Protocol of the Session on June 20, 2000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, dass wir hier zu keinem einmütigen Ergebnis kommen. Ich hätte es gut gefunden, wenn denn Änderungsanträge geschrieben werden, wenn diese im Sozialausschuss eingebracht worden wären.

(Frau Pothmer [GRÜNE]: Das war ja nicht möglich!)

Dann hätten wir ja vielleicht ein gemeinsames Ergebnis hinbekommen. Ich finde das insofern bedauerlich, als das, was in unserem Antrag steht, Frau Pothmer, das Ergebnis unserer Anhörung ist und auch von allen Heilmittelerbringern so gesehen wurde. Insofern weiß ich nicht, was Sie für Informationen hatten. Sie hatten ja den einen oder anderen Gast bei uns. Ich glaube, die Übermittlung hat da nicht geklappt.

Ich meine auch, Frau Pawelski, nachdem wir uns schon bei der Einbringung relativ einig waren und Sie das letztendlich nur auf das Globalbudget beschränkt hatten, dass die Frage, warum das nicht ging, auch im Ausschuss hätte ausdiskutiert werden können.

(Frau Pothmer [GRÜNE]: Ich habe das alles angesprochen!)

Ich meine nämlich, angesichts der Tatsache, dass seit dem zweiten Halbjahr 1999 ein massiver Rückgang zu verzeichnen ist, der im ersten Halbjahr 2000 nahtlos weitergeht, wäre es auch im Interesse der Physiotherapeuten dringend notwendig gewesen, dass das Parlament hier einmütig Rückendeckung gibt und nicht, dass wir uns an Marginalien auseinander dividieren.

(Beifall bei der SPD)

Wir fordern mit diesem Antrag die KVN und die Kassen auf, die Richtgrößenvereinbarung 2000 zügig zu vereinbaren und dabei aufgrund der Erfahrung des Jahres 1999 den Abschlag vom Budget zur Errechnung der Richtgrößen deutlich zu verringern; denn dieses Problem, um das es hier geht, ist ein Problem, das in Niedersachsen von diesen beiden Vertragspartnern hausgemacht ist.

(Zustimmung von Groth [SPD] - Un- ruhe)

- Ich glaube, Herr Präsident, ich störe die Damen und Herren mit meiner Rede.

Reden Sie ruhig weiter. Wir bekommen das schon hin.

Ich meine, dass eine schnelle Besserung überhaupt nicht in Sicht ist. Es sind bereits wieder sechs Monate im Jahre 2000 vergangen, ohne dass die Vertragspartner eine Vereinbarung für dieses Jahr getroffen hätten.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Nach wie vor liegen keine vernünftigen Daten vor. Alles basiert auf einer Hochrechnung des vergangenen Jahres. Ich finde dieses Verhalten - übrigens von beiden Vertragspartnern, sowohl von den Krankenkassen als auch von der KV - mittlerweile unverantwortlich und auch ziemlich fahrlässig.

Wir haben es mit einer deutlichen Verunsicherung in der Ärzteschaft zu tun. Die ist gewaltig. Die Ärzte verordnen letztendlich. Deshalb will ich an dieser Stelle auch deutlich sagen, weil mir das manchmal unterstellt wird: Mir geht es überhaupt nicht darum, einen Popanz gegen viele engagierte Ärzte aufzubauen. Ich meine, dass sich viele intensiv um ihre Patientinnen und Patienten kümmern und sich nicht mehr mit den dicken Formularen der KV beschäftigen können, die täglich ins Haus flattern. Weil wir das so sehen, fordern wir auch den Verzicht auf den individuellen Regress für das erste und zweite Quartal 1999 - denn diesen Zustand haben die Ärzte nicht verursacht - und den Verzicht auf den Kollektivregress.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Wenn man sich an sein Budget hält und dieses entsprechend nicht überzieht, dann wäre es völlig unsinnig, wenn man für den Kollegen mit haften müsste, der sich nicht daran hält.

