Protocol of the Session on November 21, 2002

Es liegen drei Dringliche Anfragen vor: a) Lehrer zum Bildungsurlaub in die Türkei - Kultusministerium schiebt „alles auf andere“ - Anfrage der Fraktion der CDU - Drs. 14/3898 -, b) Rissiges Atomkraftwerk Unterweser - Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 14/3899 - und c) Ist die Verlässliche Grundschule auch im Urteil der Betroffenen ein Erfolgsmodell? - Anfrage der Fraktion der SPD - Drs. 14/3901.

Ich erinnere noch einmal an unsere Spielregeln: Jeder Abgeordnete darf bis zu zwei Zusatzfragen stellen. Zu zählen sind die einzelnen Fragen. Die Zusatzfragen müssen knapp und sachlich sein. Sie müssen zur Sache gehören und dürfen die Frage nicht auf andere Gegenstände ausdehnen. Sie dürfen nicht verlesen werden. Vor allem sollten es Fragen sein, meine Damen und Herren.

Ich rufe auf:

a) Lehrer zum Bildungsurlaub in die Türkei - Kultusministerium schiebt „alles auf andere“ - Anfrage der Fraktion der CDU - Drs. 14/3898

Wer bringt ein? - Herr Kollege Busemann!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Laut einem Bericht der Neuen Presse vom 10. November 2002 flogen mitten in der Unterrichtszeit acht Lehrer - davon sieben aus Niedersachsen - für eine Woche in die Türkei, um sich in einem VierSterne-Hotel in Strandnähe über dessen Umweltkonzept zu informieren. Die Reise wurde vom Landesinstitut für Schulentwicklung und Bildung (NLI) in Hildesheim angeboten und ist auch im offiziellen Programm dieses Instituts enthalten, das vom Kultusministerium nachdrücklich genehmigt worden ist.

Jetzt macht das Kultusministerium einen Rückzieher: „Das ist unakzeptabel.... Diese Fortbildungsveranstaltung war in keiner Weise genehmigungsfähig“, wird der zuständige Abteilungsleiter in der Neuen Presse vom 11. November zitiert.

Die Hannoversche Allgemeine Zeitung kommentiert wie folgt: „Die Fahrt in die Türkei zeigt, dass man an entscheidender Stelle nichts gelernt hat.... Dabei sollte man ruhig einmal grundsätzlich untersuchen, ob das Landesinstitut seinen Aufgaben gewachsen ist. Alles auf andere zu schieben dürfte allerdings nicht gelingen: Liest eigentlich niemand im Kultusministerium die Fortbildungsprogramme?“ So die HAZ vom 11. November 2002.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Wenn diese angebliche Fortbildungsveranstaltung „in keiner Weise genehmigungsfähig“ war, warum ist sie dann über das niedersächsische Lehrerfortbildungsinstitut angeboten worden und über das offizielle Programm dieser Institution durch das Niedersächsische Kultusministerium auch noch ausdrücklich genehmigt und damit unterstützt worden?

2. Warum beruft sich das Kultusministerium bei seiner nachträglichen Ablehnung lediglich auf formale Gründe der Nichteinhaltung einer Mindestteilnehmerzahl und stellt nicht, wie wiederholt angekündigt, aber offensichtlich nicht umgesetzt, sicher, dass Lehrerfortbildungskurse und insbesondere Auslandsreisen während der unterrichtsfreien Zeit stattzufinden haben und in jedem entsprechenden Fall einer Einzelfallprüfung durch das Niedersächsische Kultusministerium unterliegen?

3. Warum schiebt die Niedersächsische Kultusministerin „alles auf andere“ und stellt sich nicht ihrer politischen und dienstlichen Verantwortung; welche Konsequenzen ergeben sich für welche Bedienstete der obersten Landesbehörden damit?

Die Antwort erteilt die Kultusministerin Frau Jürgens-Pieper.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie von der CDU-Fraktion wollen mit dieser Dringlichen Anfrage wissen, warum das Kultusministerium den Fortbildungskurs „Bildung für nachhaltige Entwicklung - Tourismus im Spannungsfeld von Öko

logie und Ökonomie - Entwicklung eines nachhaltigen Umweltkonzeptes am Beispiel des Iberotels“ in keiner Weise für genehmigungsfähig hält.

(Klare [CDU]: Die Öffentlichkeit auch!)

- Ich auch. - Sie unterstellen dabei zugleich, dass das offizielle Programm ausdrücklich genehmigt und unterstützt wurde. Ich will Ihnen gern darstellen, warum wir diesen Kurs in keiner Weise für genehmigungsfähig halten und er deshalb nicht hätte stattfinden dürfen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine Vorbemerkung zum Instrument der Dringlichen Anfrage machen. Sie wissen, dass ich, als mir das bekannt geworden ist, unverzüglich dienstrechtliche Konsequenzen eingeleitet habe. Ich habe dabei Vorermittlungen gegen Mitarbeiter aufnehmen müssen. Soweit es diese Vorermittlungen zulassen, will Ihnen heute gerne im Detail Auskunft geben,

Zum Zustandekommen des Kurses ist zu sagen: Die Genehmigung zur Durchführung des betreffenden Kurses wurde im Fortbildungsinstitut zum Programmhalbjahr 2002 - zweites Halbjahr - am 19. März 2002 erteilt. Die Gesamtverantwortung für das Programm und dessen Genehmigung liegt seit 1995 beim Direktor des NLI. Die Umsetzung der inhaltlichen, methodischen, organisatorischen und finanziellen Feinplanung eines Kurses liegt in der Verantwortung des jeweils für das Sachgebiet zuständigen Dezernenten im NLI in Abstimmung mit dem vorbereitenden Kursleiter.

