern wollen, dann kann mich das nur wundern.

(Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, wichtig ist gerade auch bei Spitzenpolitikern, dass sich diese anschauen das gilt vielleicht auch für diejenigen, die das Ganze betrachten -, mit welchen Mitarbeitern sie sich umgeben. Gute Mitarbeiter sind hochgradig wichtig für gute politische Arbeit. Wer keine guten Mitarbeiter hat, kann keine gute Arbeit abliefern. Wer Dilettanten hat, d. h. Leute, die manches Problem vielleicht durch Aktenmanipulation oder durch plötzliches Auffinden von Vermerken mit merkwürdigem Inhalt wieder gutmachen wollen, der ist, so glaube ich, von falschen Mitarbeitern umgeben. Das muss er sich dann aber selber zuschreiben. Mir ist zu der Beschreibung des Verhältnisses von Ministerpräsident Glogowski zu seiner engsten Mitarbeiterschaft eigentlich nur das Stichwort „Dilettantenstadel“ eingefallen.

Meine Damen und Herren, mit der Bilanz bzw. dem Ergebnis der Arbeit eines Untersuchungsausschusses ist es immer so eine Sache. Ich meine, bei diesem Untersuchungsausschuss ist ein gutes Gesamtergebnis herausgekommen. Wir haben ordentlich, akribisch und gehaltvoll gearbeitet. Ich habe vor einigen Wochen in der - wie kann es auch anders sein - „Braunschweiger Zeitung“ eine interessante Würdigung vorgefunden, die nicht jeder zu teilen braucht. Der Journalist kommentierte damals unter dem Leitsatz „Den Spiegel vorgehalten“:

„Die eigentliche Leistung des Ausschusses liegt nicht im Enthüllen bisher unbekannter Vergehen, sondern im akribischen, manchmal quälend detaillierten Ausleuchten des Bekannten oder Erahnten. Wie sonst hätte die Öffentlichkeit Einblicke bekommen, wie viel Energie ein Ministerpräsident und sein Büro darauf verwendeten, das Abführen von Aufsichtsratsvergütungen zu vermeiden, als im tiefen Eintauchen in Vermerke, Akten und Telefonate? Wer hätte besser schildern können als Glogowski selbst, wie ein Opernbesuch in Kairo zur ‚Dienstreise‘ werden konnte - der TUI wegen und weil noch Visafragen besprochen wurden? Und wer hätte im Angesicht von SponsoringVorwürfen die ‚Symbiose von Bier, Politik und Vereinswesen‘ treffender skizzieren können, als es Gerhard

Glogowski im Ausschuss ganz persönlich tat, öffentlich und offen?

Angesichts dieses Sittenbildes von beklemmender Provinzialität brauchte es keine Verschwörungstheorien mehr, um den Sturz des Gerhard Glogowski zu erklären. Der Mann, der im Ausschuss so trefflich über Braunschweiger Bier zu plaudern verstand, als ob die Region im permanenten Delirium läge, hat nicht begriffen, dass es niemals um einige Bierfässer oder Kaffee für 75 Mark ging. Die Unkorrektheiten und gewohnheitsmäßigen Grenzüberschreitungen als Peanuts abzutun, hieße, die Anforderungen an Volksvertreter, Ministerpräsidenten zumal, beängstigend tief zu hängen.“

(Glocke des Präsidenten)

Ich will das nicht weiter zitieren.

Meine Damen und Herren, unter dem Strich darf ich hier für unsere Seite und vielleicht auch für andere festhalten: Gerhard Glogowski ist krasses unehrenhaftes Verhalten nachgewiesen worden. Es ist eine aus den Fugen geratene Ämterhäufung mit allen Nebenfolgen - Aufsichtsratsvergütungen usw. - deutlich geworden. Es ist ein dilettantischer, provinziell zu nennender Regierungsstil deutlich geworden. Außerdem hat er letztlich - ich will es noch einmal betonen - auch das Land wirtschaftlich geschädigt.

Ich sage: Wer das ihm anvertraute Land schädigt,

(Glocke des Präsidenten)

hat auf der politischen Bühne des Landes auch nichts mehr zu suchen. Deswegen, Herr Glogowski, möchte ich Ihnen anempfehlen, durchaus zu überlegen, ob Sie nicht Ihr Landtagsmandat zurückgeben wollen.

(Zuruf von der SPD: Schäuble!)

Das können Sie auch untereinander klären. Es geht ja auch um Parteiämter. Die gehen mich nun wirklich nichts an. Aber man liest ja, dass Herr Glogowski bereit ist, der Partei die bisherigen Ämter zur Verfügung zu stellen. Ich kann die SPD nur auffordern, von diesem Angebot auch Gebrauch zu machen.

