Protocol of the Session on November 20, 2002

§ 3 Satz 1 ist ergänzt worden, um sicherzustellen, dass eine Heranziehung der Gemeinden zur Durchführung der Aufgaben nach dem Grundsicherungsgesetz nur dann erfolgt, wenn diese auch zur Durchführung der Aufgaben des örtlichen Trägers der Sozialhilfe herangezogen sind. Der neu eingefügte Satz 3 bestimmt, dass Widerspruchsbehörden die Träger der Grundsicherung sind. Ohne diese Regelung wäre gem. § 73 Abs. 1 Nr. 1 VwGO die nächsthöhere Behörde, also die Bezirksregierung für den Erlass eines Widerspruchsbescheides zuständig.

Zu Artikel 3:

Die Änderungen folgen auch der Einfügung des Artikel 2.

In der Beratung hat der Kollege Groth das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin der Meinung, dass die bedarfsorientierte Grundsicherung ein wirklicher Aktivposten der Regierung Schröder aus den letzten vier Jahren ist.

(Zustimmung von Schwarz [SPD] - Zuruf von der CDU)

Mit dem Gesetz werden - da Sie dazwischenrufen, ist es besonders wichtig, dies festzustellen - wich

tige Fragen beantwortet, die wir uns gemeinsam gestellt haben, wenn wir Armutsberichte in diesem Lande erörtert haben. Es gibt drei Zielgruppen, die im Armutsbericht immer wieder prominent zu nennen gewesen sind. Dies sind einmal die Rentner mit Kleinstrenten, meistens Frauen, die ergänzend der Sozialhilfe bedürfen, und oft auch die Opfer der jahrzehntelangen Beschäftigung in 630-MarkVerträgen alter Prägung, die im Alter dann kein ausreichendes Einkommen haben. Diesen Menschen wird mit einer Grundsicherung geholfen.

Die zweite große Gruppe sind diejenigen, die als Behinderte auf Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen sind, also ansonsten in Armut leben, weil sie aufgrund ihrer Erwerbsminderung, ihrer schweren Behinderung schon in frühen Jahren nicht in der Lage sind, sich ein ausreichendes Einkommen und eine ausreichende Sozialversicherung aufzubauen. Ihnen wird mit der Grundsicherung nun ein bedarfsorientiertes Einkommen gewährleistet, sodass sich auch ihr Zustand deutlich verbessert.

Es gibt eine dritte Zielgruppe, die auch immer wieder zu nennen war. Sie gehört aber eigentlich mit zur ersten. Das sind nämlich diejenigen - wiederum meistens Frauen im Alter von über 65 Jahren mit kleinen Einkünften -, die sich geschämt haben, zum Sozialamt zu gehen. Sie haben die dortigen Prozeduren für sich nicht akzeptiert und haben, obwohl sie andere Rechtsansprüche gehabt hätten, lieber mit Einkünften gelebt, die unterhalb dessen liegen, was ihnen im Rahmen der Sozialhilfe gewährt worden wäre.

Diese drei Zielgruppen erhalten nun mit der Grundsicherung eine in dieser Zeit fast schon ungewöhnliche, aber doch noch richtige Antwort. Sie werden mit der Grundsicherung jeweils eine Berechnung nach ihrem maßgeblichen Regelsatz bekommen. Dazu wird es eine Pauschale von 15 % geben. Sind sie Schwerbehinderte mit dem Merkzeichen G, so werden sie auf den Regelsatz noch einmal eine Zulage von 20 % erhalten; auch die angemessenen Kosten für Wohnung und Heizung werden übernommen.

Ich meine, das ist eines der wichtigsten sozialpolitischen Gesetze, das in der Periode von Schröder in Berlin geschaffen worden ist; denn wir alle, insbesondere die Sozialdemokraten, haben dies immer wieder eingefordert, und diejenigen, die die Armutsberichte diskutiert haben, haben immer wieder die Frage gestellt, wie diesen Menschen geholfen werden kann.

