Protocol of the Session on May 10, 2000

(Möllring [CDU]: Hört, hört!)

Beispiel 2: Die SPD-Fraktion erklärt, die Veränderung der den Mittelstand belastenden Abschreibungstabellen sei für die SPD-Fraktion vom Tisch. Der Finanzminister erklärt dazu im Plenum am 30. März 2000 wörtlich:

"Nun noch ein letztes Wort zur AfA. Wer die AfA-Tabellen und die AfALaufzeiten kritisiert, der muss wissen,

dass sie derzeit im Bereich der Gegenfinanzierung eine Rolle spielen."

Dazu einige Beispiele aus der Tabelle: Personenkraft- und Kombiwagen bisher fünf Jahre, jetzt acht Jahre. Motorräder und Motorroller bisher fünf Jahre, jetzt 13 Jahre. Traktoren und Schlepper für die Landwirtschaft bisher acht Jahre, jetzt fast verdoppelt auf 15 Jahre.

(Ehlen [CDU]: Unmöglich!)

Kommunikationsendgeräte bisher sechs Jahre,

(Möllring [CDU]. Auch Handys ge- nannt!)

jetzt steht da zehn Jahre. Nach zehn Jahren weiß keiner mehr, wie sie ausgesehen haben. Und bei Mobilfunkendgeräten das Gleiche.

Die Frage ist: Ist das jetzt vom Tisch oder hat der Finanzminister Recht? Eine Antwort darauf könnte nicht von Schaden sein.

Beispiel 3: Während der Finanzminister zu den Mobilfunklizenzen laut "Braunschweiger Zeitung" vom 4. Mai 2000 erklärte, die Milliarden aus der Versteigerung der Lizenzen müssten zur Entschuldung des Bundes, der Länder und Gemeinden eingesetzt werden, erklärt der querdenkende Ministerpräsident am gleichen Tage, er plädiere dafür, diese Mittel für Steuersenkungen einzusetzen. Meine Damen und Herren, das ist kein Kleckerbetrag, sondern das ist ein Betrag, der natürlich eine erhebliche Bedeutung hat. Das ist auch kein Betrag, der jedes Jahr vom Himmel fällt, sondern es ist ein Betrag, der durch die Versteigerung von Lizenzen einmalig zu erwirtschaften ist. Die Frage, wie man mit diesem Betrag umgeht, darf doch wohl diskutiert werden. Es wird höchste Zeit, dass die Landesregierung dazu eine einheitliche Meinung hat,

(Beifall bei der CDU)

weil das im Poker, in der Diskussion über die Steuerreform insgesamt auf der Bundesebene, im Bundesrat, eine ganz entscheidende Rolle spielt.

Beispiel 4: Da erklärt der Ministerpräsident auf allen Handwerksveranstaltungen, er werde sich der berechtigten Sorgen und Anliegen des Handwerks annehmen. In einer öffentlichen Stellungnahme aber lässt der Finanzminister den Landtag wissen: Die von der Vereinigung der Handwerkskammern, u. a. auch von Mittelstandsvertretern, vorgebrachte

Kritik sei dem Finanzminister und der Landesregierung bekannt. Die Landesregierung könne sich der Auffassung der Handwerkskammern allerdings nicht anschließen. - Dieser Punkt ist typisch für die Landesregierung: Der Ministerpräsident ist im Lande für den Beifall zuständig, für die Verteilung der weißen Salbe, und der Finanzminister kassiert das anschließend wieder ein in der Hoffnung, dass die Betroffenen das nicht so schnell merken.

(Beifall bei der SPD)

Beispiel 5: Noch am 10. April hieß es im "Handelsblatt":

"Unnachgiebig zeigte sich Gabriel allerdings bei einer Senkung des Einkommensteuertarifes."

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Unnachgiebig für drei Wochen!)

Vier Wochen später erklärte er laut "HAZ", nämlich am 4. Mai 2000:

"Ausdrücklich schloss sich Gabriel dem Vorschlag seines Düsseldorfer Kollegen an, den Spitzensteuersatz statt 2005 auf 45 % auf um die 40 % zu senken."