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

(Zurufe von der SPD)

Schlusssatz, meine Damen und Herren: Jeder Politiker auf jeder Seite macht auch Fehler. Das ist wohl wahr. Jeder Politiker kommt aber einmal an einen Punkt, an dem er in den Spiegel guckt und fragt: Macht das alles noch Sinn? Habe ich nicht so große Verfehlungen begangen, dass ich nicht mehr dort hingehöre? Vielleicht kann sich Gerhard Glogowski den Bericht gut durchlesen, vielleicht kann er einmal in den Spiegel gucken und dann sagen: Das war‘s. – Danke.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat jetzt Herr Kollege Golibrzuch.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ministerpräsident Gabriel spricht in diesen Tagen häufig davon, dass man seinem Vorgänger allenfalls geringfügige Verfehlungen vorwerfen könne. Ich meine, man kann zu einer solchen Betrachtung nur dann kommen, wenn man diese Verfehlungen mit größeren Skandalen vergleicht; denn für sich betrachtet lassen die Verfehlungen keinen Zweifel daran zu, dass der Rücktritt von Herrn Glogowski absolut zwingend gewesen ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Das Ganze nahm seinen Lauf - Herr Busemann hat es angedeutet - mit der Braunschweiger „Edelsause“, und zwar so richtig erst dann, als auf dubiose Weise die Rechnung dieser opulenten Feier nachträglich nach unten korrigiert worden ist. Wer als Aufsichtsratsvorsitzender in diesem Zusammenhang dem Vorwurf einer Nötigung nicht nachgeht - das hat der Ausschuss ja zutage gefördert -, der muss sich den Vorwurf gefallen lassen, aus persönlichen Motiven an einer Aufklärung nicht interessiert gewesen zu sein.

Besonders beeindruckend ist die bloße Vielzahl von Funktionen, die Herr Glogowski neben seiner Tätigkeit als Ministerpräsident zeitweise auch noch ausgeübt hat. Angesichts der Vielzahl dieser Man

date kann man in der Tat nur zu der Auffassung kommen, dass er sein Amt als Ministerpräsident vernachlässigt hat, dass er es vernachlässigen musste. Fast 70.000 DM nicht abführungspflichtiger Vergütungen, Herr Glogowski, sind auch nicht Gegenstand der Privatsphäre. Ich will Ihnen das deutlich sagen. Ich meine, dass Einnahmen aus Aufsichtsratsmandaten keine Privatangelegenheiten sind, sondern dass die Öffentlichkeit ein Anrecht darauf hat, zu erfahren, von welchen Unternehmen Politiker Geld erhalten. Es ist eine erste, aber keinesfalls ausreichende Konsequenz, dass künftig für Minister die Zahl der Aufsichtsratsmandate beschränkt wird. Ich meine, man müsste auch über eine Offenlegung der Beträge und darüber reden, warum dies nur für Minister und nicht auch für Abgeordnete gelten sollte.

(Plaue [SPD]: Genau! Das habt ihr ja beantragt, oder? Aber da seid ihr ein- geknickt!)

Lassen Sie mich noch einen dritten Punkt ansprechen, weil Sie sich gerade so darüber aufgeregt haben, nämlich die Aktenmanipulation. Ich meine, dass die Aussagen vor dem Ausschuss keinen anderen Schluss zulassen, als dass engste Mitarbeiter von Herrn Glogowski Akten, Unterlagen manipuliert haben, um öffentliche Vorwürfe gegen den damaligen Regierungschef zu entkräften. Weil Herr Adam vorhin so wirklich erregt dazwischen gerufen hat - das ist an der Stelle übrigens auch die Würdigung der SPD-Fraktion; wahrscheinlich haben Sie den Bericht ja doch noch nicht gelesen -, möchte ich darauf hinweisen, dass es in der Würdigung der SPD-Fraktion heißt: Der Ausschuss ist der Überzeugung, dass es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass ein anderer als der Zeuge Wehrmeier die Notiz auf dem fraglichen Blatt-Teil entfernt haben könnte, da sich der Vermerk in der fraglichen Zeit in seinem Verfügungsbereich befand.

(Beifall bei den GRÜNEN – Adam [SPD]: Ich habe mich zu Formulie- rungen eines Juristen geäußert, Herr Kollege!)

- Das können wir alles ja im Protokoll nachlesen, Herr Adam.

(Adam [SPD]: Das können wir beide nachlesen!)