Ein Zweites ist mir wichtig. Das Landesgesetz bietet die Gewähr dafür, dass ab 1. Januar 2003 das Bundesgesetz umgesetzt werden kann. Wir haben dies in engem Einvernehmen mit den Kommunen geregelt. Es gibt da, glaube ich, keinen Dissens. Wir sind in der Frage, ob dies eine Aufgabe des übertragenen oder des eigenen Wirkungskreises sein sollte, den Bitten und Wünschen der Kommunen gefolgt. Ich lege Wert auf die Feststellung - insbesondere im Hinblick darauf, dass wir uns mit diesem Gesetz eventuell einmal einer Überprüfung unterziehen müssen -, dass wir damit ein Unikat in der Bundesrepublik sind. Wir sind die einzigen, die es auf Wunsch der kommunalen Spitzenverbände als Aufgabe des übertragenen Wirkungskreises geregelt haben. Ich glaube, dass die Kommunen damit die bestmögliche Gewähr dafür haben, dass sie mit den schwer einzuschätzenden Kosten und Entwicklungen nicht doch irgendwann anteilig allein gelassen werden. Dieser Weg ist sicherlich vernünftig und ist mit den Kommunen in Niedersachsen in dieser Form auch verabredet.

Drittens glaube ich, dass sowohl der Bund als auch wir - anders, als hier und da publiziert worden ist eine weitere kommunalfreundliche Regelung in das Gesetz aufgenommen haben. Mit der Zulage von 15 % werden wir im Bereich der Sozialhilfe einen positiven Effekt erzielen. Alle Praktiker wissen, dass in der Sozialhilfe die einmaligen Leistungen ungeheuer viel Arbeit, Stress, Widersprüche und Klagen produzieren. Mit dieser Art der Pauschalierung werden alle, die betroffen sind und Grundsicherung erhalten werden, die in der Vergangenheit eventuell schon unabhängig von der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt leben konnten, aber immer wieder der einmaligen Beihilfen bedurften, von den Gängen zum Sozialamt freigestellt. Durch diese pauschalierte Regelung werden wir in den Sozialämtern erheblich weniger Arbeit und Konflikte haben. Ich glaube, dies bringt nach den Umstellungsarbeiten, die sicherlich erforderlich sind, eine deutliche Erleichterung für die Sozialhilfe, sowohl was die Ausgabe als auch was den Verwaltungsaufwand in den Kommunen angeht. Sicherlich sind derzeit Umstellungsarbeiten zu leisten. Aber wenn diese erledigt sind, sehe ich persönlich mehr Entlastung, sowohl was die Ausgaben als auch die Arbeit auf der kommunalen Seite angeht.

Ich möchte diesen kurzen Beitrag auch nutzen, um mich bei den Sozialversicherungsträgern herzlich zu bedanken. Teilweise werden sie schon angerufen worden sein, weil viele Betroffene noch nicht

wissen, was sie mit der Nachricht machen sollen. Sie haben einen Brief entwickelt, in dem den potenziellen Antragstellern in hervorragender Weise erläutert wird, was sie zu tun haben.

(Zuruf von der CDU: Viel zu umfang- reich!)

Ich halte das für ein gediegenes Projekt der Sozialversicherungsträger. Allgemein verständlich und plausibel geben sie den potenziell Bedürftigen schriftlich Rat und Hinweise, wie sie mit dem neuen Gesetz umzugehen haben.

Ferner ist meiner Meinung nach wichtig gewesen, dass die Landesregierung parallel zu unserem Gesetzgebungsverfahren die Verwaltungsinterna vorbereitet hat. Sie befinden sich in der Anhörung, sodass ich davon ausgehe, dass es nach der heutigen Verabschiedung keinerlei Brüche geben wird. Bis zum 1. Januar 2003 ist noch genügend Vorbereitungszeit, sodass es keinerlei Probleme geben wird.

Zusammenfassend ist Folgendes festzustellen: In Niedersachsen werden mit diesem Gesetz, was die Älteren angeht, ca. 75 000 bis 80 000 Menschen und, was die Behinderten angeht, ca. 20 000 Menschen im Lande erreicht. Ich glaube, bei dem Gesetz handelt es sich um eine wichtige sozialpolitische Erneuerung. Angesichts der Finanzlage wird es sicherlich eines der letzten Leistungsgesetze sein, die Bund und Land in dieser Form vorlegen konnten. Die beschriebenen Effekte bringen Entlastung und Erleichterung auch für die Kommunen. Insofern macht das Gesetz auch angesichts der Finanzlage der Kommunen Sinn.

Ich will abschließend noch einen Satz zu einem Artikel sagen, den wir dem Gesetz angehängt haben und durch den das Betreuungsgesetz novelliert wird. Sie wissen, dass wir die Zuwendungen an die Betreuungsvereine im Doppelhaushalt 2002/2003 deutlich erhöht haben. Die Ansätze des Haushalts 2001 sind um 50 % erhöht worden. Dies machte auch Sinn.

