Protocol of the Session on November 20, 2002

„Rechtliche Konsequenzen hatten sich daraus zunächst aber nicht ergeben. Das ist von der Union immer wieder angeprangert worden und hatte auch öffentliche Diskussionen ausgelöst. Jetzt will Frau Zypries appellieren an

alle Bundesländer, dem Beispiel Bayerns, Baden-Württembergs und Sachsen-Anhalts zu folgen und Länderregelungen zur nachträglichen Verwahrung zu erlassen; denn dies ermögliche auch, potenzielle Wiederholungstäter auch nach Verbüßung ihrer Haftstrafe in Gewahrsam zu belassen.“

Sie sind inzwischen von Ihrer eigenen Bundesjustizministerin für Ihre Verweigerungshaltung und dafür, dass Sie hier nicht zustimmen, geohrfeigt worden.

(Beifall bei der CDU)

Die Süddeutsche Zeitung zitiert dann weiter, dass die Union bundeseinheitliche gesetzliche Regelungen aber weiterhin für erforderlich hält, weil diese Länderregelungen ein bisschen wackelig sind und auch vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden. Ihre Verweigerungshaltung und die Tatsache, dass Sie jahrelang nichts tun und einen gegenteiligen Eindruck erwecken, zeigen, wie wenig Ihnen der Opferschutz und wie viel Ihnen der Täterschutz wert ist. Das ist der Vorwurf, den wir Ihnen nicht ersparen können.

(Beifall bei der CDU)

Es geht um eine unmittelbare Frage des Rechtsstaats: Können sich Frauen, Kinder und Schwache in der Gesellschaft vor Vergewaltigern, Sexualstraftätern und Mördern angemessen geschützt fühlen? Die 21-jährige Frau und die 47-jährige Frau konnten sich nicht auf die Justiz in diesem Lande verlassen. Sie waren verlassen. Einer der Täter - wegen Mordes verurteilt - befand sich in der Obhut des Staates und war Freigänger, und der andere Täter wurde aufgrund eines Gerichtsbeschlusses, der wegen vermeidbarer Verzögerung ergangen war, auf freien Fuß gesetzt. Es sind zwei Morde passiert. Die sind nicht rückgängig zu machen. Deshalb ist hier jedes polemische Ausweichen

(Frau Müller [SPD]: Das machen Sie doch!)

auf dieses und jenes - Sie haben das noch nicht einmal richtig aus dem Englischen übersetzt - völlig abwegig. Hier geht es um den Schutz der Bevölkerung in Niedersachsen vor Sexualstraftätern. Dafür tragen Sie die Verantwortung. Die fordern wir hier von Ihnen ein.

(Beifall bei der CDU)

Ferner geht es um die Übernahme persönlicher Verantwortung. Wenn man erstens den Landtag falsch informiert hat, wenn man zweitens die Zusage auf Einschaltung eines externen Gutachters nicht eingehalten hat, wenn man drittens die Justiz und die Gerichte nicht so organisiert hat, dass vermieden werden kann, dass so jemand wieder auf freien Fuß gesetzt wird, bevor die Hauptverhandlung überhaupt stattgefunden hat, dann muss man sagen: Ich übernehme dafür die persönliche und die politische Verantwortung, trete zurück und widme mich wieder meiner Aufgabe als Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Sie mich fragen, was mich in diesen Debatten immer so aufregt, dann will ich Ihnen das sagen: Es ist das Setzen auf Amnesie, auf Gedächtnisschwund. Einigen hier im Hause - beispielsweise denen, die diesem Parlament schon in den 80erJahren angehört haben - müsste doch klar sein, dass es der damalige Niedersächsische Justizminister Prof. Dr. Schwindt war, der in Uelzen und anderswo die bundesweit ersten vorbildlichen Modellprojekte zum Täter-Opfer-Ausgleich durchgesetzt und eingeführt hat. Es kommt ja noch doller. Er war es, der das Kriminologische Forschungsinstitut in Niedersachsen gegründet hat. Er hat Herrn Pfeiffer zum Leiter dieses Institutes gemacht. Ja, die damalige CDU-Landesregierung hat diese Fragen des Opferschutzes auf den Weg gebracht. Sie aber sind leider auf halber Strecke stehen geblieben.

