Protocol of the Session on February 16, 2000

Ich nehme an, dass Ihre zehn Gebote nicht erst für das nächste, sondern auch schon für das derzeit amtierende Kabinett Gültigkeit bekommen sollten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nun haben Sie, Herr Ministerpräsident, gestern mit Ihren zehn Geboten für Minister einiges verkündet. Sechs dieser Gebote betreffen die Bezahlung von Eintrittskarten, Flügen, anderer Reisen und das Geschenkewesen. Der Regelbedarf dafür ist nach den Glogowski‘schen Eskapaden riesengroß. Insofern begrüßen wir, dass Sie damit auch Vorschläge aus unserer Initiative zur Änderung des Ministergesetzes aufgreifen. Ich sage das aber nicht, um darüber hinwegzutäuschen, dass Sie sich bisher vor Konsequenzen gedrückt haben.

Die eine, öffentlich nicht nur von mir, sondern auch vom Kollegen Wulff und vom Kollegen Gabriel thematisierte Forderung nach einer Amtszeitbegrenzung für hohe politische Ämter darf meines Erachtens nicht von der Tagesordnung verschwinden. Wenn man diese Begrenzung für Ministerpräsidenten einführen wollte, wäre hier in Niedersachsen eine Verfassungsänderung notwendig. Wir haben diesen Vorschlag deshalb noch nicht in unsere Vorschläge zur Gesetzesänderung aufgenommen. Warum diese Forderung aber jetzt nicht z. B. als elftes Gabriel‘sches Gebot thematisiert wurde, verstehe ich noch nicht.

Ich bin der Auffassung, dass das Parlament mit seinen zuständigen Ausschüssen unter Einbeziehung der Landesregierung die Beratung über notwendige Gesetzesverschärfungen tatsächlich zügig beginnen sollte.

(Glocke des Präsidenten)

Ich glaube, dass eine weitgehend öffentliche Beratung dieser Themen uns sehr gut zu Gesicht stehen würde. Wenn das Schwadronieren in Talkshows und Redaktionsgesprächen abgelöst würde durch tatsächliche ernsthafte Gesetzesberatungen und Gesetzesänderungen, dann wäre in Niedersachsen meines Erachtens seit dem Rücktritt von Gerhard Glogowski der erste ganz harte Schritt getan, um aus dem Sumpf, in dem die Politik in der öffentlichen Meinung steckt, herauszukommen.

Ich meine, dass wir uns heute eigentlich auch über angemessene neue Beratungsformen einigen könnten. Warum sollte es denn eigentlich nicht eine Anhörung über Transparenzregelungen für Abgeordnete hier im Plenarsaal geben? - Ich glaube, dass sehr viele Menschen ein Interesse daran haben, zu sehen, wie die Politiker oder die großen politischen Parteien den Versuch unternehmen, sich tatsächlich selbst aus dem Sumpf zu ziehen. Der Weg, also die öffentliche Beratung dieser Gesetzesverschärfungen ist für mich bereits ein Teil des Ziels. Der Weg ist das Ziel. Öffentliches Vertrauen zurückzugewinnen funktioniert meines Erachtens nicht, wenn man die Beratungen hauptsächlich in der Staatskanzlei führt und die Vorschläge des Ministerpräsidenten im Kabinett wieder aushebeln lässt. Öffentliches Vertrauen gewinnt man am Besten, indem man die Öffentlichkeit an den Beratungen beteiligt. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank. - Das Wort hat der Kollege Wulff.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Debatte, die wir hier führen, wichtig ist. Wir sollten sie ergebnisoffen führen. Was die Irritationen anbetrifft, die bei uns entstanden sind, so stelle ist fest: Wir gehen davon aus, Herr Ministerpräsident, dass wir eine Novelle zur Änderung des Ministergesetzes bekommen. Es gab einige, die sagten, dass das jetzt nicht mehr so ganz klar sei.

Außerdem gehen wir davon aus, dass über Ihre zehn Grundsätze neben den Vorschlägen der Grünen, über die wir heute sprechen, und den Vorschlägen, die wir unterbreitet haben, in den Ausschüssen des Landtages eine Debatte geführt wird. Das wäre nützlich.