Zum Termin und zur Auswahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Der Kurs sollte im Rahmen einer Kooperationsabsprache zwischen den Ländern Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein durchgeführt werden. Die Notwendigkeit einer Durchführung des Kurses in der Unterrichtszeit wurde durch den zuständigen Dezernenten mit dem Hinweis auf die unterschiedlichen Ferienzeiten der beteiligten Bundesländer begründet.

(Möllring [CDU]: Außerdem sind die Hotels außerhalb der Ferienzeiten bil- liger! Man muss ja sparsam sein!)

Eine inzwischen im Kultusministerium erfolgte Prüfung der Zeiten für die Herbstferien der beteiligten Bundesländer hat ergeben, dass drei Bundesländer gemeinsame Ferienzeiten hatten.

Für die Planung des Kurses wurde als Kursquote 25 als Sollzahl festgelegt. In dieser Quote waren 15 Teilnehmer aus Niedersachsen und zehn aus anderen Bundesländern enthalten. Daraus ergibt sich, dass der Kurs schon im Planungsstadium in die unterrichtsfreie Zeit - hier: in die Herbstferien hätte gelegt werden müssen, da 15 Teilnehmer aus Niedersachsen und weitere mögliche fünf bis sechs Teilnehmer aus Bremen und Hamburg gemeinsame Ferienzeiten hatten.

Die Entscheidung für einen Termin außerhalb der Ferienzeit wurde von dem für den Kurs verantwortlichen Dezernenten auch damit begründet, dass der Reiseveranstalter TUI während der Herbstferien in Niedersachsen wegen Auslastung kein günstiges Angebot machen konnte.

(Möllring [CDU]: Das sag‘ ich doch: Man muss sparsam sein!)

Fünf Tage nach der Aufnahme des Kurses in die Programmplanungen für das zweite Halbjahr - am 22. März - wurde die Teilnehmerzahl für Niedersachsen von 15 auf - man höre! - fünf reduziert. An der Gesamtquote von 25 wurde aber festgehalten, sodass sich die Anzahl der Plätze für die beteiligten Bundesländer von jeweils fünf ergab. Warum diese Reduktion vorgenommen wurde und wer sie veranlasst hat, wird im Rahmen der dienstrechtlichen Vorermittlungen geprüft.

Zur tatsächlichen Zahl der Teilnehmer an diesem Kurs: Als sich abzeichnete, dass aus den beteiligten Bundesländern keine Kursanmeldungen und aus Niedersachsen nur vier Anmeldungen vorlagen, ist der zuständige Dezernent von einer Mitarbeiterin im NLI informiert worden. Nach den im NLI festgelegten Regelungen hätte der Kurs sofort abgesagt werden müssen. Warum der Kurs dennoch stattgefunden hat, muss ebenfalls im Zuge der weiteren Ermittlungen geklärt werden. Zum jetzigen Zeitpunkt steht fest, dass der Leiter des Instituts über die aktuelle Entwicklung der Anmeldezahlen nicht informiert wurde. Die tatsächliche Teilnehmerzahl betrug vier Personen, und zwar drei Lehrkräfte aus berufsbildenden Schulen und eine Lehrkraft aus einer Haupt- und Realschule mit Orientierungsstufe - alle aus Niedersachsen.

Zur Kursleitung und zu den Referenten: Für den Kurs wurden zwei Kursleiter und fünf Referentinnen und Referenten eingesetzt. Die beiden Kursleiter und ein Referent sind niedersächsische Landesbedienstete. Eine Referentin ist Bedienstete des

Landesinstituts Mecklenburg-Vorpommern. Die übrigen drei Referenten sind türkische Staatsbürger. Auch dieses Missverhältnis von vier Teilnehmern zu zwei Kursleitern und fünf Referenten hätte zu einer rechtzeitigen Absage des Kurses führen müssen. Auch in dieser Frage wird weiter ermittelt.

Zur Finanzierung des Kurses: Die Kurskosten betrugen 4 632 Euro. Davon haben sich die vier Teilnehmer sowie die Referentin aus MecklenburgVorpommern mit der Bezahlung der Flugreise zu je 353 Euro an der Finanzierung beteiligt, sodass die Gesamtkosten für das NLI und damit auch für das Land Niedersachsen 3 288 Euro betrugen.

(Möllring [CDU]: Das ist aber groß- zügig!)