(Starker, anhaltender Beifall bei der CDU)

Herr Ministerpräsident!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wulff, Sie können sich darauf verlassen, dass wir auch jede Ihrer Äußerungen aufgreifen und korrekt kommentieren werden. Sie haben eben behauptet, dass es keine Maßnahme zur Sicherungsverwahrung gibt, sei auch an Niedersachsen gescheitert. Ich lese Ihnen jetzt einmal die tatsächliche Rechtslage vor.

(Schünemann [CDU]: In Niedersach- sen!)

- Nein, in Niedersachsen gilt sie. Ich lese Ihnen jetzt einmal die tatsächliche Rechtslage vor. Ich bitte Sie, dann hierher zu kommen und zu sagen, ob diese Rechtslage aus Ihrer Sicht gilt oder nicht.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Unzureichend ist!)

Wir haben mit der Stimme des Niedersächsischen Justizministers im Bundesrat eine bundesgesetzliche Regelung unterstützt. So konnte am 28. August 2002 das vom Bundestag im Juni 2002 beschlossene Gesetz zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung in Kraft treten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Das neue Gesetz ermöglicht es dem Gericht, sich im Strafurteil die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung vorzubehalten. Damit können Erkenntnisse aus dem Strafvollzug bei der endgültigen Entscheidung über die Entlassung aus dem Strafvollzug berücksichtigt werden. - So, meine Damen und Herren, nun geht es an dieser Stelle - das verheimlicht Herr Wulff Ihnen hier um eine Regelungslücke für Altfälle.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Nachträglich! Sie haben doch keine Ahnung davon! - Schünemann [CDU]: Sie sind da auf dem Holzweg!)

- Nein, nein, das ist hier nachträglich. Herr Wulff, es geht darum, dass wir in Zukunft beim Strafurteil nicht mehr die Anordnung der Sicherungsverwahrung brauchen, sondern darüber soll erst zu dem Zeitpunkt entschieden werden können, wenn der betreffende Mensch entlassen werden soll.

Was Sie mit „nachträglich“ jedoch meinen, sind die so genannten Altfälle. Es gibt doch ein Rückwirkungsverbot. Für diese Altfälle, Herr Wulff, gibt es gesetzliche Vorschriften in BadenWürttemberg und Bayern und eine Gesetzesinitiative der CDU-Fraktion hier im Niedersächsischen Landtag. Genau diese Gesetzesinitiative habe ich Ihnen vorhin zitiert. Der Gesetzentwurf der CDUFraktion basiert auf dem baden-württembergischen Landesgesetz. Gegen dieses Gesetz wird derzeit aber vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt. Sie verhalten sich doch völlig unredlich, wenn Sie sich angesichts der Überprüfung dieses Gesetzes

auf seine Verfassungsgemäßheit hin hier hinstellen und von uns verlangen, eine möglicherweise verfassungswidrige Entscheidung zu treffen.

(Beifall bei der CDU - Schünemann [CDU]: Das war im März 2001! So lange habe sie es hinausgezögert!)

Sie wissen ganz genau, dass die Landesregierung den Erlass - -

(Zurufe von der CDU)

- Es wird doch nicht dadurch besser, dass die Zeiträume, die Sie gern diskutiert haben möchten, verlängert werden. Schon damals war klar, dass das Ganze dem Bundesverfassungsgericht vorliegt.

(Schünemann [CDU]: Na und? Hauptsache, es ist geregelt!)

- Herr Schünemann, Sie wollen Innenminister des Landes Niedersachsen werden. Auf meinen Vorhalt, dass ein Gesetz beim Bundesverfassungsgericht liegt, antworten Sie aber: Na und? - Das ist vielleicht eine Rechtsauffassung! Davor bewahre uns der Wähler.