Wir erheben in dem Antrag die Forderung nach einer Informationsoffensive, um die Verunsicherung bei allen Beteiligten angesichts der komplizierten Rechts- und Vertragslage abzubauen. Wir stellen aber fest, meine Damen und Herren, dass insbesondere durch die Arztfunktionäre in der KV genau das Gegenteil gemacht wird. Wir haben seit dem Rücktritt von Herrn Dr. Strahl offensichtlich eine handlungsunfähige KV in Niedersachsen, die sich schwerpunktmäßig auf ihren innerbetriebli

chen Verbandswahlkampf konzentriert, aber nicht mehr auf das Lösen dieser Probleme.

Wie das so in der Praxis aussieht, zeigt ein erneutes Rundschreiben eines Sprechers der HNO-Ärzte in Süd-Niedersachsen aus den letzten Tagen, der erneut formuliert: Die Richtgrößen für einen HNOArzt betragen pro Mitglied und Familienangehörigen 2,85 DM pro Quartal; bei Überschreitung dieser persönlichen Richtgrenze haftet der Arzt persönlich; Ergotherapie und Logotherapie sind keine Praxisbesonderheiten. Er zeichnet dann auch noch: Ich darf Ihnen mit diesem Schreiben mitteilen, dass ich zum Sprecher des Berufsverbandes der deutschen HNO-Ärzte gewählt worden bin. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Standesvertreter! Der hat wirklich von nichts Ahnung, aber er macht in einer Art und Weise Stimmung, die nur dazu beitragen kann, die Verunsicherung voranzutreiben.

Wir haben das bei den Krankenkassen abklären lassen, die uns noch einmal bestätigt haben, dass Ergotherapie und Logotherapie regelmäßig zu den Praxisbesonderheiten zu zählen sind und dass die Nachweispflicht hierbei nicht beim Arzt besteht, wenn er diese Praxisbesonderheiten verordnet. Die Krankenkassen weisen gemeinsam darauf hin: Die KV-Bezirksstellen suggerieren hier Widersprüchlichkeiten, die tatsächlich überhaupt nicht bestehen.

Meine Damen und Herren, ich sage es noch einmal: Nach meiner Einschätzung - da unterscheiden wir uns, Frau Pothmer - ist der Kardinalfehler die Richtgrößenvereinbarung, die in Niedersachsen in einer Größenordnung stattgefunden hat, wie es sie in keinem anderen Bundesland gibt, und die zu genau diesen Problemen geführt hat. Ich muss aber auch einmal sagen, dass ich höchst erstaunt darüber bin - was ich an Tolldreistigkeit auch nicht mehr zu überbieten finde -, dass Arztfunktionäre vor wenigen Wochen noch behaupteten, die 29 % seien vor allem vereinbart worden, um die zu erwartenden Praxisbesonderheiten aufzufangen, und die Gleichen heute sagen, die aufgeführten Praxisbesonderheiten gebe es überhaupt nicht.

Ich will Ihnen noch andere Methoden schildern, die offensichtlich gang und gäbe geworden sind. Der Frau meines Kollegen Heinfried Schumacher wird ein Rezept verweigert mit dem Hinweis, er müsse erst einmal eine Unterschriftenliste unterschreiben, in der gegen die Budgetierung und gegen die Politik der rot-grünen Bundesregierung

protestiert wird, und erst dann, wenn das getan werde, gebe es das Rezept. Nachdem das nicht getan wurde, wurde das Rezept erst einmal munter verweigert. Erst, nachdem die Aufsichtsbehörden eingeschaltet wurden, gab es das Rezept. Da kann ich diesem Doktor in diesem Fall nur sagen: Dumm gelaufen, Herr Doktor. Aber es gibt natürlich hunderte von Patientinnen und Patienten im Land, die nicht die Courage und die Möglichkeit haben, sich an dieser Stelle durchzusetzen und die hier wirklich in übelster Form instrumentalisiert werden. Ich bin auch der Auffassung, dass dies mit dem hippokratischen Eid der Ärzte überhaupt nichts mehr zu tun hat.