Zum Teil müssen wir einfach zu Regelungen zurückkehren, die in der Verfassung verankert sind, nämlich zur Zurückhaltung bei Aufsichtsratsmandaten.

(Beifall bei der CDU)

Ich bin heute der Überzeugung, dass Ministerpräsident Albrecht Recht hatte mit seiner Vorstellung, die er hier immer wieder geäußert hat, dass ein Ministerpräsident in überhaupt keinen Aufsichtsrat gehen sollte, weil das Gemeinwohl und das Firmenwohl nicht immer identisch seien und der Ministerpräsident das Gemeinwohl zusammenführen und repräsentieren solle.

(Beifall bei der CDU - Schwarzenholz [fraktionslos]: Das gilt auch für Mi- nister!)

Ich glaube auch, dass wir über die Einflussnahme auf öffentlich-rechtliche Unternehmen reden müssen. Wenn z. B. beim SPD-Bundesparteitag der Presseabend von VW oder von der Bundesdruckerei gesponsert worden ist oder wenn selbst auf dem Bundesparteitag der Grünen eine Reemtsma-Presselounge eingerichtet worden ist,

(Plaue [SPD]: Oder McDonalds bei der CDU!)

dann sind das Themen, über die wir ebenso reden müssen wie über die Dinge, die Frau Harms und die Sie hier gleich schon im Überfluss nennen.

Wenn man mit einem Finger auf andere zeigt, hat man natürlich vier Finger auf sich selbst gerichtet.

(Frau Harms [GRÜNE]: So lange man die Sponsoren noch öffentlich fest- stellen kann, ist das noch alles in Ord- nung!)

Ich möchte im Hinblick auf die Debatte in den Ausschüssen drei Bemerkungen anfügen. Erste Bemerkung: Ich glaube, dass vor einer zu formalen Betrachtung gewarnt werden muss. Es geht in der Politik um Menschen. Es geht um Haltungen, um Tugenden, um Überzeugungen, um charakterliche Eignungen, und es geht um die Notwendigkeit von Distanz zu Sachen, zu Sachverhalten, zu Personen. Man darf sich insoweit nicht in Dickichte und Geflechte hineinbegeben.

Eine rein formale Betrachtung mit Amtszeitbegrenzung hat Herr Joschka Fischer umgehen können, weil er ein politischer Mensch ist, und die hat Herr Trittin umgangen mit dem Wechsel vom Landtag in den Bundestag. Es wäre einfach ein Jammer gewesen, wenn Henning Scherf nach acht oder zehn Jahren seines politischen Wirkens gewürdigt worden wäre. Wenn man sieht, welchen erfolgreichen Bürgermeister Henning Scherf heute in Bremen abgibt, dann ist es einfach gut gewesen, dass er in der Politik geblieben und nicht einer formalen Amtszeitbegrenzung unterworfen ist.

(Zustimmung von Wolfkühler [SPD])

Es gibt mit Bernhard Vogel und anderen weitere Beispiele für Politiker, die über Jahrzehnte als Ministerpräsidenten erfolgreich für Bundesländer gewirkt haben. Der ist sogar in Niedersachsen geboren. Es gibt mit dem Fall von Gerhard Glogowski aber auch Fälle, bei denen jemand selbst bei einer formalen Amtszeitbegrenzung auf zwei Monate schwer gefehlt hätte, denn in diesem Fall hätte selbst eine zweimonatige Amtszeitbegrenzung nicht die Vorfälle verhindern können, die zu seinem Rücktritt geführt haben.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte weiterhin vor der formalen Betrachtung warnen, dass wir jetzt das Kind mit dem Bade ausschütten. Ich bin für Transparenz über Politikereinkünfte.

(Schröder [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Herr Wulff, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Schröder?

Deswegen nicht, weil ich gerne möchte, dass auch Herr Stratmann noch für unsere Fraktion sprechen kann, und weil wir begrenzte Redezeiten haben.

Ich möchte vor der Gefahr warnen, das Kind mit dem Bade auszuschütten,

(Frau Harms [GRÜNE]: Das tun Sie aber!)

wenn jetzt bei mehr Transparenz über Einkünfte von Politikern auch der Datenschutz übergangen wird, der Schutz der Privatsphäre übergangen wird

(Frau Harms [GRÜNE]: Nein! Haben Sie das gelesen?)

