Protocol of the Session on January 23, 2003

Sehr geehrte Frau Abgeordnete, ich habe dieses Gespräch am Dienstagabend geführt. Dieses Thema ist so komplex, dass selbst die Fachleute bei den Kassen, bei mir im Haus und bei der Kassenärztlichen Vereinigung eingeräumt haben, dass der Prozess der Betrugseindämmung nur als Schrittfür-Schritt-Prozess verstanden werden kann, dem Baustein für Baustein hinzugefügt werden muss. Es ist die Aufgabe der Selbstverwaltung, alles zu tun - die gesetzlichen Voraussetzungen dafür sind auch geschaffen -, um Betrug einzudämmen und zu ahnden. Die gesetzlichen Grundlagen dafür gibt es. Wenn es aber der Sache dienlich ist und auch dazu

führt, dass konkrete Vereinbarungen getroffen werden können, dann setze ich meine Möglichkeiten als Politikerin ein.

(Frau Zachow [CDU]: Sie haben die Aufsichtspflicht!)

Das ist am vergangenen Dienstag, wie ich finde, in wunderbarer Weise gelungen. Wenn man sich mit diesem Thema richtig beschäftigt, dann weiß man meiner Einschätzung nach, dass Schuldzuschreibungen im Sinne von „Die Politik hat nicht aufgepasst, was die Kassen tun“ nicht richtig sind. Stellen Sie mir gerne die nächste Frage, welche Daten die KV an die Kassen geliefert hat und was die Kassen damit gemacht haben. Dann werde ich Ihnen sagen, wie das Ganze gesetzlich aussieht und was dort getan wird.

Herr Dr. Winn! Danach Herr Mühe.

(Bachmann [SPD]: Sag‘ uns mal, was noch alles geht und wo die Schlupflö- cher sind, damit wir besser reagieren können!)

Da musst du vielleicht einmal einen anderen fragen. - Die Ärzteschaft hat natürlich überhaupt kein Interesse daran, schwarze Schafe zu schützen - um das hier einmal klarzustellen.

(Beifall bei der CDU)

Ich frage mich, Frau Ministerin - -

(Mühe [SPD]: Frag‘ die Ministerin, nicht dich selbst!)

- Ich habe die Frage ja noch nicht gestellt. Deshalb sage ich: Ich frage mich, ob Sie den Mechanismus überhaupt verstanden haben; denn bereits seit dem dritten Quartal 1995 sind die Krankenkassen nach Anlage VI des Bundesmantelvertrages zwischen Ärzten und Krankenkassen verpflichtet, ihre Mitgliederbestandsdaten mit den von der KVN überlieferten Abrechnungsdaten abzugleichen.

Frage!

Meine Frage lautet: Wie stehen Sie dazu? Was sagen Sie dazu, dass dieser Verpflichtung nicht nachgekommen wird?

Frau Trauernicht!

Wie Sie von einigen Gesprächsteilnehmern vielleicht wissen, haben wir über diese Fragen sehr intensiv diskutiert. Zum Glück haben wir seit 1995 ein Gesetz, das die Überlieferung von Daten von der Kassenärztlichen Vereinigung an die Kassen vorschreibt. Angesichts der riesigen Datenmenge - es sind 12,5 Millionen Daten pro Quartal - stellt sich die Frage, wozu man diese Daten einsetzt.

Man könnte den Kassen nur vorwerfen, dass sie diese Daten nicht genutzt haben, um den Betrugsverdacht einzudämmen,

(Dr. Winn [CDU]: Sie sind verpflich- tet!)

wenn dies die Zweckbestimmung des Gesetzes vorschreibt. Ich muss Sie aber darüber informieren, dass im SGB V zu diesem Thema in § 295 Abs. 2 allgemein formuliert steht:

„Für die Abrechnung der Vergütung übermitteln die Kassenärztlichen Vereinigungen den Krankenkassen, auf Verlangen auf Datenbändern oder anderen maschinell verwertbaren Datenträgern, für jedes Quartal die für die vertragsärztliche Versorgung erforderlichen Angaben über die abgerechneten Leistungen fallbezogen, nicht versichertenbezogen.“

(Dr. Winn [CDU]: Das ist etwas ganz anderes!)

- Das ist es ja! Es ist etwas ganz anderes, weil diese Grundlage nicht geschaffen wurde, um Betrug einzudämmen, sondern generell für die Abrechnung der Vergütung.

(Dr. Winn [CDU]: Sie haben die Fra- ge nicht verstanden!)

Deswegen finde ich diese Zuspitzung und diesen Vorwurf falsch. Wir haben jetzt verabredet, dass diese Daten auch genutzt werden, um festzustellen, ob wir Betrugsfällen stärker nachgehen können. Das ist ganz klar.