Meine Damen und Herren, ich meine darüber hinaus auch, dass die physikalische Therapie bei uns nach wie vor nicht den Stellenwert hat, den die medikamentöse Therapie in diesem Land hat. Ich meine, dass die Arzneimittellobby - das zeigt ja auch die Entwicklung in den Budgets - bei den Ärzten nach wie vor einen deutlich besseren Stand hat. Es gibt immerhin eine Überschreitung des Arzneimittelbudgets um rund 5 %. Es kann nicht sein, dass, wenn es um sanfte Medizin und um physikalische Therapie geht, offensichtlich der Griff zum Arzneimittelrezeptblock wesentlich schneller funktioniert als der zum Bereich der Physiotherapie. Ich meine, ab und zu wäre es auch sinnvoll, Patientinnen und Patienten auf Lebensführung und Sport hinzuweisen, anstatt schwerpunktmäßig wohl immer noch mit Medikamenten therapieren zu wollen.

Im Übrigen reden wir nicht über einen Pappenstiel. Wir reden über ein Budget in Höhe von 3,7 Milliarden DM in diesem Land. Frau Pothmer hat es gesagt: allein 0,5 Milliarden DM für den Heilmittelbereich. Leidtragende dieser ganzen Entwicklung sind nach wie vor die Patientinnen und Patienten, denen teilweise dringend notwendige medizinische Behandlungsmaßnahmen verweigert werden, und die Praxen der Heilmittelerbringer, die unverschuldet in Existenznöte geraten. Ich wage die Behauptung und These:

(Glocke des Präsidenten)

Wenn wir bei Ärzten und Zahnärzten eine ähnliche Situation hätten, dann wäre die Kampfmaßnahme über den Patienten, wie sie bei uns politisch ankommt, deutlich drastischer. Ich fordere deshalb von dieser Stelle die Vertragspartner ausdrücklich auf, endlich das Budget 2000 zu vereinbaren, hier Rechtssicherheit zu schaffen und endlich mit die

sem Spielchen auf dem Rücken von Patientinnen und Patienten aufzuhören.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Das Wort hat Frau Ministerin Merk.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den vorliegenden Antrag begrüße ich ausdrücklich, weil er für die Krankenkassen und auch für die Kassenärztlichen Vereinigungen die vorhandenen Defizite deutlich sichtbar macht und allen Beteiligten eine notwendige Orientierung gibt. Deshalb bin ich auch dankbar für die Nachdenklichkeit, mit der das hier heute und auch bei der Einbringung des Antrages seinerzeit diskutiert worden ist.

Wenn wir heute über eine ausreichende Versorgung der Patientinnen und Patienten mit Heilmitteln reden, müssen wir über die seit langem bekannten Mängel des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung sprechen. Dazu gehört - das will ich sehr deutlich hervorheben - zum Beispiel das Fehlen einer globalen Ausgabensteuerung, die die strikte sektorale Budgetierung ersetzt, Beitragsstabilität gewährleistet und zugleich die finanziellen Ressourcen dort steuert, wo eine bedarfsgerechte Leistungserbringung stattfindet. Sektorale Budgets mit Ausgabenobergrenzen für einzelne Leistungsbereiche, wie wir sie im Moment haben, erscheinen als Steuerungsinstrument nicht geeignet. Sie setzen Anreize, die Einzelbudgets voll auszuschöpfen - das ist unser größtes Problem -, anstatt wirtschaftlich zu handeln. Sie führen zu Mengenausweitungen, um Vergütungseinbußen zu kompensieren. Sie bieten sogar Anreize, Patienten zwischen den Sektoren hin- und herzuverschieben, um das eigene Budget von kostenintensiven Behandlungen zu entlasten. Das merken wir ganz deutlich, wenn Patienten bei den Ärzten auftauchen.

Der Gesetzentwurf zur GKV-Gesundheitsreform 2000 hatte - das will ich noch einmal betonen folgerichtig die Einführung eines Globalbudgets vorgeschlagen. Dazu gab es bekanntlich früher schon sehr viel mehr Konsens. Die durch die Gesundheitsreform Gesetz gewordenen Regelungen bilden deshalb den Minimalkonsens zur Verbesse

rung der Wirtschaftlichkeit und Qualität der gesundheitlichen Versorgung und zur Sicherung der Beitragsstabilität. Die Fortschreibung der sektoralen Budgets ist also quasi eine Notbremse zur Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Deshalb ist ganz klar, dass dieses System noch an einer ganzen Reihe von Punkten krankt, weil die eigentliche Reform, die vorgesehen war, ja leider nicht zum Tragen gekommen ist.