(Möhrmann [SPD]: "Unter 45 %", hat er gesagt!)

- Auf um die 40 %! - Das ist nichts anderes als ein Beispiel dafür, wie nachgiebig Herr Gabriel mit seiner eigenen Meinung umgeht,

(Beifall bei der CDU)

wie nachgiebig er gegenüber den Positionen ist, die er noch vor acht Tagen vertreten hat.

Diese Widersprüchlichkeiten im Kabinett, dieser politische Gemischtwarenladen, der sich hier auftut, ist nicht das Richtige, wenn es darum geht, die Interessen des Landes Niedersachsen im Bundesrat zur Geltung zu bringen. Die Vertretung der Interessen des Landes Niedersachsen im Bundesrat, die Durchsetzung der Landesinteressen, wenn es um die Steuerreform insgesamt geht, erfordert, dass die Landesregierung ganzheitlich auftritt. Das heißt: Diskussion im Kabinett, Beschluss im Kabinett, und dann wird das in Geschlossenheit und Disziplin nach außen vertreten.

(Glocke des Präsidenten - Möhrmann [SPD]: Ministerpräsident Rolfes hat gesprochen!)

Die Bedeutung der Steuerreform für Deutschland und für Niedersachsen ist zu groß, als dass wir uns solche Spielchen, Hüh und Hott, der Eine sagt dies, der Andere sagt jenes, weiterhin erlauben könnten. Ich gehe davon aus, dass wir bei der Debatte über unseren Antrag zur Steuerreform ausgiebig Zeit haben werden, um in aller Schärfe die unterschiedlichen Positionen klarzustellen - dagegen ist nichts einzuwenden -, dass wir dann aber auch mit klaren Positionen die Vertretung unserer Interessen gegenüber dem Bund umsetzen können.

(Beifall bei der CDU)

Herr Minister Aller zunächst? - Bitte!

Herr Rolfes, ich muss Ihnen bestätigen, dass Sie in den letzten Wochen wirklich fleißig waren. Sie müssen viele Zeitungen gelesen und viele Zitate ausgewertet haben, auch wenn Sie nicht die kompletten Texte gelesen haben. Ihnen kam es aber ja darauf an, so etwas Ähnliches wie einen Gegensatz zwischen dem Ministerpräsidenten und dem Finanzminister zu konstruieren. Das ist Ihnen bei der selektiven Wahrnehmung, die Sie zugrunde gelegt haben, bedingt gelungen.

Den Grünen möchte ich erst einmal herzlichen Dank sagen, dass sie die Position von Ministerpräsident Gabriel und meine Position ausdrücklich unterstützen, einen Vorschlag in die Diskussion zu bringen, wie wir die Mehreinnahmen, die aus den Veräußerungserlösen im Zusammenhang mit den Mobilfunklizenzen zu erwarten sind, sinnvoll anlegen. Zwischen dem Ministerpräsidenten und mir besteht völlige Übereinstimmung, dass wir die Erlöse aus der Veräußerung der Mobilfunklizenzen in zweifacher Hinsicht bewerten müssen. Zum einen geht es um die Frage, was eigentlich künftig netto aus diesen Erlösen zu verrechnen ist. Klar ist nämlich, dass sie von den Betriebsausgaben abgesetzt werden. Aber - weiter gerechnet - aus der Vergabe der Lizenzen ergeben sich in der Folge auch wieder Einnahmen. Das ist also ein sehr kompliziertes Thema. Ich warne alle Spekulanten davor, ungefangene Fische zu verteilen, Zahlen zu diskutieren, die sich noch nicht verfestigt haben. Über Zahlen können wir erst reden, wenn die

Veräußerungserlöse auf dem Tisch liegen und damit die Perspektive diskutiert werden kann.