(Zuruf von Frau Pothmer [GRÜNE])

- Dies machte auch Sinn, Frau Pothmer, weil es in den Betreuungsvereinen andere Finanzierungsarten gab. Es gab in weiten Teilen eine so genannte Pauschalierung. Die Betreuungsvereine benötigten in dem Jahr gar nicht so viele liquide Mittel, wie sie den Eindruck zu erwecken versuchten. Das ging in den Vereinen schon gut auf. Es gab eine Richtlinie,

mit der gesteuert werden sollte, wo wie viele Betreuungsvereine tätig sind. Auch in kleinen Landkreisen gab es zum Teil Mehrfachgründungen von Vereinen, die alle finanziert werden wollten. Es gab eine Gerichtsentscheidung, die die Betreuungsvereine darin bestärkte, dass sie einen Anspruch auf Bezuschussung durch das Land hätten, so sie gegründet und anerkannt sind.

(Glocke des Präsidenten)

- Danke, Herr Präsident. Ich komme sofort zum Schluss.

Sie hatten nur noch einen Satz angekündigt. Darum hatte ich vorher nicht geklingelt. Aber der Satz ist inzwischen dreimal zu Ende geführt worden.

Ich bin also der Meinung, dass das Land mit dieser Gesetzesnovelle hinreichend legitimiert wird, die finanzielle Steuerung aus der alten Richtlinie umzusetzen, und bitte deshalb um Ihre Unterstützung. - Danke, Herr Präsident.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin Jahns hat das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben ja gehört, das Niedersächsische Gesetz zur Ausführung des Gesetzes über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung wird am 1. Januar 2003 in Kraft treten. Ziel der Grundsicherung ist es, die ab 65-Jährigen sowie die aus medizinischen Gründen dauerhaft Vollerwerbsgeminderten ab 18 Jahren, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben und ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten können, von der Sozialhilfe unabhängig zu machen.

Vom Prinzip her ist dieser Grundgedanke sicherlich richtig. Aber leider - das wissen wir aufgrund der Stellungnahmen der kommunalen Spitzenverbände und auch der Träger der freien Wohlfahrtsverbände - wird dieses Ziel keineswegs mit dem Gesetz erreicht.

(Zustimmung von Frau Schliepack [CDU])

Vorhin ist schon angeführt worden, dass es in Deutschland noch einen hohen Prozentsatz von so genannter verschämter Altersarmut gibt. Das bedeutet, dass gerade viele ältere Frauen Hemmschwellen haben, zum Sozialamt zu gehen, um ihren Lebensunterhalt, den sie allein aus ihrem Einkommen nicht decken können, durch Sozialhilfe oder ergänzende Sozialhilfe bestreiten zu müssen.

Durch die uns vorliegenden Berechnungen ist bestätigt worden, dass leider mit der neuen Grundsicherungsregelung in vielen Fällen keinesfalls so, wie es erwartet wird, auf Sozialhilfe verzichtet werden kann. Gerade im Bereich der einmaligen Beihilfen werden weiterhin viele Gänge zum Sozialamt nötig. Das ist - Kollege Groth, das möchte ich nochmals betonen - keinesfalls von den kommunalen Spitzenverbänden mit der Landesregierung im Einvernehmen festgestellt worden, sondern es ist aufgrund der Höhe der Grundsicherung weiterhin mit erheblichem Bedarf an Sozialhilfe zu rechnen.

(Frau Schliepack [CDU]: So ist es!)

Zuständig für die Bearbeitung und die Auszahlung der bedarfsorientierten Grundsicherung sollen die Landkreise, kreisfreien Städte und die Region Hannover sein. Sie nehmen die Trägerschaft - das ist hier auch schon deutlich geworden - als Aufgabe des übertragenen Wirkungskreises wahr. Sicherlich gab es in dieser Hinsicht keinerlei Unstimmigkeiten. Wir freuen uns natürlich, dass wir diese Aufgabe dem übertragenen Wirkungskreis gemeinsam zugeordnet haben.