Wir haben jetzt gedeckelte Köpfe -

(Heiterkeit)

- gedeckelte Töpfe statt kommunizierender Röhren. - Köpfe sind gelegentlich in der Tat auch gedeckelt. - Meine Damen und Herren, Auswirkungen und Ursachen dieser Entwicklung sind jetzt deutlich spürbar. Es gibt eine starke Verunsicherung - dies ist gesagt worden - über die Richtgröße, über die Heilmittelerbringung, über die Möglichkeiten, die Patientinnen und Patienten haben.

Ich betone auch - das ist schon gesagt worden -: Logotherapie und Ergotherapie sind die Besonderheiten der Praxis, eine Verschreibung ist in der Tat möglich, und das führt nicht zu Regressen bei den Ärzten. Bei den Kinderärzten, so haben wir gemerkt, ist diese Regelung noch viel weniger als in den anderen Bereichen bekannt.

Ich will nicht noch einmal betonen, wie dramatisch sich das Verhalten der Ärzte darstellt, will aber deutlich machen, dass es schon notwendig war, in den verschiedenen Gesprächen klarzumachen, dass man sich so auf Dauer nicht verhalten kann. Wir wissen, dass wir sehr viel Geld in das Gesundheitssystem hineinpumpen. Wenn ich alleine daran denke, dass im pflegerischen Bedarf die Summe von 180 Milliarden DM auf 250 Milliarden DM im Jahr 1998 gestiegen ist, dann wissen wir alle, wovon wir reden. Ich will deshalb noch einmal hervorheben:

Erstens. Die einzelnen Patienten haben einen Rechtsanspruch auf notwendige medizinische Versorgung. Das gilt unabhängig von Richtgrößen und Budgets.

Zweitens. Die Vereinbarungen zum Budget und zu den darauf basierenden Richtgrößen im Arzneiund Heilmittelbereich werden von den Vertragsparteien im Rahmen ihrer Selbstverwaltung geschlossen. Sie sind also ausschließlich in ihrer Verantwortung. Die Landesregierung nimmt eine moderierende Rolle ein. Am 12. Mai haben diese

Gespräche stattgefunden. Das hat dazu geführt, dass sich die Vertragsparteien wieder etwas bewegen. Die Verhandlungen über das Budget 2000 sind nun aufgenommen worden, sie sind allerdings bereits wieder ins Stocken geraten. Wir sind derzeit am Ball, um das Thema weiter voranzutreiben. Allerdings muss ich sagen: Eine Kassenärztliche Vereinigung, die sich so schlecht darstellt, wie sie sich derzeit in Niedersachsen darstellt, tut der Sache keinen Gefallen. Deshalb kann ich nur alle bitten: Sprechen Sie mit ihnen, damit sie endlich vernünftig werden.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Dr. Winn!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich meine, wir müssen uns darauf besinnen, worum es eigentlich geht. Wenn wir die Ärzte beschuldigen, dass sie gerade im Arznei- und Heilmittelbudget nicht richtig steuern, so muss man auch einmal hinterfragen: Warum funktioniert das einfach nicht?

(Zurufe von der SPD)

Das hängt keineswegs damit zusammen, dass wir nicht genügend Prüfungsinstrumente hätten. Vielmehr ist die Datenlage so mangelhaft, und vor allem die Krankenkassen kommen ihrer gesetzlichen Pflicht nicht nach, die Verordnungsdaten zeitnah zur Verfügung zu stellen. Wie wollen Sie denn mit einem Auto ohne Tacho im Nebel die Geschwindigkeit von 50 km/h halten? Das machen Sie mir einmal vor! Nur daran liegt das.

(Schwarz [SPD]: Da fahre ich lieber 30 statt 100!)

Je mehr Prüfungsinstrumente Sie haben, desto mehr verunsichern Sie jene, die die Verordnung ausschreiben. Darin liegt der Fehler. Wenn Sie nun budgetieren, global budgetieren oder Ähnliches, so wird das nur noch weiter ad absurdum geführt. Dieses Instrument ist überhaupt nicht geeignet, eine vernünftige Verordnung von Heilmitteln zu gewährleisten.

Wir sind doch alle dafür. Es ist doch kein Arzt da, der sagt: Ich möchte den Patienten dieses verwei