Das Zweite ist aber durchaus richtig, dass man sich nämlich über die Grundsätze der Verwendung unterhält. Aus Niedersachsen haben wir eine Idee in die Diskussion gebracht, die Finanzminister Eichel und den Bundeskanzler ausdrücklich unterstützt, diese Mittel im Wesentlichen zur Entschuldung und zur Schuldentilgung zu verwenden. Ich freue mich, dass uns die Grünen in diesem Hause im Sinne von Einigkeit in der Vertretung der Landesinteressen in der Diskussion mit dem Bund in der Frage unterstützen wollen, ob es nicht sinnvoll sei, den Fonds Deutsche Einheit mit den Erlösen aus der Vergabe der Lizenzen weitestgehend aufzulösen und damit die Annuitätenzahlungen praktisch überflüssig zu machen. Um einige Zahlen zu nennen: Es geht hier immerhin um niedersächsisches Geld in einer Größenordnung von 461 Millionen DM Tilgung, die wir im nächsten Jahr zu Buche stehen hätten. Der Fonds betrug am 31. Dezember 1999 noch 78,4 Milliarden DM. Diese beiden Zahlen machen deutlich, wie wichtig und richtig eine solche Entscheidung im Interesse der Länder und der Kommunen, aber auch des Bundes sein könnte. Dieser Vorschlag hielte sich im Übrigen auch in gerader Linie mit den Vorstellungen des Bundeskanzlers und des Bundesfinanzministers, diese Mittel nicht auszugeben, sondern sie zur Tilgung und Schuldenabsenkung zu verwenden.

In der zweiten Frage, in der es einen Dissens zwischen dem Ministerpräsidenten und mir hätte geben können, hätten Sie eine vollständige Lektüre zugrunde legen müssen. Dabei geht es um das Optionsmodell, das von vielen aus Ihren Reihen, aber auch aus Kreisen der Wirtschaft, des Handwerkes und der Industrie kritisiert wird. In der Tat ist diese Diskussion noch nicht beendet. Es gibt vielmehr den Auftrag an die Bundesregierung, das Optionsmodell unter zwei Gesichtspunkten zu überprüfen. Die Niedersächsische Landesregierung - Ministerpräsident und Finanzminister - hat dafür gesorgt, dass dieser Auftrag erteilt wird, nämlich erstens festzustellen, ob das Rücklagenmodell, das Brandenburg entwickelt hat, eine Alternative sei, oder ob zweitens aus dem Optionsmodell heraus gerechnet steuerrelevante Zahlen zu Buche schlagen könnten, die man zur Finanzierung einer weitergehenden Einkommensteuersenkung einsetzen könnte, und zwar bezogen auf den Spitzensatz und auf die lineare Umsetzung auf die Kurve.

Dieser Prüfungsauftrag ist noch nicht abgearbeitet. Wenn es eine relevante Summe gäbe - Konjunktiv, und dann noch dreimal unterstrichen -, dann wäre das - damit hat der Ministerpräsident Recht - eine denkbare Alternative, weil das nämlich aufkommensneutral wäre. Da der Bund aber in seinem Tableau zur Berechnung der Steuerausfälle im ersten Jahr von 700 Millionen DM ausgeht und erst im dritten bzw. vierten Jahr zu der Größenordnung von 10 Milliarden DM kommt, zeigt sich jedenfalls derzeit ein erheblicher Dissens bezüglich der Finanzierbarkeit dieser Vorstellung. Der Ministerpräsident und ich sind uns in dieser Frage völlig einig, dass das aufkommensneutral organisiert werden muss. Wenn das nicht geht, dann ist dieser konstruktive und richtige Vorschlag des Ministerpräsidenten und des Niedersächsischen Finanzministers obsolet, da er nicht finanziert werden könnte.

(Vizepräsident Gansäuer über- nimmt den Vorsitz)

Dass Ihnen, Herr Rolfes, der dritte Punkt Sorgen macht, ist mir begreiflich. Es ärgert Sie, dass die Steuerreform, obwohl sie noch gar nicht beschlossen ist, inzwischen durch hervorragende positive Entwicklungen unterlegt wird. Das zeigen alle relevanten wirtschaftlichen Daten. Die Wachstumsraten sind mehrfach nach oben korrigiert worden, und zwar schon mit Rücksicht auf die aufgrund der Steuerreform zu erwartende Situation. Die Arbeitslosenzahlen sinken. Das ist das, was Sie möglicherweise insgesamt freut. Aber es freut Sie nicht, dass dies ein Ergebnis sozialdemokratischer Politik ist.

