Protocol of the Session on November 20, 2002

Meine Damen und Herren, der Herr Ministerpräsident hat die mit der Landesregierung vereinbarte Redezeit - bzw. mehr als diese Redezeit - in einem Stück genutzt.

(Frau Elsnar-Solar [SPD]: Das war nötig!)

Dieses Recht steht ihm nach der Verfassung zu.

(Groth [SPD]: Das war auch richtig so!)

Ich werde mit den Redezeiten der Fraktionen entsprechend großzügig verfahren.

Herr Kollege Schröder, bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident Gabriel, wenn Sie sich noch etwas mehr als Hobbyjurist betätigt und auf der CD weiter herumgesurft hätten, hätten Sie vielleicht noch zwei weitere Feststellungen machen können.

(Groth [SPD]: Sei doch mal ernst- haft!)

Erstens. Die beschleunigte Bearbeitung von Haftsachen folgt aus unserer Verfassung und aus der Europäischen Menschenrechtskonvention. Das heißt, so einfach ist es gar nicht, hier noch ein paar Monate anzuhängen.

Zweitens. Diese Regelung schützt nicht nur Täter, sondern sie ist auch im Interesse der Opfer, die dann eben nicht viele Monate auf die Verhandlung oder auf den Zeitpunkt, an dem sie als Zeuge gebraucht werden und ihre Aussage machen, warten müssen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Die Justiz braucht den Druck des § 121, dass im Normalfall ein solches Verfahren in einem halben Jahr vernünftig abgearbeitet werden kann. Da, wo das nicht geht, ist ja heute schon in hunderten von Fällen die Untersuchungshaft über diese sechs Monate hinaus verlängert worden.

Der zweite Unterschied, Herr Gabriel: Es stimmt, es gibt bundesweit hunderte von Aufhebungen. Nur, in Niedersachsen gibt es eine Besonderheit: Wir haben eine Tote infolge dieser Aussetzung.

(Zuruf von der CDU: Zwei!)

Das hat es bisher, soviel ich weiß, in der deutschen Justiz noch nicht gegeben.

Sie haben ausschnittweise Etappen des Verfahrens dargestellt. Ich glaube, Herr Ministerpräsident, Ihre Darstellung war etwas unvollständig. Sie haben darauf hingewiesen, dass der Haftbefehl Mitte April außer Vollzug gesetzt worden ist. Aber er ist schon relativ kurze Zeit später durch eine einstweilige Unterbringung wieder abgelöst worden. Es gab dann eine Invollzugsetzung des Haftbefehls. Es bleibt die Kritik der Richter am OLG - die es sich mit dieser Entscheidung wahrscheinlich nicht leicht gemacht haben -, dass hier zügiger und schneller hätte gearbeitet und beispielsweise die Anklage schon hätte vorbereitet werden können.

In einem Punkt haben Sie, Herr Gabriel, allerdings Recht: Ein Justizminister der CDU ist keine Garantie dafür, dass Derartiges nicht passiert.

(Frau Goede [SPD]: Weiß Gott nicht!)

In Hamburg wurde Ende Februar dieses Jahres ein mutmaßlicher Kinderschänder, der sich an zwei achtjährigen Jungen vergangen hatte, nach sechsmonatiger U-Haft freigelassen, weil auch dort vermeidbare Verfahrensfehler vorgekommen sind. Sie wissen, wer in Hamburg Justizsenator ist und welche rechts- und innenpolitische Linie der Hamburger Senat fährt.

(Zuruf von der CDU: Schill ist Innen- senator!)

Das ist keine Garantie. Aber eines, Herr Pfeiffer, geht nicht - bei aller kritischen Sympathie und Unterstützung, die wir Ihnen in vielen Fragen entgegengebracht haben; ich habe Ihnen das schon im letzten Plenum gesagt -: Es geht nicht, Herr Pfeiffer, dass immer wieder die anderen schuld sind.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Als die sächsische Stadt Sebnitz wegen des Todes des sechsjährigen Josef Abdullah in Verruf geriet, waren die Medien schuld - nicht ein uns gut bekannter Kriminologe und Wissenschaftler. Als Sie Ihre Auftritte in Stadthagen hatten, waren es die

Lehrer, die bei prügelnden Schülern wegschauen, da war es die Stadt, die Kinder in Nachmittagsgruppen abdrängt und die Sprachförderung nicht so betreibt, wie es zu erwarten ist, und da waren es türkische Eltern mit ihrem Machoverhalten, aber nicht das Land, nicht die Justiz. Auch hier beim Beispiel Lüneburg ist es so. Da sagen Sie: Erstens. Das OLG hat falsch entschieden. Ich darf das als Minister zwar nicht so laut sagen, aber die Entscheidung ist falsch. Die hätten anders entscheiden können und entscheiden sollen.

(Plaue [SPD]: Stimmt das, oder stimmt das nicht?)

Zweitens. Der Täter ist schuld, dass er auf freien Fuß gekommen ist. Hätte er mitgemacht, dann wäre er in der Zelle geblieben. - Das ist eine absurde Vorstellung, Herr Minister.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Drittens. Schuld hat die Gesetzeslage, dann müssen die in Berlin das ändern.