Ich habe mir diese drei Punkte herausgegriffen. Ich meine aber, dass verheerend für Herrn Glogowski

vor allem der Gesamteindruck der Untersuchungsergebnisse ist. Die dem Ausschuss vorgelegten Unterlagen lassen keinen Zweifel daran, dass es sich um eine Anthologie des säumigen Zahlers handelt. Da gibt es keine Rechnung ohne Mahnung, keine Abführung ohne Aufforderung, und im Zweifel musste die Landeskasse zahlen. Egal, welchen Punkt man sich herauspickt - ob es das Gefeilsche um lukrative Aufsichtsratsposten war, die über Monate kostenlose Wohnungsnutzung in der Lüerstraße, Empfänge für Braunschweiger Kommunalpolitiker, natürlich finanziert aus der Landeskasse, oder das Sponsoring für Geburtstagsund Hochzeitsfeiern -, alles folgte einem durchgängigen Muster: Als Herr Glogowski Ministerpräsident war, wollte er auch etwas davon haben. Als er Regierungschef gewesen ist, war er nicht nur ein Vertreter vom Stamme Nimm, sondern dessen Häuptling.

Meine Damen und Herren, es geht hier nicht nur um ein paar Bierfässer oder Kaffee für 75 DM, was die SPD-Fraktion übrigens kurioserweise in ihrer Bewertung als „Anschein einer geringfügigen Vergünstigung“ bezeichnet. Es geht wirklich um die Fülle von Unkorrektheiten und von gewohnheitsmäßigen Grenzüberschreitungen. Die Maxime „Wenn das alle tun, dann ist das im Zweifel auch für mich erlaubt“ taugt im Zweifel nicht, jedenfalls nicht für einen Ministerpräsidenten. Ich weiß, dass das viele in der SPD-Fraktion genau so sehen.

Umso irritierter bin ich, dass das in der Beweiswürdigung der Mehrheitsfraktion so wenig Niederschlag gefunden hat. Sie halten im Kern hartnäckig an der Version fest, dass Herr Glogowski doch ein eher unschuldiges Opfer von Opposition und von Medienvertretern geworden ist. Ich frage mich: Wem spielen Sie das eigentlich vor? – Den Medien mit Sicherheit nicht; denn die Medien wissen es besser. Ich will Ihnen gerne aus einem Kommentar der „Frankfurter Rundschau“ vom 27. November zitieren, dem Tag nach dem Rücktritt:

„Dem Satz ‚Der muss weg‘ widerfuhr in dieser Woche im Niedersächsischen Landtag eine sehr seltene Karriere: er galt parteiübergreifend. Offen ausgesprochen von den Bündnisgrünen, etwas zögerlicher von Konservativen, die den angeschlagenen Glogowski einem starken Nachfolger bei der nächsten Wahl als Gegner vorgezogen hätten, oft gehört auch von wütenden Sozialdemokraten in geho

benen Positionen, dann freilich versehen mit dem Zusatz: ‚Das bleibt aber unter uns.‘“

Das ist das Zitat aus der „Frankfurter Rundschau“. So äußerten sich führende SPD-Politiker, und sie handelten auch so. Das war keine von langer Hand geplante Verschwörung gegen den Regierungschef. Es war vielmehr so, dass der Stuhl von Herrn Glogowski wackelte und sich viele bei Ihnen berufen fühlten, auch noch zur Säge zu greifen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Auch jetzt ist Ihre Solidarität mit Herrn Glogowski nicht mehr als eine mühsame Pflichtübung.

(Inselmann [SPD]: Bleiben Sie doch bei der Wahrheit!)

„Wenn Gerhard Glogowski Mitglied des Parlaments bleiben sollte, würde ich es begrüßen, wenn er auch Mitglied der SPD-Fraktion bleiben würde.“

So äußerte sich Ihr Fraktionsvorsitzender Axel Plaue laut „Nord-Report“ vom 29. März. In Ihrer schriftlichen Bilanz zur SPD-Regierung in Niedersachsen „Zehn Jahre SPD-Regierung in Niedersachsen“ unterschlagen Sie 13 Monate Gerhard Glogowski und machen damit deutlich, dass Ihnen Ihr ehemaliger Ministerpräsident offensichtlich peinlich ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU – Eveslage [CDU]: Das hat er wirklich nicht verdient!)

Meine Damen und Herren, die SPD hat Gerhard Glogowski - völlig zu Recht aus unserer Sicht, daraus haben wir nie ein Hehl gemacht - straucheln lassen. Aber das Problem ist: Sie stehen nicht dazu. Sie pflegen weiterhin den Anschein von Freundschaft und bestätigen doch nur die alte Weisheit: Wer in der Politik Freunde sucht, der kauft sich besser einen Hund.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)