Das Problem bei der Übernahme weiterer Aufgaben ist nur, dass die betroffenen Kommunen die entsprechenden Finanzmittel, die sie benötigen, nicht bekommen. Wieder einmal ist es von der Bundesregierung und in dem Falle auch von der Landesregierung, die das Ausführungsgesetz vorgelegt hat, vergessen oder, sagen wir mal, ganz bewusst gemacht worden, dass die Kommunen im Endeffekt weiter Mittel zur Verfügung stellen müssen, mit denen sie vorher nicht gerechnet haben.

(Sehrt [CDU]: Sehr richtig!)

Auch wenn durch den übertragenen Wirkungskreis ein bestimmter Teil der Verwaltungskosten ge

deckt ist, so ist es doch bisher immer so gewesen - das ist leider in den Ausschussberatungen bestätigt worden -, dass für diesen Bereich nur 75 % der entstehenden Kosten übernommen werden, sodass weiter ein erheblicher Mittelbedarf bei den Kommunen entsteht.

(Beifall bei der CDU)

Die Kosten, die das neue Gesetz für Deutschland in Aussicht stellt, d. h. also das, was insgesamt auf die Länder zukommen wird, werden auf bis zu 1 Milliarde Euro geschätzt. Der Bund will sich an diesen Kosten lediglich mit 409 Millionen Euro beteiligen. Das bedeutet einen erheblichen Bedarf, den die Kommunen bzw. die Länder aufbringen müssen. Ich meine, das ist für die Kommunen eine Mehrbelastung, die nicht zu tragen ist.

(Beifall bei der CDU)

Die Begründung, dass aufgrund entfallender Sozialhilfeberechnungen ein erheblicher Verwaltungsaufwand gespart wird, ist völlig unzureichend. Die kommunalen Spitzenverbände haben mitgeteilt, dass es einen erheblichen zusätzlichen Personalbedarf gerade für die Berechnung dieser Grundsicherung geben wird.

(Decker [CDU]: So ist es!)

Wir haben über die kommunalen Spitzenverbände von einigen Kommunen bereits die Nachricht bekommen, dass z. B. die Stadt Braunschweig mit zwölf weiteren Stellen für diese neue Aufgabe rechnet. Der Landkreis Wolfenbüttel rechnet mit drei zusätzlichen Stellen. Die Stadt Wolfsburg rechnet mit drei Stellen im Bereich der Sozialhilfe und mit einer zusätzlichen Stelle, im Wohngeldbereich also insgesamt mit vier zusätzlichen Stellen. Meine Damen und Herren, ich meine, das ist eine zusätzliche Aufblähung des Verwaltungsapparates, die wir nicht hinnehmen können.

(Beifall bei der CDU)

Die Aussage, dass gemäß Artikel 57 Abs. 4 der Niedersächsischen Verfassung bei der Zuordnung von Aufgaben zum übertragenen Wirkungskreis die Bestimmungen über die Deckung der Kosten eingehalten werden, ist eindeutig falsch. Aufgrund der unbefriedigenden Regelung der Finanzausstattung hat es verschiedene Gutachten gegeben, die belegt haben, dass dieses Gesetz verfassungswidrig ist.

Aber neben der mangelnden Finanzierungsregelung gibt es auch noch weitaus schwerer wiegende Gründe für uns, dieses Gesetz abzulehnen. Den Menschen, denen dieses Gesetz ein gesichertes Einkommen im Alter oder bei Erwerbsunfähigkeit gewährleisten soll, wird ein zusätzlicher bürokratischer Aufwand zugemutet, der nicht zu akzeptieren ist. Da muss ich leider dem Kollegen Groth widersprechen. Es wird gesagt, das Schreiben, das die Betroffenen erhalten, sei unkompliziert und ganz deutlich. Ich kann nur sagen: Die Antragsformulierungen und der Umfang des Antrages, der in Zukunft von den Betroffenen zu stellen ist, sind so umfangreich und kompliziert, dass normale Menschen erhebliche Probleme damit haben, den komplizierten Antrag auszufüllen.

Etwa 20 Millionen Menschen werden mit Schreiben der Rentenversicherungsträger aufgefordert, ihre Anträge zu stellen. Ich habe es eben bereits ausgeführt: Diese Anträge, meine Damen und Herren, sind so umfangreich und kompliziert, dass es für die Betroffenen wirklich Schwierigkeiten bereiten wird, diese Anträge auszufüllen. Zusätzlich müssen Berater hinzugezogen werden, oder die Betroffenen müssen weitere Stellen aufsuchen, um diese Anträge ausfüllen zu lassen.