(Frau Zachow [CDU]: Sie haben die Frage nicht verstanden!)

- Ich habe die Frage sehr gut verstanden.

Herr Mühe! Danach Frau Jahns.

Frau Ministerin, die Tatsache, dass es solche Betrugsfälle gibt, ist in der Bundesrepublik seit einigen Jahren bekannt. Können Sie Auskunft darüber geben, welche Betrugsfälle sich im Einzelnen ereignet haben und in welchem Umfang die Patientinnen und Patienten sowie die Krankenkassen dadurch geschädigt wurden?

(Frau Zachow [CDU]: Wollen wir jetzt Nachhilfeunterricht machen?)

Frau Ministerin!

Wir führen dazu natürlich keine Listen, aber hilfsweise nehme ich eine dpa-Nachricht aus der letzten Zeit. Dort ist deutlich geworden, dass es - das ist gerade das, was die Menschen sehr beunruhigt immer wieder zu Betrügereien kommt und dass es sich um spektakuläre Fälle handelt. Das gibt ja auch immer ein Thema. Diesmal ist das Thema die Abrechnung für Tote. Beim letzten Mal war es das Thema Abrechnung mit Billigzahnersatz aus außereuropäischen Ländern. Davor waren es betrügerische Geschäfte mit Kontaktlinsen. Dann ging es um Herzklappen usw. usf. Die Liste kann noch weiter vervollständigt werden. Diese Abrechnungsbetrügereien gibt es immer wieder. Das ist außerordentlich ärgerlich. Aber überall, wo Menschen sind, wird auch betrogen. Das wird man auch nie auf Null bringen können.

Es geht daher darum, ein System zu entwickeln, das es ermöglicht, diese Betrügereien einzudämmen und die Anstrengungen zu erhöhen. Das ist

gar keine Frage. Ich meine, dass es wichtig ist, so vorzugehen, dass das Vertrauen der Patientinnen und Patienten in die Ärzteschaft erhalten bleibt. Deswegen bin ich erfreut darüber, wenn die Ärzte ihrerseits deutlich machen, dass sie so etwas in ihren Reihen nicht dulden und geahndet wissen wollen. Darüber haben wir in diesem Gespräch sehr intensiv gesprochen. Ich habe den Eindruck, dass Möglichkeiten zur Ahndung dieser Betrügereien eingesetzt werden. Letztlich entscheiden - wenn es nicht disziplinarische Maßnahmen sind die Gerichte darüber, ob es zu einer Verurteilung kommt. Es gibt keinen Zweifel, dass daran Interesse besteht.

Frau Jahns! Dann Frau Litfin.

Frau Ministerin, haben Sie eine Übersicht darüber, wie die Krankenkassen sicherstellen, dass Krankenversicherungskarten z. B. nach dem Ausscheiden eines Versicherten nicht mehr benutzt werden können? - Ich möchte Ihnen dazu ein kurzes Beispiel nennen: Meine Kinder sind seit fünf Jahren über mich versichert. Jetzt habe ich von der seinerzeitigen Krankenkasse eine Versicherungskarte für meine älteste Tochter bekommen. Ich meine, in diesem Bereich müsste noch mehr kontrolliert werden.

(Biel [SPD]: Herr Präsident, Sie sind sehr großzügig!)

Frau Kollegin Jahns hat ihre Frage durch eine Beispielaufzählung etwas erläutert. Das ist eigentlich nicht vorgesehen. - Frau Ministerin!

Was tun die Kassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen, um sicherzustellen, dass eine Chipkarte, die für ein Quartal ausgestellt ist, nicht noch einmal benutzt wird? - Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben ihren Teil dazu beigetragen. Die Kassen könnten die Chipkarten systematisch zurückfordern. Ich mache aber darauf aufmerksam, dass das bei den Millionen von Versicherten einen Verwaltungsaufwand erfordern würde, der wiederum Kosten verursachen würde, durch die die

Krankenversicherung belastet würde. Diese Mittel könnten besser für die Gesundheit der Menschen - z. B. für den präventiven Bereich - aufgebracht werden. Deswegen muss man immer prüfen, ob die Kontrollmechanismen nicht unverhältnismäßig sind. Denn wir gehen natürlich nicht davon aus, dass das in großer Anzahl eintritt. Trotzdem haben wir alle zusammen ein Ziel, um das in den Griff zu bekommen, nämlich die fälschungssichere Chipkarte, die mit einem Bild oder auch mit einem Code ausgestattet ist. Das wird sicherlich die neue Generation der Chipkarten sein. Daher bin ich der Meinung, dass wir eine klare Perspektive haben, an der wir gemeinsam arbeiten. Es gab auch eine große Übereinstimmung aller Beteiligten, dass das die Linie sein muss. Aber auch hier muss man sagen, dass die Einführung einer Chipkarte dieser Art erst einmal viel Geld kostet. Wenn sich jedoch alle Beteiligten einig sind, dann wird es diese neue Generation der Chipkarten geben. Das ist sicherlich auch gut so.