So geht es nicht. Ich habe aber trotzdem Vertrauen in Ihre Lernfähigkeit, Herr Minister. Ich will nicht, dass Sie Ihr Amt vorläufig niederlegen und Urlaub machen. Ich will auch nicht, dass Sie nach einem Ausflug in die Politik wieder in Ihr Institut zurückkehren. Ich habe, ehrlich gesagt, zwei Erwartungen an Sie: dass Sie erstens deutlich sagen - das haben Sie in den letzten Tagen nicht getan - „In der Justiz des Landes Niedersachsen ist ein schwerer Fehler passiert, und ich fühle mich dafür auch persönlich verantwortlich“,

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

und dass Sie zweitens deutlich sagen „Ich, Minister Pfeiffer, werde alles dafür tun, dass sich so etwas wie in Lüneburg nicht wiederholt; ich will jetzt nicht weiter kommentieren, ich will auch nicht das Thema nach Berlin abgeben, sondern ich will selber die Justiz so reformieren, dass so etwas nicht passieren kann“.

Wenn Sie auf ein Frühwarnsystem hinweisen, dann muss ich Ihnen sagen: Das mag es ja geben, aber offenbar hat es, wenn man das Resultat nach dem Ereignis betrachtet, nicht funktioniert. Das ist nun einmal der Fakt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Herr Minister, Sie sind ja ein belesener Mann. Sie kennen die elfte Feuerbach-These, es komme nicht darauf an, die Welt immer nur verschieden zu interpretieren - wir alle neigen ein bisschen dazu -, sondern sie zu verändern. Genau diese Erwartung haben wir an Sie, dass Sie dies tun und diese Konsequenzen aus dem Ereignis ziehen. Aus diesen Gründen werden wir dem Antrag der CDUFraktion an diesem Punkt nicht zustimmen können, weil die CDU-Fraktion ihre gesammelten justizpolitischen Forderungen in diesem Bereich, die in vielen Punkten nichts, aber auch gar nichts mit diesem Fall zu tun haben, zusammengerührt hat. Dem können wir unsere Stimme nicht geben. Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Wulff!

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was wir wollen, ist viel einfacher, als dass es so vieler Worte bedurft hätte. Wir erwarten, dass in einem Fall eines rechtskräftig verurteilten Mörders, wenn dieser wegen Vergewaltigung angezeigt wird, innerhalb von sechs Monaten Anklage erhoben wird, die Hauptverhandlung terminiert wird und damit keine Freilassung erfolgt. Dann wäre der Mord nicht passiert. Das ist die Erwartung der Opposition.

(Beifall bei der CDU)

Jede Opposition in Deutschland würde ihrer Aufgabe nicht gerecht werden, wenn sie diese Forderung nicht erhebt und auch durchsetzt. Das ist nicht zu viel verlangt.

Ebenso wäre es nicht zu viel verlangt, wenn Sie Ihre Zusagen, die Sie dem Parlament gegenüber machen, auch einhalten würden. Vor einem Jahr haben Sie gesagt: In Zukunft werden stets Zweitgutachter, externe Gutachter eingeschaltet. - Das ist in Moringen jedoch nicht passiert. Auch der zweite Mord der letzten 14 Tage wäre somit vermeidbar gewesen. Das ist ebenfalls die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU)

Weiter erwarten wir, dass all das getan wird, was dieser Rechtsstaat zum Schutz der Menschen vor Sexualstraftätern, die besonders gefährlich sind,

tun kann. Sie haben in der letzten Plenarsitzung unsere Initiative zum verbesserten Schutz von Opfern vor chronischen Sexualstraftätern abgelehnt mit dem Hinweis darauf, dass ein Regelungsbedarf nicht bestehe. Im Nachhinein hat sich jedoch herausgestellt: Selbstverständlich gibt es einen solchen Regelungsbedarf. Die Bundesregierung ist inzwischen auf die Initiative von CDU und CSU im Bundestag eingegangen. Man verständigt sich dort z. B. auf eine Telefonüberwachung in Fällen des Kindesmissbrauchs und der Kinderpornografie und auch auf die Durchführung der DNA-Analyse.

Jetzt aber kommt es - Sie haben ja gefragt: Was hat das hiermit zu tun? -: Wir diskutieren hier seit eineinhalb Jahren über die lebenslängliche Sicherungsverwahrung - auch nachträglich angeordnet von gefährlichen Sexualstraftätern. Seit eineinhalb Jahren aber lehnen Sie diese Forderung ab. Jetzt zitiere ich Ihnen einmal aus der Süddeutschen Zeitung vom 14. November, also von der letzten Woche:

„Auf Bundesebene zeichnet sich keine Einigung in der Frage der Sicherungsverwahrung ab.“

- Scheitert an den Grünen.

„Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte in der vergangenen Legislaturperiode lebenslange Haft für notorische Sexualstraftäter gefordert.“

Das war diese populistische Forderung nach einem lebenslangen Wegschluss, als wieder ein Kindesmord passiert war. Das kam gut an, weil es richtig ist. In solch einem Fall muss der Opferschutz Vorrang vor dem Täterschutz haben. Er muss lebenslang weggeschlossen werden. Sie aber haben diese Forderung in Deutschland 1997/98 populistisch vertreten und sich dafür wählen lassen, bis zum heutigen Tage auf diesem Gebiet aber nichts gemacht. Das ist Ihre unmögliche Vorgehensweise.

(Beifall bei der CDU)

Jetzt zitiere ich weiter aus der Süddeutschen Zeitung:

„Rechtliche Konsequenzen hatten sich daraus zunächst aber nicht ergeben. Das ist von der Union immer wieder angeprangert worden und hatte auch öffentliche Diskussionen ausgelöst. Jetzt will Frau Zypries appellieren an