- und dies vor dem Hintergrund amerikanischer Erfahrungen. In Amerika gibt es die Neiddebatte, die es in Deutschland zum Teil gibt, gerade nicht. Dort wird den Politikern durchaus zugestanden, dass die Ehefrauen beruflich erfolgreich tätig sind, und je mehr Erfolg sie haben, desto mehr wird das herausgestellt. Das ist bei uns ein klein wenig anders, wenn Sie auch an Fälle denken, die wir hier diskutiert haben.

(Frau Harms [GRÜNE]: Uns geht es mehr um die Doppelverdiener, Herr Wulff!)

Ich meine, dass wir in diesem Parlament ein Defizit an Freiberuflern haben, an Handwerkern, an Mittelständlern, und wir dürfen nichts tun im Hinblick auf gläserne Abgeordnete, die hier weiterhin den öffentlichen Dienst überrepräsentieren.

(Beifall bei der CDU)

Derjenige, der im öffentlichen Dienst ist, scheidet dort aus, geht ins Parlament und hat jederzeit die Möglichkeit der Rückkehr; derjenige, der aus seinem Handwerksbetrieb in die Politik wechselt, muss sich weiterhin unter erheblichem Problemdruck um seinen Handwerksbetrieb kümmern, um ebenfalls die Chance zu haben, dass dieser Betrieb noch existiert, wenn er in sein mittelständisches Gewerbe zurückkehren muss oder zurückkehren will. Das kann einfach nur eine Mahnung sein.

(Beifall bei der CDU)

Eine letzte Bemerkung: Wir müssen die Differenz zwischen dem, was wir wollen, und dem, was die SPD bisher will, sehen. Wir sind der Ansicht, dass Sie um eines nicht herumkommen - Sie sind ja vielleicht bereit, dazu etwas zu sagen, Herr Plaue -: Sie kommen nicht um eine gewisse Gleichstellung von Ministern, Ministerpräsidenten und Staatssekretären mit Beamten herum. Wenn einem Regierungssprecher vorgeworfen wird, die Öffentlichkeit belogen oder betrogen zu haben, oder wenn einem Beamten Aktenmanipulation vorgeworfen wird, hat das Konsequenzen. Wenn ein Ministerpräsident oder ein Minister aus Gründen, die in seinem eigenen Fehlverhalten liegen, ausscheidet, dann muss es Regelungen und Instrumentarien zur Kürzung von Übergangsgeldern und Pensionen - so, wie es sie auch bei Amtspflichtverletzungen gibt - geben. Hierüber möchten wir gern im Ausschuss für Recht und Verfassung diskutieren, und wir hoffen, dass Sie sich auch in diesem Punkt beweglich zeigen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank. - Das Wort hat der Herr Ministerpräsident.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin dem Kollegen Wulff für die aus meiner Sicht sehr sachliche Debatte außerordentlich dankbar, die er begonnen hat, allerdings mit einer Einschränkung, Herr Kollege Wulff: Ich meine, wir sollten bei allen folgenden Diskussionen, die wir über dieses Thema führen, versuchen, uns die Möglichkeit zu verkneifen, jeweils auf andere zu zeigen.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Sie haben gestern Abend von „Schweinereien“ der Union gesprochen!)

- Ich wollte nur Folgendes sagen: Ich denke, wir können das hier im Landtag gut handeln, ohne sagen zu müssen: Da gibt es aber bei dem und dem diese oder jene Veranstaltung!

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Gestern Abend war das!)

- Herr Wulff, ich habe das gestern Abend deshalb gemacht, weil ich die Freundlichkeit hatte, vorher zu hören, was Sie über mich gesagt hatten. Deswegen werden Sie gestatten, dass ich darauf antworte.

(Frau Harms [GRÜNE]: Können wir das auch einmal hören? - Wulff (Os- nabrück) [CDU]: Das ist ja interessant!)

Wir beide sind uns doch einig - das haben Sie auch zu Frau Harms gesagt -: Es macht keinen Sinn, die eigene Position, die in der Sache begründet ist, mit dem Hinweis auf das Fehlverhalten anderer in anderen Parteien zu begründen. Das sollten wir zum Maßstab unserer Debatte machen, uns aber auch miteinander daran halten.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Okay!)