(Beifall bei der SPD)

Herr Wulff, machen Sie den Menschen im Land nicht vor, wir würden eine nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht wollen. Wir wollen die nachträgliche Sicherungsverwahrung. Wir wollen sie aber auf der Grundlage eines verfassungsgemäßen Gesetzes, meine Damen und Herren. Dafür werden wir auch sorgen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Wulff, Sie haben den Menschen vorgemacht, dass dieser konkrete Fall dann, wenn es die Rechtslage, die Sie sich wünschen und übrigens auch ich mir wünsche, schon gäbe, hätte verhindert werden können.

Meine Damen und Herren, das Gericht hat bei dem Straftäter nach 18 Jahren Haft entschieden, ihn auf Bewährung auf freien Fuß zu setzen. Das, was Sie fordern, hätte daran nichts geändert.

(Zustimmung bei der SPD)

Das Gericht wäre überhaupt nicht dazu gezwungen gewesen, ihn nach 18 Jahren frei zu lassen, aber es war der Überzeugung, das es richtig ist, dies zu tun. Dies hat sich jedoch als schwerwiegender Fehler herausgestellt. Es ist aber doch schlicht

falsch, darauf zu setzen, dass Sie hier alles, wie Herr Schröder gesagt hat, ineinander rühren können. Sie versuchen, alles zu einem Brei zusammenzurühren, und zwar in der Hoffnung, dass alle Menschen zu dumm wären, die Fälle, über die wir hier leider sprechen müssen, auseinander zu halten.

Ich finde Ihre Reden richtig gut, wenn man sie mit Ihren Taten vergleicht.

(Möhrmann [SPD]: Das finde ich auch!)

Sie haben einen Antrag zur Lösung solcher Probleme gestellt, über die wir hier reden, und zwar zum Haushalt 2001. Sie hatten für den Haushalt 2001 im Maßregelvollzug, also dort, wo wir gute Leute haben müssen, die überprüfen, ob jemand entlassen werden darf, die Streichung von 10 Millionen DM beantragt. Das ist Ihre Haushaltspolitik.

(Starker Beifall bei der SPD - Zurufe von Wulff (Osnabrück) [CDU] und Schünemann [CDU])

Ich persönlich finde es vernünftig, dass wir jede Ihrer Äußerungen auf Herz und Nieren prüfen. So muss man mit Ihnen in dieser Frage umgehen, meine Damen und Herren. Das werden wir nicht nur bis zum 2. Februar 2003 tun, sondern auch bei Ihrem Nachfolger als Chef der Opposition.

(Starker Beifall bei der SPD - Zuruf von Wulff (Osnabrück) [CDU])

Frau Kollegin Harms!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, Herr Wulff, ich weiß nicht, ob möglicherweise Hinterbliebene der beiden Opfer, über deren persönliche Katastrophe wir heute reden, der Debatte folgen. Ich hoffe fast, dass das nicht der Fall ist. Mir wäre es sehr unangenehm, wenn verfolgt werden könnte, wie diese beiden Fälle in diesem Landtag tatsächlich instrumentalisiert werden, und zwar von beiden großen Fraktionen in diesem Haus.

(Beifall bei den GRÜNEN - Plaue [SPD]: Das darf ja wohl nicht wahr sein! - Weitere Zurufe von der SPD - Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Ich bin mir sehr sicher gewesen, Herr Kollege Plaue, dass das große Gejohle, das über fast die ganze Zeit diese Debatte geprägt hat, an dieser Stelle nicht leiser wird, wenn ich das sage. Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, gerade weil wir eine sachliche Auseinandersetzung wollten, so wie Herr Kollege Schröder - ich bitte Sie, es in den Texten nachzulesen - das hier versucht hat. Wir haben von Anfang an deutlich gemacht, dass der CDU-Antrag dieser Debatte nicht dienlich ist. Aber dass die Regierungsfraktion diese Diskussion dafür nutzt, um eine Erfolgsbilanz ihrer Justizpolitik vorzulegen, schlägt alles das, meine Damen und Herren, was ich erwartet hatte.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Zu- ruf von der Frau Goede [SPD])