Für die zwei niedersächsischen Kursleiter und den niedersächsischen Referenten wurden alle Kosten übernommen, obwohl deren Kosten wegen der vom Land bezahlten Flugreisen deutlich über denen vergleichbarer Veranstaltungen in Niedersachsen liegen. Die Kursleiter bzw. Referenten erhielten eine Entschädigung im Umfang von 100 bis 250 Euro. Die gezahlten Entschädigungen sind mit Blick auf den Umfang ihrer Leistungen inakzeptabel. Der gesamte Finanzierungsplan hätte vom zuständigen Dezernenten nicht genehmigt werden dürfen. Auch hierin liegen zahlreiche Gründe dafür, den Kurs abzusagen. Im Zuge der dienstrechtlichen Vorermittlungen werden daher auch Regressansprüche geprüft. Eines kann ich Ihnen hier vor dem Landtag versichern: Wir werden jeden Euro zurückverlangen, der zu Unrecht gezahlt worden ist.

(Beifall bei der SPD)

Zum Arbeitsplan: Der vorliegende Arbeitsplan stellt eine Mixtur aus Referaten zu unterschiedlichsten Umweltthemen, Informationsveranstaltungen zum türkischen Schulsystem und dem Stand der Umweltbildung an den Schulen, zur Lehrerausbildung in Niedersachsen, aus Gesprächen mit Vertretern des Hotels,

(Möllring [CDU]: Die sollen nach Kreuzberg fahren! Oder nach Hildes- heim!)

- auch nach Hildesheim -, einem Bürgermeister, einem Schulrat und einem Dozenten mit mehr oder weniger erkennbaren Bezügen zum Thema und zur

Zielsetzung des Kurses und der Durchführung touristischer Aktivitäten.

Eine stringente Hinführung auf die Kursziele ist nicht erkennbar. Es entsteht eher der fatale Eindruck, dass das vorrangige Ziel darin bestand, während der Unterrichtszeit einen Kurs in einem Vier-Sterne-Hotel in der Türkei mit einem exklusiven Personenkreis durchzuführen und dafür einen Arbeitsplan vorzulegen, der den Anschein von sinnvoller Fortbildung erweckt.

Die genaue Prüfung des Arbeitsplans hätte ebenfalls zur Absage führen müssen. Es bleibt auch hier im weiteren Verlauf der Ermittlungen zu prüfen, warum der Arbeitsplan unbeanstandet blieb und nicht zum Anlass für die Absage des Kurses genommen wurde.

Zur Genehmigung von Fortbildungsveranstaltungen im Ausland: Nach dem Erlass des MK vom 27. Januar 1998 und dem Grunderlass des MF vom 4. Februar 1999 gibt es für Fortbildungsveranstaltungen im Ausland einen Zustimmungsvorbehalt. Warum diese Fortbildungsreise ins Ausland während der Unterrichtszeit dem MK nicht zur Genehmigung vorgelegt worden ist, wird ebenfalls im Zuge der weiteren Ermittlungen geklärt. Nach Bekanntwerden des Türkei-Kurses sind die Bezirksregierungen und das NLI umgehend nochmals auf diese Regelung mit der Bitte um Beachtung hingewiesen worden.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich namens der Landesregierung die Fragen wie folgt:

Zu Frage 1: Ein Antrag mit der Bitte um Zustimmung für diesen Kurs, der in der Unterrichtszeit stattfand, an das Kultusministerium erfolgte nicht. Eine Genehmigung durch das Kultusministerium, wie sie in der Frage unterstellt worden ist, ist nicht eingeholt worden.

Zu Frage 2: Die Unterstellung, es handele sich um eine nachträgliche Ablehnung des Kurses, wird zurückgewiesen. Es geht hier nicht nur um formale Gründe, weshalb der Kurs hätte abgelehnt werden müssen. Meines Erachtens geht es um das Ansehen von Fortbildungsveranstaltungen und den Missbrauch solcher Veranstaltungen.

Zu Frage 3: Ich nehme meine politische und dienstliche Verantwortung wahr und habe deshalb sofort Konsequenzen gezogen.

(Frau Vockert [CDU]: Welche denn?)

- Die habe ich Ihnen eben vorgetragen. - Hier ist gegen eindeutige Zuständigkeiten und festgelegte Regelungen verstoßen worden. Hier ist meines Erachtens auch unsensibel gehandelt und dadurch dem Ruf der Lehrerfortbildung geschadet worden. Ich stelle mich deshalb ausdrücklich vor die Lehrkräfte des Landes, die ihre Fortbildung verantwortungsvoll wahrnehmen und deren Ansehen durch solche Verhaltensweisen mit geschädigt wird.

(Beifall bei der SPD)

Die erste Zusatzfrage stellt der Kollege Pörtner. Dann kommt Herr Klare.

(Plaue [SPD]: Die üblichen Verdäch- tigen!)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, warum hat es trotz wiederholter Vorfälle - darüber hat die Hannoversche Allgemeine in der Vergangenheit minutiös berichtet - bis zu dieser Türkei-Reise immer noch kein wirkungsvolles Kontrollinstrument in Ihrem Ministerium hinsichtlich Lehrerfortbildungsangeboten in Niedersachsen gegeben?

Frau Ministerin!