Frau Litfin! Dann Frau Elsner-Solar.

Frau Ministerin, gestern Abend ist in einer Fernsehsendung ein Vertreter der Kassenärztlichen Vereinigung aufgetreten, der erklärte, es sei ja noch gar nicht bewiesen, wer betrogen habe; es könne auch sein, dass Hinterbliebene die Versicherungskarte der Verstorbenen genutzt haben und sich darauf haben ärztlich behandeln lassen. Sind Ihnen Fälle bekannt, wo so etwas geschehen ist, dass z. B. die Enkelin die Krankenversicherungskarte ihrer Oma benutzt hat?

Frau Ministerin!

Nein, Frau Abgeordnete, mir persönlich ist solch ein Einzelfall nicht bekannt. Aber selbst an ein Thema wie Abrechnung für Tote, das ein sehr emotionales Thema ist, muss man sachlich differenziert herangehen. Wir haben festgestellt, dass die Lage nicht so einfach ist. Wenn jemand verstorben ist und vier Wochen später eine Rechnung des Arztes kommt, dann kann diese immer noch im Zusammenhang mit dem Tod dieser Person stehen.

(Frau Zachow [CDU]: Nicht nach fünf Jahren!)

- Nicht nach fünf Jahren, das ist klar. Aber die Kassen haben festgestellt, dass es sich auch um ein Versehen handeln kann, z. B. dadurch, dass ein falsches Datum eingegeben wird. Wir müssen also nicht in jedem Fall von betrügerischer Absicht ausgehen. Deshalb muss man bei diesen Fällen, die zukünftig durch den Abgleich der Daten ausgeworfen werden, noch einmal überprüfen, ob es plausible Hinweise für einen Betrug oder Schaden für die solidarische Krankenversicherung gibt. Kassenärztliche Vereinigungen und Kassen haben sich darauf geeinigt, ein Raster zu entwickeln, damit nicht ein riesiger Apparat aufgebaut wird, der am Ende nicht effektiv ist.

Ganz generell zu den Aussagen der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Kassen: Ich habe das ja auch mitbekommen. Die Wellen schlagen hoch. Die Emotionen sind da. Es gibt unterschiedliche Rollen und Interessenvertreter. Man muss immer wieder versuchen, auf den sachlichen Kern der Sache zurückzukommen und im Interesse der Beteiligten eine Lösung zu finden. Das ist gelungen. Dafür bin ich den niedersächsischen Kassenvertretern und der Kassenärztlichen Vereinigung dankbar. Aber ich nehme auch zur Kenntnis, dass die eine oder andere Presseinformation die Wellen wieder hochschlagen lässt. Mein Kurs und die Verabredungen sind aber klar. Sie sind alle richtig. Letztlich haben alle ein gemeinsames Interesse daran. Die Schuldzuschreibungen nützen gar nichts.

Frau Elsner-Solar! Dann stellt Herr Dr. Winn seine zweite Frage.

Frau Ministerin, als Zeitungsleserin fällt mir auf, dass in der Vergangenheit die Aufdeckung der Betrugsfälle sehr oft durch die Krankenkassen erfolgt ist und weniger durch Kassenärztliche Vereinigungen. Welche Erklärung haben Sie dafür?

(Dr. Winn [CDU]: Das geht doch gar nicht! Informieren Sie sich einmal, wie das funktioniert, Frau Elsner- Solar!)

Frau Ministerin!

Sehr geehrte Frau Abgeordnete, nach der Lektüre der Zeitung drängt sich in der Tat auf, dass es unterschiedliche Aufklärungsaktivitäten gibt. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass viele Skandale Leistungsbereiche betreffen, in denen eine direkte Abrechnung des Leistungserbringers mit der Krankenkasse erfolgt. Gerade die Aktivitäten der AOKen und anderer Kassen in Niedersachsen sind beispielhaft bei der Aufklärung des Betrugs durch Ärzte im Bereich der Leistungserbringung, sodass der Fokus darauf liegt. In vielen Fällen sind Kassenärztliche Vereinigungen nicht berührt, z. B. beim berühmten Herzklappenskandal, beim Arzneimittelbetrug, beim Betrug mit Kontaktlinsen oder auch bei Betrügereien mit physiotherapeutischen Leistungen oder im Bereich des Billigzahnersatzes.