(Rolfes [CDU]: Das ist es auch nicht!)

Wir haben das trotz allem in einer Situation der Preisstabilität, die nicht nur in Niedersachsen, sondern bundesweit beispielhaft ist, und wir haben trotzdem niedrige Zinsen.

Dieses gesamtwirtschaftliche Szenario ist so angelegt, dass man mit dem Bund im Landesinteresse das optimale Ergebnis herausverhandelt. Damit Sie nicht wieder falsch zitieren, bitte ich Sie, wenigstens zuzuhören. Wir befinden uns in einem Diskussionsprozess. Das Schwierige bei solchen Verhandlungen mit dem Bund, mit den anderen Bundesländern - ob SPD- oder CDU-regiert - und mit den kommunalen Spitzenverbänden ist, Herr Rolfes, dass es sich dabei um einen dynamischen Prozess handelt. Das schlichte Abarbeiten von Zeitungszitaten wird nicht die Oppositionspolitik

ersetzen können, die sich in der Sache auch selbst einmal äußern muss.

Bei dem, was Sie eben fröhlich vorgetragen haben, habe ich nicht einen einzigen eigenen Vorschlag gehört.

(Rolfes [CDU]: Wir haben einen An- trag eingebracht. Wir werden 70 Minuten lang darüber reden!)

- Morgen wollen Sie darüber diskutieren! Heute haben Sie nicht ein Wort zur Sache gesagt.

Die drei Kernpunkte, die ich angesprochen habe, untermauern eindeutig: Der Ministerpräsident und der Finanzminister dieses Landes arbeiten im Interesse des Landes bei der Steuerreform und bei der Verwendung der Erlöse aus der Lizenzvergabe an der Front. Das Entscheidende für uns ist, dass wir einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten können, dass wir die zentralen Politikfelder niedersächsischer und deutscher Politik absichern können. Das sind Bildung und Ausbildung, Qualifizierung und Innovation sowie Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, also - Strich darunter - Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland. - Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt der Kollege Möhrmann.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte, als ich die Überschrift zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Aktuellen Stunde gelesen habe, die Befürchtung, dass nunmehr in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen könnte, auch im Lande Niedersachsen sei das Füllhorn wieder geöffnet, und man könne aus einem reichlich vorhandenen Fundus schöpfen. Es gibt ja nachher noch einen Tagesordnungspunkt, bei dem ein Gesetzentwurf der Grünen behandelt wird. Dieser Eindruck wird wohl in der Öffentlichkeit nicht wegzureden sein. Ich habe aber den Äußerungen von Herrn Golibrzuch entnommen, dass er zumindest in dem Punkt bei seiner Linie geblieben ist. Ich wünschte mir, dass es auf den anderen Politikfeldern auch so wäre. Das werden wir nachher sehen.

Ich habe nur ein Problem mit den Aussagen von Herrn Rolfes. Herr Rolfes hat hier mit keinem Wort darüber geredet, was es bedeuten würde, wenn man die Pläne der Union umsetzen würde. Welche eigenen Pläne er hat, hat er nicht gesagt. Wenn ich aber davon ausgehe, dass es die Unionslinie ist, den Spitzensteuersatz auf 35 % zu senken, und zwar mit der entsprechenden Herabsenkung der Progressionslinie, dann reden wir über einen bundesweiten Ausfall von 70 Milliarden DM. Ich habe bisher nicht gehört, wie denn das finanziert werden soll. Sie wissen ganz genau, was davon bei uns im Landeshaushalt ankommt.

(Möllring [CDU]: Wir haben in die- sem Jahr doch 70 Milliarden DM Mehreinnahmen!)